Im August 1968 feierten die Jackson 5 ihr Debüt in der Musikbranche auf einer privaten Party in Beverly Hills. Gastgeberin war keine Geringere als Diana Ross. Motowns PR-Abteilung verkündete per Presseverlautbarung die Ankunft der Band in L.A. Um die Niedlichkeit der Jungs herauszustreichen und damit ihren Appeal bei den Teens zu erhöhen, zog das Management bei der Altersangabe der einzelnen Mitglieder jeweils zwei Jahre ab. Michael war damals zehn, genauer gesagt, er hatte noch drei Wochen bis zu seinem elften Geburtstag. Laut Motowns Presseverlautbarung war er gerade mal acht. Womit das Erste, was Amerika über Michael Jackson zu wissen glaubte, bereits eine Lüge war.
Damit lernte Jackson schon von Kindesbeinen an, die Faszination der Masse durch Prominenz kommerziell auszubeuten. Und eine Zeitlang war er eins mit diesem Erfolg und nur allzu bereit, sich von der Welle an die Spitze tragen zu lassen. Mit einem einzelnen weißen Handschuh begann Michael Jackson an dem schließlich als »King of Pop« gefeierten öffentlichen Spektakel zu feilen. Durch das Studium von Zauberkünstlern lernte er, das Publikum zu manipulieren, und sorgte mittels einer sorgsam entwickelten Aura des Geheimnisvollen für Offenbarungen, bei denen den Fans die Spucke wegblieb. Er studierte das Leben revolutionärer Erneuerer, etwa des Filmproduzenten und Luftfahrtpioniers Howard Hughes und des Zirkusmoguls P. T. Barnum. Nach Thriller ließ Jackson sein Management Barnums Autobiographie lesen und sagte, er sähe seine Karriere gerne als größte Schau der Welt. Was sie denn kurz darauf auch wurde. Im Februar 1993 öffnete Jackson im Rahmen der Promotion für Dangerous die Pforten von Neverland zum ersten Mal für Fernsehteams und gewährte Oprah Winfrey ein Interview und eine persönliche Tour. Der Sänger diskutierte seine persönlichen Beziehungen und seine gesichtschirurgischen Eingriffe ebenso wie die Hautkrankheit Vitiligo, die ihn im Lauf der Jahre immer hellhäutiger werden ließ. Über neunzig Millionen Zuschauer sahen sich die Sendung an.
Ein halbes Jahr später sollte Michael Jackson die Kontrolle über sein Image in der Öffentlichkeit für immer verlieren. Im August des Jahres, während der Asien-Etappe seiner Dangerous-Welttournee, berichtete die britische Boulevardpresse, die Polizei von Los Angeles habe Ermittlungen gegen Michael Jackson eingeleitet, man werfe ihm die sexuelle Belästigung des dreizehnjährigen Jordan Chandler vor. Während der folgenden Tage brach Michael Jackson vor einem Auftritt in Singapur hinter der Bühne zusammen. Unter Angabe verschiedener gesundheitlicher Gründe sagte er eine ganze Reihe von Konzerten ab.
Als gläubiger Zeuge Jehovas erzogen, war der junge Michael dafür bekannt, dass er nicht trank, nicht rauchte, ja noch nicht einmal fluchte. 1984 hatte während der Aufnahmen zu einem Pepsi-Werbespot bei einem pyrotechnischen Unfall sein Haar Feuer gefangen, was zu Verbrennungen zweiten Grades und Nervenschäden führte, die ihm erhebliche Schmerzen bereiteten. Er begann damals verschreibungspflichtige Schmerzmittel zu nehmen; in den folgenden Jahren nahm dieser Konsum noch zu. Der Chandler-Skandal im Sommer 1993 gab ihm den Rest. Im November sagte Jackson den Rest der Tour ab, ging in eine Londoner Reha-Klinik und gestand in einer Presseverlautbarung seine Abhängigkeit von rezeptpflichtigen Schmerzmitteln ein. Der Entzug verschaffte ihm jedoch nur eine kurze Pause. Als man Jackson im Monat darauf entließ, musste er eine Leibesvisitation durch die Ermittler über sich ergehen lassen, die auf der Suche nach angeblich »unverkennbaren Merkmalen« an seinen Genitalien waren, die der Junge im Rahmen seiner Anschuldigungen beschrieben hatte.
Jackson war zutiefst gedemütigt, und die Presse berichtete hämisch über jede Einzelheit dieser Demütigung. Eben die Revolution im Bereich der Sendetechnik, die Jacksons kometenhaften Aufstieg bei MTV ermöglicht hatte, kehrte ihre durchschlagende Wirkung jetzt gegen ihn um. Entstehung und Aufstieg von rund um die Uhr sendenden Nachrichtenkanälen ermöglichten die Verbindung von Regenbogenpresse und Mainstream-Journalismus in Form einer neuen Industrie, die auf einem endlosen Strom sensationsheischenden »Infotainments« aufgebaut war. Der Medienzirkus um Jacksons juristische Probleme und, zwei Jahre später, der Mordprozess gegen O. J. Simpson hatten Modellcharakter für die obsessive Dauerberichterstattung über Prominenten-Skandale, die heute, im Zeitalter des Internets, endgültig zur Tagesordnung gehört.
1994 veröffentlichte das Magazin GQ einen Artikel, der schon im Titel die Frage stellte, ob man Michael Jackson wohl etwas angehängt haben könnte; der Artikel führte die Ergebnisse einer ausführlichen Untersuchung der gegen den Sänger vorgebrachten Vorwürfe auf. Wie Reporter feststellten, hatte Jordan Chandlers Vater Evan den Sänger bereits vor der polizeilichen Anzeige zu erpressen versucht. Und dass Jordans Aussagen erst auf hartnäckiges Drängen seitens des Vaters und unter Einfluss eines starken Sedativums zustande gekommen waren. Evan Chandler, ein Zahnarzt, hatte seinem Sohn eine Dosis Natriumamytal verabreicht, bevor er ihn zur Vernehmung freigab; Patienten unter dem Einfluss dieser »Wahrheitsdroge« sind hochgradig beeinflussbar. Vor dieser Vernehmung hatte Jordan immer wieder darauf bestanden, Michael Jackson habe ihm nichts getan.
Die Sache war nur die, dass GQs Entlarvung der gegen Jackson vorgebrachten Anschuldigungen nicht den gleichen Sensationsgehalt hatten wie die Anschuldigungen selbst und dass Jacksons Entscheidung, den Fall außergerichtlich beizulegen, als Eingeständnis seiner Schuld gewertet wurde. Zehn Jahre später gab Michael Jackson, schlecht beraten, bei einem Versuch, seinen Ruf wiederherzustellen, dem britischen Journalisten Martin Bashir freie Hand bei dem heute berüchtigten Dokumentarfilm Living with Michael Jackson. (Michael Jackson – Hautnah). Weit davon entfernt, den Ruf des Sängers wiederherzustellen, richtete Bashir sein Hauptaugenmerk auf die Beziehung des Sängers zu dem dreizehnjährigen Gavin Arvizo, einem Krebspatienten, mit dem Jackson sich angefreundet hatte und dem er bei der Behandlung half. Der Film spornte den Bezirksstaatsanwalt von Santa Barbara, Tom Sneddon, zu einer erneuten Serie von Ermittlungen an und führte denn auch zu Anschuldigungen von Arvizos Familie, Jackson habe ihren Sohn nicht nur sexuell belästigt, sondern sie obendrein alle auf Neverland gefangen gehalten, damit das nicht ans Licht käme – eine völlig bizarre Behauptung, die allen früheren öffentlichen Erklärungen der Familie über ihr großartiges Verhältnis zu dem Sänger diametral widersprach.
Als der Fall Arvizo im Januar 2005 zur Verhandlung kam, sorgte er bei den Medien für einen Feuersturm, wie Amerika noch keinen erlebt hatte. Die Vertreter von über 2200 akkreditierten Medien schwärmten in das kleine kalifornische Städtchen Santa Maria und richteten sich rund um das Bezirksgericht ein. Tag für Tag berichteten die Journalisten sensationslüstern von jeder reißerischen Behauptung über den Sänger – und versäumten dabei zu berichten, dass Jacksons Anwalt beim Kreuzverhör diese Behauptungen eine nach der anderen in der Luft zerriss. Was die Öffentlichkeit von dem Prozess mitbekam, hatte praktisch nichts mit dem zu tun, was tatsächlich im Gerichtssaal passierte, wo sich nach und nach herausstellte, dass der Fall der Staatsanwaltschaft auf nichts weiter basierte als auf den haltlosen Aussagen einer Familie – deren Motivation unter Verdacht geriet, als man vor Gericht den unter Eid gemachten eigenen Aussagen zu widersprechen begann. So einseitig wie die Berichterstattung in den Medien ausgefallen war, sahen viele in dem einstimmigen Urteil der Geschworenen nur mehr eine Verhöhnung der Gerechtigkeit statt die Entlastung eines zu Unrecht Angeklagten, die es eigentlich war.
Am Tag, an dem sie für ihn zu arbeiten begannen, entsprach Bill Whitfields und Javon Beards Bild von Michael Jackson in etwa dem der übrigen Welt. Sie standen einerseits im Banne seines Ruhms, andererseits war diese Ehrerbietung nach dem lebenslangen Sperrfeuer von Klatsch und Anspielungen über das Privatleben des Sängers von nagenden Zweifeln durchsetzt. Wer war der Mensch, den zu schützen sie da angeheuert hatten? Wer war Michael Jackson wirklich? Drei Monate später hatte sich daran immer noch nichts geändert. Das neue Security-Team hatte viel über Jacksons Welt erfahren, aber kaum etwas über den Mann selbst. Sie waren auf ihrem Posten außerhalb des Hauses, während Jackson größtenteils eine geheimnisvolle Präsenz im Haus für sie blieb. Im April dann nahm Jackson eine Veränderung in seinem innersten Kreis vor. Dieser Schritt wiederum sorgte für eine fundamentale Wende in Whitfields und Beards Verhältnis zu ihrem neuen Arbeitgeber und erlaubte ihnen einen Blick aus nächster Nähe auf den Mann hinter dem Medienhype.
Bill: Ende Februar, es war ein Samstagabend, fuhren wir mit Mr. Jackson und den Kindern zum Abendessen und danach zu einer Vorstellung von Lance Burton, einem Magier, der im Monte Carlo auftrat. Nach der Vorstellung ging die Familie hinter die Bühne, um Burton kennenzulernen, und als wir das Theater schließlich durch den Nebeneingang verließen: Peng! Peng! Peng! Drei Blitze in rascher Folge. Der Fotograf schoss drei Bilder und lief dann den Las Vegas Boulevard hinauf. Die Kinder hatten ihre Masken nicht angehabt. Mr. Jackson flippte aus. »Er hat Fotos von den Kindern! Schnappt ihn euch! Los!«
Feldman wandte sich mir zu und rief: »Bill, los!«
Ich rannte los. Auf dem Las Vegas Boulevard drängen sich am Samstagabend die Touristen. Ich verfolgte den Typen durch das Gedränge. Ich war wohl um die drei Blocks lang hinter ihm her gewesen, als ich ihn einholte und von hinten zu fassen bekam. Es war großes Kino. Die Leute blieben stehen und sahen zu. Ich packte ihn am Arm und entwand ihm die Kamera. Dann lief ich zurück zum Wagen und gab die Kamera Feldman. Ich habe keine Ahnung, was drauf war. Mr. Jackson war so was von erleichtert. Er sagte nur immer wieder: »Oh, Gott sei Dank! Gott sei Dank!« Nichts machte ihm mehr Angst, als ein Foto von seinen Kindern in der Presse zu sehen.
Ich hätte gedacht, die Geschichte wäre damit erledigt. Aber dann, vielleicht vierzehn Tage später, war ich zu Hause, meine Tochter und ich saßen im Wohnzimmer. Es klopfte. Wir erwarteten niemanden. Wir sahen einander an: Wer zum Geier könnte das sein? Ich habe Kameras rund ums Haus, eine davon an der Haustür. Also drehte ich mich um und warf einen Blick auf den Monitor. Ich sah zwei Typen und im Hintergrund noch einen. Als ehemaliger Gesetzeshüter wusste ich sofort Bescheid. Das waren Cops. In Zivil zwar, aber ich sah es ihnen an. Ich machte ihnen auf.
»Mr. Whitfield?«
»Ja, Sir.«
»Ich bin Detective Soundso und das hier ist Detective Soundso, Las Vegas Metro, Raubdezernat. Sie arbeiten für Michael Jackson?«
»Ja.«
»Wir haben hier eine Vorladung für eine Anhörung vor einer Grand Jury. Es hat sie jemand identifiziert, ihn überfallen und ihm die Kamera gestohlen zu haben.«
Man lud uns alle vor: mich, Feldman, Raymone, Greg Cross. Der Fotograf hatte sich einen Anwalt genommen und bei der Polizei ausgesagt: »Michael Jackson und seine Bodyguards haben mich überfallen und mir die Kamera weggenommen.« Feldman war sofort am Rotieren. »Die stellen den Boss wegen Raub vor Gericht«, sagte er immer wieder. »Die stecken den ins Gefängnis!« So wie er sich aufführte, dauerte es nicht lange, und ich war selbst am Rotieren. Tags darauf sagten wir Mr. Jackson Bescheid, was da im Busch war. Er meinte: »Was wollt ihr denn noch mit der Kamera? Gebt sie ihm doch zurück.«
Ich sah da auch kein Problem. Fotos löschen, Kamera zurückgeben. Nur dass Feldman sagte, er habe sie nicht mehr. Er sagte, er habe sie zerdeppert. Wieso das denn? Er hätte doch bloß den Speicherchip rausnehmen müssen. Das Teil war ja ziemlich teuer gewesen.
Was mich angeht, so kommt zweierlei nicht infrage. Erstens: Ich sage nicht gegen einen Klienten aus. Zweitens: Ich lüge nicht unter Eid. So dachte ich denn schon daran, mich aus dem Staub zu machen, bis Gras über die Geschichte gewachsen wäre. Raymone zog einen Anwalt hinzu, einen erfolgreichen Prominentenanwalt aus Vegas. Der machte sich daran, einen Vergleich auszuhandeln.
Die Geschichte war noch nicht ausgestanden, als Mr. Jackson Anfang März nach Japan musste. Er hat dort drüben mit die treuesten Fans auf der ganzen Welt und sollte bei einem Event auftreten, bei dem die Leute Tausende von Dollar pro Ticket hinlegten, nur um ein paar Worte mit ihm wechseln zu können und sich mit ihm fotografieren zu lassen. Ich und Javon, so ließ Feldman mich wissen, sollten auf Mr. Jacksons Wunsch während seiner Abwesenheit das Haus hüten. Was die Security anging, würde er sich um ein Team in Japan kümmern, mit dem man schon früher gearbeitet habe.
Es war ziemlich still, nachdem sie weg waren. Wir hatten nicht viel mehr zu tun, als das Haus im Auge zu behalten. Ich übernahm die Tagschicht. Javon kam abends und blieb über Nacht. Mr. Jackson und die Kinder waren vier oder fünf Tage weg. Während sie nicht da waren, rief Feldman von Japan aus an; die Geschichte mit der Kamera setzte ihm immer noch zu. Er sagte: »Es sieht ganz so aus, als würde man den Boss verhaften, wenn wir wieder auf amerikanischem Boden sind.«
Ich hielt ihn für verrückt. Leute wie Michael Jackson verhaftet man nicht wegen solcher Lappalien. Man verklagt sie, ja, aber verhaften? Nie und nimmer. Aber Feldman kriegte sich kaum noch ein. Sie landeten ein paar Tage später wieder auf dem LAX, blieben ein paar weitere Tage in Los Angeles und kamen dann wieder nach Hause. Das juristische Gerangel mit dem Fotografen war rasch beigelegt. Der Anwalt kam zu einem Vergleich mit dem Typen, der sich für eine gewisse Summe bereit erklärte, die Sache zu vergessen. Ich glaube, es ging so um die fünfundsiebzigtausend Dollar. Für eine Dreitausend-Dollar-Kamera. Der Typ behauptete, ich hätte ihn aufgemischt. Aber ich habe ihm nichts getan. Ich habe ihm nur die Kamera weggenommen. Es ging jedoch nicht um mich; es ging um Michael Jackson. Wie viel auch immer bei der Schlichtung im Spiel gewesen sein mochte, Feldman war zu diesem Zeitpunkt schon weg.
Normalerweise sprach Feldman jeden Tag mit Mr. Jackson, aber nach Japan und der Geschichte mit der Kamera ging es mit der Beziehung der beiden rapide bergab. Feldman brachte uns den Tagesplan raus in den Trailer und sagte uns, was auf dem Programm stand. Dann kam Mr. Jackson selbst raus und meinte: »Nein, nein, das machen wir nicht heute. Ich bleibe zu Hause.« Die beiden redeten nicht mehr miteinander. Ihre Beziehung war nicht mehr die alte. Das konnte man sehen.
Dann war Feldman eines Tages einfach nicht mehr da. Das dürfte Anfang April gewesen sein. Wir hörten einfach nichts mehr von ihm. Noch nicht mal ein Anruf. Wir hatten keine Ahnung, ob er Urlaub hatte oder für immer fort war. Keiner sagte uns was. Nachdem er weg war, vergingen drei Tage, bis wir wieder von Mr. Jackson hörten. Der Koch brachte die Mahlzeiten der Familie vorbei; wir stellten die Tabletts hinten an der Küchentür ab und setzten uns wieder in unseren Trailer. Einige Minuten später sahen wir auf einem unserer Monitore Prince aus der Küche kommen und die Mahlzeiten holen. Abgesehen davon hatten wir drei Tage lang keinen Kontakt zu den Leuten im Haus.
Sie müssen dazu eines verstehen: Feldman war im Wesentlichen der Mittelsmann zwischen uns und Mr. Jackson gewesen. Nachdem er nicht mehr da war, hingen wir irgendwie in der Luft. Wir wussten nicht so recht, was von uns erwartet wurde – außer zum Dienst anzutreten und unsere übliche Arbeit zu tun. Mr. Jackson kam nicht aus dem Haus. Kaum, dass wir ihn zu sehen bekamen. Grace richtete uns jetzt aus, was zu tun war. Sie schickte uns hierhin und dahin, Dinge erledigen, die sonst Feldman erledigt hätte – was bei uns zu dem Eindruck führte, dass er definitiv nicht mehr kam.
So ging das um die drei Wochen lang. Dann kam Grace eines Nachmittags zu mir und sagte: »Bill, du kriegst heute Abend einen Anruf. Jemand will mit dir sprechen.«
Sie tat richtig geheimnisvoll. Aber allein die Art, wie sie das sagte und wie sie mich dabei ansah – da wusste ich, von wem sie sprach. Ich wusste nur nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt nie wirklich mit Mr. Jackson unterhalten. Wir sagten »Guten Morgen« und »Guten Abend«, dazu kam ein bisschen Smalltalk über die Besorgungen, die im Lauf des Tages anstanden, und dergleichen mehr. Richtige Unterhaltungen waren das nicht. Es war keine Beziehung im eigentlichen Sinn. Es war so ziemlich alles über Feldman gegangen. Grace sagte: »Sei einfach wie immer, sprich mit ihm wie mit einem normalen Menschen. Kein Grund zur Nervosität.« Damit machte sie mich erst recht nervös.
Spät am selben Abend, so gegen halb zwölf, ich war zu Hause, klingelte mein Telefon, nur kam ich nicht rechtzeitig zum Apparat, und der Anrufer hinterließ keine Nachricht. Er kam jedenfalls nicht vom Festnetzanschluss in Mr. Jacksons Haus, wie ich erwartet hatte. Es war eine Nummer, die ich nicht kannte, also rief ich zurück. Es klingelte einige Male, bevor jemand ranging und sagte: »Hallo, wer ist denn da?«
Die Stimme war so richtig tief und stark verzerrt, als käme sie durch einen elektronischen Stimmenmodulator. Ich war verwirrt. »Wer ist denn dran?«, fragte ich.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Du hast doch mich angerufen, du Arschloch.«
Etwas verwirrt und ziemlich sauer legte ich auf. Einige Sekunden später klingelte mein Telefon wieder. Dieselbe Nummer wie beim ersten Mal. Ich nahm ab und sagte: »Wer zum Teufel ist das denn?«
»Bill, ich bin es! Mr. Jackson.«
Es war seine normale Stimme, völlig unverzerrt. Ich erstarrte. »Tut mir leid, Sir. Tut mir wirklich leid. Ich dachte, da macht sich einer einen Spaß.«
Er entschuldigte sich selbst ein paar Mal. Er sagte: »Ja, sehen Sie, ich bekomme ständig solche Anrufe. Ich muss meine Stimme verstellen, irgendwie kriegt immer wieder mal jemand meine Nummer raus, und dann ruft er an und sagt mir irgendwelche Gemeinheiten. Sie haben keine Ahnung, wie oft ich schon die Nummer gewechselt habe.«
Er hörte sich selbst etwas nervös an. Er sagte: »Hören Sie, ich reise zurück in den Osten – und wie Sie wissen, ist Feldman nicht mehr bei uns, ja?«
»Ja, Sir.«
»Okay. Sie müssen mir … Bill, ich kann Ihnen doch vertrauen, oder? Kann ich Ihnen vertrauen?«
»Ja, Mr. Jackson. Sie können mir vertrauen.«
»Gut. Okay.«
Er erzählte mir, dass Feldman nicht mehr bei ihm sei und Grace ihm gesagt habe, ich sei okay. Grace und ich waren uns nähergekommen, und was immer sie ihm Gutes über mich erzählt hatte, musste ihn wohl darauf gebracht haben, dass mir zu trauen war. Er begann alle möglichen Sachen aufzuzählen, die ich für ihn erledigen sollte. Es war nicht so, dass er ganz offen gesagt hätte: »Bill, Sie sind der neue Chef meines Sicherheitsteams.« Er sprach es nicht wörtlich aus. Es war einfach die Art, wie er mit mir redete, die mich verstehen ließ: »Von jetzt ab kümmern Sie sich um das alles.«
Er fragte mich: »Haben Sie hier einen Computer?«
»Nein, Sir. Haben wir nicht.«
»Okay, dann müssen Sie sich einen Laptop besorgen. Ich gebe Ihnen das Geld. Wie viel, meinen Sie, kostet so was denn?«
»So um die fünf-, sechshundert Dollar, Sir.«
»Okay, ich hinterlasse Ihnen tausend. Raymone wird Ihnen einige Bilder schicken, und ich will, dass Sie die auf den Laptop geben und sie mir dann zeigen.«
»Ja, Sir.«
Er hinterlegte das Geld in einem Umschlag an der Hintertür, und ich ging zu Best Buy und kaufte einen Laptop. Raymone schickte mir per E-Mail einige Fotos. Ich rief ihn an und ließ ihn wissen, dass ich wieder da sei. Er ließ mich durch die Hintertür ein. Ich klappte den Laptop auf, und wir sahen uns zusammen die Bilder an.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, im Haus zu sein. Es war das erste Mal, dass ich allein mit ihm war, mich einfach mit ihm unterhielt. Ich hatte mit vielen Prominenten zu tun gehabt. Aber das war Michael Jackson. Was der Mann erlebt hatte, wo er überall gewesen war. Ich meine, ich hatte nie eine Audienz beim Papst, aber ich dachte mir, so in etwa muss das wohl sein. Man weiß nicht, was man sagen soll. Man war fast versucht »jawohl, Eure Hoheit!« zu sagen, wenn man mit ihm sprach. Das erste Mal, dass wir miteinander zu tun hatten, wusste ich nicht, ob ich mich verbeugen oder ihm wie einem ganz normalen Menschen die Hand geben sollte. Es war einfach so ein Gefühl. Ich brauchte eine Weile, meine Nervosität in seiner Gegenwart abzulegen.
Wir saßen da also nebeneinander und sahen uns eine kleine Diashow an. Es waren Fotos von allen möglichen Häusern und Anwesen in Virginia, Maryland, Connecticut, New York. Er sah sich eines an, nickte, und ich klickte das nächste her. Ich sah mir die Preise der Häuser an: sechs Millionen Dollar, sieben Millionen, zwölf Millionen. Schließlich hatten wir sie alle durch, und er wies auf den Bildschirm und sagte: »Sagen Sie ihr, das hier, das gefällt mir.«
Ich rief Raymone an und teilte ihr mit, welches der Häuser ihm gefiel, und sie sagte: »Okay, ich werde dafür sorgen, dass Sie diesen Sommer rüberkommen können. Mr. Jackson will mit den Kindern Sommerferien machen.«
Im Verlauf der nächsten paar Tage rief Raymone mich immer öfter an, damit ich dies und das erledigte. Immer öfter hörte ich Mr. Jackson am Telefon mit Anwälten oder anderen Leuten. Und immer wieder hörte ich dabei: »Rufen Sie Bill an« oder »Reden Sie mit Bill« oder »Bill soll das arrangieren«. Ich begann Faxe zu bekommen, E-Mails, allerhand Sachen, die er lesen sollte, Sachen, die er unterschreiben sollte, ich machte Termine für ihn. Das alles kam einfach so auf mich zu. Ich habe nie drum gebeten, und mit Sicherheit hatte ich es nicht erwartet. Drei Monate zuvor war ich ein Niemand gewesen, der sich in der Garage des Mannes den Allerwertesten abfror. Und jetzt war ich mit einem Mal der Türhüter, der Mann mit dem Schlüssel zum King of Pop.