6

Im Herbst 1979, der Erfolg von Off the Wall hatte ihn finanziell unabhängig gemacht, begann Michael Jackson die Grundlagen für eine Solokarriere zu legen. Als Erstes heuerte er dazu den Anwalt John Branca an. Branca, ein Steueranwalt mit beträchtlicher Erfahrung in der Musikindustrie, hatte für Leute wie Bob Dylan und die Beach Boys gearbeitet; er handelte einen neuen Vertrag mit CBS aus und verschaffte ihm Tantiemen, wie sie sonst nur die Größten im Business bekamen. Außerdem gelang es Branca, Michaels Plattenvertrag von dem seiner Brüder zu trennen. So brauchte Jackson mit seiner Familie nur noch dann ins Studio zu gehen oder aufzutreten, wenn ihm danach war; dazu zwingen konnte das Label ihn nicht. 1983, auf dem Höhepunkt der Thriller-Mania, stand Joe Jacksons Vertrag als Manager seiner Söhne zur Neuverhandlung an; Michael wollte als Künstler auch die Scheidung von seinem Vater. Da er grundsätzlich Konflikte nur ungern persönlich austrug, wollte er auch seinen Vater nicht selbst feuern; er ließ die Papiere für die Auflösung ihrer Beziehung aufsetzen und sie seinem Vater per Boten zustellen.

John Branca hatte diese Papiere aufgesetzt; er war damit ab sofort Michaels engster Vertrauter. Zum Team Jackson-Branca gehörte damals Frank DiLeo, Jacksons Manager, den man einstellte, kurz nachdem Joe Jackson geschasst worden war. DiLeo war Promotion-Chef bei Epic Records gewesen, als Thriller herauskam, und Jackson schrieb ihm einen beträchtlichen Anteil am Erfolg des Albums zu. Als Jacksons Manager fungierte DiLeo auch als Produktionsleiter für den abendfüllenden Film Moonwalker; er handelte den bahnbrechenden Werbevertrag mit Pepsi aus und arrangierte die alle Rekorde brechende Welttournee für Bad.

Michael Jacksons Team war eine Zeitlang schlicht nicht aufzuhalten. 1984 handelte John Branca Jacksons Ankauf von ATVs Musikkatalog aus und damit von Verlagsrechten an Tausenden von Kompositionen, darunter Hunderten von Beatles-Songs. Jackson bezahlte siebenundvierzig Millionen Dollar für den Katalog, dessen Wert bald um ein Beträchtliches steigen und das Fundament für sein ungeheures persönliches Vermögen bilden sollte. Fünf Jahre später, im Herbst 1989, verhandelte Branca Jacksons Vertrag mit Sony neu aus, der neuen Mutterfirma von CBS/Epic Records. Sony erklärte sich zur Zahlung der Rekordsumme von fünfzehn Millionen Dollar Vorschuss für jedes neue Album bereit. Bruce Springsteen, um das in eine vergleichende Perspektive zu setzen, bekam damals gerade mal 2,5 Millionen Dollar, Billy Joel 1,7 Millionen. Hinsichtlich Jacksons Tantiemen schlug Branca fünfundzwanzig Prozent heraus; die meisten Acts bekamen gerade mal zwölf. Der neue Deal mit Sony war der lukrativste Vertrag in der Geschichte der Branche. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs schätzte man Michael Jacksons Vermögen auf siebenhundert Millionen Dollar.

Jacksons Talent – und das unbegrenzte Ertragspotenzial, das es darstellte – war wie ein Magnet, der die mächtigsten Leute der Musikbranche anzog. In dem Augenblick, in dem der Sänger sich mit den richtigen Leuten umgab, florierte das Geschäft; als er sich mit den falschen Leuten zu umgeben begann, geriet seine Karriere ins Stocken. Ende der 1990er-Jahre häuften sich die »falschen Leute« in seinem Kreis. 1989 hatte Jackson Frank DiLeo von heute auf morgen gefeuert; er warf ihm finanzielle Misswirtschaft vor. Im Verlauf des neuen Jahrzehnts hatte auch die Beziehung zu John Branca seine Höhen und Tiefen, und Branca bekam seinen Laufpass schließlich 2003. Der Vorwurf des Kindesmissbrauchs von 1993 war emotional ein vernichtender Schlag, der Michael Jackson empfindlich machte. Ein Schwarm von Prominentenanwälten hängte sich an ihn und raufte sich um den Posten des Chefanwalts beim mutmaßlichen Prozess des Jahrhunderts. Sie waren es auch, die Jackson dazu überredeten, den Fall außergerichtlich beizulegen, und fügten seiner Karriere wie seinem Privatleben unwiderruflichen Schaden zu.

Um die Jahrhundertwende hatte Jackson, von seiner Familie ebenso entfremdet wie von dem kreativen Team aus Thriller-Zeiten, so gut wie nichts mehr, was ihm hätte Halt geben können. Seine Geschäfte führte nicht länger ein anerkanntes Schwergewicht aus der Branche, sondern ein kaum bekannter deutscher Geschäftsmann namens Dieter Wiesner, der die Karriere des Sängers in eher merkwürdige Bahnen zu lenken begann; die Markteinführung einer Limonade mit Jacksons Initialen ist ein Beispiel dafür. Darüber hinaus startete Jackson eine Reihe geschäftlicher Unterfangen mit einem Finanzier namens Marc Schaffel, der zuvor Pornofilme produziert hatte – kaum der ideale Partner für einen Entertainer, dessen öffentliches Ansehen unter Anschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens erheblichen Schaden genommen hatte.

Nachdem Randy Jacksons kurze Amtszeit als Michaels Manager zum Zerwürfnis zwischen den beiden Brüdern geführt hatte, wandte Jackson sich an Raymone Bain, die Frau, die Randy als Pressesprecherin eingestellt hatte. Bain, relativ neu in der Musikbranche, hatte sich mit der Wiederbelebung der Karriere von Washingtons Ex-Bürgermeister Marion Barry als Krisenmanagerin einen Namen gemacht. Im Sommer 2006 gab Jackson eine Presseverlautbarung heraus, laut der Bain ihr Amt als General Manager und CEO der Michael Jackson Company antreten würde, eine neue Muttergesellschaft mit der Aufgabe, das in Auflösung begriffene Imperium des Sängers zu konsolidieren.

Die einzige Konstante während all dieser Zeit war Grace Rwaramba, das Kindermädchen, das seit siebzehn Jahren bei ihm war. Rwaramba, in Uganda geboren, in den USA aufgewachsen, hatte 1992 bei Jackson als Assistentin angefangen; sie hatte sich während der Dangerous-Tour um Personalprobleme gekümmert, und die beiden waren enge Freunde geworden. Als Jacksons Kinder zur Welt kamen, sah sie sich zu deren Betreuerin befördert. Ihre tatsächliche Rolle in Jacksons Leben freilich ging weit darüber hinaus. Trotz anhaltender gesundheitlicher Probleme, die sie immer wieder mal zum Pausieren zwangen, war sie die Hüterin seiner Pforte, an die man sich zu wenden hatte, wollte man Zugang zu ihm. Ihre Beziehung zu den Kindern verlieh ihr eine Position, wie sie es in Jacksons Universum kein zweites Mal gab.

Als Michael Jackson nach Las Vegas umzog, kümmerte sich diese kleine Crew – Grace Rwaramba, Raymone Bain und sein Assistent John Feldman – um Jacksons Alltagsgeschäft. Als Neuzugänge zum Team gaben Bill und Javon sich alle Mühe, die einzelnen Persönlichkeiten und die Politik hinter dem privaten Universum ihres Arbeitgebers zu verstehen. Wie sie zu ihrem Unbehagen langsam, aber unvermeidlich erfahren mussten, war das kleine Team um Michael Jackson von innen betrachtet noch gestörter, als es von außen den Anschein hatte.

Bill: Im Februar traf Mr. Jacksons Managerin Raymone Bain in Vegas ein. Sie kam mit zwei Leuten aus ihrem Stab mit dem Auto aus Washington. Sie hatten nicht fliegen wollen, weil sie Mr. Jackson einen Aktenkoffer mit einigen Hunderttausend Dollar brachte. In bar. Mit einer solchen Summe kann man unmöglich in den Flieger steigen, ohne eine Menge Fragen beantworten zu müssen. Und so waren sie eben mit dem Auto gefahren.

Sie fuhr durchs Tor auf die Zufahrt; Feldman kam heraus und nahm den Aktenkoffer in Empfang. Er ließ sie im Wagen sitzen und nahm den Koffer mit ins Haus. So saßen wir beide eine Weile da und unterhielten uns. Sie sagte mehrmals, dass ich ihr bekannt vorkomme, aber ich konnte mich nicht erinnern, ihr schon mal begegnet zu sein. Ich denke mal, sie versuchte mir nur das Gefühl zu geben, es gäbe irgendeine Verbindung zwischen uns.

Wir saßen so eine halbe, vielleicht auch eine Dreiviertelstunde im Wagen, und mir war klar, dass Mr. Jackson sie nicht ins Haus bitten würde, dass er sie, anders gesagt, noch nicht einmal sehen wollte. Sie versuchte so zu tun, als wäre das keinesfalls so peinlich, wie es tatsächlich war. Sie meinte: »Okay. Ich denke, ich mache mich dann mal wieder auf den Weg. Dann machen Sie’s mal gut. Sagen Sie Michael, dass er anrufen soll, wenn was ist.« Dann fuhr sie wieder ab.

Seine eigene Managerin fährt über den ganzen Kontinent, um ihn zu sehen, nachdem er monatelang in Übersee war, und sie reden noch nicht mal miteinander? Also da musste ich mich schon fragen, was zum Geier hier geschäftlich los war. Ich fand das komisch. Auf der anderen Seite war für mich bei dem Job alles neu, also dachte ich mir schließlich: Wenn die miteinander so umgehen wollen, was soll’s?

Als Managerin von Mr. Jackson war Raymone die Frau an der Spitze. Sie bestimmte seinen Tagesablauf; sie organisierte seine Angelegenheiten. In der Regel gab sie am Morgen den Tagesplan durch. Manchmal hielt Mr. Jackson sich bis auf den i-Punkt daran; manchmal sah er sich einen der Termine an, die sie ausgemacht hatte, und sagte: »Oh, da steckt ganz was anderes dahinter. Da gehen wir erst gar nicht hin.«

Uns war nicht so ganz wohl, was die Beziehung der beiden anging. Es herrschte da kein Vertrauen. Er verlor nie ein gutes Wort über sie, und trotzdem führte sie seine Geschäfte. Am Anfang, wie etwa, als wir da miteinander im Wagen saßen, war sie sehr nett zu mir. Sehr nett. Unser Security-Trailer? Der reinste Backofen. Die Klimaanlage war kaputt. Sie rief mich von sich aus an und sagte: »Bill, ich schicke Ihnen etwas Extrageld rüber für eine Klimaanlage für den Trailer.«

Sie rief immer wieder an, um sicherzugehen, dass ich alles Nötige hatte. Ich dachte mir damals, die ist in Ordnung. Wir verstehen uns.

Javon: Ms. Raymone wollte über jeden von Mr. Jacksons Schritten Bescheid wissen, nur wollte ihr Feldman nie etwas sagen. Ich dachte mir damals: Verdammt, die Frau ist seine Managerin. Die sollte schon wissen, was los ist. Aber Feldman ließ sie voll auflaufen, er schloss sie total aus. Also sollten Bill und ich ihr Bericht erstatten.

Eine Weile rief sie mich oder Bill an, und wir ließen sie wissen, wo wir hinfuhren, was mir machten. Für uns war das selbstverständlich. Aber als Mr. Jackson herausfand, dass wir ihr über jeden seiner Schritte Bescheid gaben, da hieß es: »Sagt Raymone nicht, wo wir hinfahren. Ich weiß, dass ihr nur euren Job macht, aber wenn ich will, dass sie was erfährt, dann ruf ich sie an und sage es ihr.« Da war er knallhart. Er sagte uns: »Ihr untersteht mir. Wenn ich dahinterkomme, dass sie auch nur noch einmal ein Wort darüber erfährt, wo wir hingehen, fliegt ihr raus.«

Wenn Raymone in die Stadt kam, musste ich sie vom Flughafen abholen und zum Haus hinausfahren. Während ich sie chauffierte, begann sie mich auszufragen: »Wie geht’s dem Boss? Wo waren Sie denn so? Was hat er denn heute gemacht?«

Und ich sagte: »Wir haben eigentlich nichts Großes gemacht. Ich bin sicher, Feldman kann Ihnen da mehr erzählen.«

Sie regte sich darüber auf, dass wir ihr nicht über jeden Schritt Bericht erstatteten, aber wir machten nur, was man uns sagte. Wir sahen uns in einer schwierigen Lage, immerhin stellte Ms. Raymone uns unsere Schecks aus. Die übrigens nie pünktlich kamen. Wenn wir sie jeden Dritten und Achtzehnten bekommen sollten, bekamen wir sie am Siebten oder am Dreiundzwanzigsten. Sagen wir mal. Das änderte sich ständig.

Bill: Mr. Jackson hatte mehrere Firmen für den einen oder anderen Zweck. Manchmal bekamen wir unsere Schecks von MJJ Produktion, manchmal von der Michael Jackson Company. Das Geld schien ständig von woandersher zu kommen. Es gab kein spezielles Konto für die Löhne. Da fehlte jedes System.

Javon: Man hörte in den Medien das eine oder andere über seine Finanzen, aber von unserer Warte aus gesehen konnte ein Mann wie Michael Jackson unmöglich pleite sein. Er hatte überall Geld gebunkert. Nehmen Sie nur den Aktenkoffer, den Ms. Raymone ihm gebracht hatte. Unsere Schecks mochten spät dran sein, wir gaben trotzdem irgendwo zwanzigtausend Dollar für weiß Gott was aus. Der Mann war total pleite und hatte gleichzeitig Millionen? Daraus wurden wir einfach nicht schlau.

Da er Ms. Raymone nicht über den Weg traute, gingen wir mal davon aus, dass sie unmöglich Zugriff auf jeden Cent von ihm haben konnte. Es sah ganz danach aus, als würde zumindest dieser Bereich seiner Finanzen – seine Lohnliste – schlecht geführt, aber er war offensichtlich trotzdem noch unglaublich reich. So jedenfalls nahm es sich aus. Ich meine, wie sollte er sonst all die Anwälte zahlen? Die riefen pausenlos an und berechneten ihm allein sechshundert Dollar dafür, eine Stunde mit ihm zu telefonieren.

Bill: Es dauerte grade mal einen Monat, bis die Anwälte aufkreuzten. Ende Januar begann einer von ihnen, ein gewisser Greg Cross, zu Hause vorbeizukommen. Greg arbeitete bei Venable, einer großen Top-Kanzlei in Washington, D.C. Er war weiß, ein hochgewachsener, hagerer Typ mit Brille, der reinste Ichabod Crane.

Immer wieder fuhren wir Mr. Jackson zu Meetings und zur Abgabe eidesstattlicher Erklärungen in irgendwelche Hotels, aber Greg war der einzige Anwalt, der zum Haus rauskam. Er schaute so etwa einmal im Monat vorbei. Greg war immer herzlich und zeigte Respekt. Ich konnte sehen, dass Mr. Jackson ihm vertraute. Feldman schien ihn nicht zu mögen. Es kam vor, dass Greg anrief und bat, mit Mr. Jackson zu reden, und Feldman sagte ihm: »Der ist im Augenblick beschäftigt. Ich sehe zu, dass er Sie zurückruft.« Also wenn ich das gewesen wäre und der Sechshundert-Dollar-Anwalt von meinem Boss wäre am Telefon gewesen? Ich hätte wenigstens gecheckt, ob er mit dem Mann reden will. Das war ein weiterer der Machtkämpfe, die da im Gange waren.

Javon: Es war nie so recht klar, wer eigentlich das Sagen hatte. Ms. Raymone war die Managerin, schon, aber man ließ sie absichtlich außen vor. Genau genommen unterstanden ich und Bill und die anderen Sicherheitsleute Feldman. Nur wurden seine Entscheidungen ständig von Ms. Grace gekippt. Feldman hatte sie uns als Kindermädchen vorgestellt, und zunächst wussten wir auch nicht mehr über sie. Aber wir sahen sie einkaufen gehen und mit jeder Menge Lebensmittel zurückkommen, Sachen für die Kinder, Sachen für Mr. Jackson. Und dann erledigte sie auch Geschäftliches für ihn. Sie richtete sich mit Laptop und Drucker bei uns in der Garage ein, und da saß sie dann und erledigte irgendwas aus seinem geschäftlichen Alltag.

Uns wurde schnell klar, dass Ms. Grace mehr war als nur die Nanny. Sie stand Mr. Jackson eindeutig am nächsten. Sie war die Ersatzmutter. Die Kinder liebten sie. Nichts, was die Kinder anging, was sie nicht gewusst hätte. Jeder Außenstehende hätte gesehen, dass sie unantastbar war.

Bill: Feldman und Grace waren sich nie einig. Grace kam raus und sagte ihm: »Mr. Jackson will das und das.« Und Feldman sagte: »Ich trau der Frau nicht. Ich frag mal bei Mr. Jackson nach, um sicherzugehen, dass er das auch wirklich will.«

Hin und wieder fuhr Grace los, um Mr. Jackson ein paar Flaschen Rotwein zu holen. Und Feldman, der weder trank noch rauchte, versteckte den Wein. Wo immer Grace den Wein im Haus auch hinstellen mochte, Feldman ging rein, holte ihn und brachte ihn in den Trailer. »Mr. Jackson braucht so was nicht zu trinken«, sagte er. »Es ist Gift.«

Dann kam Grace raus und sagte: »Bill, ich fahr mal rasch in den Laden. Der Boss möchte einen Schluck Wein. Ich hätte schwören können, dass ich welchen gekauft habe, aber ich muss ihn wohl verlegt haben.«

»Was für Wein war das denn?«, fragte ich. Sie sagte es mir, und ich erwiderte: »Den hat Feldman hier deponiert.« Dann war sie sauer und nahm den Wein wieder mit rein.

Einen Tag darauf oder so kam Feldman wieder und sah sich um. »Wo ist denn der Wein?«

»Welcher Wein?«

»Na der, den ich gebracht habe.«

»Ich habe ihn Grace gegeben.«

»Nein! Nein! Das können Sie nicht.«

»Was? Warum nicht?«

»Sie versucht ihn zu vergiften! Verstehen Sie denn nicht?«

Ich dachte, der Typ hat sie doch wohl nicht mehr alle. Ich dachte, er meinte das tatsächlich wörtlich, dass sie ihn zu vergiften versucht, ich meine, richtig mit Gift im Wein. Die beiden stritten um jeden Dreck.

Javon: Feldman wohnte in einem Hotel in der Nähe, und dahin verschwand er jeden Abend. Manchmal fuhr er am Wochenende nach Hause zu seiner Familie in Kalifornien. Aber selbst wenn er nicht im Haus war, wollte er, dass jede Anweisung, die Sicherheit betreffend, über ihn an uns ging. Er wollte, dass Grace ihn anrief, wann immer einer von uns das Anwesen verließ, aber Grace fiel das erst gar nicht ein. Sie kam zum Trailer raus und meinte: »Der Boss möchte, dass jemand Blanket Frühstücksflocken holt.«

Ich sagte dann: »Haben Sie Mr. Feldman angerufen?«

Und sie darauf: »Ich habe den nicht anzurufen, Javon. Michael bittet Sie zu fahren. Es ist, was er will. Ich bin nur hier, um es Ihnen zu sagen.«

Also fuhr ich zum Laden, und zwanzig Minuten später rief ein grantiger Feldman an. »Was ist los? Wo sind Sie?«

»Im Walmart, Frühstücksflocken für die Kinder holen.«

»Im Walmart? Wieso haben Sie Ihren Posten verlassen?«

»Keine Bange. Ist alles okay. Bill ist doch da.«

»Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie gehen können?«

»Ms. Grace kam raus und meinte, Mr. Jackson wolle, dass ich Frühstücksflocken für die Kinder einkaufe.«

»Warum haben Sie mich nicht verständigt?«

»Ms. Grace meinte, das geht klar.«

»Javon, sie muss mit diesem Scheiß aufhören!«

Dann kam Feldman rüber zum Haus gefahren und ging auf Grace los: »Hör auf, meine Leute rumzuschicken!«

Und sie darauf: »Du hast mir nichts zu sagen! Wenn Mr. Jackson mich um etwas bittet, dann mache ich das eben!«

Um solche Bagatellen ging’s da. Sie fielen übereinander her, wer Javon sagen darf, dass er im Walmart Honey Bunches einkaufen soll. Aber so ging das ständig.

Bill: Feldman war furchtbar besitzergreifend, was Mr. Jackson anging, die reinste Glucke. Als wäre Mr. Jackson sein Sohn. Er hätte im Ton etwas diplomatischer sein können. Aber ich ertrug Feldman. Hier und da gerieten wir zwar aneinander. Wenn es darum ging, unsere Arbeit zu machen, dann machten wir die. Aber darüber hinaus tolerierte ich ihn. Eine Zeitlang wusste Grace nicht, wo ich in Bezug auf Feldman stand. War ich ihm gegenüber loyal oder war ich jemand, den sie vielleicht in ihrer Ecke brauchen konnte? Ich sagte ihr: »Hören Sie, ich bin mein eigener Herr. Ich treffe meine Entscheidungen selbst.«

Nach dieser Geschichte redeten wir mehr miteinander. Ich konnte mit einigen meiner Fragen zu ihr gehen, und sie hatte kein Problem damit, mir zu einer Vorstellung davon zu verhelfen, was Mr. Jacksons Familie anging und die ganze Geschichte mit Randy. Er hatte ständig Probleme mit Michael, vor allem finanzieller Art. Sie erzählte mir derlei Sachen, und wir fanden so eine gemeinsame Basis. Das Einzige, was ich ungern bei ihr ansprach, war Raymone. Grace und Raymone redeten miteinander. Ich mochte Grace, aber die beiden hatten ihren eigenen Film.

Raymone kam hin und wieder in die Stadt, um sich mit dem Boss zu treffen oder um irgendwas Geschäftliches für ihn zu erledigen. Wenn sie anreiste, stieg sie in einem Hotel in der Nähe von Mr. Jacksons Haus ab, dem JW Marriott, und für gewöhnlich holte einer von uns sie dort ab und fuhr sie zum Flughafen. Wir hatten das einige Male durchgespielt, als sie mich auf dem Weg vom Flughafen zu Mr. Jacksons Haus plötzlich fragte: »Bill, Sie kennen nicht vielleicht eine Haushaltshilfe?«

Ich kannte da eine junge Frau, die bei mir alle vierzehn Tage sauber machte, also sagte ich: »Ja, doch, ich wüsste da jemanden.«

Sie sagte: »Gut. Ich bräuchte jemanden, der wenigstens einmal die Woche bei mir durchwischt. Ich möchte die Wohnung in Ordnung wissen, wenn ich nicht hier bin.«

Ich stutzte. Was? Sie hatte eine Wohnung in Vegas? Ich hatte sie immer nur ins Hotel gebracht. Ich war neugierig, hakte aber nicht nach. Ich empfahl nur meine Zugehfrau, die zufällig auch eine Freundin war.

Zwei Wochen später erkundigte ich mich bei besagter Bekannten, ob sie vorbeikommen könne. Sie sagte: »Können wir das ein andermal machen? Ich muss noch bei Raymone sauber machen.«

»Wo ist das denn?«, wollte ich wissen.

»Im Turnberry.«

»Turnberry Towers?«

»Ja, in den Turnberry Apartments.«

Als ich das hörte, dachte ich nur: Wow.

Javon: Die Apartments in den Turnberry Towers sind ziemlich nobel. Unter ein paar Tausendern im Monat ist da nichts zu haben. Es wohnen dort vor allem Prominente und Profisportler. Es gibt Security rund um die Uhr, Parkservice, chemische Reinigung – was man eben so kriegt, wenn man sich die Preise für eine kleine Wohnung dort leisten kann. Ms. Grace hatte im Turnberry ein Apartment. So dachte ich die ersten paar Mal, als Raymone uns bat, sie da rüberzufahren, sie wolle Ms. Grace besuchen. Ich kam erst gar nicht auf die Idee, dass sie da was Eigenes haben könnte.

Gleich an der Einfahrt zu dem Komplex steht ein Wachhäuschen. Ich war’s gewohnt, dem Wachmann dort Ms. Grace’ Namen zu nennen, aber als Ms. Raymone schließlich ihre eigene Apartment-Nummer zu benutzen begann, winkte man sie ziemlich bald einfach durch. Sie kannten sie beim Vornamen. »Hey! Hatten Sie einen angenehmen Tag, Ms. Raymone?« Jeder kannte sie, selbst die vom Parkservice.

Bill: Da ich hier in Vegas Kontakte habe, bekomme ich meist auch gewisse Informationen, die ich so brauche. Also sah ich mir die Geschichte genauer an. Beide, Grace und Raymone, hatten ein Apartment in den Turnberry Towers, wovon Mr. Jackson aber keine Ahnung zu haben schien. Nach dem zu urteilen, was er so sagte, schien er zu glauben, dass Raymone immer noch im Marriott wohnte. Er sagte nämlich immer: »Holen Sie doch Raymone vom Hotel ab, ja?« Oder so ähnlich.

Ich sprach ihn damals nicht darauf an. Mir war nie so ganz wohl dabei, solche Grenzen zu überschreiten. Seine Beziehung zu seiner Managerin? Dafür wurde ich nicht bezahlt. Man geht nicht her und mischt sich nach zwei Monaten bei Michael Jackson in seine Angelegenheiten ein. Aber wenn diese Angelegenheiten schon auf unserer Ebene derart verfahren waren, wenn es schon derartiges Theater um Lappalien wie Gehaltsschecks oder Javons Fahrten zum Supermarkt gab, dann konnte man nur spekulieren, wie es an der Spitze seiner Organisation aussah, wo es um Milliarden ging – wo man seine Plattenverträge und sein Vermögen managte. Wie wurde das wohl gehandelt? Man musste sich wirklich fragen.

Das war nicht immer so gewesen. Grace und ich haben uns öfter darüber unterhalten. Von ihr erfuhr ich, wie glatt das alles mal gelaufen war, wie am Schnürchen, in Neverland. Jeder bekam pünktlich sein Geld. Die Leute wussten, wo sie hingehörten, jeder machte seine Arbeit, und damit hatte es sich. Es gab kein Machtgerangel, weil jeder wusste, wer der Chef war: Michael Jackson. Aber das war mal.

Schuld daran war der Prozess. Der Prozess hatte alles vernichtet, ihn selbst mit eingeschlossen. Man sah es ihm an. Er war verwundbar geworden; er war schutzlos. Er bekam eine ganze Menge Morddrohungen. Ich meine, wirklich eine Menge. Er war total verängstigt. Er traute keinem mehr über den Weg. Angst und Paranoia fraßen ihn auf.

Angefangen hatte das Anfang der 1990er-Jahre mit dem ersten Vorwurf, sich an einem Kind vergangen zu haben. Damals begann alles aus dem Leim zu gehen. Und als der zweite Vorwurf kam? Er war hier in Vegas, als der laut wurde. Er wohnte im Mirage an dem Tag, an dem der Sheriff auf der Suche nach Beweisen Neverland auf den Kopf stellte. Grace sagte mir: »Bill, die haben das Haus verwüstet.« Mr. Jackson sah es mit eigenen Augen. Er fuhr nach der Razzia hin. Nur das eine Mal. Er fuhr hin, sah, was man angerichtet hatte, drehte sich um und fuhr wieder ab. Nachdem man ihm Neverland verdorben hatte, sollte er nie wieder der Alte sein.

Javon: Ich bin sogar mal in Neverland gewesen, als Kind. Ich fuhr als Vierzehnjähriger mit meiner Kirche dorthin. Wir hatten da so einen Verein, eine Art Jugendgruppe, und Mr. Jackson hat solche Gruppen eingeladen. Man konnte mit den Bahnen fahren und mit den Tieren spielen und so. Er selbst befand sich nicht auf dem Anwesen, als ich dort war, aber einer seiner Leute führte uns durch den Park und durchs Haus.

Ich weiß noch, dass man in einen Zug umsteigen musste, um überhaupt dorthin zu kommen. Man parkte ein paar Meilen entfernt und fuhr dann mit dem Zug hinauf. Es war richtig schön. Wir waren im Zoo. Er hatte Affen. Er hatte Flamingos. Er hatte einen Teich voll exotischer Fische. Ich weiß noch, dass ich mit dem Karussell gefahren bin und mit der kleinen Achterbahn. Er hatte das Ding mit den Teetassen, in denen man sich um die eigene Achse dreht. Jeder bekam so viel Eis und Süßigkeiten, wie er nur wollte. Die Automaten dort nahmen noch nicht mal Geld. Man suchte sich einfach aus, was man wollte. Nichts kostete was. Es war richtig schön. Der Hammer. Wir hatten einen Mordsspaß.

Bill: Ich war nur einmal in Neverland, und zwar im März des Jahres. Mr. Jackson hatte einiges haben wollen, einige Fotos, einige persönliche Dinge, also schickte er mich los, um sie ihm zu holen. Das Haus war seit geraumer Zeit unbewohnt gewesen. Die einzige Person vor Ort war ein Wachmann am Eingang. Ich fuhr also hinaus, und er ließ mich rein.

Ich kam abends dort an, sah also nicht viel, aber man konnte erkennen, dass sich niemand um Neverland kümmerte. Karusselle und andere Attraktionen standen einfach verlassen herum. Es herrschte Grabesstille. Nirgendwo brannte auch nur ein Licht. Der Zoo war leer. Pflanzen und Bäume wuchsen wild. Neben dem Haus gab es einen See, einen Teich, und der war verdreckt, ich meine wirklich verdreckt, voller Algen.

Das Innere des Hauses sah aus, als hätten die Vandalen gehaust. Kein Mensch hatte aufgeräumt, nachdem der Sheriff und seine Leute damit fertig gewesen waren. Schubladen standen offen, Kartons waren umgekippt, alles hatte Staub angesetzt. Richtig schaurig.

Ich blieb nicht lang. Ich wollte noch nicht mal dort sein. Ich hatte die ganze Zeit über nur eines im Kopf, nämlich das, was mir der Wachmann gesagt hatte: »Seien Sie vorsichtig«, hatte er gesagt, »wegen der Schlangen.«

»Schlangen?«

»Ja, Klapperschlangen. Jede Menge.«