Fünf­und­zwanzig
Ash
Ab dem Zeitpunkt, als die Fruchtblase platzte und wir ins Krankenhaus kamen, war alles wie ein Wirbelsturm. Der Arzt hatte sich merklich entspannt, als ich die Vierunddreißig-Wochen-Marke überschritten hatte. Obwohl ich innerlich bangte, wusste ich, dass mein Baby sich genug entwickelt hatte, um es in dieser Welt zu schaffen. Und das machte den Rest viel weniger erschreckend.
Ich hatte Coop gehänselt, noch eine Woche zu warten, bis wir heirateten, aber Erleichterung überflutete mich, weil ich wusste, dass wir in den Augen des Gesetzes legal miteinander verbunden waren. Wir hätten es schon vor Wochen getan, aber Coop war so davon vereinnahmt, sich um Sylvia und um mich zu kümmern, also hetzte ich ihn nicht. Und ein Teil von mir, ein viel größerer Teil, als ich selbst zugeben wollte, hatte Angst, dass ich diese Schwangerschaft nicht überstehen würde.
Ich hatte den Fehler gemacht, meinen Zustand zu googeln, und die Möglichkeit, die Geburt nicht zu überleben, war sehr real. Verheiratet zu sein tröstete mich, da ich wusste, dass es außer Frage stand, wohin unser Baby kommen würde. Unser Staat hatte schreckliche Gesetze, wenn es um unverheiratete Eltern ging, die nicht auf der Geburtsurkunde aufgeführt waren, und wenn ich sterben würde, bevor ich mein süßes Baby treffen konnte, gäbe es noch keine.
Und ja, das war eine andere Sache, die ich wie ein Idiot gegoogelt habe. Aber was sollte ich noch tun? Ich musste von meinem Lehrerjob zurücktreten, als der Arzt auf Bettruhe bestand. Es war eine Erleichterung in vielerlei Hinsicht, aber es bedeutete auch, dass ich nicht viel zu tun hatte. Coop hatte sich meisterhaft um Sylvia gekümmert, und Mama nutzte jede Gelegenheit, um sie für sich zu schnappen, damit sie Zeit mit der Oma verbrachte. Aber ich war dann stundenlang allein und das Tablet war meine einzige Gesellschaft. Ich würde googeln.
Wir wurden innerhalb von Minuten im Krankenhaus und im Triageraum angemeldet. Die Krankenschwester schloss mich an alle möglichen Geräte an und das Infusionsteam leitete gleich eine Infusionsflasche ein. Es war so anders als bei meiner letzten Geburt, als die Krankenschwestern wegen meines Ehestandes auf mich herabschauten. Dieses Mal gab es natürlich zusätzlichen Stress wegen der Dringlichkeit der Situation, den sie aber vergebens zu verbergen versuchten.
„Hallo, ich bin Doktor Harrison. Ich habe heute Bereitschaftsdienst.“ Eine Frauenstimme riss mich aus meinem Fokus auf die Piepsmaschine neben mir. Ich hatte Trost darin gefunden, den Herzschlag des Babys zu hören. „Sieht so aus, als bekämen wir heute Nacht ein Baby.“
Coop drückte meine Hand und zitterte leicht. „Seine Fruchtblase ist geplatzt.“
„Es scheint so, aber nach den Messungen dieses kleinen Sensors auf dem Bauch Ihres Gefährten nach haben die Kontraktionen nicht begonnen, also sieht es noch sehr gut aus.“ Und mit „klein“ meinte sie die Größe eines Kaffeebechers. Aber sie hatte in einer Sache recht. Ich hatte keine spürbaren Wehen, deswegen hatte mich das Platzen der Blase auch so überrascht. Mit Sylvia lag ich schon stundenlang in den Wehen, als das passierte.
„In diesem Moment bereitet ein Team den OP-Saal vor. Nun, aufgrund Ihres Zustandes werden Sie einige zusätzliche Leute dort sehen. Es sei Ihnen versichert, es liegt nur daran, dass wir ein Lehrkrankenhaus sind und Ihr Zustand einzigartig ist, und nicht, weil ich mir Sorgen mache.“
„Sie sind nicht besorgt?“, fragte ich, mir unsicher, ob ich sie richtig verstanden hatte.
„Sie sind der ideale Fall für einen Patienten mit dem HELLP-Syndrom. Sie haben es geschafft, es in Ihrer Schwangerschaft weit genug zu bringen, um als normale Schwangerschaftsdauer zu gelten, ohne dass sich Ihre Symptome verstärkt haben, und Sie haben keine Wehen. Sie, mein Freund, nennen wir ein Bestfall-Szenario.“
Bevor ich ihr irgendwelche Fragen stellen konnte, kam ein Mann in meinem Alter, der einen Arztkittel trug, herein.
„Oh, ausgezeichnet“, rief Dr. Harrison mit viel zu viel Begeisterung. Obwohl, seit sie reingekommen war, war sie ein einziger Sonnenschein, also hätte mich das nicht überraschen sollen. „Das ist Dr. Martin, der Anästhesist. Ich habe in Ihren Unterlagen gesehen, dass Ihr Arzt angegeben hat, dass die Spinalanästhesie das letzte Mal nicht gut verlaufen ist.“ Sie tippte noch ein paar Mal auf ihren Tablet.
„Sie mussten nach mehreren gescheiterten Versuchen jemand anderen rufen, und die Kopfschmerzen, die darauf folgten, waren fast so schlimm wie die Geburt selbst.“ Und ich übertrieb nicht einmal. Ich war mir sicher, dass ich ein Aneurysma bekommen hatte. Ich sprach mit dem Anästhesisten, als ich ihre Frage beantwortete und wollte, dass er hundertprozentig auf dem Laufenden war.
„Nun, heute passiert nichts von all dem“, flüsterte sie meine Sorgen weg. Normalerweise, wenn die Leute so übertrieben glücklich waren, kam es als falsch rüber, aber mit Dr. Harrison fühlte es sich aufrichtig an und machte die Dinge ein kleines bisschen besser. „Dr. Martin ist der Beste der Besten.“
„Und er steht genau hier“, warf Doktor Martin mit einem Grinsen ein. Es war anscheinend ein Insider-Witz, und beide kicherten.
„Okay.“ Doktor Harrison zeigte auf Coop, der während des gesamten Austauschs ungewöhnlich still gewesen war. „Raus mit Ihnen.“
„Er ist mein Ehemann!“, rief ich, denn „Scheiße, nein!“kam mir ein bisschen hart vor.
„Und als solcher muss er sich mit der netten Krankenschwester auf dem Flur treffen, damit sie ihm einen Kittel und Anweisungen für die OP gibt, während Sie Ihre Epiduralanästhesie bekommen. Das heißt, außer wenn Sie möchten, dass er ohnmächtig wird und das ganze Spektakel verpasst.“ Sie zeigte auf Coop, und es war das erste Mal, dass ich das sah, was sie sah.
Er starrte auf ein Tablett, den ein Techniker mit der Nadel für die Periduralanästhesie darauf den Tisch gelegt hatte, und sein Gesicht hatte die Farbe einer immergrünen Pflanze.
„Nein.“ Ich zog an seiner Hand, bis sein Blick meinen fand. „Dr. Harrisons Idee klingt nach dem besten Plan.“ Ich deutete auf die Tür, an der jetzt die Krankenschwester stand seinen OP-Kittel hielt. „Du ziehst dich an, damit du während des Ganzen bei mir sein kannst.“
„Ich liebe dich“, flüsterte er, nickte und ging auf die Krankenschwester zu. Dr. Martin lag mehr als richtig, dass er gekotzt hätte, wenn er genau gesehen hätte, was sie als Nächstes mit mir machten.
Es stellte sich heraus, dass Dr. Martin des Lobs der Ärztin würdig war und er mich in Rekordzeit für die OP vorbereitet hatte. Anders als im letzten Krankenhaus, musste ich selbst mit Coop, der von Kopf bis Fuß in ärztlicher Kleidung war, zum OP gehen, und er hielt während der ganzen Zeit meine Hand. Meine andere Hand war beschäftigt damit, den Infusionsständer zu schieben. Alle möglichen Witze über lebende Tote kamen mir in den Sinn, aber ich behielt sie für mich, um Coop nicht noch mehr zu stressen.
Der OP-Saal war mit mehr Leuten gefüllt, als ich es mir vorgestellt hätte, als Dr. Harrison meinte, es wären noch einige zusätzliche Menschen da. Es war beruhigend, dass eine Gruppe von Leuten nur für das Baby da war und die anderen schienen ziemlich nett zu sein, als sie sich vorstellten. Natürlich war es etwas peinlich, dass alle dabei zusahen, wie ich auf den Tisch stieg und ihnen meinen Allerwertesten entgegenhielt.
Aber nicht so peinlich, wie das, als sie alle dabei zusahen, wie ich meinen Katheter gelegt bekam, aber mein eigens Behagen oder Schamgefühl war meine geringste Sorge. Ich wollte sichergehen, dass mit meinem Baby alles gut war und dass wir beide die Sache heil überstehen würden. Als sie den blauen Sichtschutz aufstellten, der verhinderte, dass ich sah, was sie machten, damit die Väter nicht ohnmächtig wurden, befestigten sie meine Arme an den Brettern an der Seite des Tisches. Ich wusste, dass es für meine Sicherheit und die meines Babys war, aber ich fühlte mich so eingeschränkt, dass mir Tränen in die Augen schossen.
„Schscht, Liebling.“ Coop wischte meine Tränen weg. „Du hast das unter Kontrolle.“
Und er hatte recht, das hatte ich. Nur zehn Minuten später hörte ich das wunderschöne Geräusch unseres schreienden Kindes, als der Arzt verkündete, wir hätten ein wunderschönes Mädchen bekommen. Die Zeit seit ihrem ersten Schrei bis man sie auf meine Brust legte, war die längste meines Lebens. Sie zu hören, sie aber nicht sehen zu können, war fast zu viel. Sie boten Coop an, ihnen dorthin zu folgen, wo man sie wog, maß und saubermachte, aber er weigerte sich, von meiner Seite zu weichen.
Als endlich die Zeit gekommen war, dass die Schwester sie auf meine Brust legte und meine Arme endlich frei waren, kamen die Tränen erst richtig, aber im Gegensatz zu früher waren es Tränen reiner, unverfälschter Freude.