Nach zwei Monaten in New Jersey hatte Michael Jackson in rascher Folge zwei schwere Schläge einzustecken. Im Oktober reichte Scheich Abdullah von Bahrein, der es leid war, sich mit Jacksons Anwälten außergerichtlich zu einigen, in London Klage gegen den Sänger ein. Er wollte die sieben Millionen Dollar zurück, die er ihm im Rahmen des Deals um Two Sea Records für versprochenes, aber nie geliefertes Material – ein Album und ein Musical – vorgeschossen hatte. Im Gegensatz zu all den völlig aus der Luft gegriffenen Forderungen, die so viel von Jacksons Zeit in Anspruch nahmen, war diese Klage ein potenziell vernichtender Schlag. Der vage Wortlaut des Vertrags zwischen Jackson und Abdullah gab dem Scheich die Rechte an allen neuen Aufnahmen oder Live-Auftritten, die der Sänger ins Auge fassen könnte. Jackson bestand darauf, dass man ihn getäuscht habe, was den Vertrag anging – man habe ihm die Bedingungen nie zur Gänze erklärt. Abdullah dagegen sah sich ausgenutzt und dann sitzengelassen. So oder so, Jackson war beruflich praktisch zur Untätigkeit verurteilt, bis das Problem gelöst war.
Wenige Tage nach Abdullahs Klage leitete die Fortress Investment Group Schritte zur Beitreibung von Jacksons Rückständen ein. Am 22. Oktober setzte die Gruppe Jackson offiziell in Verzug und reichte beim Staat Kalifornien die Ankündigung der Zwangsversteigerung von Neverland ein. Jackson schuldete die volle Hauptsumme von dreiundzwanzig Millionen Dollar der Hypothek auf das Anwesen und 212 963 Dollar an Zinsen. Er hatte nur neunzig Tage, um den Betrag zu begleichen, sonst würde Neverland an den Meistbietenden gehen.
Im Herbst 2007 sah Michael Jackson sich von der Außenwelt abgeschnitten im Keller von Connie und Dominic Cascio in New Jersey. Seine finanziellen Ressourcen waren erschöpft. Und wie schon so oft, wenn er in Schwierigkeiten war, sollte Jackson auch diesmal eine wohlhabende, mächtige Persönlichkeit um Hilfe angehen.
Bill: Eines Abends, wir waren schon eine Weile in New Jersey gewesen, ließ Mr. Jackson sich von uns bei den Cascios abholen und zu einem Meeting mit Londell McMillan, einem einflussreichen Anwalt der Unterhaltungsbranche, chauffieren. Londell kümmerte sich um die Geschäfte von Prince, Stevie Wonder und Lil’ Kim und war auch bereits einige Male für Mr. Jackson tätig geworden. Ich wusste von Londell durch frühere Klienten von mir, hatte seinen Namen aber bis zu dem Abend nie im Zusammenhang mit Mr. Jackson gehört.
Sie trafen sich in der Westfield Garden State Plaza, einer Mall an der Route 4. Wir fuhren unseren Wagen auf den Parkplatz, und Londell parkte direkt neben uns. Es war neun und schon dunkel, außerdem wurde es langsam kalt. Londell stieg hinten bei Mr. Jackson ein. Javon und ich stiegen aus und ließen die beiden ihr Gespräch führen. Sie unterschrieben einige Dokumente. Die ganze Geschichte dauerte noch nicht einmal eine halbe Stunde.
Danach hörte ich Londells Namen in so manchem Kontext, in dem früher von Raymone die Rede gewesen war. Zuvor hatte es immer geheißen: »Rufen Sie Raymone an.« Jetzt hieß es: »Rufen Sie Londell an.« Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass Raymone langsam, aber sicher auf dem Weg ins Abseits war.
Javon: Wir waren noch in Virginia gewesen, da hatte Mr. Jackson Besuch von Reverend Jesse Jackson gehabt. Der Reverend war ein alter Freund der Familie und lud Mr. Jackson zu seinem Geburtstag ein, den er in der ersten November-Woche in Los Angeles feiern wollte. Wir hörten davon erst wieder in New Jersey. Wir hatten vielleicht noch zwei, vielleicht drei Wochen bis zu der Party, und Mr. Jackson sagte, er wolle da unbedingt hin. Er habe es Jesse Jackson versprochen.
Bill: Nach L.A. zu kommen war eine Geschichte für sich. Erst wollte Mr. Jackson nach Kalifornien fahren. Er wollte einen Luxus-Bus mieten und ein paar Tage unterwegs sein. Ich musste mich für ihn diesbezüglich schlaumachen. Außerdem sollte ich mich nach Häusern in Vegas umsehen; er gab mir ausdrücklich Anweisung, Raymone davon nichts zu sagen. Ich begann also mit Maklern zu telefonieren, ließ mir Preise geben und druckte Mr. Jackson das Ganze aus. Dann war mit einem Schlag Schluss mit der Reise. Ich rief Raymone an, um die Reiseroute mit ihr durchzugehen, und sie sagte: »Daraus wird nichts. Ich weiß nicht, wie Sie zurück an die Westküste kommen wollen.«
Ich erwiderte: »Meinen Sie damit, Sie wissen nicht, wie wir zu Jesse Jacksons Geburtstagsparty kommen sollen, oder dass Sie nicht wissen, wie wir je wieder aus New Jersey rauskommen sollen?«
Sie sagte einfach, dass er sich die Reise nicht leisten könne. Er habe einfach nicht das Geld dafür, mit uns allen zurück an die Küste zu gehen. Sie meinte noch, er könne es sich vielleicht leisten, mit den Kindern rüberzufliegen – ohne Security, Lehrerin oder sonst jemanden. Ich ging mit ihrem Vorschlag zu Mr. Jackson, und er meinte: »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Sie ist wirklich so was von dumm. Was ist mit euch? Wer beschützt meine Kinder? Nein.«
Er hieß mich Londell anrufen. Londell war jetzt der Mann für die Probleme. Ich rief ihn an und erzählte ihm die ganze Geschichte. Londell telefonierte seinerseits mit Jesse Jackson, der sich einverstanden erklärte, unsere Reise und den Aufenthalt in L.A. zu bezahlen. Also trafen wir die Vorbereitungen dafür, drei Tage vor der Party nach L.A. zu fliegen: ich, Javon, Mike LaPerruque, Mr. Jackson, seine Hairstylistin, die Kinder und die Lehrerin.
Wir flogen mit einer Linienmaschine. Wir fuhren von New Jersey zum John F. Kennedy Airport, und ich traf Arrangements mit einigen Leuten, die Trucks vom Flughafen zu den Cascios zurückzufahren; der Plan sah vor, sie nach Las Vegas kommen zu lassen, sobald wir wieder dort wären. Der Hund von Prince musste extra verschickt werden. Die Katze konnten wir in einer Transportbox mitnehmen, aber der Hund musste erst mal bei den Cascios bleiben; die würden ihn später nachschicken. Prince heulte sich die Augen aus, weil er den Hund zurücklassen musste. Er saß auf dem Rücksitz und schluchzte den ganzen Weg zum Flughafen. Ich fragte Mr. Jackson: »Alles in Ordnung mit ihm?«
Er sagte: »Ja doch, der wird schon wieder. Er ist nur eingeschnappt, aber ich habe ihm gesagt, Sie sorgten schon dafür, dass Kenya nichts passiere. Sie machen das doch, oder?«
»Ja, Sir.«
Am JFK empfingen uns die Leute von der Flughafensicherheit und einige Manager. Sie waren darüber informiert, dass wir kamen, und ließen Mr. Jackson und die Kinder sofort durch zur Maschine. Javon und Mike LaPerruque eskortierten sie zum Gate. Ich blieb beim Gepäck. Mr. Jackson sagte mir: »Bill, dass Sie mir ja das Gepäck zählen. Mir ist an Flughäfen schon so viel verloren gegangen.«
»Ja, Sir.«
Wir hatten um die dreißig Stück Gepäck. Ich behielt besonders den Koffer mit den Oscars im Auge. Er hatte noch einen Aktenkoffer von Louis Vuitton und eine Ledertasche mit seinem Schmuck und dem Make-up. Zwei Leute von der Flughafensicherheit scannten jede der Taschen. Ich sah ihnen auf die Finger und zählte mit. Der Louis-Vuitton-Koffer ging als letzter durch. Als der gescannt wurde, sprach mich einer der Leute an: »Sir, der Scanner kann den Koffer nicht durchleuchten. Wir müssen ihn öffnen.«
Ich sagte: »Ich habe weder die Schlüssel noch die Kombination.«
Sie antworteten: »Wir haben die Schlüssel dazu. Können wir?«
»Sicher.«
Also machten sie ihn auf. Ich konnte nicht sehen, was sie sich ansahen; sie standen auf der anderen Seite des Scanners. Aber sie hatten den Koffer geöffnet, und einer der beiden schaute den anderen an. Der sah mit großen Augen zu mir herüber, völlig fassungslos. Mann, war ich nervös. Ich hatte keine Ahnung, was in dem Koffer war. Ich war drauf und dran zu sagen: »Ich hab das Zeug nie gesehen.« Aber dann meinte der eine: »Sir, könnten Sie mal hier rüberkommen?«
Ich war immer noch dabei, meine Taschen zu leeren; war noch nicht mal durch den Metalldetektor. Sie sagten: »Vergessen Sie die Taschen, Sir. Kommen Sie einfach durch.«
Ich ging auf die andere Seite, und der eine drehte den Koffer um. Da mussten mindestens dreihunderttausend Dollar drin sein. In Bündeln zu je zehntausend Dollar. Lauter Hunderter. Und die beiden Typen hatten keine Ahnung, zu wem ich gehörte. Mr. Jackson war ja gesondert durchgegangen. Die dachten, das Geld gehöre mir. Mein erster Instinkt war, einfach davonzulaufen. Ich war im Nu im Ghetto-Modus, wenn Sie verstehen. Ich bin plötzlich ein Schwarzer am Flughafen mit einem Koffer voller Cash. Ich wusste nicht, was ich machen sollte.
Sie sagten: »Sie müssen das angeben.«
Sie erklärten mir grade, was ich zu machen hätte, als die Managerin zurückkam, die Mr. Jackson zur Maschine begleitet hatte. Ich winkte ihr und sagte: »Ma’am, könnten Sie den Herren hier sagen, für wen ich arbeite?«
Die Managerin senkte den Blick, sah den Aktenkoffer und sagte: »Oh, Sie gehören zu …« Sie machte eine Geste in Richtung des Gates. »Alles klar. Das geht in Ordnung.« Sie wandte sich an die beiden Sicherheitsleute. »Das geht in Ordnung. Lassen Sie den Mann durch.«
Sie ließen mich passieren. Ich sammelte das Handgepäck ein und ging Richtung Gate. Können Sie sich meine Erleichterung vorstellen? Ich dachte schon, die würden mich festhalten. Keine Ahnung, was passiert wäre.
Wir landeten am LAX, wo uns ein Mietwagenservice und zwei Security-Leute empfingen, die für Jesse Jackson arbeiteten. Die Lehrerin, die Hairstylistin und ich sollten in einem Hotel am Flughafen absteigen. Mr. Jackson und die Kinder hatte Jesse Jackson bei Freunden in Beverly Hills einquartiert. Mike LaPerruque war aus L.A., also blieb er einfach zu Hause; er wohnte noch nicht mal weit weg. Javon hatte Verwandtschaft in der Stadt und stieg bei seiner Großmutter ab. Ich brachte Mr. Jackson und die Kinder zu dem Haus und legte mich dann in meinem Hotel aufs Ohr.
Die Party fand zwei Tage später im Beverly Hilton statt. Ich schloss mich mit Jesse Jacksons Leuten kurz und ging die Einzelheiten mit ihnen durch: Über welche Route wir kommen sollten, um wie viel Uhr und wohin. Als wir an dem Abend ankamen, erwartete Jesse Jackson uns vor dem Hotel. Eine Menge großer Namen war da. Larry King, Don Cornelius von Soul Train. Wir stiegen aus und sahen uns im nächsten Augenblick im Blitzlichtgewitter: zack, zack, zack! Wir waren umzingelt. Sie waren überall. Wir absolvierten den Auftritt auf dem roten Teppich und gingen dann rein.
Als ich Mr. Jackson an seinen Tisch begleitete, sah ich Barry Gordy. Ich wusste, wie wichtig er als Chef von Motown für Mr. Jacksons Karriere gewesen war, aber Mr. Jackson hatte ihn nie erwähnt, sodass ich nicht wusste, ob es irgendwelche Animositäten zwischen den beiden gab. Also flüsterte ich Mr. Jackson zu: »Sir, da drüben ist Berry Gordy.« Als Mr. Jackson ihn sah? Er hätte um ein Haar eine Frau umgerempelt, um zu ihm rüberzukommen. Er lief schnurstracks hinüber und hätte den Mann fast erdrückt, als er ihn umarmte.
Es war eine richtig freundschaftliche Umarmung, von beiden Seiten. Ich hatte ein richtig gutes Gefühl bei der Szene. Nach der Geburtstagsfeier gingen wir nach oben in eine Suite zur Afterparty. Mr. Jackson und Berry Gordy unterhielten sich dort. Ich bekam nicht mit, worum es ging, aber ich brauchte nur ihre Gesichter zu sehen, um zu wissen, die beiden führten ein ernstes Gespräch. Einmal hörte ich Mr. Jackson sagen: »Ich danke dir. Du fehlst mir. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.« Vielleicht schüttete er ihm tatsächlich sein Herz aus über seine Situation und all seine Probleme; ich hätte es nicht sagen können. Auf jeden Fall war es gut, dass er sich mit jemandem unterhalten konnte, den er schon so lange kannte. Als die Party vorbei war, machten wir die Fahrzeuge klar. Jesse Jackson begleitete ihn zur Tür und dankte ihm fürs Kommen. Dann schoben wir ab.
Am nächsten Morgen rief so gegen elf jemand von der Rezeption an und fragte: »Werden Sie heute ausziehen?«
Ich sagte: »Ich denke, nicht.«
»Tja, die Vorauszahlung ist nur für drei Tage, und wir bräuchten dann bis Mittag noch mal eine Kreditkarte für Ihr Zimmer.«
Ich rief Mr. Jackson an und machte ihn auf die Situation aufmerksam. Er sagte, ich solle Londell anrufen. Ich rief Londell an. Londell fragte nur: »Warum sind Sie denn überhaupt noch da?«
Ich sagte: »Keine Ahnung. Mir hat niemand was anderes gesagt.«
Und er darauf: »Das Hotel ist nur für drei Tage bezahlt. Auch aus dem Haus, wo er wohnt, sollte er längst wieder raus sein.«
»Ach?«
»Ja, doch. Der Mann erwartet andere Gäste. Wir hatten ihm gesagt, Mr. Jackson brauche das Haus nur für drei Tage.«
Londell ließ mich wissen, dass wir uns selbst darum zu kümmern hätten. »Lassen Sie sich was einfallen«, sagte er. Wortwörtlich. Ich rief Mr. Jackson an und sagte ihm, dass Londell gesagt habe, er könne da auch nichts machen. Wir müssten da raus. Mr. Jackson meinte nur: »Ich ruf Sie gleich zurück.«
Das war Mittag. Um eins saß ich immer noch in meinem Zimmer und wartete ab. Ich blieb bis drei, dann kamen die Leute vom Hotel und schmissen mich raus. Die Lehrerin und die Hairstylistin flogen ebenfalls raus.
Ich hatte gerade noch genug auf meiner eigenen Kreditkarte für ein Zimmer für eine Nacht, also checkte ich die Lehrerin noch mal ein. Sie musste ja irgendwo unterkommen, und schließlich hatten wir eine Menge Gepäck, das irgendwohin musste. Die Stylistin fuhr zu Freunden. Was mich anging, so hielt ich es für das Beste zu warten – vielleicht erfuhr ich ja noch, was ich machen sollte. Ich rief Mr. Jackson mehrmals an. Kein Wort von dem Mann. Ich war stocksauer. Ich beschloss, ihm noch bis sieben zu geben. »Wenn er sich bis sieben nicht gemeldet hat«, sagte ich mir, »hau ich ab.« Den ganzen Nachmittag über saß ich mit all dem Gepäck in der Lounge. Um halb acht rief ich Mr. Jackson noch ein letztes Mal an, erreichte aber nur die Voicemail. Ich hatte keine Ahnung, was da los war, und wusste nur eines: Ich musste nach Hause. Ich hatte meine Tochter eine Ewigkeit nicht gesehen. Ich war pleite. Ich war so weit – ich fahr jetzt heim.
Ich hatte nichts auf der Kreditkarte; ich hatte gerade mal ein bisschen Kleingeld einstecken, und so rief ich einen Freund an, damit er auf seinen Namen einen Wagen mietete, mit dem ich nach Vegas zurückfahren könnte. Dann setzte ich mich mit Javon in Kontakt und sagte ihm, was los sei.
Javon: Bill meinte: »Ich bleib nicht länger hier, wenn die sich nicht einig werden. Ich verschwinde.«
Ich sagte ihm, ich würde noch ein Weilchen in L.A. bleiben. Aber schließlich müsste ich natürlich auch wieder zurück zu meinen Leuten. Also fragte ich: »Soll ich noch was erledigen? Soll ich nach ihm sehen?«
Er antwortete: »Er hat deine Nummer. Wenn er sich noch nicht gemeldet hat, wird wohl alles in Ordnung sein.«
Meiner Familie erzählte ich irgendeinen Schnee. Ich sagte denen, Mr. Jackson habe mir ein paar Tage freigegeben, so lange, wie wir schon mit ihm unterwegs seien. Ich wollte meiner Großmutter nicht sagen: »Ich bin bei dir abgestiegen, weil mir das Geld fürs Hotel fehlt.« Ich wollte niemandem Panik damit machen, wie tief ich in den Miesen war.
Bill: Ich wusste, der nächste Stopp wäre so oder so Vegas, und da wir nicht wussten, wo Mr. Jackson absteigen sollte, musste ich mich ohnehin nach einem Haus umsehen. Ich ging meine Optionen durch. Ich wusste nur eines, ich musste mir etwas einfallen lassen. An dem Abend kam ich spät in Vegas an. Früh am nächsten Morgen, so gegen acht, saß ich in meiner Küche und schaute mir online Häuser an, als das Telefon klingelte. Es war Mr. Jackson. Er meinte: »Bill, einer von euch muss los und mir ein Radio besorgen. Ich habe hier keine Musik im Haus.«
Kein Wort darüber, was am Vortag gewesen war. Die Lehrerin. Dass man uns aus dem Hotel geworfen hatte. Als wäre überhaupt nichts passiert. Ich sagte: »Mr. Jackson, ich bin in Vegas.«
»Vegas? Was machen Sie denn in Vegas?«
»Mr. Jackson, ich habe Sie gestern Abend angerufen, wissen Sie nicht mehr? Ich habe Ihnen gesagt, dass die mich aus dem Hotel rauswerfen, also bin ich nach Vegas, um mich nach einem Haus für Sie umzusehen.«
»Hm, und wer ist hier bei mir und den Kindern?«
»Javon ist noch oben. Und Mike ist auch noch dort.«
»Wann geh ich denn nach Vegas zurück?«
»Ich arbeite dran.«
»Okay. Finden Sie raus, wo wir bleiben, und rufen Sie mich zurück.«
Damit legte er auf. Ich kam mir vor wie Alice im Wunderland. Ich hatte keine Ahnung, was da los war.
Javon: Mr. Jackson rief nicht ein einziges Mal an, während ich in L.A. war. Ich blieb so vier, fünf Tage, bevor ich mich schließlich auch wieder zur Rückkehr entschloss. Ich ließ mir von meiner Schwester einen Flug buchen.
Ich war froh, wieder zu Hause zu sein, vor allem, als ich mein Baby sah. Aber natürlich war es auch wieder enttäuschend. Ich wollte meiner Freundin nicht sagen, was wirklich los war. Aber sie merkte mir an, dass was nicht stimmte. Da war ich nun so lange fort gewesen, ohne dass ich dafür groß was aufzuweisen gehabt hätte. Ich meine, ich hätte mit Geschenken heimkommen sollen, aber ich hatte nichts als eine Tasche und die Klamotten auf dem Leib.
Es war eine bittersüße Heimkehr. Süß, weil ich meine Familie wiedersah, bitter, weil ich mir wieder Arbeit suchen konnte. Ich dachte mir: Geht das wieder los! Ich saß vor dem Stapel Rechnungen, der sich angesammelt hatte, und dachte bei mir: Soll ich noch ausharren oder mich gleich nach einem anderen Job umsehen? Soll ich Mr. Jackson vergessen und bei meiner alten Firma anrufen, nachfragen, ob ich da wieder anfangen kann? Weihnachten stand vor der Tür, und ich hatte nicht mal Geld für Geschenke. In dem Augenblick ging mir der ganze Ernst der Lage auf – ich könnte meinen Kindern dieses Jahr nichts zu Weihnachten kaufen. Bill sagte immer noch: »Halt durch.« Aber ich dachte bei mir, ich weiß wirklich nicht, wie lange ich das noch aushalte. Mir ging’s echt nicht gut.
Bill: Thanksgiving kam und ging. Dann stand auch schon Weihnachten vor der Tür, und Mr. Jackson wohnte noch immer in dem Haus in Beverly Hills, aus dem er nach drei Tagen wieder hätte ausziehen sollen. Er hatte die Leute überredet, drei Wochen bleiben zu können. Ich war in Vegas unterwegs, Häuser ansehen, Hotels. Ich versuchte mir etwas einfallen zu lassen. Ich rief Raymone an in dem Versuch, mit ihr eine Lösung zu finden. Sie war keine Hilfe. Sie sagte: »Also, Bill, ich weiß auch nicht.« Okay. Nächster Anruf: Peter Lopez. Der war nicht zu erreichen; er war im Ausland. Nächster Anruf: Londell. Londell meinte, er werde aushelfen, und gab mir seine Assistentin. Der erzählte ich von der Green Valley Ranch, wo wir schon gewohnt hatten, bevor wir das Haus am Monte Cristo Way räumen mussten.
Sie sagte: »Okay, dann sehen wir einfach zu, dass er da wieder hingeht. Wir geben das auf Londells Kreditkarte. Lässt sich ja später erstatten.«
Wir mieteten einen Bus, um Mr. Jackson und die Kinder von Los Angeles zurück nach Las Vegas zu fahren. Ich rief ihn an und sagte ihm, er könne wieder zurück zur Green Valley Ranch. Als er das erste Mal dort abgestiegen war, hatte er die Präsidentensuite gehabt. Die besaß einen überdachten Pool. Das hatte den Kindern gefallen. Er sagte mir, dass er wieder dieselbe Suite haben wolle. Also rief ich Londell an und gab ihm Bescheid. Londell fragte: »Was kostet die denn?«
Ich sagte: »Zweitausendfünfhundert die Nacht.«
»Was?!«
»Yo, Mann, ich sage Ihnen nur, was er will.«
Londell wäre um ein Haar ausgerastet. Er begann sich darüber auszulassen, dass Mr. Jackson unbedingt seine Finanzen in den Griff bekommen müsse. Er sagte: »Ich bringe ihn nicht für zweitausendfünfhundert Dollar die Nacht unter. Buchen Sie ihm ein normales Zimmer. Er muss kapieren, dass er finanziell am Arsch ist.« Wir unterhielten uns eine Weile über Mr. Jacksons Ausgaben. Schließlich erklärte er sich bereit, ihm für zwei Wochen eine Suite zu bezahlen, aber nicht die Präsidentensuite. Ich rief Mr. Jackson an und sagte ihm einfach, die Suite sei nicht frei. Während wir uns unterhielten, fragte er mich nach Mike LaPerruque. Er sagte: »Kommt Mike auch mit nach Vegas?«
Ich antwortete: »Ja, soweit ich weiß.«
Und er: »Hm, wir können … das doch einfach aufschieben. Wir lassen ihn später nachkommen.«
Ich wusste, was er meinte. Es war das letzte Mal, dass von Mike LaPerruque die Rede war.
Javon: Wir blieben zwei Wochen auf der Green Valley Ranch. Bill und ich, wir hatten beide Zimmer direkt gegenüber von Mr. Jackson, aber die meiste Zeit über war ich bei Bill, weil wir dort die Monitore für die Überwachungskameras vor Mr. Jacksons Suite aufgestellt hatten. Wir wechselten uns bei der Beobachtung der Monitore in Schichten ab und gingen auf Patrouille. Er ging kaum aus dem Zimmer. Grace war nicht da, und die Kinder hatten Winterferien, sodass auch die Lehrerin kaum da war. Einige Tage später traf Kenya ein. Die Kinder waren ganz aus dem Häuschen.
Die ganze Zeit über tat Mr. Jackson gerade so, als wäre er nur ein Weilchen zum Relaxen in dem Hotel, bevor er in das Haus an der Durango Street – das Fünfundfünfzig-Millionen-Dollar-Anwesen – zöge. Er sprach von dem Haus noch immer so, als gehörte es ihm. Immer wieder sagte er: »Das wird mein Haus.« Und er meinte das mit voller Überzeugung. Er sagte: »Ich habe da ein paar Deals am Laufen, die jeden Augenblick so weit sein müssten. Dann kaufe ich das Haus, und ihr Jungs seid dann auch untergebracht. Keine Bange.« Beim Einkaufen sagte er sogar mal: »Seht euch doch nach Golfcarts um, ja? Wenn wir da einziehen, werdet ihr Golfcarts brauchen, um das Anwesen zu patrouillieren.«
Wir dachten uns dabei nur immer wieder: »Wie will er sich das leisten? Wie?« Aber wer waren wir schon? Woher sollten wir wissen, ob Michael Jackson nicht tatsächlich irgendwo ein paar große Deals am Laufen hatte? Der Mann war Michael Jackson. Und wir hatten bis dahin schon so viel Zeit, Schweiß und Tränen investiert, dass wir es einfach glauben wollten. Wir wollten einfach einen Grund haben, bei ihm zu bleiben, die große Wende miterleben.
Bill: Die Lehrerin war untergebracht. Sie hatte ein kleines Apartment, das noch zur Verfügung stand, weil es für ein Jahr im Voraus bezahlt war; sie brauchte nach unserer Rückkehr also nur einzuziehen. Grace war auf Reisen. Sie war drei Tage in New Jersey gewesen, dann war sie wieder abgehauen. Ich hatte sie seither nicht mehr gesehen. So fiel mir ihr Apartment im Turnberry ein, wo auch Raymone eine Wohnung hatte. Ich wusste nicht, ob Grace wieder zurückkommen würde, wusste aber, dass Raymones Apartment leerstand. Also sagte ich zu Mr. Jackson. »Warum ziehen Sie nicht einfach in Raymones Apartment?«
Er fragte. »Raymone hat ein Apartment in Vegas?«
»Ja.«
»Wo?«
»In den Turnberry Towers.«
Er wusste nicht, wo das war. Ich musste es ihm erklären: Luxuswohnungen in einer bewachten Wohnanlage, erste Sahne. Er sagte: »Bill, Sie müssen für mich herausfinden, wer das bezahlt.«
Ich rief den Manager an, der für die Vermietung zuständig war, und der sagte: »Die Information kann ich Ihnen nicht geben.«
Ich sagte: »Okay, aber wenn das Apartment auf Michael Jacksons Namen läuft, dann werden Sie ihm das doch sicher sagen können.«
Das könne er, hieß es am anderen Ende. Also gab ich Mr. Jackson den Apparat, und so erfuhren wir, dass das Apartment über ein Konto lief, das Raymone in seinem Namen verwaltete. Er war fuchsteufelswild. Er sagte mir, dass er beide Apartments haben wolle, das von Grace und das von Raymone. Er meinte: »Ich will das eine für meine Mutter, und ich ziehe im anderen ein.«
Ich antwortete, ich würde mich sofort darum kümmern. So rief ich Raymone an und teilte ihr mit: »Mr. Jackson möchte die Apartments.«
Sie sagte: »Welche Apartments?«
»Na, die im Turnberry.«
Damit hatte ich sie kalt erwischt. Sie sagte: »Die? Oh … die … äh … die haben wir gar nicht mehr. Ein Freund hat uns die benutzen lassen.«
Ich antwortete nichts. Ich wusste, das war eines der Male, wo ich mich einfach dumm stellen und mich raushalten musste.
Ein paar Tage später kam sie rüber nach Vegas, weil die Geschichte zu stinken begann. Das Erste, was sie mir sagte, als ich sie vom Flughafen abholte, war: »Bill, wir haben die Apartments nicht mehr.« Und so ging es weiter, als wäre ich ihr auf den Schlips getreten. »Ich verstehe nicht, wieso er denkt, dass wir die Apartments noch haben und die auch noch von seinem Geld bezahlen.« Ich hatte nicht die Absicht, mit ihr zu streiten. Vor mir brauchte sie sich schließlich nicht zu rechtfertigen; sie war Mr. Jackson gegenüber verantwortlich, nicht mir.
Ich brachte sie zu ihm. Was immer zwischen den beiden zur Sprache kam, ich habe keine Ahnung. Von den Apartments war jedenfalls nie wieder die Rede. Sie waren weg. Sie waren nicht mehr verfügbar. Womöglich war die Miete überfällig gewesen? Was nur logisch gewesen wäre. Ich bekam nie eine Erklärung zu hören. Aber es war jedenfalls das letzte Lebenszeichen von Raymone Bain.
Nach zwei Wochen auf der Green Valley Ranch rief mich der Manager an und sagte: »Mr. Whitfield, wir bräuchten eine neue Kreditkarte. Die Karte, über die Ihre Zimmer laufen, wurde gesperrt.«
Ich setzte mich mit Londell in Verbindung. Er bestätigte mir, dass er die Karte gesperrt habe. Er sagte, er habe schließlich nur zwei Wochen bewilligt und könne das Hotel unmöglich auf unbestimmte Zeit zahlen. Er hätte genauso gut sagen können: Seht mal zu, wo ihr bleibt.
Ich ging zu Mr. Jackson und teilte ihm das mit: »Sir, die Kreditkarte, über die die Zimmer liefen, wurde gesperrt. Wir brauchen eine andere Karte für den Account.«
Er sagte: »Okay. Geben Sie ihnen eine andere.«
Er sagte das, als bräuchte ich nur in die Tasche zu greifen und eine Amex Platin herausholen. Ich antwortete: »Sir, ich habe keine andere Karte.«
Worauf ihm auch nichts einfiel. Er erwartete einfach, dass sich jemand darum kümmerte und das in Ordnung brachte. Ich ging dann noch mal zum Management des Hotels und versuchte noch etwas Zeit auszuhandeln. Nichts zu machen. Der Manager wollte, dass wir bis zum Abend auszögen, sonst werde man uns an die Luft setzen. Wenn so was an die Boulevardpresse durchdrang! Ich konnte das unmöglich zulassen. So riss ich mir beide Beine aus. Javon packte schon mal unsere Sicherheitsausrüstung ein und verstaute sie in meinem Wagen, damit wir die wenigstens hätten, falls man uns aussperren sollte.
Raymone konnte ich nicht anrufen. Londell konnte ich nicht anrufen. Schließlich bekam ich Peter Lopez an den Apparat. Er sagte, er werde was deichseln und mich zurückrufen. Zwei Stunden später rief er an und meinte: »Sie ziehen ins Palms.« Peter war mit George Maloof befreundet, dem Besitzer des Hotels, und der hatte sich bereit erklärt, Mr. Jackson und die Kinder für ein paar Tage unterzubringen.
Wir hatten nur wenige Stunden, um aus dem Green Valley auszuziehen. Mr. Jacksons Sachen zu packen war eine Quälerei für sich. Michael Jackson packte nicht selbst. Immer wenn es ans Umziehen ging, räumte er seinen Kram einfach in die Mitte der jeweiligen Hotelsuite und überließ das Packen uns. So jedenfalls ging das für gewöhnlich. Als ich seinen Kram zusammensuchte, ging ich ins Bad, um dort nach seinen Sachen zu sehen. Als ich reinkam, war das ganze Bad voller Bruce-Lee-Poster. Neben dem Waschbecken fand ich einen Stapel Bücher über Bruce Lee, gerahmte Fotos von Bruce Lee. An der Wand hing ein Hemd mit einem chinesischen Drachen. Ich kam mir vor wie in einem chinesischen Restaurant. Ich wusste noch nicht mal, wo der ganze Kram hergekommen sein sollte. Die Fotos von Bruce Lee fand ich besonders interessant. Die Kung-Fu-Posen erinnerten mich an einige von Mr. Jacksons Tanzfiguren in seinen Videos. Hatte er da drin seine Choreos geübt? Hatte er meditiert? Ich konnte bestenfalls Vermutungen darüber anstellen.
Spät am selben Abend waren wir unterwegs zum Palms. Ich stand in direktem Kontakt mit George Maloof; ich sagte ihm, wann wir kämen, er sagte mir, wo wir hinsollten. Er kümmerte sich persönlich um alles. Wir kamen über die Laderampen und nahmen den Lastenaufzug nach oben. Man brachte Mr. Jackson in der Hugh Hefner Suite unter. Es handelt sich dabei um eine Riesensuite von fast vierhundert Quadratmetern; sie ging auf Penthouse-Level über zwei Etagen und bot einen Wahnsinnsblick über die ganze Stadt. Die Suite besitzt einen eigenen Aufzug: Sie hat sogar eine eigene Bowlingbahn. Normalerweise kostete die Suite zwanzigtausend Dollar die Nacht; George Maloof überließ sie Mr. Jackson umsonst.
Nachdem wir dort angekommen waren, hätten wir uns mit Peter Lopez treffen sollen. Ich war erschöpft, da ich seit Sonnenaufgang rangeklotzt hatte. Üblicherweise, wenn wir in ein neues Hotel zogen, war ich die Vorhut; ich checkte den Laden, fand heraus, ob die Zimmer neben uns belegt und wer die Leute waren etc. Aber um ehrlich zu sein, ich konnte mich dazu einfach nicht mehr aufraffen. Ich lief nur einmal durch die Suite und sah mir die Aussicht an. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade alleine. Javon hatte ein privates Problem und hatte sich ein paar Tage freigenommen.
George Maloof kam nach oben, um mit Mr. Jackson zu reden, und zeigte ihm, wo alles war. Peter Lopez rief an und sagte, er komme mit Akon vorbei; Mr. Jackson wollte mit ihm ins Studio. Es war mittlerweile schon nach Mitternacht, und die sprachen von einer Studiosession. Ich hatte keine Ahnung, was man von mir erwartete. Ich sagte Mr. Jackson, ich würde draußen warten, schnappte mir einen Stuhl und setzte mich in den Flur vor seiner Tür, wo ich die Zeit mit meinem iPhone totschlug. Nach einer Dreiviertelstunde kamen Peter Lopez und Akon herauf. Ich begrüßte die beiden und rief Mr. Jackson an, um ihm Bescheid zu sagen, dass sie da seien. Mr. Jackson machte auf, und sie gingen alle hinein.
Ich saß zwei weitere Stunden herum. Der Akku in meinem Telefon machte schlapp, sodass ich dasaß, ohne mit jemandem telefonieren zu können. Es war zwischenzeitlich fast drei Uhr morgens. Ich war todmüde und fragte mich, was da wohl los sein mochte. Wollten die nun noch runter ins Studio oder was? Ich klopfte an die Tür. Keine Antwort. Und ich wusste schließlich, dass sie alle in der Suite waren. Ich saß einfach da, nickte immer wieder ein; kein Mensch sagte mir, was zu tun war. Schließlich sagte ich mir: »Scheiß drauf. Abflug. Ich geh nach Haus.«
Ich stand auf, ging zum Aufzug und drückte den Knopf für die Lobby. Ich hatte die Nase voll. Ich ging zum Parkplatz, stieg in meinen Wagen und steckte das Telefon ins Ladegerät. Ich mochte eine Minute so dagesessen und überlegt haben, ob ich tatsächlich einfach abhauen sollte, als das Telefon klingelte. Es war Mr. Jackson. Er schien außer sich. »Bill! Wo stecken Sie denn?«
»Ich bin unten, Mr. Jackson.«
»Unten? Wo unten?«
»Ich bin nur runter, um …« Scheiße! »Sir, ich bin nur runter, um was an der Rezeption zu checken.«
»Bill, Sie können mich doch nicht einfach alleine lassen. Mich und die Kinder.«
»Ja, Sir. Ich bin bereits wieder auf dem Weg nach oben.«
»Okay. Wir gehen ins Studio. Wissen Sie, wo das Studio ist?«
»Ja, ich weiß, wo das Studio ist.«
»Okay, wir sind dann im Studio, aber Sie müssen auf die Kinder aufpassen.«
»Ja, Mr. Jackson.«
Als ich nach oben kam, waren sie bereits im Studio. Ich setzte mich wieder auf den Stuhl, müde, hungrig, stinksauer. Sie kamen erst so gegen halb neun morgens wieder nach oben. Ich musste nach Hause. Ich musste mich ausruhen. Ich rief Javon an. Er konnte nicht weg. Ich rief Mr. Jackson an und sagte ihm, ich müsse nach Hause, ich müsse unbedingt etwas essen. Er fragte: »Und wer bleibt hier bei den Kindern?«
»Ich werde jemanden von der Hotel-Security holen.«
»Kann man denen trauen?«
»Ja, Sir.«
Ich kannte einen der Typen, die im Hotel die Security machten; ich hatte ihn schon hin und wieder eingesetzt. Ich trieb ihn auf und sagte ihm, er müsse mir einen Gefallen tun. Dann erklärte ich ihm, worum es ging. Er sagte, er müsse das mit seinem Vorgesetzten klären. Daraufhin meinte ich zu ihm, ich hätte da was viel Besseres, ich würde George Maloof anrufen und das mit ihm klären. Also rief ich Maloof an und sagte ihm, was ich vorhätte, und er antwortete, das gehe in Ordnung. Der Typ fuhr dann nach oben und setzte sich vor Mr. Jacksons Tür, während ich nach Hause ging, um mich hinzuhauen. Ich schlief bis spät in den Nachmittag. Als ich aufwachte, checkte ich mein Telefon. Ich hatte alle möglichen Anrufe von Mr. Jackson verpasst. Er hatte mich den ganzen Tag über mit Anrufen eingedeckt. Kleinkram, Besorgungen, Päckchen, die ich abholen sollte.
Während ich all die Nachrichten durchging, hatte ich wirklich das Gefühl, die Brocken hinschmeißen zu müssen. Meine Tochter war sauer auf mich; sie heulte, weil ich nie zu Hause war. Ich hatte nicht einen Cent für Weihnachtsgeschenke, weder für sie noch für den Rest der Familie. Die Situation war einfach alles andere als cool. Aber auf der anderen Seite hatte ich keine Ahnung, was ich hätte machen sollen, außer wieder zum Palms zu fahren und das durchzustehen, sehen, was passieren würde. Also duschte ich und fuhr später am Abend wieder hin.
Akon war noch in der Stadt. Man ging wieder ins Studio. Es war mit einem Mal eine Menge los, Faxe kamen rein, gingen raus, es gab Sachen, die er zu unterschreiben hatte, mehr als gewöhnlich. Irgendwas war da in Arbeit. Es sah ganz so aus, als käme irgendein Deal zum Abschluss. Aber was immer passieren sollte, es passierte nicht schnell genug. Weihnachten rückte unerbittlich näher. Mr. Jackson bestand darauf, Weihnachten auf keinen Fall mit den Kindern im Hotel verbringen zu wollen, aber es gab offensichtlich keine Alternative.
Nachdem Mr. Jackson klargeworden war, dass er bleiben würde, kam er zu mir und meinte, ich solle dafür sorgen, dass die Suite »weihnachtlich« aussehe. Ich sollte losgehen und einen Baum kaufen, Lichter, Schmuck. Ich sagte: »Mr. Jackson, wir haben kein Geld für …«
»Oh, wie viel brauchen Sie denn?«
»Ich weiß nicht. Zwei-, dreihundert Dollar.«
Er ging rüber an einen Tisch, wo er einen Stapel Hunderter hatte, und gab mir tausend Dollar. Ich ging los und kaufte ihm einen Baum, einige Lichter, einen Schlag kleiner Rentierfiguren. Ich brachte den ganzen Kram ins Hotel, und er schmückte zusammen mit den Kindern den Baum.
Zwei Tage vor Weihnachten kam er zu mir und sagte, er wolle für die Kinder Geschenke einkaufen gehen. Ich rief bei FAO Schwarz an und traf die nötigen Arrangements, um nach Ladenschluss mit ihm dort zu shoppen. Javon war inzwischen wieder dabei. Wir fuhren also runter zum Laden, trafen uns mit dem Geschäftsführer an den Laderampen und nahmen den Aufzug hoch zum Hintereingang von FAO Schwarz. Dann gingen wir die Reihen durch. Mr. Jackson suchte Sachen aus, Eisenbahnsets, Plüschtiere, Puppen. Ein Angestellter fuhr mit einem leeren Lagerwagen hinter ihm her. Das Teil war praktisch ein großer Käfig, wirklich ein Riesending, und Mr. Jackson begann ihn zu füllen. Ich stand da, sah ihm dabei zu, sah Javon an, und wir waren alles andere als begeistert von der Szene. Ich hatte Javon über Funk im Ohr; er jammerte, dass er nicht mal das Geld für Windeln habe. Irgendwann, Mr. Jackson sah sich die Puppen an und hatte eben eine in die Hand genommen, blickte er zu mir hoch und sagte: »Bill, kaufen Sie denn nichts für Ihre Tochter?«
Ich sagte: »Nein, Sir. Wir haben unser Geld noch nicht gekriegt.«
»Oh.«
Das war alles, was er dazu sagte. Er drehte sich wieder um und kaufte weiter ein. In dem Augenblick hätte ich ihm am liebsten ein paar gelangt. Ich sah mich schon dabei; ich stellte es mir richtig vor. Ich sah mich dabei, ihm ein paar solche zu langen, dass er in dem Riesenstapel Actionfiguren hinter ihm landete. Ich sah schon die Schlagzeilen für den folgenden Tag: Michael Jackson von eigenem Bodyguard abgewatscht.
Aber natürlich machte ich nichts dergleichen. Ich sagte noch nicht mal etwas. Ich ließ einfach gut sein.
Javon: Ich stand nur ein paar Schritte weiter und konnte den Blick auf Bills Gesicht sehen. Nachdem Mr. Jackson weitergegangen war, hatte ich über Funk Bill im Ohr: »Ist das zu fassen? Mich so was zu fragen?«
Ich sagte: »Bill, lass mich mit ihm reden. Ich frag ihn, ob er nicht deiner Tochter was kaufen will. Lass mich. Ich mach’s.«
Ich hatte nämlich wirklich die Schnauze voll. Ich war den Eiertanz um die Fakten satt. Ich wollte mir Mr. Jackson vornehmen, ihm sagen: »Hören Sie, Weihnachten ist auch für uns wichtig. Wir sind auch Väter. Wir würden unseren Kindern gern die gleiche Freude machen wie Sie den Ihren, aber wir können nicht. Also klären wir das doch mal. Wie stellen Sie sich das vor?«
Das ist alles, was mir in dem Augenblick durch den Kopf ging. All das Geld, das er uns schuldete, war mir in dem Augenblick völlig egal. Ich wollte nur genug Geld in der Hand haben, um ordentlich Weihnachten feiern zu können. Ich brauchte mit meinen Kindern dazu noch nicht mal zu FAO Schwarz. Deren Kram ist sowieso viel zu teuer. Mir und meinen Kindern reichte auch eine Kleinigkeit von KB Toys. Mehr bräuchte es nicht. Und ich war so weit, mir den Mann vorzuknöpfen, ihm das zu sagen. Ich hatte es satt, den Mund zu halten. Aber Bill sagte immer wieder nur: »Lass mich das machen. Ich werd mir schon was überlegen. Ich red mit Londell.«
Bill: Wenn Michael Jackson afrikanische Kinder in Armut leben sah oder Kinder mit Krebs im Krankenhaus, dann hatte er auf der Stelle ein offenes Herz für sie. Er brauchte nur in seiner Fanpost zu lesen, dass eine Familie nichts zu essen hatte, und er begann buchstäblich zu heulen. Er konnte der sensibelste und einfühlsamste Mensch der Welt sein. Der Mann hat Hunderte von Millionen für karitative Zwecke verschenkt. Und ich spreche hier nicht nur davon, dass er United Way vor Kameras einen dicken Scheck überreicht hätte. Ich spreche davon, dass der Mann persönlich Kontakt zu Leuten in Not aufnahm und ihnen half. Man denke nur an diesen Dave, den Typen in New York, der so schlimm verbrannt war. Es gab im Lauf der Jahre Dutzende von Leuten wie Dave. Einigen hat Michael Jackson buchstäblich das Leben gerettet.
Dieses Mitgefühl war absolut echt, und es kam auch in seiner Musik durch. Weswegen ja auch so viele seiner Fans in ihm einen Heiligen, einen unglaublich großzügigen Menschen voll Liebe sahen. Und das war er auch. Auf dem Level. Aber wenn es um den Kummer ging, für den er bei den Leuten unmittelbar um ihn herum sorgte? Den sah er nicht. Den wollte er nicht sehen. Bei dem Leben, das er geführt hat, so abgeschottet, wie er von Kindheit an war, hat er, wenigstens meiner Ansicht nach, einfach nie die für persönliche Beziehungen nötigen Kompetenzen entwickeln können. Also sperrte er diese Gefühle aus; er weigerte sich einfach, sich ihnen zu stellen. Wenn unsereins Leute für sich arbeiten hätte, die monatelang ihren Lohn nicht bekommen, wir würden verstehen, was sie durchmachen. Wir wüssten Bescheid. Wir würden es sehen. Er nicht. Er konnte nicht. Und so sagte ich mir immer und immer wieder: »Er kann nichts dafür. Er kann einfach nichts dafür.«
Nachdem wir eingekauft hatten, gingen wir an die Kasse. Mr. Jackson stand hinter mir, während der Kassierer alles eintippte. Die Rechnung belief sich auf fast zehntausend Dollar. Als der Typ mir den Betrag nannte, drehte ich mich zu Mr. Jackson um, weil ich erwartete, dass er mir den Betrag wie sonst auch in bar geben würde. Stattdessen brachte er eine Kreditkarte zum Vorschein. Ich hatte keine Ahnung, wo die hergekommen war. Ich wusste bis dahin noch nicht einmal, dass er überhaupt eine hatte. Sie war neu. Sie hatte noch den weißen Aufkleber mit der Aktivierungsnachricht drauf – als hätte er sie noch nie benutzt. Ich gab sie dem Kassierer. Er zog sie durch. Sie wurde nicht abgelehnt, aber es kam die Nachricht: »Nicht autorisiert.«
Ich fragte: »Mr. Jackson, haben Sie die Karte autorisiert?«
Und er darauf: »Ja doch, ich autorisiere Sie, sie zu benutzen.«
Er sagte das, ohne eine Miene zu verziehen. Als wollte er sagen: »Klar, Bill, kannst sie ruhig benutzen.« Genau das verstand er unter dem Autorisieren einer Kreditkarte. Als wären seine Worte eine Art Abrakadabra, mit dem so ein Teil funktionierte. Ich versuchte mit ihm zu reden. Ob er die Nummer auf der Karte angerufen habe, um sie zu aktivieren? Er hatte tatsächlich keinen Schimmer, wovon ich sprach. Er hatte so was einfach nie selbst erledigen müssen und sagte einfach nur immer wieder. »Oh, da ist genügend Geld drauf. Machen Sie einfach noch mal. Machen Sie nur.«
Der Typ zog die Karte noch mal durch. Nichts. Noch zwei Mal. Nichts. Ich flüsterte inzwischen mit Mr. Jackson, um zu erfahren, was er jetzt tun wollte. Er sagte: »Sagen Sie ihnen einfach, wir kämen später noch einmal vorbei und bezahlten dann.«
Ich dachte bei mir: Glaubt er wirklich, die lassen ihn einfach hier mit Spielsachen für zehntausend Dollar raus auf sein Wort hin, dass er noch mal wiederkommt, um zu zahlen? Und dann will er auch noch alles in Geschenkpapier eingewickelt haben! Ich wusste, dass das nicht drin war, fragte den Manger aber trotzdem. Ich sagte: »Besteht die Möglichkeit, zum Bezahlen wiederzukommen?«
Er sah mich nur an, als wollte er sagen: Ist das Ihr Ernst? Für wen halten Sie mich?
Ich versuchte mit dem Mann was auszuhandeln, während Mr. Jackson mir ins Ohr flüsterte: »Ich kaufe ständig hier ein. Sagen Sie denen einfach, das gehe in Ordnung.« Schließlich dachte ich mir: Okay, jetzt hilft nur noch Londell. In New York war es gerade mal vier Uhr morgens, aber es war mir egal. Ich rief ihn an und erklärte ihm die Situation. Londell sagte: »Geben Sie mir den Manager. Vielleicht akzeptiert er meine Karte übers Telefon.« Londell gab dem Mann seine Kartennummer durch, bezahlte den ganzen Kram, und damit hatte es sich. Wir bekamen alles eingepackt, schafften es zum Palms und legten es unter den Baum.
Danach setzte ich erst mal aus. Ich vereinbarte mit der Hotel-Security, dass man sich in Schichten vor seiner Tür postierte, damit Javon und ich ein paar Tage für uns haben könnten. Die Typen kreuzten auf, und ich fuhr nach Hause. Ich war total ausgelaugt. Ich hatte das Gefühl, bei jemandem Dampf ablassen zu müssen. Da Londell uns nun schon ein paar Mal aus der Klemme geholfen hatte, dachte ich, es wäre okay, mich bei ihm auszusprechen. Ich rief ihn an, um das eine oder andere mit ihm durchzugehen, und klagte ihm meine und Javons Situation. Er war völlig baff und fragte: »Sie haben seit wann kein Gehalt mehr bekommen? Brauchen Sie was? Was brauchen Sie denn?« Glücklicherweise kapierte er, ohne dass ich ihn wirklich um Hilfe anbetteln musste, was mir wirklich peinlich gewesen wäre. Er wies uns telegrafisch zweitausendfünfhundert Dollar an, damit wir wenigstens über die Feiertage aufatmen konnten. Das war eine ungemeine Erleichterung.
Weihnachten kam, ohne dass viel passiert wäre. Ich rief Mr. Jackson am Nachmittag an, um ihm und den Kindern ein frohes Fest zu wünschen. Er fragte: »Hat Ihre Tochter alles bekommen, was sie wollte?«
Ich sagte: »Ja, Sir. Die ist versorgt.«
Er sagte: »Hat sie ein iPhone?«
»Nein, Sir.«
»Kaufen Sir ihr ein iPhone, und sagen Sie ihr, dass es von mir sei. Ich gebe Ihnen das Geld zurück.«
Es tat gut, das zu hören. Es war, als hätte er vielleicht doch eine Ahnung davon, was wir durchmachten. Also kaufte ich meiner Tochter ein iPhone und wickelte es ein, als wäre es von ihm, und er gab mir das Geld dafür tatsächlich zurück. Ein paar Tage später, ich hatte ihn gerade am Telefon, sagte ich: »Sir, meine Tochter möchte sich bei Ihnen für das iPhone bedanken.«
Er sagte: »Ja, klar doch.«
Ich gab ihr das Telefon, und sie unterhielten sich einen Augenblick. Sie bedankte sich, und er sagte: »Gern.« Ich sah die Freude auf dem Gesicht meiner Tochter, als sie mit ihm sprach. Sie konnte es gar nicht glauben, mit Michael Jackson zu telefonieren. Es war einer der wenigen Lichtblicke damals.
Unmittelbar nach Weihnachten bat man uns, die Zimmer zu wechseln. Irgendein ganz großer Zocker kam über Neujahr aus New York, der für die Suite auch tatsächlich bezahlen wollte. Peter Lopez rief mich an und sagte: »Bill, wir müssen Mr. Jackson in eine andere Suite verlegen.« Wir zogen also in eine kleinere Suite auf der anderen Seite des Flurs.
Währenddessen brachte mir UPS eines Morgens drei Pakete ins Haus. Es waren drei große Kartons, die in Luftpolsterfolie gewickelt waren. Der eBay-Account, den Mr. Jackson eingerichtet hatte, lief auf meinen Namen, und immer wenn er etwas bestellte, lieferte man es an meine Adresse. Ich rief ihn an, um ihm Bescheid zu sagen, dass seine Sendung da sei. Er war total aufgeregt und bat mich, sie ihm gleich rüberzufahren.
Ich fuhr die Kartons rüber zum Palms und besorgte mir einen Gepäckwagen, um sie ihm aufs Zimmer zu bringen. Ich schaffte sie rein, und Mr. Jackson meinte: »Super, super!« Wir holten ein Messer und begannen die Kartons zu öffnen. Wir machten den ersten auf, und es war nichts weiter drin als ein paar Beine, wie die einer lebensgroßen Schaufensterpuppe. Sie waren in etwa porzellanfarben und steckten in roten Schuhen. Merkwürdig. Dann öffneten wir den zweiten Karton. In dem war ein Oberkörper, dem Flügel aus dem Rücken wuchsen. Ich holte das Ding heraus und dachte mir: Was? Das sieht ja aus wie Tinker Bell. Aber das ist ja wohl nicht möglich, Tinker Bell ist winzig, und das Teil hier ist riesengroß. Dann machten wir die dritte Box auf.
Tatsächlich, Mann. Tinker Bell.
Wir setzten das Teil zusammen, und dann stand ich da und guckte zu einer über zwei Meter großen Tinker Bell hoch. Er war total weg. Er wollte die Figur an einer ganz bestimmten Stelle im Raum haben. »Das ist super!«, meinte er immer wieder. »Das ist so was von super.«
Es war ein schwieriger Augenblick. Ich meine, da riss ich mir sämtliche Beine aus, um ihm auszuhelfen, soweit das auf meine bescheidene Art möglich war, und er machte immer noch genau denselben Mist, der ihn überhaupt erst in seinen Schlamassel gebracht hatte. Er konnte noch nicht mal das Dach über seinem Kopf bezahlen und kaufte irgendwelchen Scheiß auf eBay. Irgendwie machte ich ihm Vorwürfe, und irgendwie auch wieder nicht. Es gab Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, dass er für all den Mist verantwortlich war, und dann war ich wütend auf ihn. Und dann wieder fand ich, dass andere an seiner Situation schuld wären und wie unfair das war, und dann war ich sauer auf sie. Es gab Tage, an denen ich ihn tatsächlich zu verstehen meinte, ihn und das, was er durchmachte, und dann gab es Tage, an denen ich ihn überhaupt nicht verstand.
Javon: An dem Tag bei FAO Schwarz war ich auf den Mann so sauer wie nie zuvor oder danach. Aber selbst da konnte ich ihm nicht länger böse sein als zehn Minuten. Ich bin sicher, er hat auf dem Heimweg irgendwas gesagt, was mich die ganze Geschichte wieder vergessen ließ. Er hatte einfach so was an sich, sein ganzes Auftreten. Er war so was von lieb, so was von leise. Man konnte schlecht drauf sein, seine gute Laune und seine Energie halfen dagegen und bauten einen sofort wieder auf. Sein Wesen wirkte auf die Menschen um ihn. Er wusste die Menschen für sich einzunehmen. Allein die Art, wie er mit einem sprach, gab einem das Gefühl, er meint, was er sagt.
Ich sah, wie der Mann ein Lächeln auf die Gesichter in seiner Umgebung zauberte. Jeder, der mit ihm in Berührung kam, vom Prominenten bis zum Mann auf der Straße, fühlte sich dadurch bereichert. Wir verstanden nicht, wieso er es nicht schaffte, sich geschäftlich mit Leuten zu umgeben, denen er vertrauen konnte. So brillant, wie der Mann sonst war, konnten wir es einfach nicht fassen, dass er sich von allen derart ausnutzen ließ. Er konnte einem leidtun, er und die Kinder. Sie lebten aus dem Koffer. Ihr Leben hatte jede Struktur verloren; nie wussten sie, wo sie abbleiben würden. Es weckte in einem den Wunsch, sie zu beschützen und dafür zu sorgen, dass ihnen nichts passierte. Deshalb war es auch irgendwann kein bloßer Job mehr für uns. Wir hatten eher das Gefühl, eine Mission zu haben.
Man erlebte ihn in all seiner Naivität und dachte bei sich: Der Mann kann noch nicht mal seine eigene Kreditkarte autorisieren. Er ist so dran gewöhnt, dass man sich um ihn kümmert, vielleicht ist es tatsächlich nicht seine Schuld, dass man uns nicht bezahlt. Und trotzdem konnte er einem eine Falle stellen wie bei der Geschichte mit den Paparazzi, um meine Loyalität auf die Probe zu stellen. Für mich zeigt dies, dass der Mann nicht von gestern war und sich seiner Situation sehr wohl bewusst war. Also, was war’s nun?
Ich tat mich mit alledem schwerer als Bill. Mich regte das mehr auf als ihn, sodass er mich ständig beschwichtigen musste: »Mr. Jackson kann nichts dafür.« Und ich sagte zu ihm: »Aber, Bill, ab irgendeinem Punkt muss er doch wohl was dafürkönnen.« Sicher, er hatte all die Leute um sich, die ihn ausnutzten, aber er hatte die Leute doch auch eingestellt. Und selbst wenn ihm das andere antaten, wenn sich daraus Probleme ergaben, dann konnte man eben doch was dafür, wenn man einfach nichts dagegen tat. Deswegen hätte man den Mann ja zu gern hier und da mal am Kragen genommen und ihm gesagt: »Mr. Jackson, nun machen Sie sich mal gerade! Es ist Zeit, die Führung über das zu übernehmen, was Sie sich aufgebaut haben. Sie brauchen doch bloß mal auf den Tisch zu hauen.« Aber das konnte er nicht. Anderen Befehle zu erteilen machte ihm Angst. Sein Verhältnis zu seinen Angestellten war ein Eiertanz. Ich verstand das wirklich nicht.
Bill: Wenn ich höre, Michael Jackson habe seine Kindheit verpasst oder dass er nie habe Kind sein dürfen, dann höre ich was anderes als die meisten anderen. Er spielte gern mit Spielsachen, fuhr gern Achterbahn, gab Pyjama-Partys – von mir aus, hatte er das eben verpasst. Und es ist nun mal das, was die Kindheit mit ausmacht. Aber sie ist auch viel mehr. »Räum dein Zimmer auf.« Das ist Kindheit. »Schaff den Müll raus.« »Entschuldige dich bei deiner Schwester.« Das ist Kindheit. Es dreht sich nicht alles um Spaß und Spielen. Kindheit dreht sich nicht bloß darum, Kind zu sein, sie dreht sich darum, erwachsen zu werden. Weil man irgendwann nämlich genau das sein wird, erwachsen – ob man will oder nicht.
Er liebte die Geschichten über Peter Pan und solche Sachen. Aber manchmal konnte ich einfach nicht anders, als mich zu fragen, ob er wirklich kapiert hatte, worum es bei der Geschichte eigentlich ging. Meiner Ansicht nach hat er sich da nur rausgesucht, was ihm gepasst hat. Schließlich verlassen die Kinder in dem Buch irgendwann Neverland, gehen wieder zu ihren Eltern nach Hause und werden groß. Das ist es, worum es da geht. Es ist die Realität. Man muss erwachsen werden. Aber wenn einen die Leute um einen herum nie in diese Richtung gedrängt haben? Wenn einem keiner was von alledem beigebracht hat, was es dazu braucht? Dann fehlen einem eben auch die Kompetenzen, die es braucht, um mit der Welt umzugehen. Hat Michael Jackson seine Kindheit verpasst? Er hat eine ganze Menge verpasst.
Silvester kam, und wir waren immer noch im Palms, warteten immer noch darauf, dass was passierte. Javon nahm sich den Abend frei, um ihn mit seiner Familie zu verbringen. Ich fuhr allein zum Hotel. Es standen zwar Leute an den Eingängen, aber ich wollte in der Nähe sein, nur für den Fall, dass er anrief. Wer wusste, was ihm einfallen würde. Silvester im Palms geht die Post ab. Das Hotel hat zwei, drei Nachtclubs, es ist also proppenvoll.
Ich ging in eines der Restaurants unten und aß zu Abend. Dort saß ich praktisch die ganze Nacht und fragte mich, ob sich wohl was zum Bessern verändern würde. Wenn es nämlich noch schlimmer käme, dann müsste ich die Konsequenzen ziehen und mich um meine Familie kümmern. Ich ging wirklich in mich. Es war eine regelrechte Gewissensprüfung. Mitternacht kam, und ich war in der Lobby, mitten unter all den Leuten beim Countdown, um das neue Jahr einzuläuten. Ich stand mittendrin. Alles lachte, trank, amüsierte sich, und ich war todunglücklich, weil ich einfach kein Licht am Ende des Tunnels sah.