Eine Autostunde im Westen der Bundeshauptstadt gelegen, ist Middleburg, Virginia, seit jeher ein beliebter Rückzugsort für die High Society der amerikanischen Ostküste. Die sanften Hügel, die den winzigen Ort umgeben, sind mit idyllischen Farmen und Landsitzen gesprenkelt. Die Anwohner gehen noch heute exklusiven Sportarten wie Fuchsjagd und Jagdrennen nach. Werbeprospekte erklären die Gegend stolz zur »amerikanischen Hauptstadt für Pferd und Jagd«.
Ungefähr zehn Autominuten von Middleburg liegt der Goodstone Inn, wo Michael Jackson die Sommerferien zu verbringen gedachte. Eine ehemalige Plantage, ist das Goodstone mit seinen zweihundertfünfzig Hektar ein riesiges Anwesen aus offenen Weiden und Wäldern voller Wanderpfade an einem idyllisch mäandernden Bach. Im Zentrum des Komplexes steht das ehemalige Kutschhaus der Plantage, in dem sich heute das Restaurant und Büros des Inns befinden. Wie die Zacken eines Sterns liegt rund um das Haupthaus eine Handvoll historischer Dependancen, kleine Landhäuschen, die – liebevoll restauriert – als frei stehende Gästesuiten dienen. Der Sänger und seine Kinder waren im imposanten Herrenhaus in der nördlichen Ecke des Komplexes untergebracht.
Für Michael Jackson war das Beste an diesem Refugium nicht etwa die luxuriöse Unterbringung, sondern der Umstand, dass man dort abtauchen konnte. Beim Auszug aus dem Haus am Monte Cristo Way hatten die Lokalblätter berichtet, er wolle in ein anderes Haus in Las Vegas ziehen. Anderen Gerüchten zufolge hielt er sich irgendwo an der Ostküste auf. Man berichtete, ihn hier und da in der Gegend von Washington gesehen zu haben, aber Genaueres über seinen Aufenthaltsort war nicht zu erfahren. Er war schlicht und ergreifend verschwunden, was es ihm endlich erlaubte, sich zusammen mit seiner Familie zu erholen.
Bill: Wir kamen so gegen halb zwölf Uhr nachts in Middleburg an. Normalerweise hätte ich Mr. Jackson so spät nicht mehr angerufen, aber diesmal sagte ich ihm Bescheid, dass wir wieder da seien. Er meinte: »Sie sind zurück? Großartig. Wie war denn der Flug?«
Ich sagte: »Wir sind nicht geflogen, Sir. Wir sind gefahren. Und wir haben Ihre Fahrzeuge mitgebracht.«
»Ihr seid gefahren?! Wow. Das ist ja Wahnsinn.«
Javon: Am nächsten Morgen kamen wir mit Mr. Jacksons Fahrzeugen rüber zum Haupthaus. Raymones Security-Team saß davor in den Trucks. Es schmeckte ihnen ganz offensichtlich nicht, als sie Bill und mich sahen. Wir gingen zu Mr. Jackson rein. Er rief die Kinder und sagte ihnen: »Guckt mal, wer wieder da ist!«
Die Kinder kamen alle gelaufen und fielen mir und Bill um den Hals. »Hallo, Javon! Ihr habt uns so gefehlt!«
»Ihr habt mir auch gefehlt!«, sagte ich. Und ich sagte das nicht nur so. Ich hatte mir Sorgen um sie gemacht.
Bill: Wir hatten den Kindern einige von ihren Lieblingsspielsachen mitgebracht, einige Action-Figuren für die Jungs, ein paar von Paris’ Puppen. Ich hatte den silbernen Koffer mit. Das war der erste Punkt meiner Tagesordnung. Den ganzen Morgen über hatte ich angenommen, er würde total begeistert sein, dass ich ihn mithatte, aber als ich ihm den Koffer übergab, tat er, als wäre es nichts. Er stellte ihn einfach zur Seite, als wäre überhaupt nichts dabei. Er sah noch nicht mal nach, ob noch alles drin war.
Wir unterhielten uns über den Trip. Ich sagte ihm, ich hätte mich dazu entschlossen, nachdem ich von Raymone nichts gehört hätte. Das brachte ihn hoch. »Diese Leute sagen ihr über alles Bescheid«, sagte er. »Sie sollten mich nur wohin fahren, wo’s Magazine gibt, und schon waren sie am Telefon und gaben ihr über jeden Schritt Bescheid.«
Jetzt, wo wir Mr. Jacksons Fahrzeuge mitgebracht hatten, meinte er, bräuchten wir Raymones Leute nicht mehr. Er sagte: »Sagen Sie ihr, dass sie entlassen sind.«
Das war ein Gespräch, an dem mir nun wirklich nichts lag. Also echt. Ich wusste, sie würde außer sich sein – ich hatte ihr Arrangement über den Haufen geworfen. So zögerte ich entsprechend, als er wollte, dass ich ihr das beibrachte. Er fragte: »Soll ich es ihr sagen?«
»Das wäre mir lieber, Sir.«
»Okay, ich sag’s ihr.«
Javon: Wir sahen zu, wie ihre Leute abrückten. Die Typen schlichen mit sauren Mienen davon; ich versuchte noch, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, aber keiner wollte mit mir reden. Sie gingen runter zum Haus, in dem man sie einquartiert hatte, packten ihren Kram und fuhren ab. Anschließend zogen ich und Bill um in ihr Haus. Dann machten wir uns wieder an die Arbeit. Und damit hatte es sich.
Bill: Wir hatten nur noch ein paar Tage bis zum 4. Juli. Wegen des Nationalfeiertags konnte man im ganzen County am Straßenrand Feuerwerk kaufen. Mr. Jackson war ganz aus dem Häuschen; er schickte mich los, um uns einzudecken. Ich fuhr also und kaufte für so um die fünfhundert Dollar von dem Zeug. Am Abend des 4. Juli und noch ein paar Tage danach sahen wir Mr. Jackson und die Kinder nach Einbruch der Dunkelheit hinaus auf die Wiese laufen, wo sie dann Kracher, Raketen und Leuchtkugeln abschossen. Wir schauten ihnen von unserem Haus ein Stück die Straße rauf zu.
Javon: Für gewöhnlich war nicht viel los. Die Kinder spielten draußen auf den großen, weitläufigen Wiesen; Mr. Jackson ruhte sich im Haus aus. Ich und Bill aßen größtenteils im Restaurant, patrouillierten vormittags und nachmittags in der Gegend. Wir sahen zu, dass alles reibungslos lief, machten Besorgungen oder planten den Einsatz, wenn er irgendwohin wollte.
Bill: Die Leute vom Goodstone Inn hatten uns eine Liste mit Aktivitäten und Sehenswürdigkeiten in der Gegend gegeben, Dinge, die man mit den Kindern machen konnte. Es lagen einige Schlachtfelder aus dem Bürgerkrieg ganz in der Nähe, für die es Führungen gab. Außerdem waren wir nicht allzu weit vom Hersheypark entfernt, einer Freizeitanlage im südlichen Zipfel von Pennsylvania. Der stand auch auf der Liste – zusammen mit einer Heißluftballon-Fahrt. Als ich die Liste sah, ging ich davon aus, dass die Ballonfahrt das Letzte war, was Michael Jackson interessierte. Wie sich herausstellte, war es jedoch das Erste, wofür er sich entschied. Er rief an und sagte, er gedenke mit den Kindern eine Ballonfahrt zu machen. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Ich drehte mich zu Javon um und sagte: »Heißluftballon? Er weiß, dass Schwarze so was nicht machen, oder?«
Javon: Bill ließ mich wissen, dass Mr. Jackson eine Fahrt mit dem Heißluftballon machen wolle. Ich sagte: »Also ich flieg da nicht mit. Kommt nicht infrage. Nee, nee.« Keiner von uns hatte Bock darauf, aber einer von uns durfte Mr. Jackson nicht aus den Augen lassen. Also ging’s bei uns bis zum letzten Augenblick: Wer fliegt denn nun mit? Einer von uns musste klein beigeben.
Bill: Wir mussten morgens um halb sechs losfahren, um eine Stunde später am Startplatz zu sein. Es war ein Ehepaar, das die Ballonfahrten veranstaltete; für gewöhnlich hatten sie keine Ahnung, wen sie da mit hochnehmen würden. Sie erwarteten also eine Touristenfamilie wie sonst auch. Wir kamen an, und sie machten sich an ihre Routine, erklärten den Kindern, wie der Ballon funktioniert, Sicherheitsvorkehrungen und so weiter. Sogar ein kleines Frühstücksbuffet stand bereit.
Als es Zeit für den Start wurde, waren die Kinder so aufgedreht, dass sie gar nicht schnell genug in den Korb kommen konnten. Sie liefen rüber, sprangen rein, grinsten übers ganze Gesicht. Ich und Javon traten irgendwie von einem Fuß auf den anderen, bis Mr. Jackson sagte: »Kommt ihr nicht mit?«
Ich sah Javon an, um anzudeuten: Javon macht das, Sir.
Javon sagte: »Nee, nee, mach du nur, mach nur.«
Es entstand eine peinliche Pause. Mr. Jackson sagte: »Was ist, habt ihr Angst?«
Ich würde den Teufel tun und dem Mann sagen, dass ich Angst vor einer verdammten Ballonfahrt hätte. Ich sagte: »Nee, nicht Angst, es ist nur, wissen Sie …«
»Ist okay, wenn ihr Angst habt. Ihr könnt es ruhig sagen.«
»Nee, nee. Es ist nur … Es ist nur einfach so, dass wir …«
»Okay«, fiel er mir ins Wort. »Warum bleibt ihr nicht einfach unten und folgt uns im Truck? Ich denke, wir kommen hier klar.«
Ich sagte: »Halte ich für eine gute Idee, Sir. Wir behalten Sie von hier unten aus im Auge.«
Also folgten wir dem Ballon im Truck. Sie waren ziemlich hoch über uns. Es war ein schöner Sommertag, und es gab nicht zu viel Wind. Trotzdem war ich heilfroh, nicht da oben zu sein.
Als sie schließlich landeten, kam Mr. Jackson rüber zu mir und sagte: »Bill, der Typ, der den Ballon gesteuert hat, ich glaube, er hat ein Foto gemacht.«
Manchmal hätte man meinen mögen, dass er einfach paranoid war, was Fotos anging – und manchmal war er das auch –, aber genauso oft behielt er Recht. Ich ging also rüber zu dem Typen und sagte: »Hören Sie, ich muss mal Ihr Handy sehen.« Er hatte eins von den neuen iPhones. Ich ging die Fotos durch und tatsächlich: Der Typ hatte heimlich ein Foto zu schießen versucht. Er hatte zwar nur Blankets Hinterkopf erwischt, aber es war genau die Art von Verletzung der Privatsphäre, die für Mr. Jackson eine Rolle spielte. Sogar im Urlaub, wenn er sich einfach zu entspannen, ein bisschen Spaß zu haben versuchte, konnte er niemandem trauen. Das Foto wurde gelöscht.
Javon: Michael Jackson in Las Vegas zu verstecken war eine Sache. Die Stadt ist praktisch für so was gebaut. Eine Menge großer Zocker mit Bodyguards, Restaurants mit Hinterzimmern für A-List-Stars, denen ihre Privatsphäre wichtig ist. Den Mann im ländlichen Virginia zu bewegen, ohne dass es einer mitbekam, war etwas ganz anderes. Es war nicht so, dass er da reingepasst hätte. Dasselbe galt für uns.
Bill: Eines Tages kam es ihm in den Sinn, in einen Walmart zu gehen. Ich war mit ihm allein; Javon war irgendwo mit den Kindern unterwegs. Wir gingen also in das Geschäft, er mit Schleier, von Kopf bis Fuß in Schwarz. Er ging voran und ich anderthalb Meter hinter ihm drein – in Zivil. Am Eingang stand ein Wachmann, ein älterer Typ. Mr. Jackson ging rein, mit seinem Schleier, und der Wachmann guckt ihn so an, als er vorbeigeht. Und dann höre ich ihn sagen: »Hast du den Typen gesehen? Der sieht aus, als wollte er den Laden überfallen.«
Wir gingen rein. Mr. Jackson nahm sich einen Einkaufswagen und begann durch die Reihen zu schlendern. Er sah sich alle möglichen Sachen an, Klamotten, DVDs – er war eben einkaufen, wie ein normaler Mensch auch. Wir mochten so zwanzig Minuten drin gewesen sein, als ich ein Funksprechgerät hörte, und als ich mich umdrehte, sah ich einen Polizisten auf uns zukommen. Die Geschichte in dem Zauberladen in Vegas war erst ein paar Wochen her, also dachte ich natürlich sofort: Scheiße, nicht schon wieder.
Der Beamte trat auf Mr. Jackson zu und sagte irgendetwas zu ihm. Die ersten Gaffer blieben stehen. Ich ging zu den beiden rüber und versuchte dazwischenzugehen. Das heißt, ich erzählte dem Polizisten die übliche Story: Ich sei Bodyguard für eine hochgestellte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens etc. etc. Wie gehabt, wollte der Cop nun aber wissen, wer der Typ sei. Ich wollte keine Wiederholung des Vorfalls im Zauberladen, also sagte ich nicht, dass das Michael Jackson war, aber der Typ wollte nicht lockerlassen – er war wirklich hartnäckig. »Wer ist er?«
Mir kam eine Idee. Ich sagte: »Es ist Prince.«
»Wer?«
»Prince.«
»Der Typ aus Purple Rain!«
»Ja, Sir.«
»Wieso die Maske?«
»Er will nicht erkannt werden.«
»Oh. Wir dachten, er will den Laden überfallen.«
»Nein, Sir. Wir sind nur zum Einkaufen hier.«
Der eine Cop sagte das dem Wachmann, und der sagte es seinem Abteilungsleiter, und als sich das dann rumzusprechen begann, zerstreute sich die Menge. Wäre es um Michael Jackson gegangen, hätten wir es mit einem Mob zu tun gehabt. Prince? War den Leuten egal. So war das nun mal.
Als wir wieder im Wagen saßen, fragte Mr. Jackson: »Was war denn da los?«
Ich sagte: »Ich habe ihnen gesagt, Sie seien Prince.«
»Prince?«
»Yeah.«
Er lachte und meinte: »Kein Wunder, dass die uns in Ruhe gelassen haben.«
Javon: Einmal die Woche durften die Kinder sich was Besonderes aussuchen, und eines ihrer Lieblings-Restaurants war nun mal Chuck E. Cheese. Da Middleburg am Ende der Welt liegt, war die nächste Filiale eine Dreiviertelstunde weit weg in Alexandria, im Süden von D.C. Ich denke, dass wir drei Mal mit den Kindern dort waren. Zwei Mal davon setzte Mr. Jackson nur mich, Ms. Grace und die Kinder dort ab. Wir blieben im Restaurant, während er sich zum Einkaufen rumfahren ließ. Aber als wir dieses eine Mal die Kinder zu Chuck E. Cheese brachten, wollte Mr. Jackson mit rein. Ich eskortierte erst die Kinder rein; Mr. Jackson kam dann zehn Minuten später mit Bill.
Die Kinder spielten, und Mr. Jackson saß in einer Ecke mit einer Mütze und einem schwarzen Schleier vor dem Gesicht. Die Kinder wussten, wenn Daddy in der Öffentlichkeit war, konnten sie nicht einfach auf ihn zulaufen, ihn nicht einfach ansprechen – das war gegen die Regeln. Können Sie sich das vorstellen? Vom eigenen Vater wegzubleiben, der ein paar Tische weiter sitzt? Nun, für sie war das ganz normal. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, wie die Decknamen, die sie benutzten. Aber Paris? Die Kleine liebte ihren Daddy nun mal. Ihr konnte man das hundert Mal sagen: »Sprich deinen Daddy nicht an.« Sie wollte nichts davon hören. Sie kletterte auf die Rutsche und rief: »Guck mal, Daddy! Daddy, guck! Ich bin auf der Rutsche! Guck doch!«
Ich hatte ihr gerade wieder ins Gewissen geredet, das bleiben zu lassen, aber sie war zu aufgeregt, sie saß auf der Rutsche und rief trotzdem nach ihm. Es war keine große Sache. Es waren jede Menge Väter da; sie hätte jeden meinen können. Ein paar Minuten darauf jedoch spielte sie mit einem Mädchen in einem Riesenpool voller Gummibälle. Ganz plötzlich lief Paris rüber zu ihrem Dad und fiel ihm um den Hals, wobei sie ihm den Schleier vom Gesicht zog, um ihm einen Schmatz auf die Backe zu drücken; dann rückte sie den Schleier wieder zurecht und lief zurück in den Spielbereich.
Das kleine Mädchen, mit dem Paris gespielt hatte, bekam das mit. Die Kleine stand da, inmitten all der Plastikbälle, wie vor den Kopf geschlagen, und starrte den Mann mit dem Schleier an. Schließlich kam sie wieder zu Atem und schrie, so laut sie nur konnte: »Mami! Mami! Das ist Michael Jackson. Es ist Michael Jackson! Mami! Mami! Michael Jackson!«
Bill: Im Restaurant war es mucksmäuschenstill. Eine Unmenge Köpfe drehten sich in unsere Richtung. Mr. Jackson schoss in die Höhe und ging zur Tür. Er lief nicht, er schritt nur forsch aus – Tatsache ist, dass er im nächsten Augenblick draußen war. Ich war unmittelbar hinter ihm. Ich gab Javon Zeichen, bei den Kleinen zu bleiben. Als ich rauskam, stand Mr. Jackson bereits neben dem Truck, nur dass er ihn nicht aufbrachte, also kauerte er irgendwie so zwischen den Fahrzeugen. Ich lief zu ihm rüber, und er rief: »Bill, machen Sie auf.«
Ich konnte ihm auch nicht aufmachen, Javon hatte die Schlüssel. Ich stand auf der Beifahrerseite und sah, wie er sich vom Wagen entfernte, als er die Straße raufging. Er lief auf die andere Seite und ging in eine Staples-Filiale. Ich sah mich nervös um, weil ich dachte, die Leute müssten ihm jeden Augenblick nachlaufen. Aber erstaunlicherweise war niemand hinter uns her.
Javon: Die Leute im Restaurant sahen sich um, und man konnte sie richtig hören: »Michael Jackson?« »Hat sie Michael Jackson gesagt?« »Unmöglich. Das gibt’s doch nicht.« Es gab keine Szene, weil es niemand glauben wollte. Michael Jackson, an einem Dienstagabend in einem Chuck E. Cheese in Alexandria, Virginia? Das arme Mädchen, alle dachten, die Kleine hätte sich das nur ausgedacht, aber sie ließ sich nicht davon abbringen – sie hatte ihn gesehen. Sie bestand ihrer Mutter gegenüber darauf. Schließlich ging sie rüber zu Paris und sagte: »Ist Michael Jackson dein Dad?«
Paris sagte nur: »Ja, schön wär’s.«
Die Kleine hatte wirklich einen flinken Verstand.
Bill: Eines Nachmittags rief Mr. Jackson mich an und sagte: »Paris will Sie was fragen. Können Sie rüberkommen?«
Ich ging rüber. Die beiden saßen nebeneinander. Er stupste sie. »Also, frag ihn.«
Sie sagte. »Prince hat doch Kenya, und er lässt mich nie mit ihr spielen. Ich hätte ganz, ganz furchtbar gern ein Kätzchen.«
Ein Kätzchen?, dachte ich. Wer kauft sich eine Katze, wenn er auf Reisen ist? Aber so wie Paris einen ansah mit ihren großen grünen Augen? Unmöglich, ihr etwas abzuschlagen. Auf der anderen Seite könnte ich nicht einfach losziehen und eines kaufen. Mr. Jackson bestand auf einer »Adoption« – um all den ungewollten Tieren auf der Welt zu helfen. Also ging ich damit zu Javon und sagte: »Wir müssen ein Kätzchen auftreiben.«
Wir gingen ins Internet und machten uns auf die Suche. Wir fanden eine Tierhandlung in Chantilly, einer kleinen Stadt in der Nähe von D.C.; sie war ungefähr eine Dreiviertelstunde weit von uns weg und vermittelte »Adoptionen«. Ich druckte eine Liste mit all den jungen Katzen aus, die sie hatten, jede mit farbigem Bild. Es müssen fast um die hundert gewesen sein. Ich brachte die Liste Paris und sagte: »Hier, schau dir die an, ob du eine davon magst.« Etwa eine Stunde später rief sie mich an und sagte mir, sie wisse, welche sie wolle – eine kleine Goldbraune mit weißen Streifen.
Am nächsten Morgen erledigte ich dies und das, beeilte mich mit dem Frühstück, kam aber etwas spät weg. Als ich zur Tierhandlung kam, sagte man mir: »Tut mir leid, Sir. Das Kätzchen ist bereits weg.« Jemand hatte sie am Tag zuvor abgeholt, nur hatte man die Website nicht auf den aktuellen Stand der Dinge gebracht.
Paris war bereits am Telefon gewesen; sie wollte wissen, ob ich das Kätzchen schon hätte. »Bring ganz, ganz viele Spielsachen und viel zu fressen mit!« Sie war ganz aus dem Häuschen. Als ich die Vorfreude in ihrer Stimme hörte, hörte, dass ihr ganzes Glück davon abhing, da wusste ich, ich konnte unmöglich ohne das Katzenbaby nach Hause kommen. Ich sah mir all die anderen jungen Katzen dort an, ob irgendeine irgendwie so aussah wie die auf dem Bild. Ich fand jedoch keine. Also wandte ich mich an den Typen im Laden: »Hören Sie, meine Tochter will unbedingt diese Katze. Unbedingt. Ich muss wissen, wer sie hat.«
Er sagte mir, so eine Information könne er mir unmöglich geben. Ich erwiderte: »Wenn Sie die Leute vielleicht anrufen könnten? Geben Sie ihnen meine Nummer.« Alles, was man hatte, war eine Adresse. Ich flehte ihn an, sie mir zu geben. Ich sagte, ich würde den Leuten das x-fache von dem bieten, was sie bezahlt hätten. Schließlich gab mir der Typ die Adresse. Ich tippte sie in mein GPS ein – sie war meilenweit weg, fast eine Stunde. Was soll’s, ich hatte meinen Auftrag. Ich fuhr los und raste zu der Adresse.
Ich brauchte eine Ewigkeit. Es war ein älterer Mann, alleinstehend. Merkwürdig. Ich erklärte ihm die Situation. Er schien an der Katze zu hängen, ausgerechnet an der – der Mann hatte sie gerade mal einen Tag! Ich fragte ihn: »Was können wir tun, damit Sie uns die Katze geben?«
Er sagte: »Tja, geben sie mir halt, was ich bezahlt habe.«
»Was haben Sie denn bezahlt?«
»Fünfundzwanzig Dollar.«
Ich gab dem Mann dreihundert Dollar. Cash. Aus meiner eigenen Tasche. Ich nahm die Katze, sprang in den Truck und raste zurück zum Goodstone Inn. Ich war gut zwei Stunden zu spät dran. Auf dem Rückweg begann mein Telefon wie verrückt zu klingeln. Paris war dran. »Bist du schon in der Nähe? Wie nahe? Wann bist du denn hier?« Sie rief so oft an, dass ich einfach nicht mehr ranging. Schließlich hielt ich vor dem Haus. Sie musste aus dem Fenster geguckt haben, denn kaum fuhr ich vor, kam sie mit strahlendem Gesicht herausgelaufen, riss mir die Katze aus der Hand und lief wieder ins Haus.
Dann, ich war eben wieder in den Truck gestiegen, kam sie wieder aus dem Haus gelaufen und rief: »Bill! Bill!« Ich stellte den Motor ab, und sie kam ans Fenster gelaufen, stieg auf das Trittbrett und drückte mir einen Kuss auf die Backe. »Danke«, sagte sie, »dass du mir Katie gebracht hast.«
Wenn es nicht mehr brauchte, um die Kleine glücklich zu machen, dann war das die Mühe wert gewesen.
Javon: Die größte Überraschung, die Mr. Jackson für seine Kinder hatte, war ein dreitägiger Besuch in Washington, wo sie sich das Smithsonian und den National Zoo ansahen. Wir vereinbarten sowohl mit der Museumsverwaltung als auch mit den Leuten vom Zoo Führungen vor den üblichen Öffnungszeiten. Wir besuchten das Museum für Luft- und Raumfahrt, das Museum für Naturgeschichte, das Amerikanische Indianermuseum. Am letzten Tag gingen wir in den Zoo.
Bill: Wachleute eskortierten uns durch den Zoo; einer der Chefs übernahm die Führung. Auch einer aus dem Stadtrat von Washington war dabei. Raymone hatte ihre politischen Verbindungen spielen lassen und alles arrangiert.
Man fuhr uns durch den Zoo: Affenhaus, Reptilienhaus. Der Witz daran war, dass Mr. Jackson selbst einen Zoo gehabt hatte. Als wir uns die Tiger ansahen, unterhielt Mr. Jackson sich eingehend mit dem Mann vom Zoo über die Bemühungen, den Tiger in der freien Wildbahn vor dem Aussterben zu bewahren, und darüber, wie man in Gefangenschaft mit ihnen umging. Einmal fragte der Mann vom Zoo, ob wir irgendein bestimmtes Tier sehen wollten, worauf Mr. Jackson sagte: »Nein, die brauche ich nicht zu sehen. Solche habe ich selber genug.«
Überhaupt machte der Mann vom Zoo einen recht verwirrten Eindruck, als wollte er sagen: »Wozu braucht ihr mich eigentlich? Warum macht er seine Führung nicht selbst?«
Javon: Am Nilpferd-Gehege waren Bill, Mr. Jackson, Prince und Paris ein paar Schritte voraus. Sie hatten das Nilpferd gesehen und waren dann weitergegangen. Ich hinkte mit Blanket hinterher. Er wollte nicht so recht weiter, weil er das Nilpferd gar so lustig fand. Er hielt es für das Tollste schlechthin. Prince hatte ja seinen Hund, und Paris hatte eben die kleine Katze bekommen, also war Blanket der Ansicht, dass ihm auch ein Tier zustand. Jetzt rief er: »Daddy, so eines will ich für zu Hause!«
Alles lachte, selbst der Mann vom Zoo. Aber ich wusste, dass es dem Kleinen ernst damit war. Wären sie noch in Neverland gewesen! Ich bin sicher, über ein Nilpferd hätte sich reden lassen. Bei all den Verrücktheiten, die man von uns verlangt hatte, hätte es mich nicht gewundert, wenn Mr. Jackson zu mir gesagt hätte: »Leute, treibt mir ein Nilpferd für Blanket auf.« Um des lieben Friedens willen sagte Mr. Jackson jetzt: »Da müssen wir mal sehen.«
Der Mann vom Zoo meinte, wenn Blanket das Nilpferd so möge, könne er es doch füttern helfen. Man gab ihm einige Äpfel, aber als er sie ins Gehege zu werfen versuchte, brachte er sie nicht über den Zaun. Ich hob ihn hoch, sodass er einen über den Zaun schleuderte. Dann setzte ich ihn wieder ab und wollte hinter den anderen her. Es war nicht so, dass ich ihn aus den Augen gelassen hätte, aber im nächsten Augenblick hing er am Zaun, weil er auf die Brüstung wollte, um weitere Äpfel ins Gehege zu werfen. Er rutschte am Zaun rum in dem Versuch, sich nach oben zu ziehen. Auf der anderen Seite ging es gut drei Meter nach unten. Mir schoss im Nu ein ganzer Film durch den Kopf; ich sah schon die Schlagzeilen: Michael Jacksons Sohn von Nilpferd gefressen! Ich packte ihn am Hemdkragen und sagte: »Mach, dass du da runterkommst, Kleiner, bevor ich meinen Job verlier, weil dich ein Nilpferd verspeist hat.«
Bill: Wenn Blanket tatsächlich da reingefallen wäre, hätten wir das Nilpferd totschießen müssen.
Javon: Manchmal wollte Mr. Jackson nur mit den Kindern im Wagen rumfahren, sich die Berge und die Landschaft ansehen. Wir fuhren dann stundenlang nur herum. Wir kamen bei diesen Ausflügen auch an einigen Schlachtfeldern aus dem Bürgerkrieg vorbei. Manassas. Bull Run. An jeder Gedenktafel, an der wir vorbeikamen, hörte ich Mr. Jackson hinten im Fond den Kindern was dazu erklären. Er wies darauf und sagte: »Hier hat die Unionsarmee das und das gemacht.« Oder: »Hier sind über fünftausend konföderierte Soldaten gefallen.« Was Geschichte anging, kannte der Mann sich aus. Prince fuhr voll darauf ab. Er war neugierig und stellte eine Menge Fragen. Paris und Blanket waren da weniger scharf drauf.
Bill: Der kleine Urlaub, der gerade mal drei Wochen dauern sollte? Der war im Nu wieder vorbei, aber wir blieben einfach. Das Haus in Vegas war weg, wir konnten also nicht mehr zurück; irgendwo anders hinzuziehen war noch nicht einmal im Gespräch. Wir hatten keine Ahnung, was wir unseren Angehörigen sagen sollten, was unsere Rückkehr anging. Ob wir überhaupt wieder zurückkommen würden. Nichts. Schön, wohnten wir eben jetzt auf einer Pferdefarm in Virginia. Man nimmt es eben, wie’s kommt.
Wir hatten uns unterwegs was zum Anziehen kaufen müssen, weil wir nicht genug eingepackt hatten. Wir hätten praktisch in einer Filiale der Burlington Coat Factory einziehen können. Er selber auch. Er sagte: »Die Kinder brauchen was zum Anziehen.« Er gab uns einen Satz Sachen von jedem der drei, damit wir die Größen wussten, und dann zogen wir los und kauften was für sie ein. Für sich selber wollte er nur Pyjamas. Der Mann ist Michael Jackson. Er trägt nichts anderes, wenn er nicht unbedingt muss.
Javon: Die ewigen Besorgungen waren das Schlimmste. In Vegas schickte er uns los, wann immer ihm nach irgendwas war. So etwas wie eine Liste war bei ihm nicht drin. Er schickte einen einfach los, wenn ihm was einfiel: Zubehör für sein iPhone, einen Snack, was weiß ich. Es war ja auch nichts dabei, die Geschäfte und Restaurants waren grade fünf Minuten weit weg. In Virginia freilich waren die nächsten richtigen Geschäfte in Chantilly, und auch dort gab es nur eine Tierhandlung, einen Blockbuster und einen McDonald’s. Es gab da draußen Orte, die noch nicht mal auf dem GPS waren. Ich und Bill, wir sind nicht vom Land. Wo immer wir hinwollten, wir haben uns praktisch ständig verfahren.
Eines Abends rief Mr. Jackson an und sagte, er und die Kinder würden sich gerade einen Film ansehen. Ob es wohl möglich wäre, irgendwo richtiges Kino-Popcorn aufzutreiben. Gewöhnliches Popcorn tat es nicht. Er wollte richtiges Kino-Popcorn. Wir hatten Mittwoch, fast Mitternacht, wir waren in Virginia, irgendwo am Ende der Welt. Wir riefen bei jedem Kino im Osten von Washington an; die machten bereits alle dicht. Dann nahmen wir uns das Telefonbuch vor und begannen zu wählen. Endlich fanden wir eine abgelegene Gemischtwarenhandlung, die Jiffy Pop führte, die Sorte, die man über der Gasflamme am Herd schüttelt, bis alle Körner aufgeplatzt sind. Wir rasten rüber, kauften einen Schlag von dem Zeug, poppten es in unserer Küche und brachten es ihnen dann in großen Tupperware-Schüsseln hinüber.
Am nächsten Morgen fragte Mr. Jackson: »Wo haben Sie denn das Popcorn gekauft?«
Wir erklärten ihm, dass es sich um Jiffy Pop handele, und er lachte sich einen Ast. Er sagte: »Wenn Sie kein richtiges Popcorn auftreiben konnten, dann ist das okay. Sie hätten es nur zu sagen brauchen.«
Bill: Er war ein großer Fan von den Simpsons. Er besaß alle Staffeln auf DVD, und in dem Sommer, in der letzten Juli-Woche, kam The Simpsons Movie heraus. Er war besessen von dem Gedanken, den Film zu sehen. Als wir durch das Kino gingen, sah er ein großes Simpsons-Display in der Lobby, eine Reklame für den Film. Er sagte: »Oh, Bill, das möchte ich haben. Besorgen Sie mir das.«
Von all den merkwürdigen Wünschen, die wir Mr. Jackson erfüllen mussten, war der wohl in den Top Five. Das Display war riesig. Es waren lebensgroße Figuren von der ganzen Familie. Sie waren so groß wie richtige Menschen und echt schwer. Und wo sollten wir damit hin? Wir konnten es schließlich nicht nach Hause schicken. Es gab ja kein Zuhause, wo wir es hätten hinschicken können. Sollten wir ihm das Teil in seinem Haus am Goodstone Inn hinstellen – wo wir doch jeden Augenblick abreisen würden? Wollte er es ins nächste Hotel mitschleppen? Was wollte er dort damit anfangen? Spielte keine Rolle. Er wollte es haben. Ich rief die Managerin des Kinos an. Sie sagte, für tausend Dollar Cash könnten wir es haben.
Javon: Das Teil war zu groß, um hinten in eines der SUVs zu passen. Wir mussten einen U-Haul-Truck mieten. In den luden wir das Ding ein und brachten es ihm in sein Zimmer im Goodstone. Als wir damit ankamen, freute er sich wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum. Seine Stimme überschlug sich schier vor Begeisterung. Als wir das Teil reinbrachten, sagte er: »Sie denken womöglich, dass ich verrückt bin, das Ding zu kaufen, aber haben Sie eine Ahnung, wie viel das in zwanzig Jahren wert sein wird?«
Bill: Als wir nach Virginia geflogen waren, war davon die Rede gewesen, im Goodstone Inn ein Aufnahmestudio einzurichten und will.i.am und einige der anderen Leute rauskommen zu lassen, um an den Tracks für Thriller 25 zu arbeiten. Man quälte sich noch immer ab mit dem Deal. Aber wie mit allen anderen Deals und Projekten kam man damit nicht voran. Er wollte da draußen nicht an seiner Musik arbeiten. Woran er wirklich arbeiten wollte, das Einzige, was ihn wirklich begeisterte, waren Filme. Er wollte Filme machen.
Sein Traumprojekt war ein großer Film über König Tutanchamun. Kein Film mit richtigen Schauspielern, sondern komplett computeranimiert. Aber weniger wie die Sachen von Pixar als wie Avatar – so mit Bewegungserfassung und Greenscreen-Technik. Damals kam diese Technik gerade erst groß heraus. Wenn wir im Wagen unterwegs waren, fing er immer wieder davon an. Er sagte: »Ich mache einen animierten Film über Tutanchamun. Den Kids wird so was gefallen.« Schon in Vegas hatte er davon gesprochen. Aber erst in Virginia begann er sich mehr und mehr darauf zu konzentrieren. Damals trat Michael Amir auf den Plan.
Michael Amir Williams war bei der Nation of Islam. Mr. Jackson kannte ihn durch Feldman; sie hatten sich in L.A. kennengelernt, als er aus Japan zurückgekommen war und das Antiquariat gekauft hatte. Michael Amir ging auf die Filmhochschule der University of Southern California in L.A. Er wollte in die Filmbranche, was denn auch die Basis für die Beziehung zwischen ihm und Mr. Jackson war. Als wir in Virginia waren, kam Mr. Jackson zu mir und ließ mich wissen, dass Michael Amir rüberkommen werde, um ihm bei seinen Filmprojekten zur Hand zu gehen.
Javon: Mr. Jackson fand Michael Amir sympathisch, und der Mann begann öfter vorbeizuschauen. Er nahm den Flieger, blieb ein paar Tage, die beiden arbeiteten zusammen, dann flog er wieder zurück nach L.A. Mr. Jackson schickte uns los, um eine ganze Menge hochwertiges Filmequipment zu kaufen, darunter Laptops mit Filmbearbeitungssoftware, Kameras für fünfzehntausend Dollar das Stück, einen Greenscreen für zweitausend. Mr. Jackson wollte lernen, wie man mit all dem Kram umgeht. Sie hatten alles im Haus aufgebaut. Immer wenn ich reinkam, waren sie dabei, kleine Filmchen zu drehen.
Außerdem kam uns ein Filmprofessor von der USC besuchen, ein chinesischer Herr; Michael Amir studierte bei ihm. Er war angeblich ein Fachmann für diese Bewegungserfassungstechnik, nach der Mr. Jackson der Sinn stand. Er ließ die beiden einfliegen, um diverse Projekte mit ihnen zu diskutieren. Sie müssen gut fünf, sechs Mal nach Virginia gekommen sein.
Bill: Michael Amir war nicht der einzige Besucher, den Mr. Jackson in Virginia hatte. Es gab noch zwei weitere Leute, die ihn besuchen kamen, und die beiden waren wirklich eine totale Überraschung für uns. Wir mochten etwa zwei Wochen dort gewesen sein, als er zu mir kam, um mir zu sagen, dass ihn eine Freundin besuchen komme.
Ich fragte: »Jemand, den ich durchleuchten muss?«
Er sagte: »Nein, nein, die ist in Ordnung.«
Im Verlauf der nächsten zwei Tage diskutierten wir die Arrangements für diese Person, von der er immer nur als »Friend« sprach.
Javon: Bill kam zu mir und sagte, wir müssten jemanden vom Flughafen abholen. »Wen denn?«, fragte ich.
»Eine Frau namens ›Friend‹.«
»Friend? Die heißt so?«
»Mehr hat Mr. Jackson mir nicht gesagt.«
Ich wusste vom Fleck weg, dass es sich um eine besondere Situation handelte. Normalerweise, wenn jemand zu Besuch kam, plante Ms. Raymone die Route und gab uns dann entsprechende Anweisungen. Mr. Jackson mischte sich erst gar nicht ein. Diesmal jedoch war er es, der uns die Fluginformation gab und uns sagte, in welches Hotel wir sie bringen sollten und dergleichen mehr. Das konnte nur bedeuten, dass sonst niemand davon erfahren durfte.
Bill: Wir fuhren los und holten sie am Dulles Airport ab. Sie hatte meine Nummer und rief mich vom Terminal aus an, um uns zu sagen, wo wir sie abholen sollten. Sie hatte einen osteuropäischen Akzent, vielleicht auch einen deutschen. Wir hielten vor der Gepäckrückgabe; sie winkte uns, und wir halfen ihr mit dem Gepäck.
Javon: Die Frau sah umwerfend aus. Sie hatte dunkle Locken, die ihr so ein bisschen ins Gesicht hingen. Sie war klein und zierlich, so um die ein Meter zweiundsechzig. Klasse Chassis. Total schlank. Sie sagte aber kaum was; sie war richtig still. Wir stellten uns vor, und sie brachte kaum zwei Wörter heraus. Auf dem Rückweg vom Flughafen holte sie ihr Telefon heraus und rief Mr. Jackson an. »Ich bin hier. Die Jungs fahren mich zum Hotel.« Das war ein weiteres Zeichen dafür, wie wichtig sie war. Er hatte das neue iPhone erst ein paar Wochen gehabt. Niemand hatte diese Nummer; dass sie sie hatte, sagte mir, dass sie ihm sehr nahestehen musste.
Sie war für ein Hotel in Chantilly gebucht, ein Hampton Inn, etwa eine Dreiviertelstunde von Middleburg. Wir halfen beim Einchecken und sagten Mr. Jackson Bescheid. Bill und ich fragten uns, warum sie wohl in einem Hotel absteigen sollte. Für gewöhnlich ließ Mr. Jackson seine Gäste bei sich im Haus unterbringen, aber nicht so dieses Mal.
Bill: Mir kam das alles ein bisschen komisch vor – dass sie so einfach allein in dem Hotel absteigen sollte. Und dann war sie geschlagene zwei Tage in der Stadt, bevor Mr. Jackson hinüberfuhr.
Ich brachte ihn zu diesem kleinen Rendezvous. Spätabends, wenn die Kinder im Bett waren, blieb Javon zu Hause, um ein Auge auf sie zu haben, und ich fuhr Mr. Jackson zu diesem Hampton Inn. Wir schlichen uns durch den Notausgang rein. Ich eskortierte ihn zu ihrem Zimmer und wartete dann davor auf seinen Anruf. Das erste Mal war er vielleicht vier Stunden bei ihr. Die ganze Nacht blieb er nie. Er war immer zu Hause, wenn es Zeit fürs Frühstück mit den Kindern war. Und er nahm die Frau auch nie mit zu den Kindern.
Am nächsten Abend fuhren wir wieder rüber und danach noch einige Male. Eines Nachts hatte ich einen DVD-Player mitzubringen und half ihm beim Aufstellen; er sagte, sie wollten sich einige Filme ansehen. Sie war etwa eine Woche in der Stadt.
Jason: Friend war die Erste, die ihn besuchen kam; Flower war die Zweite. Nur wenige Tage nachdem Friend wieder abgereist war, kam Mr. Jackson wieder zu uns. Gleiches Verfahren. Alle Reisearrangements waren geheim, und er nannte auch sie nicht bei ihrem richtigen Namen. Sie stieg im Red Fox Inn ab, das heißt in Middleburg selbst und damit näher bei uns.
Friend war hübsch. Ich meine, wirklich hübsch. Flower war okay. Sie hatte semmelblondes Haar und Sommersprossen. Friend hatte irgendwie was Exotisches. Flower war mehr das Mädchen von nebenan.
Bill: Flower war auch aus Übersee, aber sie hatte keinen Akzent. Beide hatten sie Locken. Ich wusste bereits, dass er eine Schwäche für Frauen mit Locken hatte. Es gab einen Fan vor dem Haus in Vegas, eine Frau mit Locken, und er äußerte sich mehrmals darüber, wie süß er sie finde. Also ging ich mal davon aus, dass er darauf stand.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm an Flower genauso viel lag wie an Friend. Als ihn Friend besuchen kam, war das ein Ereignis gewesen. Er schickte uns los, um nette Geschenke für sie zu kaufen; ich ließ bei Tiffany’s was für sie gravieren. Sie hielten sich bei den Händen, saßen im Wagen dicht beieinander, sie umarmten einander, küssten sich. Die beiden flirteten, waren vertraulicher miteinander.
Was Flower angeht, für sie hatten wir keine Aufträge, für sie wurde nicht geplant. Er besuchte sie einfach im Red Fox Inn. Außerdem schmiss sie sich an ihn ran; sie wollte offensichtlich mehr von ihm, als er zu geben bereit war. Ich hörte sie so Sachen sagen wie: »Komm, machen wir doch ein Foto von uns beiden.« Und er sagte: »Ich halte das für keine so gute Idee.« Sie bedrängte ihn, und er mochte das nicht. Flower kam nur das eine Mal; danach sahen wir sie nie wieder. Friend kam wenige Wochen danach zu einem zweiten Besuch.
Javon: Als Friend noch mal kam, meinte Mr. Jackson eines Abends, wir sollten sie beide nach Washington fahren. Er wollte ihr das Lincoln Memorial und andere Sehenswürdigkeiten zeigen. Also machten wir den Truck startklar. Es war so gegen Mitternacht. Grace blieb bei den Kindern, während ich und Bill Mr. Jackson zum Hotel fuhren, um sie abzuholen. Dann machten wir uns in die Stadt auf. Während der Fahrt unterhielten sich die beiden hinten flüsternd; wir drehten das Radio lauter, um ihnen etwas Privatsphäre zu geben.
Wir parkten den Wagen etwa anderthalb Blocks vom Washington Monument. Von da aus mussten wir zu Fuß gehen. Als wir anhielten, stellte ich das Radio leiser, um Mr. Jackson zu sagen, dass wir da seien. Hinter dem Vorhang kam das Schmatzen von Küssen hervor, ein Geräusch, das ich zur Genüge kannte. Die beiden knutschten da hinten rum. Ich wollte sie nicht unterbrechen, trotzdem hüstelte ich so ein bisschen und sagte: »Ah, Mr. Jackson? Mr. Jackson, wir sind da.«
»Oh! Okay, großartig. Dann mal los.«
Bill: Bevor wir ausstiegen, fragte mich Mr. Jackson, ob wir wohl meiner Ansicht nach sicher seien. Ich sah mich um. Es war kaum jemand unterwegs. Es sah auch nicht danach aus, als wäre uns jemand gefolgt. Meiner Ansicht nach sollte da nichts passieren. Er holte einen Schal heraus und wickelte ihn sich um den Kopf. Er war damit nicht zu erkennen, aber es sah nicht gleich so aus, als wollte er sich verstecken.
Wir gingen rauf zum Lincoln Memorial. Es war dunkel im Schatten der Bäume, die beiden konnten also einfach so dahinspazieren, ohne behelligt zu werden. Sie schlenderten rum, unterhielten sich, sahen sich die Sehenswürdigkeiten an. Sogar mitten in der Nacht waren die Sachen hell erleuchtet. Sie schoss einige Fotos. Man konnte sehen, dass sie darüber gesprochen hatten, keine Fotos von sich selber zu machen, nur von den Bauten.
Anschließend wollte Mr. Jackson das Vietnam Veterans Memorial sehen. Wir gingen also rüber, und sie traten ganz nahe an die Mauer. Sie unterhielten sich und lasen einander einige der Namen vor. »Was für eine Schande«, hörte ich ihn sagen. »Was für eine Schande. Das ist wirklich lächerlich. All die unschuldigen Kinder, die da gestorben sind.« Er fragte sie, ob sie Marvin Gayes »What’s Going On« kenne. Sie schien den Song nicht zu kennen. Er sang ihr dann ein paar Takte vor, als sie die Mauer langgingen: »War is not the answer, for only love can conquer hate.«
Vom Vietnam Memorial gingen wir wieder zurück zum Wagen. Mr. Jackson wollte noch etwas rumfahren und sich Sehenswürdigkeiten wie das Weiße Haus ansehen. Man kann vorne am Weißen Haus nicht mehr vorbeifahren, aber wir fuhren an der Seite entlang, sahen uns das Tor an, drehten eine Runde am Lafayette Park, bis wir die ganze Gegend gesehen hatten.
Es war wirklich spät geworden. Mr. Jackson wollte wieder nach Hause. Wir wollten eben umdrehen, um wieder auf den Highway zu fahren, als wir plötzlich eine Sirene hörten und hinter uns Blaulicht aufzublitzen begann. Javon fuhr rechts ran in der Hoffnung, dass der Wagen uns überholte, aber er kam hinter uns zum Stehen. Dann tauchte ein zweites Fahrzeug aus der anderen Richtung auf und blockierte uns den Weg.
Ich blickte in den Rückspiegel und sah einen Typen aus dem Wagen steigen. Der Mann trug volle Kampfmontur. Stiefel, kugelsichere Weste, automatische Waffe. Ein zweiter Typ postierte sich hinter dem Fahrzeug, ein dritter baute sich direkt vor uns an der Ecke auf. Sie hatten strategische Positionen rund um den Wagen besetzt. Es war keine Polizei. Es war der Secret Service. Die hatten es auf Terroristen abgesehen. Ich wusste nicht, was sie von uns wollten, aber ich war nervös. Mr. Jackson und Friend saßen bei vorgezogenen Vorhängen hinten im Fond. Javon saß hinter dem Steuer und meinte zu mir: »Bill, darum musst du dich kümmern. Mann, das mach mal besser du.«
Ich ließ das Fenster herab. Einer der Agenten kam auf meine Seite des Wagens. Ich sagte: »Abend, Officer.«
Er sagte: »Guten Abend. Wir haben Sie wegen des Nummernschilds aus Nevada angehalten. Wir fanden es verdächtig, dass ein schwarzes SUV mit getönten Scheiben und Nummernschild aus Nevada mitten in der Nacht ums Weiße Haus herumfährt.«
»Wir sind nur zum Sightseeing hier.«
»Mhm. Ich habe Ihre Nummer überprüft, als ich sie angehalten habe. Sie wissen, auf wen das Fahrzeug angemeldet ist?«
»Das weiß ich, ja.«
»Laut Computer ist der Halter des Fahrzeugs … Michael Jackson?«
»Ja, Sir.«
»Neverland Ranch.«
»Ja, Sir.«
»Okay, was machen Sie hier?«
Javon mischte sich ein: »Wir sind für einen Prominenten im Einsatz.« Aber mir war bereits klar, dass den Leuten das nicht genügen würde. Der Agent sah sich Javon an, dann mich und sagte schließlich: »Kann ich bitte Ihre Wagen- und Versicherungspapiere sehen?«
»Ja, Sir.«
Ich holte beides aus dem Handschuhfach und reichte sie ihm. Er wollte wissen, wer hinter dem Vorhang sitzen würde. Ich sagte: »Mein Klient, Sir.«
»Wer ist Ihr Klient?«
Ich zögerte. »Kann ich mal aussteigen, Sir.«
»Klar.«
Ich stieg aus dem Wagen und erklärte ihm die ganze Geschichte von A bis Z – wer hinten drin sitzen würde und dass wir im Urlaub seien. Er sagte: »Wollen Sie mir sagen, dass Sie Michael Jackson im Wagen haben?«
»Ja, Sir.«
Er ging rüber zu seinem Kollegen und beriet sich kurz mit ihm. Ich stand da, am Straßenrand, und spulte all die Möglichkeiten ab, wie diese Geschichte aus dem Ruder laufen konnte – mit der Frau auf dem Rücksitz, von der niemand auf der Welt wissen sollte. Ich hatte kein gutes Gefühl. Dann kam der Agent wieder herüber, gab mir die Papiere zurück und sagte, ich könne wieder einsteigen. Der andere Typ musste irgendetwas zu ihm gesagt haben. Es sah ganz so aus, als würden sie uns weiterfahren lassen. Ich wollte wieder in den Wagen steigen, als er mich mit einem Handzeichen stoppte. »Da wäre noch was«, sagte er.
»Ja, Sir?«
»Meinen Sie, wir könnten ein Autogramm haben?«
»Ich werd mal sehen.« Ich zog den Vorhang ein wenig beiseite. »Mr. Jackson, die Herren lassen anfragen, ob sie wohl ein Autogramm haben könnten.«
»Klar doch«, sagte er. »Ich brauch nur einen Stift«
Der Agent gab mir einen Kugelschreiber und riss ein Blatt von seinem Block. Mr. Jackson zog den Vorhang beiseite, nahm Zettel und Stift. Der Typ war völlig weg beim Anblick des Stars. Mr. Jackson setzte seine Unterschrift auf den Zettel und gab ihn dem Typen. Darauf kam der andere Agent gelaufen und meinte: »Stop, stop. Kann ich auch eines haben?« Das hintere Fenster ging runter. Mr. Jackson begrüßte den anderen und gab auch ihm ein Autogramm. Sie bedankten sich und wünschten uns eine gute Nacht, und als sie zu ihrem Wagen zurückgingen, wandte der zweite Agent sich an den ersten und sagte: »Ich werd nicht mehr, Mann. Wir sind grade Michael Jackson begegnet. Das war besser, als den Präsidenten zu sehen.«