Gegen Ende August arbeitete Michael Jacksons Management hinter den Kulissen fieberhaft an der Konsolidierung seiner finanziellen Situation; Jackson selbst bereitete in Virginia die Abreise nach New York vor. Raymone Bain hatte Fototermine für zwei Magazine – die italienische Vogue und Ebony – arrangiert, letzterer im Rahmen einer Cover-Story zur Feier des fünfundzwanzigsten Jubiläums von Thriller.
Hinsichtlich seiner Unterbringung hatte Jackson sich für seine engen Freunde Dominic und Connie Cascio entschieden. Dominic hatte Michael Jackson Anfang der 1980er-Jahre kennengelernt, als der Sänger regelmäßig in Manhattans Helmsley Palace Hotel abstieg, dessen General Manager Cascio war. Die beiden freundeten sich an, und der Sänger war bald ein häufiger Gast im Haus der Cascios in New Jersey, immer wenn er in der Stadt war. Außerdem lud er die Cascios mit ihren Kindern an Weihnachten und anderen Feiertagen nach Neverland ein. Frank Cascio, ihr ältester Sohn, war Ende der 1990er eine Zeitlang Jacksons persönlicher Assistent. Ihren Zweitältesten – Eddie »Angel« Cascio – ermutigte Jackson zu einer musikalischen Laufbahn; er war Produzent geworden und hatte den Fitnessraum im Keller des Elternhauses zu einem Studio umgebaut.
Als Jackson im Herbst 2007 in New York eintraf, ließ die Familie in diesem Studio ein Tanzparkett verlegen; eine durch einen Vorhang abgetrennte Ecke diente dem Sänger als Schlafzimmer; Prince, Paris und Blanket quartierte man oben in den Gästezimmern ein. Der Aufenthalt bei den Cascios gewährte Jackson etwas, das er sonst nirgendwo bekam: einen Einblick in ein normales Leben.
Bill: Ende August rief Raymone an und sagte mir, sie habe Mr. Jackson und den Kindern für die Fahrt nach New York einen Luxus-Van mit Fahrer gemietet; Javon und ich sollten mit den SUVs hinterherfahren; in New York sollten wir in ein Hotel eine gute Meile vom Haus der Cascios entfernt ziehen. Grace kam nicht mit; sie stieß später in New Jersey zu uns. Auch die Lehrerin trafen wir dort. Die Sommerferien waren vorbei; es war wieder Zeit für die Schule.
Vor unserer Abfahrt mussten wir in Virginia packen. Die ganze Filmausrüstung, die er gekauft hatte. Mindestens für vier-, fünftausend Dollar Bücher. Das riesige Simpsons-Display aus dem Kino. Wir packten alles ein und brachten es in einem Mietlager unter. Michael Jackson hatte derlei Mietlager rund um die Welt. Er hatte Kram in London, Kram in Kalifornien; er hatte vier Hangars auf einem Flugplatz in New Jersey voller Kulissen aus seinen Videos und Liveshows. Dann waren da noch die Lagereinheiten in Vegas, jetzt die in Virginia. Er kaufte einfach zu viel. Ich garantiere Ihnen, es gibt heute noch überall auf der Welt versteckt Leute mit Lagern voller Michael-Jackson-Kram.
Als wir nach Jersey kamen, hatte uns noch keiner gesagt, wie lange wir dort sein würden, ob es danach wieder nach Vegas zurückginge, nichts. Aber zu dem Zeitpunkt war uns das längst zur Routine geworden. Heute geht’s dahin, morgen weiß Gott wohin.
Javon: Die Cascios lebten in Franklin Lakes, einer kleinen Stadt in New Jersey, gleich an der Route 4, in einem typischen Vorstadthaus. Sie waren wirklich nette, herzliche Leute. Angel hatten wir schon in Vegas kennengelernt, diesmal lernten wir die ganze Familie kennen. Wir lieferten Mr. Jackson und die Kinder ab und packten das bisschen Gepäck aus, das sie mitgebracht hatten. Mrs. Cascio bot uns was zu essen an. Wir lehnten dankend ab. Mr. Jackson sagte, er käme bei den Cascios auch alleine zurecht, also fuhren wir zu unserem Hotel.
Bill: In einer unserer letzten Nächte in Virginia sah ich so gegen halb drei, mitten in der Nacht also, zwei Fahrzeuge auf das Haus zukommen, in dem Grace untergebracht war. Ich fand das merkwürdig, also sprang ich in einen der Trucks und fuhr hinüber. Als ich drüben ankam, sah ich Leute ins Haus gehen. Ich rief Grace an und fragte: »Grace, was ist ’n da los?«
Sie meinte: »Nichts.«
»Alles in Ordnung?«
»Alles in bester Ordnung. Warum?«
»Ich sehe hier zwei Fahrzeuge.«
»Oh, ich habe ein paar Freunde auf der Durchreise hier.«
Sie schien meinen Anruf als Vorwurf zu nehmen, also ließ ich es gut sein. Am nächsten Morgen, Javon und ich saßen beim Frühstück, sahen wir in der Ecke einen hochgewachsenen Weißen, der alleine aß. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Irgendwie passte er da nicht rein. Er sah nicht aus wie einer, der Urlaub unter Pferden macht. Ich merkte ihn mir.
Ein paar Wochen später, wir waren schon in New Jersey, kam Mr. Jackson zu mir und meinte, ihm sei klar, dass wir in letzter Zeit ziemlichen Stress gehabt hätten, also habe Raymone vorgeschlagen, noch einen dritten Mann ins Team zu holen, einen Typen namens Mike LaPerruque. Er hatte schon in Neverland Security für ihn gemacht. Mr. Jackson versicherte uns, es werde nicht noch mal so was passieren wie in Virginia. Er sagte: »Mike kommt nicht, um zu übernehmen. Er kommt, um euch auszuhelfen. Er hat schon für mich gearbeitet und weiß, wie ich’s haben möchte.«
Meiner Ansicht nach war das nicht notwendig, aber wenn Mr. Jackson es so wollte, okay. Ich sagte: »Kein Problem, Sir.«
Als dieser Mike LaPerruque eintraf, rief er mich an und meinte, er würde sich gern mit mir treffen. Also traf ich mich mit ihm zum Frühstück, und als er reinkam, war das doch glatt der hochgewachsene weiße Typ, der mir im Goldstone Inn so fehl am Platz vorgekommen war. Ich sagte ihm nicht, dass ich ihn in Virginia gesehen hätte, und er sagte nichts davon, dass er dort gewesen war, aber ich wusste, dass er es war.
So, wie ich mir die Geschichte nach meinem Gespräch mit Mr. Jackson zusammenreimte, hatte Raymone seit dem Tag über uns hergezogen, an dem wir ihre Security-Leute ausbooteten. Ich und Javon hatten davon keine Ahnung gehabt. Mr. Jackson sagte, sie habe ihm ständig in den Ohren gelegen, dass er uns nicht über den Weg trauen könne, und schließlich habe sie in der Nacht Mike LaPerruque nach Virginia kommen lassen, um sich mit Mr. Jackson zu treffen. Sie hatte ihm einzureden versucht, dass er uns rauswerfen solle, um die Security von diesem Typen besorgen zu lassen – als Chef ihres eigenen Teams. Mr. Jackson hatte das abgelehnt. Er hielt es jedoch für eine gute Idee, Mike zu unserer Entlastung mit an Bord zu nehmen.
Von dem Augenblick an, in dem unsere Zusammenarbeit begann, war mir klar, dass man dem Typen eine Menge über mich und Javon eingeredet hatte. So wie er daherredete, war er gekommen, um uns auf Vordermann zu bringen. Aber wenn er sich das tatsächlich einbildete, dann musste ihm jemand eingeredet haben, wir würden unsere Arbeit nicht tun. Und wer anders sollte das gewesen sein als Raymone? Nur, wenn er zum Spionieren gekommen war, dann war er dabei nicht sonderlich raffiniert. Er sagte zum Beispiel: »Passt auf, ohne Manager geht es nun mal nicht. Die müssen wissen, wann ihr Klient das und das macht, um ihn aus den Medien rauszuhalten.«
Von mir aus. Ich war bereit, den Typen zu ertragen, wenn Mr. Jackson darauf bestand. Die Sache war nur die, dass wir die ganze Zeit über unser Geld noch nicht bekommen hatten. Wie Raymone hätte erklären wollen, einen dritten Mann einzustellen, wenn kein Geld für die ersten beiden da war, wie sie ihn nach Virginia hatte fliegen können, wo Mr. Jackson doch nicht flüssig war? Da kann ich wie Sie nur raten. Javon und ich lebten nach wie vor von unseren Tagesspesen.
Javon: Schließlich blieben auch die Tagesspesen aus. Drei Tage nachdem wir in das Hotel in New Jersey gezogen waren, kamen sie einfach nicht mehr. Wir riefen Raymone an und fragten sie: »Was ist los? Wovon sollen wir leben?«
Sie sagte: »Machen Sie sich da keine Sorgen. Wenn Sie was brauchen, setzen Sie es auf die Hotelrechnung.«
Nur, dass man uns nicht in einer Nobelherberge mit Zimmerservice einquartiert hatte. Es war eher so eine Art Marriott Courtyard. Zu essen gab es gerade mal Suppe und Sandwiches. Sonst nichts. Wir lebten also von Suppe und Sandwiches, und zum Frühstück gab’s Cornflakes mit kalter Milch.
Ohne die Tagesspesen fehlte uns das nötige Kleingeld, um unsere Arbeit zu tun. Zuvor hatten wir die Trucks einmal die Woche professionell waschen und reinigen lassen; dafür war jetzt kein Geld mehr da. Wir gingen von da an in die kleinen Anlagen für Selbstwascher, wo man einen Stapel Münzen einwirft, um den Wagen selber abzuspritzen und zu trocknen. Es gab Wochen, in denen es noch nicht einmal dafür reichte. Mr. Jackson und die Kinder stiegen in den Wagen und fanden Dreck und Krümel auf den Sitzen. Noch nicht mal fürs Reinigen und Bügeln der Anzüge reichte es mehr.
Bill: Die Stimmung wurde gereizt. Wir waren müde, frustriert, hungrig. Ich versuchte mich bei der ganzen Geschichte als Buddha, versuchte die Moral hochzuhalten, versuchte Ruhe zu bewahren. Da ich den Job schon länger machte, gehörte das für mich einfach dazu. Für Javon dagegen war das eher neu. Er tat sich da schwerer.
Javon: Wir taten unser Möglichstes, Mr. Jackson unsere Frustration nicht spüren zu lassen, aber hin und wieder bekam er denn doch etwas mit. Hin und wieder brauchte er was in letzter Minute. So rief er uns morgens um halb sieben an und meinte: »Ihr müsst schnell für mich einkaufen gehen.« Taumelig vor Müdigkeit durften wir dann aus dem Bett springen, in den Anzug steigen und entsprechend sauer zum Supermarkt fahren. Und das merkte er. Dann sagte er: »Hey, Javon, kein Lächeln heute? Was ist denn los?«
Er war die ganze Zeit über so entwaffnend sanftmütig und liebenswürdig, dass man ihm einfach nicht böse sein konnte.
Bill: Ich bekam keine Spesen mehr und war mit meinen Kreditkarten ständig am Limit, aber so, wie er weiterhin einkaufte, hätte man meinen können, es gäbe kein Problem. Ständig wollte er in die Antiquitätenläden an der Park oder Lexington Avenue in Manhattan, wo es die großen antiken Globen gab. Er suchte sich alles Mögliche aus und arrangierte die Lieferung.
Bei Short Hills in New Jersey gibt es eine Mall direkt an der Route 4. Da waren wir auch einige Male. Gleich neben einem der Eingänge, den wir nahmen, stand ein Riesenrad, ein Mordsding, nur eben für überdachte Vergnügungsparks. Er sah es sich genau an, als wir vorbeigingen, und dann auf dem Rückweg zum Wagen sagte er: »Bill, finden Sie für mich raus, wer diese Riesenräder baut. Ich will wissen, was so was kostet. So eines möchte ich.«
Sie können sich unmöglich vorstellen, was mir durch den Kopf ging. Wo zum Teufel wollte der Mann ein Riesenrad hinstellen? Der Typ hatte noch nicht mal ein Haus, er pennte bei Freunden im Keller. Trotzdem fuhr ich noch am selben Abend zurück zur Mall und fotografierte die Plakette des Herstellers und hörte mich um – das Teil kostete um die dreihunderttausend Dollar. Ich gab ihm die Informationen weiter. Gott sei Dank sprach er die Geschichte danach nicht mehr an.
Wirklich problematisch wurde das alles, weil wir wussten, dass er das Geld gehabt hätte, um uns zu bezahlen. Er hatte zu jedem Zeitpunkt genügend Cash am Mann, um seine Schulden bei uns zu bezahlen. Wir haben ihn nie drum gebeten, und er hat es nie angeboten. Wir kannten seine Einstellung zu diesem Geld. Es hatte mit uns nichts zu tun. Es war für ihn und die Kinder. Für ihn gehörte dieses Geld einfach nicht zum Geschäft. Es war frustrierend. Er drückte einem Tausende in die Hand, wenn er etwas wollte. Irgendwas völlig Albernes, das er hinten und vorne nicht brauchte. Er rief mich an und sagte: »Bill, ich hab dir etwas Geld an die Hintertür gelegt. Ich brauche einen Flachbildfernseher und ein paar neue Sachen für mein iPhone.« Wir besorgten ihm, was immer er wollte. Und dann, wenn wir ihm die Sachen brachten, versuchten wir manchmal das Wechselgeld zu behalten. Wissen Sie, um wenigstens was essen zu können. Er verlangte es zurück. Jedes Mal.
Javon: Der Zorn, die Animositäten, die Frustration – ich und Bill begannen sie schließlich aneinander abzureagieren. Wir machten unsere Einsätze, ohne auch nur ein Wort füreinander, das nicht unbedingt sein musste. Ich weiß noch, eines Abends hätten wir uns um ein Haar gefetzt. Ich hatte meine Hemden und Anzüge mit der Hand gewaschen und sie in die Dusche gehängt, um sie mit dem Föhn zu trocknen. Wir waren in diesem Billighotel gestrandet, lebten von Suppe und Crackers. Ich ging zu Bill und sagte ihm, ich hätte keine Lust mehr. Er wollte noch nicht mal drüber reden. Ich klopfte eine Stunde lang an seine Tür und schrie auf ihn ein, bevor er mich überhaupt reinließ. Als er schließlich aufmachte, sah ich auf den ersten Blick, dass er zuschlagen würde. Ich sagte ihm: »Ich muss meinen Anzug in die Reinigung geben, dafür brauche ich Geld. Du musst Raymone anrufen und ihr Bescheid sagen.«
Bill explodierte. »Spinnst du? Mein Anzug muss genauso in die Reinigung. Wieso geht’s hier um dich?«
»Was zum Teufel soll ich denn deiner Meinung nach tun? Du bist derjenige mit dem Draht zu Ms. Raymone!«
Das ging gut zwanzig Minuten lang so hin und her.
»Meine Kreditkarten sind alle überzogen.«
»Meinst du, meine nicht?«
Wir schmissen uns alles Mögliche an den Kopf, aber letztlich machten wir beide das Gleiche durch. Ich hatte mein Neugeborenes zu Hause. Bill war alleinerziehender Vater und nicht bei seiner Tochter. Wir mussten wirklich einen Punkt machen. Ich meine, Augenblick mal, wieso stritten wir eigentlich miteinander? Wir hatten es satt. Wir hätten beiden einen kräftigen Schluck vertragen können – aber wir konnten uns keinen leisten.
Es gab Tage, da waren wir so frustriert, dass wir praktisch darum beteten, uns an jemandem abreagieren zu können. Es gab Tage, da wünschten wir uns, jemand würde dem Boss an die Wäsche wollen. Wir wünschten uns, jemand würde auf uns losgehen – er würde sein Fett abkriegen. Ich hatte einen Elektroschocker mit Schlagring, der 950 000 Volt abgab. Zu Bill meinte ich immer wieder, ich könne es kaum erwarten, das Ding zu benutzen. Ich sagte mir: »Bitte, lass jemanden Mr. Jackson schrägkommen oder einfach nur falsch auf ihn zugehen. Bitte, lass jemanden daneben sein.«
Bill: Wir wollten jemanden vor Michael Jacksons Augen aufmischen. Nur um ihm unseren Frust vorzuführen. Wir wollten, dass er dabei war und das sah. So fertig waren wir.
Wir hätten auch ihn ein paar Mal zutreten lassen, schließlich wussten wir, dass er selbst so einigen Frust abzureagieren hatte. »Hey, Mr. Jackson, kommen Sie, treten Sie den Scheißkerl. Treten Sie ruhig ordentlich zu.«
Javon: Man fragt uns immer wieder: »Wieso seid ihr denn geblieben? Warum habt ihr nicht einfach aufgehört?« Das mag sich jetzt komisch anhören, aber wir hielten es nicht nur für unsere berufliche Pflicht zu bleiben, sondern auch für das Zweckmäßigste. Wir wussten schließlich, wie viel er anderen Leuten schuldig war. Wenn wir die Brocken hinschmissen, konnten wir uns hinten anstellen. Wir würden nie auch nur einen Cent von unserem Geld sehen.
Bill: Wir kamen zu dem Schluss, Mr. Jackson lieber nicht aus den Augen zu lassen, egal, wie hart es werden sollte. Ich meine, solange der Mann neben uns stand, müsste er uns irgendwann bezahlen. Das war die praktische Seite daran. Aber auf der anderen, auf der persönlichen Seite kann ich Ihnen genau sagen, warum wir geblieben sind. Wir blieben wegen der Kinder, wir blieben für Paris, Prince und Blanket. Wir konnten die nicht einfach im Stich lassen. Wir wussten, was die durchmachten. Isoliert. Allein. Was sollten die machen, wenn ihm was passierte? Es war so, wie er mir in Virginia am Telefon gesagt hatte: Sosehr er sie liebte, es gab gewisse Dinge, die konnte er eben nicht für sie tun. Wir opferten Zeit mit unseren eigenen Kindern, um ihm das geben zu können. Und wir hatten Angst, dass neue Leute da weniger mitfühlend wären.
Javon: Wir haben sozusagen die erste Regel unserer Branche verletzt: Keine persönliche Beziehung zum Klienten. Aber wo wir nun mal sechzehn Stunden am Tag mit denen zusammen waren, ließ sich das nicht vermeiden. Immer wenn wir wieder mal drauf und dran waren, alles hinzuschmeißen, brachten wir den Kindern etwas vom Laden mit, und ihre Augen leuchteten richtiggehend auf. »Danke, Javon! Danke!« Und wir wurden einfach weich.
Wir fühlten, dass sie uns brauchten. Wir hatten das Gefühl, etwas Wichtiges zu machen, etwas, das mehr war als nur irgendein Job. Einmal, bei einem Einsatz, meinte Mr. Jackson: »Ich bin so stolz auf euch, und die Kinder mögen euch wirklich. Ihr leistet echt Großartiges. Ich möchte nicht, dass ihr denkt, ich wüsste das nicht zu schätzen.« Solche Augenblicke gaben uns ein gutes Gefühl. Es war immerhin Michael Jackson, der uns das sagte. Ist mir egal, was die Leute sagen, wenn Michael Jackson einem sagt, dass man gute Arbeit leiste, dann macht man die anders als einen normalen Job. Und als wir schließlich unser Geld bekamen? Da war er ganz aus dem Häuschen. Es lag ihm so sehr daran, dass wir gern bei ihm waren.
Wir waren zwei Wochen in New Jersey gewesen, als der Fototermin für die italienische Vogue angesagt war. Das Magazin brachte uns im Carlyle an Manhattans Upper East Side unter. Das Shooting fand in einem Studio am West Side Highway Höhe 53rd oder 54th Street statt, in einem riesigen Loft in einem alten Lagerhaus. Der Aufzug dort war groß genug für unsere SUVs, also fuhren die Trucks einfach rein und mit dem Aufzug nach oben. Wir parkten auf der Etage, auf der das Shooting stattfand. Es lagen meterweise Klamotten und teurer Schmuck für ihn bereit.
Mr. Jackson saß im Make-up-Stuhl und wurde geschminkt, als Raymone auftauchte. Sie kam mit einem Stapel Post und Päckchen für ihn. In dem Stapel waren auch zwei Umschläge für mich und Bill. Als sie ihm die gab, ließ er das Shooting stoppen; er ließ alles liegen und stehen. Er sprang aus dem Stuhl – Make-up halb fertig, Kittel um, Wickler im Haar – und kam durch das Studio auf uns zugelaufen. Er winkte mit den Umschlägen. »Bill! Javon! Ich hab eine Überraschung für euch.«
Er strahlte übers ganze Gesicht, als er uns die Umschläge reichte. »Seht ihr? Hier, nehmt! Ich hab’s euch doch gesagt. Ich hab’s versprochen. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Danke, dass ihr geblieben seid. Jeder andere wäre gegangen.« Wir bedankten uns, und er sagte: »Jetzt können wir wieder an die Arbeit gehen, ja? Ich brauche euch bei bester Moral. Kann ich jetzt wieder ein Lächeln sehen, ja?«
Es kam wirklich von Herzen. Er war stolz auf sich, dass er das hingekriegt hatte. Wir waren selbst ganz aufgeregt. Bis wir die Umschläge aufmachten.
Bill: Es war die Hälfte. Raymone hatte uns die Hälfte von dem bezahlt, was man uns schuldete. Sie kam herüber, nachdem Mr. Jackson gegangen war, und sagte: »Sind Sie jetzt zufrieden?« Als hätte sie uns einen Gefallen getan. Das brachte uns vielleicht auf. Ich sagte ihr, wir würden das später diskutieren.
Als das Shooting vorbei war, stiegen wir in den Wagen, und Mr. Jackson fragte: »Na, alle zufrieden? Seid ihr zufrieden?«
Ich rang mir ein Lächeln ab und sagte: »Ja, Sir. Alles in Ordnung.«
Nichts war in Ordnung. Ich war sauer. Ich war stinksauer, nicht den ganzen Lohn bekommen zu haben. Aber ich hatte die Begeisterung auf seinem Gesicht gesehen, die Freude darüber, dass er das für uns geschafft hatte. Er war glücklich, und wir sahen ihn so selten glücklich. Wie hätte ich ihm das nehmen sollen?
Später am selben Abend, wir waren wieder im Carlyle, sah ich Raymone und zwei ihrer Kollegen im Restaurant beisammensitzen. Sie winkte mich hinüber. »Javon, hier! Kommen Sie her! Wie geht’s? Was macht die Kunst?«
Raymone war im persönlichen Umgang mit mir immer herzlicher als mit Bill. Ich war ja nicht der, der am Telefon zwischen ihr und Mr. Jackson vermittelte. Ich war für sie nur ein Laufbursche. Also ging ich rüber, mit so einem kleinen falschen Lächeln, und sie sah, dass es falsch war. Sie sagte: »Wo geht’s denn hin?«
Ich sagte: »Nur was essen.«
»Oh, setzen Sie sich doch auf einen Drink zu uns.«
Ich wollte keine Schwierigkeiten machen und für noch mehr Spannung sorgen, als ohnehin schon herrschte, also setzte ich mich eine Weile zu ihnen. Als die Rechnung kam, konnte ich einen Blick drauf werfen; sie belief sich auf zweitausenddreihundert Dollar für uns fünf. Sie müssen wohl den guten Stoff getrunken haben. Ich saß da, starrte die Rechnung an und dachte mir: Verdammt, das ist fast so viel, wie sie mir schuldig ist.
Raymone fragte: »Javon, wo liegt das Problem?«
Ich hielt es nicht für angebracht, das im Beisein anderer anzusprechen, also sagte ich: »Ich bin nur schlecht aufgelegt. Ich geh mal zurück auf mein Zimmer.«
»Okay, gute Nacht dann.«
Bill: Ich denk mal, dass die uns einfach für blöde hielt. Als würden wir nicht durchschauen, was sie mit Mike LaPerruque bezweckte. Oder die Geschichte mit dem Apartment in Vegas, in das wir sie immer fahren mussten – sie hatte es unter Mr. Jacksons Namen gemietet und dachte wohl, wir wären nicht in der Lage, zwei und zwei zusammenzuzählen. Mr. Jackson traute ihr eindeutig nicht über den Weg. Warum sie trotzdem noch bei ihm war? Wir wussten es nicht.
Zum Glück mussten wir uns über Mike LaPerruque nicht lange Gedanken machen. Er verdarb es sich mit Mr. Jackson gleich nach seinem Einstand. Zwei, drei Tage nach dem Fototermin für die Vogue fuhren Mike und ich Mr. Jackson in Jersey von der Mall nach Hause. Wir hörten im Radio, dass man O. J. Simpson eben in Vegas verhaftet habe. Diesmal ging es um bewaffneten Raub – er hatte irgendwelchen Leuten in einem Hotel einige Erinnerungsstücke aus seiner eigenen Zeit als Sportler zu stehlen versucht. Mike LaPerruque meinte darauf: »Haben sie O. J. endlich! Haben sie ihn endlich drangekriegt!«
Mr. Jackson saß im Fond. Er sagte: »Was? Was ist mit O. J.?«
Mike sagte: »Sie haben ihn endlich drangekriegt.«
»Was meinen Sie mit ›endlich drangekriegt‹?«
»Man hat ihn in Vegas verhaftet.«
Mr. Jackson reagierte nicht eigentlich; er sagte nur einfach: »Oh.« Als wir ein paar Minuten später anhielten und Mike in einen Laden gelaufen war, um was für Mr. Jackson zu holen, meinte der: »Bill, das eben hat mir gar nicht gefallen.«
Ich sagte: »Was meinen Sie, Sir?«
»Ich mochte die Bemerkung über O. J. Simpson nicht. O. J. und ich waren befreundet. Niemand weiß das, aber er hat damals, nach seinem Freispruch, bei mir in Neverland gewohnt.«
Ich saß da und dachte: »Waaas?« Davon hatte ich wirklich nie was gehört.
Mir war nicht so ganz klar, ob er O. J. nun für unschuldig hielt oder nicht, aber ich denke mal, er hatte schon allein deshalb eine gewisse Sympathie für den Mann, weil man ihn nach dem Freispruch trotzdem nicht in Frieden ließ. Mr. Jackson sagte, er wisse ganz genau, was O. J. durchmache. Er meinte: »O. J. hätte einfach ins Ausland gehen sollen. Er hätte gehen und nie wieder zurückkommen sollen.«
Nachdem Mike die Bemerkung über O. J. rausgerutscht war, da konnte Mr. Jackson gar nicht mehr mit dem Mann. Es war ohnehin schon von Anfang an klar gewesen, dass Mike Raymone über jeden von Mr. Jacksons Schritten auf dem Laufenden hielt, was Mr. Jackson auch nicht schmeckte. Er sagte: »Das ist nicht mehr der Mann, der mal für mich gearbeitet hat.« Nicht, dass Mr. Jackson ihn gefeuert hätte. Er blieb durchaus dabei, nur sind wir immer öfter ohne ihn losgefahren.
Etwa eine Woche nach dem Shooting für die Vogue ging es zu dem für Ebony. Das war eine ganz große Sache. Man brachte uns im Four Seasons unter. Das Shooting selbst fand im Brooklyn Museum statt. Man machte den Laden für einen ganzen Tag zu. Ebony übernahm das Kommando. Wir brachten Mr. Jackson gegen acht Uhr morgens hin. Er hatte eine Garderobe, reihenweise Designerklamotten. Er war der Mittelpunkt brodelnder Aktivität. Die Leute vom Magazin waren da, eine Menge Volk aus der Chefetage.
Es war eine Sache, wenn ihm schreiende Fans auf den Leib zu rücken versuchten. Bei Fans versucht man als Puffer zu fungieren; man versucht den Klienten zu schützen. In dem Fall hatte ich niemanden wegzuschubsen, ich konnte also zuschauen, wie all die Leute auf ihn zukamen und mit ihm umgingen, wie ehrerbietig man ihm gegenüber war. Ich meine, das waren alles erfolgreiche, wichtige Leute in ihrer Branche, aber ihm ordneten sie sich unter. Er war die Achse, um die sich alles drehte. Wo immer er grade stand, die Energie konzentrierte sich ganz auf ihn.
Als es an die Aufnahmen ging, war er ganz aus dem Häuschen. Er nahm alle möglichen Posen ein, total verrückte Posen, packte sich im Schritt und tanzte, und die Fotografen schossen wie wild drauflos. Einmal, als er herumfuhr, platzte ihm die Hose hinten auf, und er wirbelte einfach herum, wobei sie gleich noch mal zerriss. Um ein Haar hätte er sie verloren. Und alle feuerten ihn dabei an. Es war ein Auftritt für ihn. Für einen wie mich, der als Kind mit den Jackson 5 und Ebony groß geworden war, war das der Wahnsinn. Bei einem Shooting für Ebony zusehen zu können. Michael Jackson. Thriller. Ich hatte eine Gänsehaut.
Ich sah an dem Tag eine Seite von ihm, die ich bis dahin nie wirklich gesehen hatte. Als er vor die Kameras trat, war das, als hätte jemand ein strahlendes Licht in ihm angeknipst. Sein ganzes Wesen änderte sich. Es war meine erste Begegnung mit dem King of Pop. Bis dahin hatte ich immer nur für Michael Jackson gearbeitet. Mir wurde klar, dass das zwei völlig verschiedene Leute waren. Der King of Pop hatte Modeschöpfer und Stylisten um sich. Michael Jackson wusch seine Wäsche selbst. Javon und ich, wir sahen ihn so gut wie immer nur im Pyjama, mit seinen Kindern, oder wir gingen ins Kino. Das war der Mann, den wir kannten. Mit diesem anderen Typen, diesem King of Pop, waren wir nicht vertraut.
Javon: Nach dem Shooting für Ebony erwarteten wir, dass er nach Hause wollte. Das Wichtigste war für ihn erledigt. Aber Mr. Jackson wollte noch Leute um sich haben. Morgens holten wir die Lehrerin ab und fuhren sie zum Unterricht zu den Cascios. Wir blieben in der Nähe des Hauses, nur für den Fall, dass Mr. Jackson uns brauchte. Wir fuhren um den Block, um zu sehen, ob Paparazzi unterwegs waren. Aber es war eine derart ruhige Gegend, wir hatten nie das geringste Problem. Die meiste Zeit über blieb er einfach im Haus und schickte uns los, wenn er was wollte. Manchmal hörten wir drei, vier Tage nichts von dem Mann.
Man konnte sehen, dass er und die Cascios sich schon lange kannten, so entspannt und zufrieden, wie er bei den Leuten war. Ich erinnere mich kaum, ihn in Gegenwart anderer so locker gesehen zu haben. So kannten wir ihn gar nicht. Dass er zufrieden war, wusste ich, weil ich eines Tages, ich war ihn eben abholen gekommen, beim Einsteigen sagte: »Mr. Jackson, sieht fast so aus, als hätten Sie so ’n bisschen zugelegt. Sie sehen richtig gut aus.«
Er sagte: »Allerdings, Javon. Ich esse gut. Angels Mom mästet mich richtig. Ich bekomme nur beste italienische Küche. Die Kinder kriegen gar nicht genug davon.«
Bill: Mr. Jackson nutzte die Zeit außerdem zur Arbeit an seiner Musik. Angel Cascio hatte ja sein Studio im Keller, und die beiden waren viele Stunden zusammen da unten. Außerdem gab es einige Meetings wegen Thriller 25. Peter Lopez hatte für Mr. Jackson ein Treffen mit dem R&B-Künstler Ne-Yo arrangiert. Außerdem kam es zu einem Treffen mit Kanye West; man diskutierte für das Jubiläumsalbum einen Remix von »Billie Jean«.
Javon: Als Kanye West sich mit Mr. Jackson traf, war der Mann total fasziniert. Sie trafen sich zu Hause bei Lyor Cohen, dem Präsidenten von Def Jam Recordings. Ich und Bill waren draußen im Truck, und wir sahen zwei Typen die Straße raufkommen, einen kleinen und einen großen, und als sie näher kamen, sahen wir, dass der Kleine Kanye war. Wir dachten uns: Wow, das ist Kanye West? Wir begleiteten Kanye ins Haus, und als Kanye Mr. Jackson sah, war er derjenige, der einen Star traf. Er kriegte sich kaum noch ein. »Mein Gott, Mr. Jackson, es ist mir eine solche Freude und Ehre, Sie kennenzulernen. Sie haben ja keine Ahnung. Ich bin Ihr größter Fan. Ich stehe derart auf Sie.«
Mr. Jackson sagte: »Gott segne Sie. Danke schön, Ich bin auch ein Fan von Ihnen.«
Kanye war wie ein Kind im Süßwarenladen. Nie habe ich jemanden so bescheiden und demütig gesehen wie ihn. Ihn so zu sehen war total surreal. Jeder weiß, wie arrogant Kanye sein kann, und hier hatten wir ihn vor uns, einfach nur völlig baff, auch nur in einem Zimmer mit Mr. Jackson zu sein. Und als man Ne-Yo Mr. Jackson vorstellte, war er genauso beeindruckt und fasziniert von ihm wie Kanye. Ne-Yo war so was von nervös, dass er zitterte. Solche Szenen erinnerten einen daran, dass Mr. Jackson eben doch was Besonderes für die Leute war.
Bill: Eines Tages rief Mr. Jackson an und bat mich, zum Haus zu kommen. Als ich dort war, sagte er: »Sie müssen mir einen Gefallen tun. Sie müssen einem Freund von mir ein Päckchen in die Stadt bringen.«
»Ja, Sir.«
»Also, Bill«, sagte er, »Sie müssen sich auf was gefasst machen, wenn Sie ihn sehen. Er hat eine furchtbare Tragödie hinter sich. Als er noch ein Baby war, hat sein Vater ihn angezündet. Er heißt David, vielleicht haben Sie von ihm gehört? Man hat sein Leben verfilmt.«
»Ja, Sir.«
»Bill, Sie werden ziemlich erschrecken, wenn Sie ihn sehen. Sie müssen sich wirklich auf was gefasst machen, damit er nicht sieht, wie geschockt Sie sind.«
»Ja, Sir.«
Er reichte mir ein Päckchen. Es war in Zeitungspapier gewickelt und mit mehreren Schichten Kreppband verklebt und mindestens einen Zoll stark. Dem Gewicht nach wusste ich sofort, dass es sich um Geld handelte, und zwar eine ganze Menge. Zusammen mit dem Päckchen gab er mir Davids Nummer; er würde meinen Anruf erwarten, sobald ich in der Stadt war.
Als ich über die George Washington Bridge nach Manhattan fuhr, konnte ich nicht umhin, mir zu überlegen, wie dieser David wohl aussehen mochte. Ob er wohl irgendwie behindert war? Im Rollstuhl? Ich wusste es nicht. Als ich in den Henry Hudson Parkway einbog, rief ich ihn an, und wir verabredeten uns gegenüber vom Madison Square Garden. Ich parkte vor dem Garden, stieg aus und rief ihn an, um ihm Bescheid zu geben, dass ich da sei. Er sei noch einen Block weit weg, sagte er. Ein paar Minuten später sah ich einen Typen auf mich zukommen, einen schlanken Weißen mit einer grünen Mütze, die er sich übers Gesicht gezogen hatte. Als er näher kam, hob er den Kopf und sagte: »Bill?«
Ich versuchte ihn nicht anzustarren. Sein Gesicht war völlig vernarbt, Ohren, Nase, Hände total entstellt. Ich konnte mir bestenfalls vorstellen, wie es für ihn war, sich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Ich sagte: »Hey, Dave. Wie geht’s?«
»Gut, danke der Nachfrage. Wie geht’s Michael.«
»Dem geht’s großartig.«
Ich gab ihm das Päckchen. Er sagte: »Danke. Und sagen Sie Michael, dass ich ihn liebe.«
»Sie können sich drauf verlassen.« Ich umarmte ihn kurz und sagte: »Machen Sie’s gut.«
Er zog sich die Mütze wieder runter und ging Richtung U-Bahn. Ich stieg in den Truck und fuhr zurück nach New Jersey.
Darüber hinaus war nicht viel los bei uns. Wir hingen noch fast zwei Monate bei den Cascios herum, machten Besorgungen, gingen in die Mall. Teils, glaube ich, lag das einfach daran, dass Mr. Jackson sich dort eben wohlfühlte. Er ging nur ungern weg. Die Stabilität, die ihm diese Familie gab, war etwas, das für ihn nicht alltäglich war. Aber es wurde langsam, aber sicher auch offensichtlich, dass er da nicht wegkonnte – er konnte es sich einfach nicht leisten. Ende Oktober fehlte nicht nur unser Gehalt. Es war schlicht kein Geld mehr da.
Javon stand eines Morgens auf und ging runter in den Fitnessraum auf ein Workout. Als er wieder raufkam, konnte er nicht mehr in sein Zimmer. Er ging an die Rezeption, um zu sehen, was los war, und erfuhr, dass man ein Problem mit der Kreditkarte hatte, auf die seine Rechnung ging. Der Computer hatte ihn automatisch ausgecheckt; als die Zahlung nicht klappte, hatte er ihn ausgesperrt. Er rief bei mir an, und ich ging runter und sprach mit dem Manager. Ich erfuhr, dass ein gewisser Betrag ausstand. Man würde uns nicht zurück in unsere Zimmer lassen, bevor der beglichen war.
Für unsere Hotelrechnung war Raymone verantwortlich; sie ging direkt an sie. Der Manager des Hotels ließ mich wissen, dass er mit ihr darüber gesprochen habe. Ich rief sie an, und natürlich nahm sie meine Anrufe nicht entgegen. Dabei wusste sie genau, wie dringend es war, schließlich hatte sie mit den Leuten vom Hotel darüber gesprochen. Ich sprach schließlich mit jemandem in ihrem Büro, bekam aber nur die übliche Ausrede: »Mr. Jacksons Geld ist gerade fest angelegt.«
Wir hingen ein paar Stunden in der Lobby rum, und schließlich sagte man uns, wir könnten wieder auf unsere Zimmer. Ich erkundigte mich beim Hotel, auf welche Kreditkarte das gehen sollte, und erfuhr, dass sie einer Frau gehörte, die für Raymone arbeitete. Irgendeine kleine Angestellte in Raymones Büro hatte ihre private Kreditkarte herausrücken müssen, um Michael Jacksons Rechnungen zu bezahlen.
Javon: Zuerst dachte ich, dass Ms. Raymone einfach die Zahlungen hinauszögerte, und die ganze Geschichte würde einfach wieder vergehen. Langsam, aber sicher dämmerte mir dann aber die Realität. Es war ziemlich beunruhigend. Was war denn da los? Setzte man uns nur für ein paar Stunden vor die Tür, oder sollte ich schon mal meine Sachen packen und nach Hause fahren? Ich arbeitete für Michael Jackson – wieso warf man mich aus dem Hotel?
Wir hatten eine Firmenkarte, die wir zum Auftanken der Trucks benutzten. Die sperrte man ebenfalls um diese Zeit. Bill begann mit seinem eigenen Geld zu tanken. Als wären wir nicht schon tief genug in den Miesen gewesen, pumpte er alle zwei Tage fünfzig Dollar in jeden der Trucks, damit wir wenigstens unsere Arbeit machen konnten. Ich sagte ihm, dass er spinne. Ich meinte zu ihm: »Bill, das geht uns nichts an. Wir sollten ein Exempel statuieren. Beim nächsten wichtigen Einsatz sagen wir Mr. Jackson einfach: ›Wir können Sie nicht abholen, wir haben kein Benzin mehr.‹ Dann müssen sie doch was tun.«
Bill sagte, dass komme nicht infrage, es würde ein schlechtes Licht auf uns werfen. Bill war der Soldat mit dem Auftrag; so ist er nun mal. Nur weil andere ihre Arbeit nicht machen, heißt das noch lange nicht, dass man selber die Brocken hinschmeißt. Immer wieder sagte er: »Nee, ich mach jetzt den Tank voll.« Ich weiß nicht, wo er das Geld hernahm, wen er da anpumpte. Alles, was er mir sagte, war: »Ich hab das erledigt.«
Bill: Es war so weit gekommen, dass wir gerade mal über die Runden kamen. In der letzten Oktoberwoche fuhren Mike LaPerruque und ich Mr. Jackson zu einem Essen mit Peter Lopez zu Mr. K’s, einem Chinesen an der Lexington Avenue. Ich saß nicht mit den beiden am Tisch, muss aber davon ausgehen, dass es mit ihrem Telefonat in Virginia zu tun hatte. »Kannst du mir helfen, mein Geld zu finden?«
Javon: Am Abend nach dem Fototermin für Ebony fuhren wir Mr. Jackson durch die Midtown auf dem Weg zurück zum Hotel. Wir waren in der Nähe vom Apple Store in der Nähe der 57th Street, als wir eine Riesenreklame für Tyler Perrys Why Did I Get Married? (Auch Liebe macht mal Ferien) sahen, den Film, in dem Janet Jackson die Hauptrolle spielt. Ihr Bild beanspruchte praktisch eine ganze Hauswand. Wir standen vor einer Ampel, und Mr. Jackson blickte an der Reklame hoch und fragte: »Ist das meine Schwester? Was ist das denn? Ist sie in einem Theaterstück?«
Ich sagte: »Nein, Sir. Das ist ihr Film, Sir. Sie spielt in einem Film.«
»Wann kommt der denn raus?«
Der Film war seit einigen Monaten in den Kinos. Selbst die Reklametafel für den Film war abgerissen und an den Rändern verblasst – so lange war der Film bereits in den Kinos. Aber das wollte ich ihm nicht sagen. Ich sagte: »Ist eben rausgekommen, Sir.«
Worauf er leise, fast flüsternd sagte: »Oh, warum hat mir das wohl niemand gesagt?«
Ich und Bill sahen einander an. Wir waren entsetzt. Ich meine, wie konnte der Mann nichts davon wissen, dass seine eigene Schwester in einem Riesenhit mitgespielt hat? Wir wussten ja, dass er abgeschottet war. Wir wussten, dass er nicht viele Freunde besaß. Aber wie war es möglich, dass ihm in all den Monaten niemand gesagt hatte: »Hey, Janet war wirklich gut in dem Film!« Er hatte mit seinen eigenen Leuten nichts mehr zu tun – wie hatte es nur dazu kommen können?
Als wir losfuhren, sagte er: »Ob der Film wohl gut ist?«
Ich sagte: »Ja, Sir. Ich habe ihn gesehen. Ein großartiger Film.«
Und das war alles, was er dazu sagte; er hat den Film nie wieder erwähnt.
Bill: Ich sah damals ja, wie verfahren seine Situation war, und dachte: Na ja, so ist das eben. Wenn ich jetzt so zurückschaue, bin ich der Überzeugung, wäre das Verhältnis zu seiner Familie besser gewesen, hätte er die gleiche Beziehung zu seiner Familie gehabt wie zu den Cascios, sein Leben hätte ganz anders ausgesehen. Da liegt für mich das Problem.
Ich unterhielt mich mehrmals mit Grace über früher, als sein Leben noch nicht so chaotisch gewesen war. Ich weiß noch, wie sie mal sagte, dass es ihm in der Zeit seiner Ehe mit Lisa Marie wirklich gutgegangen sei. Grace war der Ansicht, dass Lisa Marie ihn wirklich geliebt und dass er diese Liebe erwidert habe. Damals sei noch alles in Ordnung gewesen, weil sie einander vertraut hätten. Lisa Marie habe dafür gesorgt, dass er nicht auf die falschen Leute hörte und dass man ihn nicht ausnutzte. Oder sie hätte es wenigstens versucht. Und wenn man in Michael Jacksons Situation sei, dann müsse man einfach jemanden in seiner Ecke haben, jemanden, der keinen Gehaltscheck von einem bekomme, jemanden, der keine Hintergedanken habe.
Als wir bei ihm angefangen hatten und Mr. Jackson seine Familie nicht ohne Termin reinlassen wollte, kam mir das ziemlich daneben vor. Aber nach all den fiesen Geschichten, die wir schließlich über sie zu hören bekamen, hatte ich dann irgendwie auch wieder Verständnis dafür. Wir bekamen zu hören, dass seine Familie aus niederträchtigen Schmarotzern bestehe, die ihn zu kontrollieren versuchten. Wir hörten, sie würden ihn zu entführen versuchen. Wann immer irgendwelche fiesen Geschichten in den Boulevardblättern erschienen, hatte die jemand aus seiner Familie weitergegeben; so jedenfalls bekamen wir das mit.
Aber um ehrlich zu sein, selbst nachdem ich eine Weile bei ihm war, hatte ich bei so gut wie keinem von ihnen das Gefühl, dass er niederträchtig sein könnte. Randy? Ja. Aber er war auch der Einzige. Er und Michael hatten sich wegen irgendeinem Business-Deal zerstritten. Und Jermaine. Der war zwar recht freundlich, aber immer, wenn er anrief oder vorbeikam, schien er irgendetwas zu wollen. Immer gab es irgendeinen Deal, an dem er arbeitete oder bei dem er einsteigen wollte. Jermaine hatte die Gruppe als Erster verlassen; er sollte eine erfolgreiche Solokarriere starten, aber daraus war nichts geworden. Mag sein, dass da ein gewisser Neid mit im Spiel war. Jermaine war auch derjenige, der während des Verfahrens gegen Mr. Jackson ein Buch zu verkaufen versuchte, und ich glaube mal, dass der ihm das nicht verzieh. Jermaine stand Michael nicht so nahe, wie einige zu denken scheinen, jedenfalls nicht von meiner Warte aus.
Aber alle anderen? Jackie und Rebbie und Tito und die anderen? Ich hatte nie ein komisches Gefühl bei denen. Sie waren immer herzlich, sie hatten Respekt. Alles, was ich bei denen spürte, war Sorge um Mr. Jackson. Sie machten sich Sorgen um ihren Bruder. Sogar Joe Jackson. So fies er zu mir war die paar Mal, die ich ihn sah, so furchtbar die Geschichten in der Presse über ihn sein mögen – die Leute wollen ihn als den Bösewicht sehen, aber es war komplizierter. Das war auch etwas, das ich von Grace hatte und das mir in Erinnerung geblieben ist. Sie sagte, sein Vater habe Michael Jackson als Einziger nie bestohlen.
Was mich angeht, ich bin der Jüngste von sechs. Meine Beziehung zu meinem Vater war nicht die beste. Er war beim Militär gewesen und hatte strenge Regeln; der Mann war ein Zuchtmeister. Ich bekam das als Kind zu spüren. Aber das galt für eine Menge schwarzer Familien zu der Zeit. Die Welt war nicht die sicherste für junge Schwarze, und die Chancen, etwas aus sich zu machen, standen nicht allzu gut. Gangs. Kriminalität. Ärger in der Schule. Wenn man also nicht spurte, bekam man den Gürtel zu spüren. So war das nun mal. Mr. Jackson machte sogar mal eine entsprechende Bemerkung, als wir uns über unsere Familien unterhielten. Er sagte, er wisse nicht, wieso die Medien ein derartiges Theater hinsichtlich der Methoden machten, mit denen sein Vater für Disziplin gesorgt habe. Das war damals nichts Ungewöhnliches. Und eine Familie von da rauszuholen, woher sie gekommen waren? Sie aus Gary, Indiana, rauszuholen und sie zum Erfolg zu führen? Ich denke mal, wer nicht in Joe Jacksons Schuhen steckte, sollte sich kein Urteil über ihn anmaßen. Wäre er nicht gewesen, wer er war, die Welt hätte womöglich nie von Michael Jackson gehört.
Ich sah ein, dass er sich mit einigen von seinen Geschwistern nicht verstand. Aber gleich mit allen? Mit der ganzen Familie? Daraus wurde ich einfach nicht schlau. Bei acht Geschwistern, zu schweigen von all den Nichten, Neffen, Cousins – die konnten doch wohl nicht alle schlecht sein. Das scheint mir einfach nicht möglich. Trotzdem hatten wir strikte Anweisung, außer seiner Mutter niemanden aus der Familie zu ihm durchzulassen. Sie war die Einzige, die seine Nummer hatte, aber seine Geschwister konnten sie immer wieder überreden, sie ihnen zu verraten. Nachdem ich ihm das iPhone besorgt hatte, muss ich seine Nummer allein in den ersten sechs Monaten wohl vier Mal gewechselt haben. Und jedes Mal lief er vor einem Angehörigen davon.
Selbst seine Mutter, die jederzeit anrufen oder vorbeikommen durfte, rief manchmal mich an, ohne mit ihm reden zu wollen. Vielleicht wollte sie ihn nicht behelligen, vielleicht wollte sie ihm nicht das Gefühl geben, sich in sein Leben einmischen zu wollen. Jedenfalls rief sie mich an, und ich fragte sie, ob sie ihren Sohn zu erreichen versuche, und sie sagte nein. Sie meinte einfach: »Ist er in Ordnung? Isst er auch was?«
»Ja, Ma’am. Ihm geht’s gut. Er sieht sich grade mit den Kindern einen Film an.«
»Oh, gut. Danke, herzlichen Dank.«
Und damit hatte es sich. Sie erkundigte sich nur nach ihm, wie Mütter das eben so tun.
Und das war auch das Gefühl, das ich bei so gut wie allen anderen aus der Familie hatte. Sie wollten sich nur nach ihm erkundigen. Deshalb hatte ich auch das Gefühl, dass die Beziehung zu seiner Familie im Lauf der Jahre unter all den Managern gelitten hatte. Und nachdem seine Familie komplett außen vor war, gelangten zu viele andere in sein Leben und hatten die Hände in seinen Taschen, um ihn in seinem instabilen Zustand abzuzocken oder zu manipulieren. Er hatte einfach niemanden, der ihn in dieser Hinsicht unterstützte. Er hatte Sicherheitsleute, um ihn physisch zu schützen. Er hatte die besten Anwälte im Land, die sich um seine Plattenverträge und Verlagsrechte kümmerten. An alledem fehlte es nicht. Was in der ganzen Organisation fehlte, war auch nur ein Einziger, dem Michael Jackson als Mensch nicht am Arsch vorbeiging.