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Von seiner Familie entfremdet, hatte Michael Jackson sich seit jeher eine eigene stabile Familie gewünscht. Als sein Leben im Herbst 1993 in Skandalen zu versinken drohte, wandte er sich zunehmend an eine bestimmte Person, wenn ihm nach Trost und Zuspruch war: Lisa Maria Presley. Die beiden hatten sich im Januar zuvor im Haus eines gemeinsamen Freundes in Los Angeles kennengelernt. Kurz darauf hatten sie sich regelmäßig zu treffen begonnen. So schwer es sein mag, sich die beiden als Paar vorzustellen, in gewisser Hinsicht waren sie das perfekte Gespann. Die Tochter von Elvis Presley, dem König des Rock ’n’ Roll, war eine der wenigen Personen, die nachvollziehen konnten, welche Unbilden mit ausuferndem Ruhm verbunden sind. In Michael Jackson sah Lisa Marie eine starke, charismatische Persönlichkeit, die mit vielen der Dämonen zu ringen hatte, die auch ihren Vater geplagt hatten. Sie hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen falsch waren, und sie war davon überzeugt, seine Rettung zu sein.

Im Mai 1994 wurden Jackson und Presley im Rahmen einer privaten Zeremonie in der Dominikanischen Republik getraut, aber die Ehe hielt nur achtzehn Monate. So ausschließlich und unerbittlich, wie Michael sich all die Jahre seiner Karriere gewidmet hatte, war er außerstande, seine Welt mit einem anderen Menschen zu teilen; seine neue Frau behielt ihr eigenes Haus in Los Angeles und zog nie auf Dauer in Neverland ein. Was Lisa Marie anging, so hatte sie bereits zwei Kinder aus einer früheren Ehe und wollte keine weiteren haben – ein Umstand, mit dem sich Michael, der sich so sehr eine Familie wünschte, nicht abfinden konnte. Der übereilte Bund war ein Fehler gewesen. Jackson und Presley reichten im Dezember 1995 in freundschaftlichem Einvernehmen die Scheidung ein.

Kaum ein Jahr später heiratete Jackson Debbie Rowe, eine Krankenschwester, die er in der Praxis seines Dermatologen Dr. Arnold Klein kennengelernt hatte. Rowe versprach ihm die Familie, nach der ihm war. Als die beiden während seiner Welttour für HIStory in Michaels Hotelsuite im australischen Sydney heirateten, war Rowe bereits im sechsten Monat schwanger mit ihrem ersten Kind. Drei Monate später, im Februar 1997, schenkte sie ihm einen Sohn, Michael Joseph Jackson jr.; er bekam den Spitzenamen »Prince«. Im April 1998 folgte ihm mit Paris-Michael Katherine Jackson eine Tochter. Im Herbst 1999 ließen Rowe und Jackson sich scheiden, und Michael bekam das Sorgerecht für beide Kinder. Zwei Jahre später, im Februar 2002, gebar eine bis dato unbekannte Leihmutter Michael Jackson ein drittes Kind: Prince Michael Jackson II. Jackson gab seinem Jüngsten den Spitznamen »Blanket«, ein Kosename, den er für Menschen benutzte, die er gern mit Liebe und Zuneigung »zudeckte«.

Als Jackson nach Las Vegas zog, lagen sein letztes Studioalbum und sein letztes Konzert bereits über fünf Jahre zurück. Seine Kinder waren das Einzige, was ihn interessierte. Sie vor dem grellen Licht der Medien zu schützen war der erste Gedanke bei so gut wie allem, was er tat. Auch wenn ihre Kindheit niemals so sein könnte wie die anderer Kinder, er war fest entschlossen, ihnen ein so stabiles Zuhause und ein so normales Leben wie nur irgend möglich zu geben.

Javon: Die Lehrerin Ms. Ilean traf gleich nach den Ferien in der Stadt ein. Sie war eine Asiatin aus Bahrain. Mr. Jackson hatte sie in Übersee kennengelernt und eingestellt, damit sie sich um die Schulbildung der Kinder kümmerte. Er hatte ihr eine Wohnung fünf Minuten vom Haus entfernt gemietet. Wochentags holte sie einer von uns um halb acht ab und fuhr sie zum Haus, wo sie den Kindern Unterricht gab.

Was die Schulbildung seiner Kinder anbelangte, verstand Mr. Jackson keinen Spaß. Der Unterricht begann um acht Uhr morgens. Und zwar pünktlich. Man hatte aus einem unbenutzten Zimmer im Erdgeschoss ein Klassenzimmer gemacht. Es sah sogar aus wie ein Klassenzimmer. Wir halfen der Lehrerin beim Aufhängen von Tafeln, Karten, Plakaten mit Alphabet und Multiplikations-Tabellen, Schulkram eben. Jedes der Kinder hatte seinen Tisch. Es sah wirklich aus wie das Klassenzimmer einer beliebigen Grundschule. Und immer wenn wir unterwegs waren, in welchem Hotel auch immer wir abstiegen, war es genauso. Es gab immer ein Zimmer, das als Klassenzimmer reserviert und mit Tischen ausgestattet war. Und dort bekamen die Kinder Unterricht.

Bill: Auch wenn es im Leben der Kinder rauf- und runterging, Mr. Jackson bestand darauf, dass ihr Schulalltag strikt strukturiert war. Sie hatten sogar in Schulkleidung zu erscheinen. Prince und Blanket trugen weiße Hemden und schwarze Hosen. Paris trug Lacklederschuhe und ein Kleid; sie hätte auch auf eine katholische Schule gehen können. Sie waren immer wie aus dem Ei gepellt. Montag bis Freitag standen die Kinder auf, zogen sich an, kamen zum Frühstück und »gingen zur Schule«.

Das Erziehungsministerium stellt allerhand Anforderungen an den Hausunterricht, so zum Beispiel Prüfungen für das Vorrücken in die nächste Klasse. Ms. Ilean arrangierte ihre Lehrpläne so, dass sie alle diese Anforderungen erfüllten. Sie gab Hausaufgaben, verlangte Referate, richtete Studierzeiten ein. Die Qualität ihres Unterrichts war mindestens so gut, wenn nicht besser als die in teuren Privatschulen. Und die Kinder waren wirklich gescheit. Ständig steckten sie ihre Nasen in Bücher. Ihr Verstand war der reinste Schwamm, neugierig, voller Fragen.

Wenn wir zum Abendessen ausgingen oder ins Kino fuhren, fragte Mr. Jackson sie im Fond zum Lernstoff des jeweiligen Tages aus. Und er wusste immer ganz genau, was sie gelernt hatten. Er setzte sich jede Woche mit der Lehrerin zusammen, um die Lehrpläne durchzugehen und darüber auf dem Laufenden zu sein, was genau sie den Kindern gerade beibrachte. Außerdem half er ihnen am Nachmittag oder abends mit den Hausaufgaben. Sie kamen ständig zu ihm: »Daddy, hilfst du mir mit der Hausaufgabe?« Und es gab kaum etwas, das er lieber tat.

Fernsehen gab es im Haus so gut wie nicht. Man veranstaltete Filmabende, bei denen die Familie zusammen DVDs guckte, aber es war nicht so wie in vielen anderen Haushalten, wo die Kinder ständig vor dem Fernseher hocken. Hier machte man seine Hausaufgaben, las ein Buch, spielte miteinander, hörte Musik.

Javon: Es gab auch eine Menge Freizeitaktivitäten. Die Kinder trieben jeden Tag Sport. Sie liefen Runden ums Haus, machten Hampelmänner, Gymnastik. Manchmal gingen wir mit ihnen in den öffentlichen Park ganz in der Nähe. Außerdem stellten wir ihnen ein Trampolin auf.

Und dann machten wir mit ihnen Ausflüge. Wir fuhren mit ihnen zum Lied Museum, einem Erfahrungsmuseum, in dem Kinder durch Tun und Experimente allerhand lernen können. Paris ging am liebsten in Kunstmuseen und Galerien. Die Hotels am Strip in Las Vegas eignen sich ausgezeichnet für Schulausflüge, weil es dort ständig Ausstellungen aller Art gibt. Zum Beispiel gingen wir mit den Kindern auf die Körper-Ausstellung, die Gunther von Hagens’ Körperwelten nachempfunden war. Das war im Tropicana. Dann sahen wir die Hai-Ausstellung im Mandalay Bay. Im Luxor gab es IMAX-Filme wie Deep Sea 3D und Dinosaurs. Im Unterricht nahmen die Kinder diese Themen dann immer erst durch, bevor wir sie auf den Ausflug mitnahmen. Und danach mussten sie darüber einen Aufsatz abliefern.

Das erste Mal, dass wir einen Einsatz mit den Kindern ohne Mr. Jackson hatten, das war irgendwann im Februar. Wir fuhren sie und die Lehrerin auf einen Spielplatz. Wir waren damals noch neu, aber sie war schon eine ganze Weile bei der Familie, also vertraute er ihr. Sie konnte ihm Bericht erstatten, wie wir uns dabei machten. Ihr Telefon klingelte, und dann hörten wir sie sagen: »Ja, Sir. Nein, die sind in Ordnung.« So wussten wir, dass er ein Auge auf uns hatte und darauf, wie wir unsere Arbeit machten.

Bill: Wir bauten darauf, dass niemand wusste, wer sie waren. Mit das erste Mal, dass wir mit ihnen rausfuhren, da war Grace mit dabei, da gingen wir in den Vergnügungspark in Circus Circus. Die Paparazzi erkannten uns. Einer von ihnen musste uns vom Haus aus gefolgt sein. Sie schossen ein paar unscharfe Fotos aus ziemlicher Entfernung, aber zum Glück für uns kamen sie nicht richtig zum Schuss. Man konnte die Kinder nicht wirklich erkennen.

Viele Menschen haben sich Gedanken darüber gemacht, warum Mr. Jackson seine Kinder in der Öffentlichkeit Gesichtsmasken und Schleier tragen ließ. Die Gazetten fanden das schrullig bis verrückt, weil sie den eigentlichen Grund dafür nicht sahen: Wenn niemand wusste, wie seine Kinder aussahen, konnten sie sich hier und da ohne ihn in der Öffentlichkeit sehen lassen und kurz so etwas wie ein normales Leben erfahren. Wenn ihr Vater nicht dabei war, konnten sie wie alle anderen Kinder sein und tun, was andere Kinder so tun.

Die ersten Monate über war entweder die Nanny oder die Lehrerin dabei, wenn wir mit den Kindern ausgingen. Aber so gegen Ende April schickte er dann mich und Javon auch alleine mit ihnen los, entweder auf eine Besorgung oder auf den Spielplatz. Als wir mit den Kindern zum ersten Mal ohne Grace und die Lehrerin loszogen? Das war eine Riesensache für uns. Wir hatten in dem Augenblick wirklich das Gefühl, ein gewisses Level an Vertrauen aufgebaut zu haben. Immerhin verteidigte er ihre Sicherheit mit Zähnen und Klauen.

Ich erinnere mich noch, wie wir eines Tages mit den Kindern Eis holen fuhren. Mr. Jackson blieb zu Hause. Das war im Februar; es war noch kalt draußen. Wir waren auf halbem Weg zum Supermarkt, als Mr. Jackson anrief und wissen wollte, ob Blanket seine Mütze trage. Er trug sie nicht; er hatte sie vergessen. Mr. Jackson sagte: »Kehren Sie um, und holen Sie sie.«

Die Kinder wären noch nicht mal wirklich ausgestiegen da, wo wir hinfuhren, aber er bestand darauf. Wenn es kalt war, hatten die Kinder Mützen und Fäustlinge zu tragen. Und damit hatte es sich. Wir drehten um und fuhren zurück nach Hause.

Javon: Die Leute lachten bei der Vorstellung, dass er ein Vater sein sollte, genauso wie über die Masken und solche Sachen. Zum Beispiel, wie merkwürdig es sein musste, Michael Jackson zum Vater zu haben. Aber je besser man ihn kennenlernte, desto klarer wurde einem, dass die Vaterrolle das Normalste an dem Mann war. Einmal saßen wir in unserem Trailer, als er vom Haus aus anrief, ihm sei das Waschmittel ausgegangen und ob wohl jemand losfahren könne, um neues zu holen. Vor diesem Augenblick wäre ich noch nicht mal auf die Idee gekommen, mir Michael Jackson im Wäscheraum vorzustellen, wie er die Sachen seiner Kinder wäscht, aber das kam gar nicht so selten vor.

Er verwöhnte die Kinder auch nicht. Es kam zwar zu den extravaganten Ausflügen zu FAO Schwarz, aber letztlich nur zu Weihnachten oder zu Geburtstagen. Oder es war eine besondere Belohnung angesagt, nach einer Prüfung oder für die Erledigung einer Pflicht. Aber wenn sie keine Leistung brachten, waren die Privilegien genauso schnell wieder gestrichen. Einmal sollten wir die ganze Familie ins Kino fahren. Wir hatten schon die Route gecheckt, für den Nachmittag das Kino gemietet, alle Vorbereitungen waren getroffen. Aber am Vormittag schnitt eines der Kinder bei einer Prüfung schlecht ab oder war mit der Hausaufgabe nicht fertig geworden, und so sagte er den Kinobesuch einfach ab. Wir waren unten mit den Fahrzeugen, bereit zur Abfahrt, als Prince aus dem Haus gelaufen kam und sagte: »Daddy hat gesagt, wir dürfen nicht gehen.«

Man sieht heute ständig all die Kinder von Prominenten im Fernsehen, verzogene Fratzen, total arrogant. Michael Jacksons Kinder waren das genaue Gegenteil. Sie verlangten nicht viel, und wenn, dann hieß es immer »bitte« und »danke«. Und wenn eines der Kinder mal daneben war, dann brauchte es keine großen Strafen, um es zu disziplinieren. Ein kleines Gespräch, eine kleine Auszeit, und sie hatten ihre Lektion gelernt.

Bill: Als Prince den Hund bekam, wusste er erst nicht, wie er damit umgehen sollte, wie man ihn stubenrein bekam und hinter ihm sauber machte und so. So kam es, dass der Hund während der ersten paar Wochen die Garage zum Klo erklärte – als die Garage noch unsere Operationsbasis war.

Javon: Es stank. Ständig roch es nach Scheiße. Wir machten da drin unsere Arbeit. Wir trugen nagelneue Anzüge, und wir rochen nach Scheiße. Wir hatten zwar den Trailer, aber auch die Garage gehörte zur Basis; sie war unser Arbeitsplatz. Wir wuschen und warteten da die Fahrzeuge. Wir fuhren erst gar nicht rückwärts in die Garage, um nicht in die Scheiße zu fahren.

Bill: Wir dachten schließlich, Prince würde die Scheiße wegräumen. War wohl nichts. Er kam in die Garage und stieg einfach über die Haufen weg. Er ging zu dem Hund, gab ihm eine Leckerei, drehte sich um, sprang wieder über den Haufen und lief wieder zurück ins Haus. Die Scheiße ließ er einfach liegen.

Javon: Wir sind ein paar Mal reingetreten. Bill sagte, wir sollten sauber machen. Er meinte: »Wer zur Schicht antritt, der macht sauber.« Also waren wir diejenigen, die das wegräumten. Ich war ständig am Maulen: »Für so ’n Scheiß haben wir doch nicht angeheuert.«

Bill: Hin und wieder kam es zum Showdown. »Ich räum die Scheiße nicht weg.« »Na, ich räum sie jedenfalls nicht weg. Räum du sie doch weg.« »Ne, du räumst die Scheiße weg.«

Javon: Also blieb die Scheiße eben manchmal einfach liegen. Aber als dann Mr. Jackson in den Haufen trat, da wurde das schnell ernst.

Bill: Wir sollten ihn zu einem Meeting fahren. Irgendwas Wichtiges. Er hatte sich richtig fein gemacht, schöner Anzug, Designerschuhe, und als er durch die Garage auf den Wagen zugeht, da latscht er auch schon voll rein.

Javon: Er verpasste Prince einen ordentlichen Einlauf. Er erzählte ihm was von wegen Verantwortung. »Du hast den Hund gewollt, Prince. Es ist dein Hund. Er ist deine Verantwortung. Nicht die der Jungs hier.«

Danach spurte Prince dann. Wo immer der Hund sein Geschäft machte, in der Garage oder irgendwo auf dem Anwesen, kam gleich danach Prince mit Besen und Schaufel und räumte auf. Das Problem war gelöst.

Bill: Prince war echt der große Bruder. Er war ziemlich gescheit für sein Alter, der zupackende Typ. Mr. Jackson verließ sich darauf, dass er ihm auf die anderen aufpassen half, und Paris und Blanket sahen zum großen Bruder auf.

Wir versuchten immer, nach einem strikten Zeitplan zu arbeiten. Damit das klappte, sahen wir zu, dass wir pünktlich losfuhren. Aber mit Michael Jackson? Es kam wirklich selten vor, dass wir pünktlich aus dem Haus kamen. Er musste absolut tadellos aussehen, bevor er sich irgendwo in der Öffentlichkeit sehen ließ. Es kam vor, dass er schon vor dem Wagen stand und dann doch noch sagte: »Wartet, wartet, ich muss noch mal rauf.« Und damit machte er kehrt und ging wieder rein. Irgendein Härchen saß schief, was weiß ich – und das, nachdem die Stylistin zweieinhalb Stunden an ihm rumgemacht hatte. Prince war der Einzige, der Mumm genug hatte, seinen Dad buchstäblich zu packen und zu sagen: »Los jetzt!« Er lief durchs Haus und sorgte dafür, dass seine kleinen Geschwister ordentlich angezogen waren, und setzte sie in den Wagen. Wenn wir überhaupt mal irgendwo pünktlich ankamen, dann verdankten wir das Prince.

Javon: Alle drei wussten Bescheid, was das Leben ihres Vaters anging. Man hätte meinen können, sie wären so zur Welt gekommen – bereit für alles, was da auf sie zukommen sollte. Der Konvoi steht um vier Uhr morgens bereit, also steigt man ein, fährt hierhin, fliegt dorthin, geht zur Schule in ein Hotelzimmer. Irland am einen Tag, Las Vegas am nächsten. Es war ihnen zur zweiten Natur geworden.

In der Öffentlichkeit nannte Mr. Jackson sie nie beim Namen. Er sagte nie »Paris, komm her« oder »Blanket, komm her«. Er wollte nicht, dass jemand etwas mitbekam und dann ein Bild schoss. Also hatten die Kinder alle Decknamen: Blanket war »Kooco«, Paris war »Osh Kosh«.

An den Decknamen von Prince kann ich mich jetzt nicht erinnern, weil wir ihn nie brauchten. Er parierte immer aufs Wort. Er hatte die Regeln besser drauf als die anderen zwei. Einmal, wir waren bei FAO Schwarz, da rutschte Paris aus und rief Prince bei seinem richtigen Namen. Er unterband das auf der Stelle. Er ging rüber zu ihr und sagte: »Nenn mich nicht so! Du weiß, dass du mich nicht so nennen sollst, Liebes. Benutz die Decknamen.«

Bill: Ich erinnere mich noch an einen Abend, an dem Mr. Jackson mit jemandem geschäftlich zu Abend aß, und da es schon spät wurde, bat er mich, die Kinder nach Hause zu fahren. Ich fuhr sie also raus zum Haus, und Paris und Prince saßen hinten im Wagen, wo einiges von unserem Gerät gelagert war. Ersatzfunkgeräte und so.

Wir benutzten über Funk nie unsere richtigen Namen. Ich war »BB« – für »Big Bill«. Ich hatte meinen Stöpsel im Ohr, und so rief ich per Funk das Haus – »BB an Basis. Hier BB« –, um die dort wissen zu lassen, dass ich unterwegs zu ihnen war. Kurz darauf hörte ich jemanden sagen: »Basis an BB. BB, bitte melden.«

Ich sagte: »Hier BB. Ich höre.«

Die Stimme meldete sich wieder. »BB, bitte melden. Basis an BB

Das ging ein paar Mal so hin und her, bis es mir schließlich zu bunt wurde. Ich rief ins Mikro: »Hier BB! Bitte kommen!«

Dann hörte ich das Gekicher hinter mir. Paris hatte das Ersatzfunkgerät in der Hand; sie hatte ihre Stimme verstellt. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass sie das war. Wir mussten alle lachen, und ich sagte: »Okay, da habt ihr mich aber drangekriegt.«

Es sind Augenblicke wie dieser, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Man kann sich vorstellen, dass man als Kind in einer Welt mit Decknamen und Bodyguards seine Fantasie benutzt wie jedes andere Kind auch und seinen Spaß in dem Leben zu haben versucht, das man kennt.

Prince hatte verstanden, wer sein Vater war. Gut möglich, dass er nicht die ganze Geschichte kannte, aber er hatte genug erlebt, um zu verstehen, warum all die Geheimniskrämerei nötig war. Blanket dagegen war meiner Ansicht nach zu jung, um das so recht zu kapieren. Paris hatte das eine oder andere erfasst. Sie kannte die Regeln, aber in ihrer Begeisterung vergaß sie sie schon mal.

Javon: Paris war Daddys Little Girl. Sie war das kleine Mädchen in einer Welt voller Männer. Sie hatte einen großen Bruder, der ihr sagte, was sie zu tun hatte. Sie hatte einen kleinen Bruder, der ihr sagte, was sie zu tun hatte. Mr. Jackson sagte ihr, was sie zu tun hatte. Man hätte wirklich meinen können, sie hätte so ein richtiger Wildfang sein müssen, aber sie war das reizendste kleine Mädchen. Immer ein Lächeln, immer gut aufgelegt. Sie hatte strahlende blaugrüne Augen, die Licht in jeden Raum brachten. Sie spielte für ihr Leben gern mit Puppen, für die sie kleine Kleider hatte. Ich und Bill, wir haben ja beide kleine Mädchen, da waren wir natürlich beide völlig weg von ihr. Den Jungs ließen wir nicht allzu viel durchgehen, aber Paris konnte einen so ansehen mit ihren großen grünen Augen, und man hätte ihr auf der Stelle gegeben, was immer sie wollte.

Ich erinnere mich an einen Tag, an dem wir in Circus Circus waren. Prince und Blanket wollten auf die Piratenschiffschaukel. Also ging Bill mit ihnen schaukeln, und ich blieb bei Paris, die die kleinen Spiele ausprobieren wollte, die es auf einem Volksfest so gibt und wo man Plüschtiere gewinnen kann. Sie spielte das Angelspiel: ein Fischglas voll gelber Magnete auf dem Boden, dazwischen gibt es einige rote, und einen von denen muss man erwischen und rausziehen. Sie wollte einen Teddybären für ihren Daddy gewinnen. Sie versuchte es fünf, sechs Mal, dann guckte sie mich an und meinte: »Javon, hilfst du mir, den Bären zu gewinnen?«

Ich wusste, was ich eigentlich zu tun gehabt hätte: mich zurückhalten, aufpassen, mich nicht ablenken lassen. Aber so wie sie mich anbettelte, fragte ich per Funk bei Bill an, ob ich ihr helfen könne. Er meinte: »Mach nur, solange du sie im Auge behältst.« Nach drei, vier Versuchen erwischte ich schließlich einen für sie. Sie war richtig dankbar. Sie wollte einfach unbedingt einen Teddy für ihren Daddy. Es war ein winziges Bärchen, aber sie musste ihn einfach für ihn haben. Sie kriegte sich kaum noch ein: »Danke, Javon! Danke!« Dann sprang sie hoch und drückte mich.

So wie sie sich bedankte, mir ging das Herz über. Sie war so was von putzig.

Bill: Immer wenn wir auf dem Rückweg von einem Einsatz mit den Kindern waren, riefen wir Mr. Jackson an, um Bescheid zu sagen, dass wir unterwegs zum Haus seien. Eines Abends waren wir im Circus Circus gewesen, und Paris war völlig aus dem Häuschen. Sie sagte: »Ich will mit Daddy sprechen! Ich will mit Daddy sprechen!« Sie wollte unbedingt ans Telefon, um ihm zu sagen, dass sie ihm einen kleinen Teddy mitbringe, den sie für ihn gewonnen habe. Als sie mit ihm redete, wäre Blanket fast ausgerastet. Er war so was von eifersüchtig. Er wollte zurückkehren und auch einen Teddy gewinnen. »Können wir noch mal hin? Können wir noch mal zurück? Ich möchte auch was für Daddy gewinnen!«

Blanket war ein interessantes kleines Kerlchen. Wenn wir morgens in die Fahrzeuge stiegen, plapperten Paris und Prince immer gleich los und wünschten uns einen guten Morgen. Blanket war furchtbar schüchtern. Mr. Jackson musste ihm immer erst einen Stups geben. »Sag den Jungs guten Morgen, Blanket. Willst du nicht guten Morgen sagen?«

Er mochte nicht viel sagen, aber wenn ich je einen Lauser gesehen habe! Wir nannten ihn den »kleinen Rebellen«. Ein richtiger kleiner Draufgänger. Mr. Jackson sagte immer: »Dass Sie mir ja auf Blanket schauen. Er rückt gern mal aus.« Was er denn auch tat. Wenn wir uns in der Öffentlichkeit befanden, hielten Prince und Paris sich an unsere Vorschriften; sie fassten einander bei der Hand und blieben in der Nähe. Blanket dagegen versuchte sich zu verdrücken, davonzulaufen und auf eigene Faust loszuziehen.

Javon: Immer wenn wir eine Buchhandlung schließen ließen, um einkaufen zu gehen, wollte Mr. Jackson, dass im Laden alle beisammenblieben, wenn man durch die Abteilungen ging, damit niemand verlorenging. Man nahm sich die Geschichtsabteilung vor, dann die für Science Fiction und so weiter. Blanket? Der lief auf der Stelle in die Kinderbuch-Abteilung. Man musste durch den ganzen Laden hinter ihm herjagen, und dann war er sauer, wenn man ihn zum Rest der Familie zurückholen kam.

Bill: Einmal fuhren wir am New York-New York vorbei, einem der Casinos, das auch einen großen Vergnügungspark mit allen möglichen Karussells und Bahnen hat. Blanket warf einen Blick hinüber und sagte: »Die Achterbahn von Daddy ist viel besser als die.«

Das war typisch Blanket. Dann, fällt mir noch ein, stieg er mal in den Wagen und setzte sich direkt hinter mich, wo normalerweise Mr. Jackson saß. Ich sagte: »Blanket, du musst rüberrutschen. Du sitzt auf dem Platz von deinem Daddy.«

Er sagte: »Ich weiß!«

Er saß da nicht rein zufällig; er hatte das mit Absicht gemacht. Er war klein, sah sich aber nicht so. »Ich will sitzen, wo Daddy sitzt!« Grade so, als würde das eines Tages sein Platz sein.

Meistens ließen wir während der Fahrt den Vorhang zwischen uns vorgezogen. Zur Aufgabe eines Bodyguards gehört es, für den Klienten so gut wie unsichtbar zu sein. Die Beziehung läuft im Grunde darauf hinaus, dass man nur dann etwas sagt, wenn man angesprochen wird. Aber die Kinder wandten sich nun mal zunehmend häufiger an uns. Mr. Jackson selbst auch, immer wieder mal jedenfalls. Wir wurden ihnen vertraut, und sie wurden lockerer im Umgang mit uns, und so fuhren wir immer öfter mit offenen Vorhängen los. Einmal, als wir unterwegs waren, sagte Blanket etwas, und Mr. Jackson gebot ihm mit einem »Schhhh!!« zu schweigen. Die Kinder kicherten, und Mr. Jackson sagte immer wieder: »Nein, hab ich nicht! Hab ich nicht!«

Blanket sagte: »Doch, doch Daddy. Du hast gesagt, Bill sieht aus wie …«

»Schhht!«

Ich war natürlich neugierig geworden. Ich sagte: »Bill sieht wie was aus?«

Ich sah in den Rückspiegel. Blanket und Mr. Jackson starrten einander an, was wohl hieß: »Wer sagt es ihm?«

Blanket sah mich schließlich an und meinte: »Bill, Daddy hat gesagt, du siehst aus wie The Thing

»The Thing! Was ist das, The Thing?«

»Na, du weiß schon«, erwiderte Blanket, »der Typ von dem Comic, von den Fantastischen Vier! Daddy hat gesagt, du siehst aus wie The Thing von den Fantastischen Vier.« Und ich dachte mir: Wow. Okay, der Mann ist ein Witzbold. Dann sagte Blanket: »Und Javon sieht aus wie Frozone von den Incredibles!«

Wir lachten uns einen Ast. Damit war ich The Thing. Cool. Allmählich entwickelte sich eine Beziehung zwischen uns, als wir sahen, dass sie Humor hatten, und wir sie zu nehmen wussten.

Javon: Mr. Jackson achtete immer darauf, dass wir gesund blieben. Immer wieder sagte er: »Gehen Sie ins Fitnessstudio? Ernähren Sie sich richtig? Essen Sie nicht zu viel Junkfood; das ist nicht gut für Sie.« Größtenteils ernährten er und die Kinder sich sehr gesund. Manchmal ließ er sie zu McDonald’s gehen, auf Hot Wings und ein Eis oder was immer, aber nur, wenn sie sich was Besonderes verdient hatten.

In ihrer engen kleinen Welt galt es schon als Abenteuer, in ein Fast-Food-Restaurant zu fahren und aus dem Wagen heraus zu bestellen. Wir hielten vor der Box mit der Gegensprechanlage, und die drei kletterten auf dem Rücksitz übereinander weg, um ans Fenster zu kommen und was zu bestellen. »Du hast letztes Mal bestellt!« »Nein, du! Heute bin ich dran!« Nur um des lieben Friedens willen ließ Mr. Jackson jeden seine Mahlzeit selbst bestellen.

Einmal, der Boss, Prince und Paris hatten alle bestellt, war die Reihe an Blanket. Er musste sich auf den Sitz stellen, um an die Gegensprechanlage zu kommen. Schließlich hatte er es geschafft und sagte: »Kann ich bitte zwei Krispy-Kreme-Donuts mit Streuseln haben?« Nur waren wir bei McDonald’s …

Bill: Blanket liebte Krispy Kreme. Wir achteten darauf, wenn wir mit den Kindern losfuhren, dass sie was Neues sahen, also vereinbarte ich mal mit dem Manager von einer unserer Krispy-Kreme-Filialen, dass man Mr. Jackson und Blanket durch den Hintereingang einließ, damit er sehen konnte, wie die Donuts hergestellt wurden. So rückten wir dort um halb drei Uhr nachts an, gingen rein und sahen zu. Die Angestellten dort zeigten ihm alles. Wir blieben zwei Stunden, wanderten rum, ließen uns die Maschinen vorführen. Und wir kamen mit etwa fünf Kartons Donuts heim.

Sie nahmen ihre kleinen Abenteuer mit, wo sie sie nur kriegen konnten. Es kam vor, dass wir irgendwohin fuhren und Mr. Jackson plötzlich sagte: »Bill, die Kinder sind hungrig. Können wir nicht einen McDonald’s anfahren?« Also steuerten wir einen McDonald’s an, holten was zu essen und parkten dann irgendwo. Ich und Javon stiegen dann aus, damit er und die Kinder drinnen in Ruhe essen konnten. Nicht, dass er uns gesagt hätte, wir sollten aussteigen. Wir machten das von uns aus. So hatte er einen Augenblick mit seinen Kindern. Wir wussten, wie wenig Privatsphäre er besaß, also gaben wir ihm so viel, wie wir nur konnten.

So richtig verwöhnt wurden die Kinder bestenfalls an ihren Geburtstagen. Da ging Mr. Jackson in die Vollen. Er kam dann immer mit einer langen Liste mit all den Sachen zu uns, die er wollte. Er sagte: »Ich möchte, dass Sie mir einen Clown finden. Einen Zauberer. Eine Popcorn-Maschine. Eine Zuckerwatte-Maschine. Eine Hüpfburg.« Und seine Anweisungen waren da sehr genau. »Sehen Sie zu, dass der Clown Tiere aus Ballons machen kann.« Einmal war der einzige Clown, der dazu in der Lage war, an dem Tag nicht frei; die Frau war bereits gebucht. Mr. Jackson sagte: »Was immer nötig ist, schafft sie her.« Wir zahlten ihr schließlich dreifaches Honorar. Normalerweise bekam sie fünfundsiebzig Dollar die Stunde, und wir zahlten ihr zweihundertfünfzig.

Wir sorgten dafür, dass alles geliefert wurde – Hüpfburg, Dekorationen, Riesenkuchen. Wir heuerten die Clowns und die Zauberer an, besorgten die nötigen Sicherheitschecks und ließen sie die Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben. Die Paparazzi wussten natürlich, wenn ein Geburtstag angesagt war. Entsprechend hatten wir tieffliegende Hubschrauber über dem Anwesen, die auf ein Foto hofften, sei es von Mr. Jackson oder dem Geburtstagskind. Also mussten wir auch noch die umgehen.

Javon: Egal, wer Geburtstag feierte, wir hatten unsere Routine. Wir vereinbarten mit FAO Schwarz, dass der Laden geschlossen wurde, damit sie ungestört einkaufen konnten. Dann bekamen sie irgendwo ein spezielles Geburtstagsessen. Meistens beim Chinesen. Das Wing Lei im Wynn Hotel war einer ihrer Favoriten; man hatte dort ein Hinterzimmer, das man für Mr. Jackson reservierte, wann immer er kam. Nach dem Mittagessen war dann ein Kino gemietet, damit die Kinder sich einen Film ansehen konnten. Und während sie im Spielzeugladen und im Kino waren, wurde das Haus dekoriert. Wenn sie dann nach Hause kamen, hieß es »Überraschung!« Wir hatten den Zauberer, den Clown mit den Ballons, die Zuckerwatte. Das ganze Haus war für die Party hergerichtet.

Bill: Und dann war keiner da. Ich meine, keine anderen Gäste, keine anderen Kinder. Wir hatten die Clowns, Mr. Jackson, ich und Javon, manchmal die Lehrerin oder das Kindermädchen. Die Kinder hatten keine Freunde.

Javon: Der Einzige, der je dabei war, das war Marlon Brandos Sohn Miko; sie kannten sich ziemlich gut, weil Mr. Jackson und Marlon Brando eng befreundet waren. Ein paar Mal feierten Miko und seine Kinder mit, aber für gewöhnlich waren wir allein.

Bill: Es kam einen hart an, das mit anzusehen, es war einfach schwer zu akzeptieren, dass kein Mensch vorbeikam, klingelte, Geschenke brachte. Nicht eine seiner berühmten Tanten, nicht ein berühmter Onkel rief an, um zu gratulieren. Ob das die Geburtstage der Kinder waren oder sein eigener oder Thanksgiving oder der 4. Juli, spielte überhaupt keine Rolle – niemand meldete sich, niemand kam. Wir waren alleine. Aber irgendwie gewöhnt man sich dran.

Ich weiß noch, wie wir mal an einer Schule vorbeifuhren. Mr. Jackson und die Kinder saßen im Fond. Wir hielten vor einer roten Ampel. Es war gerade Pause, und die Schulkinder spielten im Hof. Wir standen da, und Mr. Jackson flüsterte: »Bill, schauen Sie.«

Ich sah nach hinten zum Rücksitz. Paris und die beiden Jungs drückten sich an den Fenstern die Nasen platt. Mit großen Augen starrten sie die Kinder an, man sah es an ihren Mienen, was sie dachten: Könnt ihr euch vorstellen, was das für ein Leben ist da draußen? Es war nur eine Horde Kinder in der Pause, die normalste Sache der Welt, aber für sie war das ein total anderes Universum, in das sie nicht eingeweiht waren.

Javon: So was kam ein paar Mal vor. Es ging dann so weit, dass ich irgendwo langfuhr und an einer Schule vorbeikam, vor der eine Schar Kinder spielte, und mir war irgendwie nicht wohl dabei. Ich bog absichtlich ab und fuhr um den Spielplatz herum, damit Paris und die Jungs ihn nicht sahen.

Manchmal machte es einen richtig traurig, dass sie so abgekapselt lebten, aber sie waren immer zufrieden damit, einfach unter sich zu sein. Wenn Mr. Jackson die Kinder im Haus allein lassen musste, weil er irgendwo eine geschäftliche Besprechung hatte, kamen sie immer mit an die Tür, um sich zu verabschieden. Sie folgten ihm bis zum Wagen, und dann sagte jeder: »Ich hab dich lieb, Daddy.« Und er sagte, »Ich dich noch mehr.« Es war ein richtiges kleines Ritual jedes Mal, wenn er das Haus verließ. Und wenn er wieder zurückkam, egal ob er zwei Stunden oder zwanzig Minuten weg war, liefen sie ihm schreiend in die Arme: »Daddy! Daddy! Daddy!«

Bill: Sie waren eine richtige kleine, in sich geschlossene Einheit. Sie hatten nur sich. Von seinem Schlafzimmer aus gab es einen Zugang zum Dach. Es war eine Wendeltreppe, die auf eine versteckte Dachterrasse führte, von der aus man die ganze Stadt sehen konnte, mitsamt der Wüste drum rum, den Bergen, die Lichter vom Strip. Wenn wir da mal raufkamen, sahen wir Bonbon-Papierchen, Limonadendosen und Becher, woran man sehen konnte, dass sie öfter da oben waren. Es war mit das Liebste, was sie als Familie machten, da raufzugehen und sich den Sonnenuntergang oder die Lichter anzusehen. Paris hat das sogar in dem Interview erwähnt, das sie nicht allzu lange nach seinem Tod gegeben hat. Man fragte sie nach ihren liebsten Erinnerungen, und sie sagte: »In dem Haus in Las Vegas aufs Dach zu gehen.«

Eines Freitagabends war ich auf Posten im Security-Trailer und hatte über die Monitore der Überwachungskameras das Anwesen im Auge. Plötzlich hörte ich ein lautes Bummern aus der Garage, und dann schrie jemand: »Macht auf! Macht die Tür auf!« Ich dachte, dass jemand ins Haus einzubrechen versuchte. Ich lief zur Garage, rannte um die Ecke, und da sah ich Mr. Jackson in der Garage stehen, im blau-weiß gestreiften Pyjama, eine blaue Duschkappe auf dem Kopf. Er hämmerte mit dem Schuh an die Verbindungstür zum Haus.

Ich sagte: »Sir, ist alles in Ordnung, Sir?«

Und er mit seinem breiten Grinsen: »Oh, ich bin in Ordnung. Wir spielen nur Verstecken, und sie haben mich ausgesperrt.«

»Alles klar, Sir.«

So waren sie eben.

Javon: Der Las Vegas Mini Gran Prix ist ein Vergnügungspark mit Go-Karts, Spielen, Karussells und Bahnen und so. Eine Cousine von mir war dort zweite Geschäftsführerin. Die Anlage lag zwei Meilen nördlich vom Haus. Wir fuhren ständig daran vorbei, und jedes Mal sagte Mr. Jackson: »Mann, ich würde da wirklich gern mal mit den Kindern hingehen. Das würde ihnen gefallen.«

Immer wenn er das sagte, machte ich mir einen Knoten ins Taschentuch, und schließlich rief ich meine Cousine an und fragte, ob wir nicht nach Geschäftsschluss mal vorbeikommen könnten, damit Mr. Jackson und die Kinder dort spielen konnten. Sie rief ihren Bezirksmanager an, und der rief mich zurück. Wir machten das Ganze mit ihm fest.

Bill: Wir gingen damit zu Mr. Jackson und sagten ihm: »Sir, wir haben für Sie und die Kinder einen Besuch im Vergnügungspark arrangiert. Am Abend.« Und als wir ihm das gesagt haben? Er strahlte wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Er sagte: »Tatsächlich? Mein Gott! Super, super, super!«

Der Park machte um Mitternacht zu. Wir kamen so gegen halb eins dort an. Ich stieg aus dem Wagen, ging rein, drehte eine Runde, um sicherzugehen, dass niemand mehr da war, und ließ die Angestellten wissen, dass ich zu den Leuten gehörte, die sich angemeldet hatten. Dann ging ich zurück zum Wagen und brachte die Familie rein.

Kaum waren wir drinnen, begannen Mr. Jackson und die Kleinen herumzutoben wie vier ausgelassene Kinder. Erst gingen sie in die Spielhalle, wo sie von einem Gerät zum anderen liefen, um gegeneinander zu spielen. Sie flipperten und gewannen hier und da was. Prince gewann ein paar Sachen. Paris war eingeschnappt. Sie gewann nichts. Sie begann zu weinen. Ich ging an einen der Automaten und versuchte, etwas für Sie zu gewinnen. Ich schaffte es aber nicht. Schließlich sprang der Manager ein, schloss den Automaten auf und holte etwas für sie heraus. Damit war sie zufrieden und lief nur noch mit ihrem kleinen Stofftier herum.

Javon: Sie fuhren eine Weile mit den Go-Karts. Zuerst waren nur Mr. Jackson, Paris und Prince auf der Bahn. Wir blieben zurück und passten auf Blanket auf, weil er nicht groß genug war, um selbst zu fahren. Er war ziemlich aufgebracht, weil er auf die Bahn wollte und Rennen gegen seine Geschwister fahren. Da sonst niemand da war, setzten die Angestellten ihn in eines der Fahrzeuge und ließen ihn ein bisschen auf die Pedale treten. Er landete nach gerade mal ein paar Metern in der Barrikade, aber die paar Meter waren für ihn ein Riesending.

Bill: Es gab da außerdem eine Riesenrutsche von gut dreißig Metern Höhe, die man auf einem Kartoffelsack hinabschoss. Das war das Letzte, was sie machten, bevor es wieder nach Hause ging. Blanket war noch so klein, dass Mr. Jackson ihn beim Rutschen auf seinem Schoß im Arm hielt. Paris und Prince rutschten allein. Sie flogen um die Wette.

Alle hatten einen Riesenspaß. Es tat richtig gut, das mitanzusehen. Es war einfach mal was anderes, sie so aufgekratzt zu sehen; so frei liefen die sonst nicht rum, wirklich nicht. Bis zu dem Zeitpunkt war es bei ihm immer nur ums Geschäft gegangen: Anwälte, Manager, Meetings. Wir waren mit den Kindern ein paar Mal im Circus Circus gewesen, aber immer ohne ihren Vater. Solche Augenblicke mit seinen Kindern waren ihm sonst kaum vergönnt, das konnte man sehen. Allein die Begeisterung auf seinem Gesicht zu sehen, dass er mit seinen Kindern in dem Park spielen konnte – er strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Es war köstlich.

Javon: Kaum waren wir wieder im Wagen, schliefen die Kinder ein. Sie waren völlig fertig. Die Köpfe vornübergeneigt, saßen sie auf dem Rücksitz, als wir sie nach Hause fuhren. Dort trugen wir sie alle drei in ihre Zimmer und steckten sie ins Bett.

Bill und ich gingen wieder nach unten, während Mr. Jackson sie einpackte. Wir waren eben wieder unten angekommen, als er noch mal rauskam und flüsternd herüberrief: »Jungs, ich möchte mich noch bei euch für all das bedanken, was ihr für meine Kinder tut. Sie sind furchtbar glücklich. Und Javon, danken Sie doch auch Ihrer Cousine dafür, dass sie uns den Park so einfach überlassen haben. Und auch noch umsonst. Es kommt wirklich selten vor, dass mir jemand einen Gefallen tut, ohne etwas dafür zu wollen. Erinnern Sie mich doch bitte unbedingt daran, dass ich ihr ein Bild mit Autogramm zukommen lasse. Danke. Ich danke Ihnen, und Gott segne Sie.«