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Als Heranwachsender war Michaels Idol James Brown, der »Godfather of Soul«, der »am härtesten arbeitende Mann im Showbusiness«. Im Fernsehen oder von den Kulissen von Harlems Apollo Theater aus studierte der junge Künstler den Meister und prägte sich jede seiner Bewegungen ein. Obwohl er später zu Füßen von Motown-Größen wie Marvin Gaye, Diana Ross und Smokey Robinson lernen sollte, hatte James Brown, wie er zeitlebens betonte, den größten und nachhaltigsten Einfluss auf ihn.

Am Heiligen Abend, während Jackson und seine Familie sich auf das Fest vorbereiteten, ließ sich sein Kindheitsidol in Atlanta, Georgia, ins Krankenhaus fahren; er klagte über Erschöpfungszustände und einen kräftezehrenden Husten. Nur wenige Stunden später, am frühen Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags, erlag der dreiundsiebzigjährige Brown einer durch die Komplikationen einer Lungenentzündung hervorgerufenen Stauungsinsuffizienz. Am 30. Dezember ließ Jackson seine Kinder in der Obhut ihrer Nanny und flog nach Augusta, Georgia, um an Browns Begräbnis teilzunehmen, wo er neben anderen Prominenten den Sänger mit einer Ansprache würdigte. Es war Jacksons erster öffentlicher Auftritt in den Vereinigten Staaten, seit er das Land anderthalb Jahre zuvor verlassen hatte.

Während sie auf Jacksons Rückkehr warteten, machten Bill Whitfield und Jeff Adams sich daran, die Verstärkung des Security-Teams für den Silvestereinsatz zu arrangieren. Da Adams an dem Abend bereits einem anderen Klienten verpflichtet war, konnte er nicht dabei sein, und so kontaktierte er seinen Cousin Javon Beard. Sechsundzwanzig Jahre alt, Vater von drei Kindern, war Javon Beard im Herzen von South Central Los Angeles aufgewachsen; sein Vater war bei der Post, seine Mutter arbeitete an einem Schalter von FedEx. Eines von sechs Kindern, hatte Beard eine ältere Schwester, einen Zwillingsbruder, jüngere Zwillingsschwestern und einen kleinen Bruder. Sein Zwillingsbruder Jovon war mit Zerebralparese geboren und im Alter von sieben Jahren gestorben.

Die Beards wohnten bei ihrer Großmutter unweit der Kreuzung 46th Street und Western Avenue, eine Gegend, die zu Hochzeiten der Crack-Ära berüchtigt war für Drogen und Bandengewalt. Javon entkam der Straße, indem er sich an der Highschool mit Leib und Seele dem Basketballteam verschrieb. Inglewood High hatte eines der ehrgeizigsten Teams im Land, und er hoffte, dass sein Talent ihm die Tür zu einem College-Abschluss öffnen würde. Eines Abends jedoch, beim Tanken einige Blocks von zu Hause weg, versuchte man ihm den Wagen zu stehlen und schoss ihm dabei in den Arm. Sein Traum von Sportstipendium und Profibasketball war damit vorbei. Er machte seinen Abschluss an der Inglewood High und nahm einen Vollzeitjob als Wachmann in der ältesten Kläranlage von Los Angeles an, wo er es zum Leiter der Betriebssicherheit brachte.

Nach all den Jahren auf dem harten Pflaster der Stadt entschied Javon sich schließlich dazu, von South Central weg in eine weniger heiße Gegend zu ziehen. Bei einem Familienbesuch in Las Vegas 2004 sprach er für eine Stelle in der Time-Share-Anlage Summer Bay vor und bekam sie; schon die Woche darauf zog er um. Er arbeitete sich vom Security-Mann an der Rezeption hoch zum Manager von Sicherheitsteam und Hausmeisterei; damit hatte er eine zweihundert Mann starke Belegschaft von Sicherheits-, Wartungsleuten und Hauspersonal unter sich.

Im Gegensatz zu Bill Whitfield hatte Javon Beard nie Personenschutz für Prominente gemacht; aber er verfügte über die eine Qualifikation, die hier eine Rolle spielte: Er gehörte zur Familie, man konnte ihm also trauen. So nahm denn Jeff Adams, nur wenige Stunden vor dem für den Abend geplanten Besuch der Copperfield-Show, Kontakt zu seinem Cousin auf und bot ihm die Chance seines Lebens.

Javon: Ich hatte »Smooth Criminal« als Klingelton auf dem Handy, also hörte ich das, als Jeffs Anruf reinkam. Das muss kurz nach Mittag gewesen sein, so gegen halb zwei. Erst hab ich gedacht, er wolle sich wegen abends absprechen – ich hatte die ganze Familie zu meiner großen Silvesterparty eingeladen. Ich hatte extra eine Suite im Bellagio gemietet. Monatelang hatte ich das alles geplant. Aber als ich ranging, fand ich schon mal seinen Ton irgendwie komisch. Er war richtig kurz angebunden. Er sagte: »Was machst du denn grade?«

Ich antwortete ihm: »Na, Vorbereitungen für heute Abend.«

Ich war echt knapp dran. Silvester lässt die Stadt immer den Strip sperren, damit die Leute zum Feuerwerk auf die Straße können. Also sagte ich ihm: »Ich versuch es noch runter zum Strip zu schaffen, die machen den um fünf dicht, und es ist schon fast zwei.«

»Bist du zu Hause?«

»Ja, natürlich.«

»Bin schon unterwegs.«

»Wieso denn?«

»Ich muss mit dir reden, und das geht nicht am Telefon. Viertelstunde, ja? Lauf mir nicht weg.«

Damit legte er auf, einfach so. Er verabschiedete sich noch nicht mal.

Als er bei mir ankam, war ich draußen und belud den Wagen. Ein Freund von mir half mir dabei. Jeff sah den Typen kurz an und meinte, er müsse allein mit mir reden. Also gingen wir nach drinnen. Er meinte, dass ich mich setzen solle, und rückte dann raus damit: »Okay, ich weiß, du wirst das jetzt nicht machen wollen. Ich weiß, du hast Pläne, aber ich muss dich wirklich um einen echten Gefallen bitten. Ich brauche jemanden, dem ich trauen kann. Kannst du heute Abend arbeiten?«

Ich sagte: »Spinnst du?«

Also erst mal hatten wir Silvester, und dann hatte ich ja die Suite im Bellagio gebucht. Wir sprechen hier von siebenhundert Dollar die Nacht, und zwei Nächte sind dort das Minimum. Meine Kreditkarte war schon belastet. Ich hatte also bereits vierzehnhundert Mücken hingelegt, und das mit Rabatt; ich hatte dafür Monate im Voraus gebucht.

Und dann brauchte ich den Job schließlich nicht. Ich hatte mich in der Time-Share-Anlage hochgearbeitet, ich verdiente fünfundsechzigtausend Dollar im Jahr. Mir ging’s gut, und jetzt wollte ich mal ausspannen und feiern. Ich sagte zu Jeff: »Mann, ich bin versorgt. Ich habe mein Einkommen. Ich ruinier mir doch Silvester nicht wegen eines Jobs für eine Nacht.« Er ließ nicht locker. Schließlich sagte ich: »Wer ist denn der Klient?«

Er meinte: »Kann ich dir nicht sagen. Nur so viel, er ist eine hochgestellte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.«

Ich musste lachen. »Jeff, du bist mein Cousin, aber so ’n Scheiß brauch ich echt nicht. Ohne klare Ansage blase ich meine Pläne nicht ab.«

Er überlegte einen Augenblick und meinte dann: »Okay, ich verstoße hier gegen den Grundsatz der Vertraulichkeit, aber ich sag’s dir. Unter Verwandten.« Dann beugte er sich ganz weit vor und sagte: »Es ist Michael Jackson.«

»Erzähl doch keinen Scheiß.«

»Nein, im Ernst. Es ist Michael Jackson.«

Ich sah ihm an, dass er mich nicht auf die Rolle zu nehmen versuchte. Dann erklärte er mir die Situation. »Es ist wahrscheinlich ein Job auf Dauer, wenn du willst«, sagte er. »Übernimm einfach den Job heut Abend, möglicherweise wird daraus noch ’ne ganze Menge mehr.«

Ich sagte: »Kommt nicht in die Tüte, Jeff. Ich weiß, wie das im Personenschutz läuft, ich schau dir ja schon lang genug zu. Das ist mir zu unsicher. Ich habe einen sicheren Job.«

Er antwortete, dass alles so gut wie abgemacht sei, er könne mir nur nicht sagen, ob ich Mr. Jackson recht wäre oder nicht. Er sagte: »Er ist manchmal recht eigen. Er kann ziemlich mäklig sein, wenn’s drum geht, wer für ihn arbeitet.« Schließlich meinte er: »Pass auf, ich weiß, dass du Mr. Jackson recht sein wirst. Und ich sorge dafür, dass es sich für dich auszahlt. Ich helf dir dabei, der Familie beizubringen, dass du’s nicht auf die Party schaffst. Ich nehm die Vorwürfe auf mich, und ich zahl für die Suite.«

Ich sagte: »Du zahlst mir vierzehnhundert Dollar?«

Er griff in die Tasche und brachte tausend Dollar zum Vorschein. Cash! »Mehr hab ich nicht auf Tasche«, sagte er, »aber wenn du mit zum Automaten kommst, kriegst du den Rest.«

In dem Augenblick wusste ich, dass alles in Ordnung war. Ich sagte ihm, ich sei dabei.

Er fragte: »Hast du ’n dunklen Anzug?« Hatte ich, aber der war in der Reinigung, und die war schon zu. Die Anzüge, die ich im Haus hatte, waren eher knallig – wer mich kennt, der weiß, ich hab’s gern bunt, aber bei Security-Jobs geht nur Schwarz. Oder Marineblau. Was anderes ist da nicht drin. Also sagte Jeff: »Okay, dann müssen wir los, dir ’n neuen Anzug besorgen.«

Es war mittlerweile nach zwei. An Silvester! Und wo ich nun mal eins sechsundneunzig bin, mussten wir uns beeilen, um was in 48 long zu finden, was nicht erst noch geändert werden musste, schließlich kriegt man an Silvester hier keinen Schneider. Wir fuhren zur Boulevard Mall, dann zur Meadows Mall. Schließlich fanden wir in der Burlington Coat Factory einen Anzug, der wie angegossen saß. Wir kauften ihn und rasten wieder zu mir nach Hause. Ich bügelte das Teil auf, dann ging’s raus zu Mr. Jacksons Haus.

Kurz vor fünf kamen wir dort an. Ich wurde langsam nervös. Bill kam raus und machte uns das Tor auf. Das war meine erste Begegnung mit ihm. Er sah mich an und sagte: »Bist du bereit?«

Ich antwortete: »Ich hoffe doch.« Aber ich war trotzdem nervös, was die Geschichte anging. Ich wusste wirklich nicht, ob ich das bringen würde.

Bill sagte: »Na ja, lang genug bist du ja. Könnte durchaus von Vorteil sein.«

Wir fuhren rauf an die Haustür unterm Vordach. Jeff stieg aus und ging rein. Ich saß gut fünfunddreißig Minuten allein im Wagen. Immer wieder sah ich auf die Uhr, checkte meinen Anzug, sah nach, ob meine Krawatte auch richtig saß. Schließlich kam Jeff wieder heraus und sagte: »Okay, gehen wir rein. Ich hab dich in höchsten Tönen gelobt, und er hält was auf meine Meinung, also denk ich mal, das ist gebongt.«

Dann nahm er mich mit ins Haus. Mr. Jackson kam die Treppe runter. Er trug einen Mundschutz, wie ein Chirurg, und außerdem ein weißes Hanes-T-Shirt mit V-Ausschnitt und Schlafanzughosen, aus denen unten weiße Socken raussahen. Als Erstes fiel mir auf, wie zierlich und schmal der Mann war. Als er mir die Hand hinhielt, nahm ich sie ganz vorsichtig. Ich hatte Angst, dass ich ihm was kaputtmache, so zerbrechlich, wie er aussah.

Er sagte irgendwas, aber ich konnte ihn wegen des Atemschutzes nicht verstehen. Seine Stimme war wie verschluckt. Ich gab mir alle Mühe, bescheiden und respektvoll zu sein, aber jedes Mal, wenn er den Mund aufmachte, fragte ich nach: »Was? Wie meinen Sie?« Dann hob er die Maske so ein bisschen an und sagte: »Hallo, Javon. Ich habe viel über Sie gehört. Sind Sie bereit, meinem Security-Team beizutreten?«

Ich sagte: »Absolut, Sir. Ich find das wirklich aufregend, zu Ihrem Team zu gehören. Ich hoffe, es wird was Festes draus.«

Und er: »Ich sehe keinen Grund, warum nicht. Kann ich Ihnen vertrauen?«

»Ja, Sir. Können Sie, auf jeden Fall.«

»Okay, dann willkommen.«

Er rief die Kids herunter. Prince und Paris kamen sofort auf mich zu und gaben mir die Hand. Nur Blanket musste Mr. Jackson einen Schubs geben, damit er hi sagte. Dann liefen sie wieder los, spielen oder was immer sie gemacht hatten. Mr. Jackson meinte: »Denken Sie sich nichts dabei. Das ist für sie Routine. Sie sind es gewohnt, ständig neue Leute kennenzulernen. Aber Sie meinen es gut.«

Wir unterhielten uns noch ein Weilchen, dann ging er wieder nach oben. Ich, Bill und Jeff machten uns an die Einsatzplanung. Die beiden führten mich über das Anwesen, erklärten mir, worauf es ankam. So gegen zehn Uhr abends traten Mr. Jackson und die Kinder wie aus dem Ei gepellt an, und wir fuhren rüber zum MGM Grand. Das Hotelmanagement sorgte dafür, dass wir durch den Bühneneingang reinkamen.

Die Vorstellung hatte schon angefangen. Wir schlichen uns rein. Mr. Jackson und die Kinder setzten sich auf ihre Plätze in der ersten Reihe. Ich saß direkt hinter ihnen. Bill postierte sich am Ausgang links von der Bühne. Wir sahen uns die Vorstellung an, dann schlichen wir uns wieder raus, bevor das Licht anging. Mr. Jackson nahm die Kinder noch mit nach hinten, um David Copperfield persönlich kennenzulernen. Sie unterhielten sich einige Minuten. Dann stiegen wir alle wieder in die Fahrzeuge, und wir brachten sie nach Hause.

Am nächsten Vormittag rief ich im Büro an, kündigte und fing bei Michael Jackson an.