Siebzehn
Ash
So bald ich wieder am Campus war, überkam mich erneut die Angst, die ich schon am Freitag gespürt hatte. Ich hatte keine Gelegenheit, Coop zu sagen, was Charlie gesagt hatte, weil wir übers Wochenende beide so abgelenkt waren. Mit Coop und Sylvia, meiner Familie, Zeit zu verbringen, war mehr als ich mir jemals mit einem Alpha und einem Neugeborenen hätte vorstellen können. Aber Sylvia hielt uns beschäftigt, wenn sie wach war, und wenn sie schlief, schafften es Coop und ich einander auf andere Weisen zu beschäftigen, die ich mir vor ihm nicht hätte vorstellen können. Zumindest nicht ohne die Hilfe von Pornos und einer dreckigeren Fantasie als meiner.
Aber die Blase, in der wir uns das ganze Wochenende versteckt hatten, war geplatzt, und ich war wieder in der Höhle der Löwen. Ich war zu naiv, als ich angenommen hatte, Charlie würde das mit seiner Note vergessen, nur, weil ein paar Tage vergangen waren. Und als er kurz vor dem Mittagessen an meiner Tür stand, sah ich ein, wie dumm meine Ignoranz seinen Drohungen gegenüber war. Denn er war nicht allein.
Ich griff gerade nach meinem Handy, um zu sehen, ob Coop geschrieben hatte, als Charlie mit seinen zwei Alpha-Gorillas, die hinter ihm hertrabten, das leere Zimmer betrat. „Charlie, was machst…“
„Lass das Handy fallen, Crawford.“ Charlie tat nicht mal so, als hätte er Respekt mir gegenüber, als er in mein Klassenzimmer platzte. „Wir müssen mit dir reden.“
„Wenn es hier um deine Note geht, dann verschwendest du deine Zeit.“ Ich stellte mich hinter meinen Schreibtisch, um etwas Distanz zwischen mir und den aggressiven Alphas zu schaffen, aber das reichte nicht aus, um einen von den drei aufzuhalten. Im Nachhinein betrachtet war es ein Fehler.
„Das denke ich nicht.“ Charlie ging um die linke Seite meines Schreibtisches herum, als die zwei anderen Kerle seine rechte Seite blockierten, sodass ich zwischen ihnen gefangen war. „Wir sind hier, um dich daran zu erinnern, wie ein kleiner, guter Omega sich verhalten sollte, wenn ein Alpha eine Anweisung gibt.“
Coop, bitte sei auf dem Weg zu mir rüber zum Mittagessen . Ich trällerte die Bitte immer und immer wieder in meinem Kopf, als Charlie seine riesige Hand um meinen Hals wickelte und mich mit dem Gesicht auf den Schreibtisch drückte.
„Nun möchte ich, dass du darüber nachdenkst, was du hättest anders machen können, um dieser Situation zu entgehen.“ Charlie hielt mich nach unten gedrückt, mit einer Hand zu fest um meinen Hals gekrallt, und er benutzte seine andere, um meinen Gürtel zu lösen. „Nachdem du damit fertig bist, unsere Knoten auszumelken, wirst du dich vielleicht daran erinnern, wie gut ich die abgegebene Arbeit gemacht habe und eine Ausrede für den Hochschulleiter parat haben, wieso du vergangene Woche so schwierig im Umgang warst.“
Meine Hose war runtergezogen, als die Tür zu meinem Klassenzimmer aufflog. Ich spürte einen Andrang kühler Luft über meine nackte Haut streifen, ehe ich Coops wütendes Knurren irgendwo im Hinterkopf hörte. Mein Atem war zu lange abgeschnürt gewesen und ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, was um mich herum geschah. Ich war in einer traumähnlichen Verfassung, um mich herum flogen Körper und es wurde geschrien, aber ich konnte die Stimmen und die Worte nicht entziffern. Nicht, bis ich Coops Sicherheit gebenden Duft voll einatmen konnte, als er mich an seine Brust hielt. „Ash, Babe, wach bitte auf.“
Ich kämpfte damit, ihn wissen zu lassen, dass es mir gut ging, dass nichts passiert war, aber anstatt dass die Worte aus meinem Mund flogen, wurde alles schwarz.
Das Nächste, was ich weiß, war, dass ich eine Maske auf dem Mund hatte und Fremde mir sagten, ich solle mich entspannen und dass alles gut werden würde. Das Einzige, was mich davon abhielt, komplett auszuflippen, war Coops Hand, die um meine gewickelt war. Ich musste ihn nicht einmal sehen, um zu wissen, dass er da war, und auf das Bestehen eines Fremden hin, ließ ich meine Augen zu. Ich erlaubte der Bewegung von dem, was ich für einen Krankenwagen hielt, mich auf merkwürdige Weise zu trösten.
Als ich meine Augen wieder öffnete, schob man mich aus dem Krankenwagen, und die Aktivitäten, die mit der Aufnahme in der Notfallambulanz folgten, waren ein bisschen zu überwältigend. Es ging mir gut. Perfekt sogar, wenn man meinen pochenden Kopf außer Acht ließ. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, Coop zu versichern, dass es mir gut ging und die Fragen des Arztes zu beantworten. Schmerzen spürte ich aber kaum. Ich war kaum in der Lage, genau nachzuvollziehen, was passierte. Charlie war nicht nur jemand, der anderen seinen Willen verbal und durch Drohungen aufzwang, er war etwas noch so viel Schlimmeres.
Jemand hatte etwas davon gesagt, dass man auf weitere Untersuchungsergebnisse warte, ehe man mich entlassen könnte, und dann gingen die Ärzte und die Krankenschwestern endlich und Coop und ich blieben allein. Das war natürlich nachdem sie Coop aus dem Zimmer geschickt hatten, damit sie mich ausfragen konnten, ob er derjenige war, der mich verletzt hatte. Ich wusste ja, dass es ihr Job war und alles, aber sie auch nur andeutungsweise sagen zu hören, dass er etwas weniger als toll sein könnte, ließ mich ihnen gegenüber schnippisch und wütend werden und sie waren ganz weit davon entfernt, sich bei mir beliebt zu machen.
Alles, was mich interessierte, war, von dort wegzukommen und Sylvia abzuholen. Ich musste sie sehen und mir beweisen, dass es ihr nicht nur gut, sondern perfekt ging.
„Kannst du mir sagen, was passiert ist?“, fragte ich und versuchte, die Bilder in meinem Kopf, die keinen Sinn machten, zu verknüpfen.
Coop verzog sein wunderschönes Gesicht, eher er sich gleich wieder sammelte, immer stark für mich blieb. „Die Polizei meinte, ich solle es nicht. Sie möchten zuerst mit dir sprechen und sie möchten nicht, dass ich dir in deine Erinnerung einrede.“
Die Polizei. Ich würde mit der Polizei sprechen müssen. Ein Teil von mir wusste das zwar, es aber als Tatsache zu hören und zu wissen, dass es meine Realität war, war eine komplett andere Sache.
Ich wusste besser als die meisten, wie die Behörden Omegas behandelten, die Opfer waren. Das Beschämen und Beschuldigen der Opfer, die subtilen oder manchmal weniger subtilen Hinweise, dass es nicht wirklich so schlimm sei, und es am besten wäre, es zu vergessen, die Anschuldigungen über üble Absichten gegen den Täter , als hätten Omegas nichts Besseres zu tun, als sich den Scheiß auszudenken. Nein, es würde nicht einfach werden, vor allem nicht, da so viele Alphas Charlie Grace für den wichtigsten aller Menschen hielten, aber es musste erledigt werden. Nicht nur meinetwegen, sondern für alle zukünftigen Omegas, die sich im in den Weg stellen könnten.
Coop drückte meine Hand, sah mich mit dem unsichersten Blick an, den ich je von ihm gesehen hatte. Mein großer, starker Alpha wusste nicht, was er tun könnte, um es besser zu machen. Traurigerweise gab es auch nichts, was er hätte machen können. Nicht wirklich. Nur für mich da zu sein würde ausreichen müssen.
„Mein Gehirn begreift das, aber mein Herz muss wissen, dass du nicht verletzt wurdest.“ Denn drei auf einen waren schreckliche Aussichten, sogar für jemanden mit Coops Stärke.
„Es geht mir gut.“ Er sah ganz und gar nicht danach aus, als ginge es ihm gut, aber ich konnte nicht ergründen, ob es Sorge oder Schmerz war.
„Was nicht dasselbe ist, wie nicht verletzt worden zu sein.“
„Ich wurde nicht verletzt. Killian war bei mir, sagte, dass ihr euch auch treffen wolltet, also hatte ich ihn zum Mittagessen eingeladen. Ich bin so froh deswegen.“
Das war mir neu. Nicht der Teil mit Killian, weil ich vorhatte, mich mit ihm zu treffen. Ich konnte mich nur überhaupt nicht daran erinnern, dass er mit Coop dort war.
„Ich wusste nicht einmal, dass er dort war.“ Die Wahrheit war, dass ich überhaupt nicht viel wusste und das machte mir Sorgen. Das Einzige, was ich sicher wusste, war, dass Charlie und seine Kumpels es nicht geschafft hatten, etwas zu „tun“. Sie haben eine Menge gemacht, aber nichts über den körperlichen Teil mit dem Würgen war tatsächlich passiert. Die Tatsache, dass das Würgen mir wie eine Erleichterung erschien, sprach schon für sich.
„Klopf, klopf“, rief der Arzt mit seiner optimistischen Stimme, bat um Erlaubnis, als er durch die Tür kam. „Ich habe hier Ihre Untersuchungsergebnisse. Wenn Sie so nett wären und rausgehen würden, Mr. Daye.“
Meine Kinnlade fiel runter.
„Das werde ich nicht.“ Coops Stimme war entschlossen, ließ keinen Raum für Zweifel, dass es ihm todernst war. Und das sollte es auch sein. Er blieb. Ende. Der. Geschichte.
„Die Ergebnisse sind vertraulich.“ Der Arzt traf meinen Blick, als würde er mir mit seinen Worten eine geheime Nachricht übermitteln wollen. Was er aber nicht verstand, war, dass das, was er mir sagen würde – egal, ob ich wohlauf war, oder einen Schaden durch die abgeschnürte Luft davongetragen hatte, oder ob es etwas schlimmeres, wie etwa Krebs war – Coop an meiner Seite bleiben würde, wenn ich die Neuigkeiten erfahre.
„Vor meinem Gefährten ist nichts vertraulich.“ Ich drückte Coops Hand fester und ließ ihn wissen, dass ich ihn dort brauchte.
„Ich entschuldige mich.“ Der Arzt sammelte sich schnell. Vielleicht war es meine Wortwahl oder die Ernsthaftigkeit in meiner Stimme, wegen der er sein Verhalten änderte. Es war aber auch egal. „Also, es sieht alles normal aus, außer einer Sache.“
„Und die wäre?“ Meine Stimme brach und verriet, wie angespannt ich war. Angespannter, als ich es überhaupt realisiert hatte.
„Sie sind schwanger.“
Schwanger. Ein Baby. Coops Baby. Ich bekomme noch ein Baby. Der Arzt laberte immer weiter und alles, was ich gehört hatte, war „Baby“. Es erklärte meine Erschöpfung und das Kotzen.
Ich dachte, ich wäre zu alt. Scheiße, ich hatte seit Sylvias Geburt keine Brunft mehr.
Ein Baby.
Meine Hand fiel instinktiv auf meinen Bauch, während ich mich dazu zwang, dem Rest von dem, was der Arzt sagte, zuzuhören.
„Ich muss nur einen Ultraschall machen, um zu bestimmen, wie weit Sie schon sind, was in der gegebenen Situation keine schlechte Idee ist.“
Situation schien das Codewort im Krankenhaus für versuchte Vergewaltigung zu sein.
„Warum? Könnte mit ihm etwas nicht stimmen?“ Coop hielt mit einer Hand die meine, die andere hatte er auf meinen Bauch gelegt, wo unser Baby wuchs, und seine Sorge war spürbar.
„Ich bezweifle es“, versicherte der Arzt, ehe er sich direkt an mich wandte. „Sie zeigen keine Anzeichen von verlängertem Sauerstoffentzug auf. Aber wenn Sie den Herzschlag hören, angenommen, die Schwangerschaft ist schon so weit fortgeschritten, sollte Ihnen den Stress drumherum nehmen. Und da Sie noch viel mehr Stress ausgesetzt sein werden, wenn Sie sich dazu entschließen, das anzuzeigen, ist es nur eine gute Idee, den Stress zu lindern.“
Kein Teil von mir wollte sich die Chance entgehen lassen, unser Baby zu sehen.
„Aber Sie sind sich sicher, dass ich schwanger bin.“ Ich durfte nicht zulassen, mir Hoffnungen zu machen, falls es am Ende nur um erhöhte Altershormone ging.
„Ja.“
„Ich bin schwanger.“ Eine Träne kullerte über meine Wange. Ich werde wieder Vater sein, und dieses Mal würde Coop bei mir sein und mich bei jedem Schritt auf dem Weg begleiten.