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Während das Gerücht eines möglichen Michael-Jackson-Comebacks die Runde zu machen begann, hing noch immer das Damoklesschwert der Zwangsversteigerung von Neverland am 19. März über ihm. Nur wenige Tage vor dem Termin gab Londell McMillan, Jacksons Anwalt, Associated Press gegenüber eine Erklärung ab, in der er behauptete, es sei zu einem »geheimen Deal« gekommen, um das Anwesen vor der Versteigerung zu bewahren. In Wirklichkeit handelte es sich bei diesem »Deal« nur um eine weitere Stundung, die Jackson zwei weitere Monate Luft gab, einen Investor aufzutreiben, der ihm aus der Patsche half.

Dann, im April, machte sein Bruder Jermaine die Bekanntschaft mit einem gewissen Tohme Tohme, einem libanesischen Geschäftsmann mit etwas mysteriösem Hintergrund und dickem Akzent. Tohme nannte sich selbst »Dr. Tohme Tohme«, obwohl jeder sehen konnte, dass er mit Sicherheit weder ein Arzt noch sonst ein Doktor war. Tohme war ein Zwischenträger, ein Vermittler, jemand, der geschickt das Netzwerk seiner Beziehungen spielen ließ, um Immobilien- und Entertainment-Deals zu brokern. Nachdem er sich mit Michael getroffen und von Neverlands unmittelbar bevorstehendem Schicksal erfahren hatte, nutzte Tohme sein Netzwerk, um den Sänger mit dem Milliardär Tom Barrak zusammenzubringen, dem Besitzer und CEO der Private-Equity-Gesellschaft Colony Capital.

Barrack traf sich mit Jackson in Las Vegas und erklärte sich anschließend bereit, Jacksons Dreiundzwanzig-Millionen-Dollar-Kredit für einen 50-prozentigen Anteil an dem Anwesen zu übernehmen. Auf Vordermann gebracht, so dachte Barrack, könnte Neverland gut und gern sechzig Millionen wert sein. Colony würde die Restauration des Anwesens übernehmen, dann würde man verkaufen und den Gewinn anteilsmäßig aufteilen. Tohme Tohme sollte einen Finderlohn bekommen – und bald noch viel mehr.

Das Tempo, mit dem der Neverland-Deal über die Bühne ging, überzeugte Jackson davon, dass Barrack und Tohme genau die richtigen Geschäftspartner wären. Im Sommer stellte er Tohme als Nachfolger von Raymone Bain als Manager ein. Nachdem der sich ein Bild von Jacksons Finanzlage gemacht hatte, begann Tohme seinen neuen Klienten massiv zu bedrängen, wieder auf die Bühne zu gehen. Tom Barrack sah ebenfalls das Potenzial von Jacksons Comeback; er wusste, was eine Wiederherstellung von Jacksons Image für den Wiederverkaufswert von Neverland bedeuten würde. Colony Capital gehört, neben vielen anderen Investments, das Las Vegas Hilton, wo Elvis Presley 1969 sein historisches Comeback feierte. Barrack sprach die Idee von einem Auftritt Jacksons dort an, aber Jackson sperrte sich noch immer gegen eine Las-Vegas-Show.

Barrack wandte sich schließlich an seinen Freund Philip Anschutz, ebenfalls Milliardär und darüber hinaus Eigentümer der Anschutz Entertainment Group, und trug ihm die Idee an, Jackson und AEG für einen Auftritt in deren Londoner O2 Arena zusammenzubringen. Er hatte nicht gewusst, dass man bei AEG längst an so etwas gedacht hatte. Der Veranstalter war mehr als erpicht darauf, mit Michael Jackson ins Geschäft zu kommen, und das seit Raymone Bain im Jahr zuvor das erste Treffen zwischen Jackson und dem Chef von AEG Live, Randy Phillips, arrangiert hatte. Bei ihrem ersten Treff war Jackson alles andere als begeistert gewesen von dem Deal, den AEG ihm vorschlug. Seither hatte sich einiges geändert.

Bill: Nachdem ich meine Aufgaben an Michael Amir abgetreten hatte, bekam ich von der geschäftlichen Seite immer weniger mit. Ich wollte auch gar nichts davon wissen. Wer sein neuer Manager war? War mir egal. Wer sein neuer Anwalt war? War mir egal. Es hatte mit mir nichts zu tun.

Ich hatte ein paar Mal mit dem Neuen zu tun, diesem Tohme Tohme. Sein Büro versuchte mich und Javon dazu zu bekommen, eine Vertraulichkeitserklärung zu unterschreiben. So wie wir damals an Bord gekommen waren, praktisch mitten in einer Sicherheitslücke um Mr. Jackson, war niemand da gewesen, der uns so etwas vorgelegt hätte. Und dann waren im Handumdrehen wir es gewesen, die so was andere unterschreiben ließen. Und jetzt versuchte dieser Tohme Tohme im Nachhinein und rückwirkend unsere Unterschrift zu bekommen – vorher würden wir unseren ausstehenden Lohn nicht kriegen. Wieder setzte man unsere Schecks als Druckmittel ein. Ich hatte nicht die Absicht zu unterschreiben. Für mich war das eine Respektlosigkeit. Ich wusste, dass das nicht auf Mr. Jacksons Mist gewachsen war; nie hätte der so was von mir verlangt. Meiner Ansicht nach hatte ich mir sein Vertrauen durch meine Arbeit verdient. Und dass man so etwas jetzt von mir verlangte, war für mich ein Zeichen dafür, was da in der Organisation lief; all die neuen Leute, die sich jetzt um die Kontrolle rauften, schoben sich zwischen mich und Mr. Jackson.

Danach hatte ich nie wieder direkt mit Tohme Tohmes Leuten zu tun. Ich ließ das alles über Michael Amir laufen. Aber ich bekam nach wie vor dies und jenes mit von dem, was da lief. Im Juni brachten wir Mr. Jackson zum Las Vegas Hilton, wo er sich mit dessen Besitzer Tom Barrack traf. Sie aßen dort im Benihana, dem japanischen Restaurant, zu Abend. Barrack wollte mit ihm über ihre Pläne zur Rettung und Instandsetzung von Neverland reden und die Möglichkeit, dass Jackson als Headliner im Hilton auftrat. Die Diskussionen um ihn als Headliner in Vegas zogen sich schon über ein Jahr lang hin, aber in dem Sommer begann ich nicht nur das eine oder andere über den Vegas-Gig zu hören, sondern auch über eine mögliche Tour und ein Konzert in Übersee. London, vielleicht. Aber ich hatte zu dem Zeitpunkt schon so vieles gehört; Konzerte, Auftritte, alles Mögliche, und es war nie etwas draus geworden. Ich gab also auch diesmal nicht viel darauf.

Javon: Ich hatte nicht das Gefühl, dass er das wollte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass er überhaupt je wieder auf die Bühne wollte. Als wir bei ihm waren, hatte ich nie den Eindruck, dass ihm das alles fehlte. Er fand es viel aufregender, ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen und jeden Tag mit seinen Kindern zusammen zu sein. Er hatte nicht im Wynn auftreten wollen, und die hatten ihm einige wirklich gute Angebote gemacht. Wenn er über Musik oder Tanzen redete, dann vom rein kreativen Standpunkt aus. Immer wenn man auf die geschäftliche oder kommerzielle Seite zu sprechen kam, waren Freude und Begeisterung wie weggewischt.

Bill: Hin und wieder freilich bekam man den anderen Michael Jackson zu sehen, wie zum Beispiel bei dem Fototermin für Ebony in Brooklyn. Für mich war das immer der King-of-Pop-Modus. Er hatte zwei Seiten. Auf der einen Seite gab es Michael Jackson, den Familienvater, und auf der anderen gab es den King of Pop. Michael Jackson wollte seine Privatsphäre. Er sehnte sich nach einem normalen Leben, aber wenn man der Größte auf seinem Gebiet ist, dann lässt man da nicht so einfach los und sagt: »Sie sollen mich alle miteinander in Ruhe lassen.« Aber wenn wir mit ihm rausfuhren und von irgendwelchen Fans erwischt wurden und man ihm all die Liebe entgegenbrachte? Oh ja, das mochte er. Da begann er richtig zu strahlen. Wenn die Stylistin kam und ihm Haare und Make-up machte und er seinen neuen Roberto-Cavalli-Anzug anzog? Wenn wir zum Abendessen ins Wynn fuhren und wir durch die Casinos gingen und die Leute ihm seinen Namen entgegenriefen und »Wir lieben dich«? Alles, was so zum King of Pop gehörte? Das ging ihm dann runter wie Öl.

Javon: Einmal, abends im Palms, wollte er unbedingt runter in den Club. Nur wollte er keinen großen Auftritt, er wollte noch nicht mal gesehen werden. Er wollte sich einfach reinschleichen, ein bisschen abhängen, sich die Leute ansehen. Der Club hatte einen Balkon, so eine Art Separee, von dem aus man einen guten Blick über die Szene hatte, also arrangierten wir das.

Wir waren kaum zwei, drei Minuten im Club, als der DJ plötzlich einen seiner Songs auflegte. Er mixte eine Menge Samples von anderen Künstlern mit rein. Mr. Jackson nickte so mit dem Kopf dazu und meinte dann: »Wow, ich hab gar nicht gewusst, dass die meine Musik noch spielen.«

Wir sofort: Was?! Wir sagten ihm: »Sir, die spielen Ihre Musik ständig. In Bars, Clubs. Man hört sie überall.«

Er sagte: »Wirklich?«

Er schien überrascht. Ich glaube, er dachte, dass man ihn vergessen hätte und er nicht mehr populär war. Er freute sich aufrichtig, seine Musik in dem Club da zu hören.

Bill: Immer wieder gingen ihn Leute um die Erlaubnis an, seine Musik sampeln zu dürfen. Darum kümmerte sich größtenteils Peter Lopez. Er rief mich an und sagte: »Bill, sag Michael, Kanye West möchte ein Sample von dem und dem Song. Was will er denn dafür haben?«

Ich gab das an Mr. Jackson weiter, und er sagte: »Nichts. Sagen Sie denen, das gehe in Ordnung, wenn sie’s nur benutzten. Je mehr man meine Musik benutzt, umso mehr lebt sie.«

Er hätte ein Vermögen verlangen können, aber er verlangte nichts. Ihm lag nur daran, dass man seine Musik hörte. Es war ihm wichtig, den Titel als King of Pop zu behalten, dass man ihn nicht vergaß.

Eines Vormittags waren wir im Wagen unterwegs, und ich hatte das Radio an, irgend so eine Talkshow, wo die Leute anrufen konnten. Man hatte die Frage gestellt: »Wer, meint ihr, war besser, Michael Jackson oder Elvis Presley? Ruft an und sagt uns eure Meinung dazu.«

Ich stellte lauter. Ich wollte seine Reaktion darauf hören. Die Leute riefen an und sagten ihre Meinung; die einen standen auf Elvis, die anderen auf ihn. Mr. Jackson saß einfach still im Fond. Aber auch wenn er nichts sagte, ich konnte sehen, dass er zuhörte. Plötzlich platzte ihm der Kragen: »Elvis war nichts gegen mich! Ich habe mehr Platten verkauft als er und die Beatles zusammen! Die kommen doch nicht ran an das, was ich kann.« Er hatte eben noch immer sein Künstler-Ego. Und ab und an kam das raus.

Javon: Er war eben ein Entertainer, ein Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Die Schattenseiten des Ruhms wollte er nicht. Wenn was Negatives anfiel, wollte er in Ruhe gelassen werden, aber an einem guten Tag war ihm jede Aufmerksamkeit recht. Wenn er davon sprach, wieder auftreten zu wollen, sagte er immer, das schulde er seinen Fans. Was macht ein Künstler, der sein Publikum im Stich lässt? Wer nicht tourt oder Platten macht, lässt seine Fans im Stich, und wenn ihm an etwas lag, dann waren das seine Fans. Sie waren für ihn die Stütze schlechthin. Und das beeinflusste seine Entscheidung. »Ich muss das für die machen«, sagte er.

Bill: Er sagte auch was davon, dass er es seinen Kindern schuldig sei. Jetzt, wo sie alt genug seien zu verstehen, wer ihr Vater sei und was er mache, meinte er, da wolle er, dass sie das mit eigenen Augen sähen. Er hätte viel drum gegeben, meinte er, könnten seine Kinder ihn und seine Brüder zusammen auftreten sehen, damit sie merkten, wie alles angefangen habe. Aber dabei blieb es auch. Er sagte es eben nur. Immer wenn sich ein Deal oder eine Gelegenheit dazu ergab, wie die Geschichte in Vegas, da kam er dann nicht zu Potte und ruderte mit irgendeiner Ausrede wieder zurück.

Er hatte also durchaus irgendwo den Wunsch, wieder aufzutreten, aber allzu groß war der, wenigstens unserer Ansicht nach, nicht. Der Grund dafür, dass er wieder zu arbeiten anfing, war es jedenfalls nicht. Der Grund für das Konzert, von dem alle sprachen, waren ausschließlich seine finanziellen Verpflichtungen. Es war nicht so, dass er gesagt hätte: »Hey, machen wir doch ein Konzert.« Nein. Nein, es hieß vielmehr: »Hey, Sie müssen ein Konzert machen. Es ist das Einzige, was Ihnen da wieder raushilft.« Und wer will das schon? Der Mann war Perfektionist. Wenn er was machen wollte, dann wann es ihm passte, und er wollte dem dann auch seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken, und wer könnte das schon unter dem Druck, unter dem er stand?

Ich hatte meine Zweifel hinsichtlich der Gründe, aus denen man ihn in diese spezielle Richtung schob. Er hätte durchaus andere Möglichkeiten gehabt. Immerhin gehörte ihm noch der halbe Sony-Katalog. Wieso verkaufte er den nicht einfach, bezahlte seine Schulden und fing irgendwo neu an? Ich meine, wenn er wirklich in Ruhe gelassen werden wollte? Er verkaufte den Katalog zum Teil deshalb nicht, weil er was gegen Sony hatte. Denen den Katalog zu überlassen wäre für ihn die Schlappe schlechthin gewesen. Aber nach allem, was ich so mitbekam, redete man ihm auch zu, den Katalog nicht zu verkaufen. Hätte nämlich Michael Jackson seine Hälfte des Sony-Katalogs verkauft, würde nur einer verdienen, und zwar er. Wenn Michael Jackson Werbung für etwas machte, dann verdiente daran eben nur er. Aber wenn Michael Jackson ein Konzert gab? Dann verdienten daran alle.

Daher kam der ganze Druck. Einer nach dem anderen drückten sie ihm Zahlen aufs Auge: »Damit bist du deine Schulden los. Damit bezahlst du deine Prozesse.« Und das war nun mal auch seine Art, mit was umzugehen: »Kümmern Sie sich darum.« »Schmeißen Sie das weg.« »Sehen Sie zu, dass das verschwindet.« Er kam zu der Überzeugung, das alles vergessen zu können, wenn er nur genug Geld hätte, jedem genügend geben zu können, damit er verschwand. Aber so funktioniert das nun mal nicht. Wenn man ganz oben ist, kommen die Kletten. Je mehr Geld man hat, desto größer werden die Probleme. So ist das nun mal. Sie wissen das, und ich weiß das, aber ich glaube nicht, dass er das so sah. Er lebte in seinem Kokon und träumte von seiner großen Zeit.

Als Thriller rauskam, war er für Gott und die Welt der King. Was für Probleme hatte er da schon? Was musste er schon groß machen – außer starker Musik? Von all dem negativen Mist war da nichts zu hören. Damals hatte er wirklich genügend Geld, um sich von so gut wie allem freizukaufen. Er konnte sich ein Neverland leisten und sich da verstecken. Deswegen wollte er ja auch unbedingt das Haus an der Durango Street. Weil es ein zweites Neverland war. Es war riesig; die Leute konnten ihn nicht sehen, und er brauchte die Leute nicht zu sehen. Das war die Zeit, nach der er sich sehnte. Er dachte, dass er sich die zurückkaufen kann. Seiner Erfahrung nach war das die Lösung – genügend Geld zu verdienen, um aussteigen zu können.

Meiner Ansicht nach war das der eigentliche Grund dafür, überhaupt ja zu einem Konzert zu sagen. Und so wie ich ihn kannte? Die Art, wie er mit dem Geld umging? Die Koffer voller Cash? Deswegen hat er zugestimmt, irgendwas in Übersee zu machen. Er war nach Vegas gekommen, um als Headliner aufzutreten, aber wo ihn hier in den Staaten Gott und die Welt verklagte, hätte man ihm alles unter dem Allerwertesten weggepfändet. Machte er jedoch die Show in London, taten die Leute sich um einiges schwerer, an das Geld zu kommen. Ich denke mal, dass eine Menge davon in Übersee bleiben sollte. Nummernkonten. Cash in Bankschließfächern. Er hätte es irgendwo verbunkert, nicht zuletzt vor seinen eigenen Anwälten und Managern. So dachte er nun mal. Und aus genau diesem Grund erklärte er sich zu dem Konzert bereit. Er dachte, wenn er dort drüben genug Geld verdiente, dann käme er mit seinen Kindern heil raus aus der ganzen Geschichte, und der Alptraum mit all den Geiern, den Prozessen, dem Theater hätte endlich ein Ende. Aber der Alptraum sollte kein Ende nehmen. Solange er Michael Jackson war, würde er nie ein Ende nehmen.