Mit angehaltenem Atem sass Clera auf der Laube vor ihrer kleinen Kammer und beobachtete die Tür zum Ofenhäuschen, die sie im schwachen Mondlicht gerade so erkennen konnte. Seit zwei Stunden sass sie nun schon da und wartete, doch nichts geschah. Konstantin hatte sich im Schuppen versteckt, zusammen mit Max, den er nach einer längeren Diskussion hatte überzeugen können. Angespannt achtete sie auf jedes noch so kleine Geräusch.
Merl hatte sie wie jeden Abend in den Stall gebracht und sich bemüht, es so aussehen zu lassen, als wäre alles wie immer. Die Nervosität hatte sie allerdings fast nicht mehr ausgehalten, als sie sich schliesslich zurückgezogen hatte. Konstantin und Max waren früh eingetroffen, um dem Einbrecher sicher zuvorzukommen.
Sie zog die Decke enger um die Schultern, atmete tief durch und hoffte, sie würde nicht einschlafen. Eine weitere Stunde verstrich. Wieder raschelte etwas im Garten, erneut rauschte der Wind, irgendwo bellte ein Fuchs. Als sie das leise Quietschen einer sich langsam öffnenden Tür hörte, war sie hellwach. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, doch die Tür zum Ofenhäuschen hatte sich nicht bewegt. Im Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr und schlug die Hände vor den Mund. Sie hätte nicht gedacht, dass sie sich so erschrecken würde, zumal sie ja darauf gewartet hatte. Nur hatte sie nicht erwartet, dass der Komplize durch den Stall käme. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sie sich, warum Merl nicht gebellt hatte, doch dann erschrak sie ein zweites Mal.
«Sie sind zu zweit», sagte sie lautlos zu sich selbst, froh darüber, dass Max auch da war und Konstantin es nicht allein mit zwei Einbrechern aufnehmen musste. Sie trugen eine schwache Laterne bei sich und huschten fast geräuschlos über den Hof. Clera hoffte, Konstantin und Max hatten die beiden bereits bemerkt. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie, wie die beiden Einbrecher die Stufen zur Tür hinaufgingen und diese öffneten. Im nächsten Moment waren sie im Häuschen verschwunden und die Tür hinter ihnen zugefallen.
Ein paar Sekunden verstrichen, dann sah sie, wie Konstantin und Max aus ihrem Versteck schlichen. Im nächsten Augenblick stiessen sie die Tür auf und stürzten hinein. «Polizei!», hörte sie Max rufen, dann fiel die Tür ins Schloss.
Ohne nachzudenken, sprang sie auf, rannte über den Hof zum Ofenhäuschen und öffnete die Tür. Im Licht der kleinen Laterne erkannte sie Max, der den einen Einbrecher zu Boden drückte, während er ihm die Hände auf dem Rücken fesselte. Konstantin presste den anderen gegen die Wand.
«So, junger Mann», sagte Max mit strenger Stimme, als er ihm auch die Beine zusammengebunden hatte. Konstantin hielt den anderen fest, während Max auch diesen fesselte. Dann setzten sie beide mit dem Rücken zur Wand auf den Boden. Der eine wimmerte vor sich hin, der andere schwieg.
«Nun ...» Max baute sich vor den beiden auf und nahm die Laterne in die Hand. «Wer seid ihr?»
Als keiner von beiden antwortete, zog Konstantin dem einen die Kapuze vom Kopf.
«Sieh an», sagte Max, «der Neffe des Apothekers, Friedrich, nicht wahr?» Der Junge, der kaum älter als sechzehn war, nickte beschämt. Clera empfand fast ein wenig Mitleid mit ihm.
«Kompliment, Konstantin, du lagst richtig», sagte Max und blickte dann den anderen Einbrecher an. «Aber dass der junge Robert zwei Komplizen hat, hätte selbst ich nicht für möglich gehalten.»
Clera versuchte, unter der schwarzen Kapuze etwas zu erkennen, was ihr aber nicht gelang, da der Mann den Kopf gesenkt hielt. Konstantin riss auch ihm die Kapuze vom Kopf und zwang ihn aufzublicken.
Beinahe hätte Clera laut aufgeschrien. «Felix?», hauchte sie. Ihr Cousin warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Mit offenem Mund stand sie da.
«Du kennst diesen Herrn?»
Sie nickte. «Mein Cousin», sagte sie, «er lebt hier auf dem Hof und ... er ist sehr krank.»
Max zog eine Augenbraue hoch und musterte Felix. «So krank sieht er in meinen Augen nicht aus.»
«Bringen wir die beiden nach Thun?», fragte Konstantin und hob die Laterne auf.
«Ja, und die Beute nehmen wir gleich mit.» Max deutete mit dem Kinn auf die verschiedenen Stoffbeutel, die neben dem Holzstoss auf dem Boden lagen.
«Ich helfe dir.»
«Danke, mein Freund.»
Als sie die beiden Verhafteten die Treppe hinunter in den Hof führten, standen dort Walter und Erika. Erika klammerte sich unsicher an den Arm ihres Mannes. Hinter ihnen erschienen Martina und Josef.
«Was ist hier los?», fragte Walter.
«Guten Abend», begrüsste Max ihn förmlich. «Ich bin Max Berger von der Thuner Polizei.»
«Ist etwa auch bei uns eingebrochen worden?», fragte Josef aufgeregt.
«Nein, da kann ich Euch beruhigen, mein Herr», sagte Max ruhig. «Durch einen Hinweis habe ich erfahren, dass das Diebesgut möglicherweise auf Eurem Hof versteckt worden ist. Ich habe mich zusammen mit meinem Kollegen Herrn Balthasar auf die Lauer gelegt und die Einbrecher fassen können.»
Erikas Augen wurden kugelrund. «Felix!», rief sie. «Verzeihung, aber das ist unser Sohn. Er hat nichts mit den Einbrüchen in Thun zu tun, er ist krank und hat sein Bett seit Wochen kaum verlassen ...» Als Felix den Blick senkte, verstummte sie.
«Wir werden die beiden mitnehmen und Euch informieren, sobald wir mehr wissen.»
Max und Konstantin verabschiedeten sich höflich und führten Felix und Friedrich vom Hof.
Cleras Blick folgte Konstantin, der sich in der Einfahrt nochmals zu ihr umdrehte und ihr unauffällig einen Luftkuss zuwarf. Sie schenkte ihm ein Lächeln.
«Das muss ein Irrtum sein», schluchzte Erika. Tränen rannen über ihre Wangen, während sie immer wieder verständnislos den Kopf schüttelte.
Walter legte ihr den Arm um die Schultern. «Bestimmt wird die Polizei das auch bald einsehen, und dann kommt er zurück. Komm, lass uns hineingehen.»
Josef folgte seinen Eltern wortlos, Martina hingegen bewegte sich nicht vom Fleck und musterte Clera mit einem kalten Blick. Immerhin schwieg sie.
Der ganzen Aufregung wegen lag Clera später noch lange wach und starrte in die Dunkelheit. Sie konnte noch immer kaum glauben, dass Felix, den jeder im Dorf für todkrank hielt, zu solchen Taten imstande war.
Die ganze Familie schien am nächsten Morgen ausgesprochen bedrückt zu sein, niemand sprach ein Wort. Clera war froh, als Josef zur Arbeit aufbrach, Walter sich in den Stall begab und Martina und Erika sonst irgendwo verschwanden.
Sie hatte gerade damit begonnen, Äpfel einzusammeln, als sie Erika von der Laube her rufen hörte. Sie liess den Korb unter dem Baum stehen und rannte ins Haus. Am Tisch in der Stube sassen Walter, Martina, Max und Konstantin. Clera hoffte, dass sie nicht errötete.
«Herr Berger und Herr Balthasar haben uns wegen Felix aufgesucht», erklärte Erika nervös und stellte beiden einen Becher Apfelsaft hin.
«So ist es», bestätigte Max und nickte, um die Wichtigkeit seiner Worte zu betonen.
«Habt Ihr ... es war doch ein Missverständnis, nicht wahr?», stammelte Erika und griff nach der Hand ihres Mannes.
«Ich bedaure es sehr, Euch enttäuschen zu müssen», sagte Max langsam. «Euer Sohn hat die Taten gestanden.»
Clera beobachtete, wie Erika in sich zusammensank. «Das ist nicht möglich», wimmerte sie, «er ist doch krank.»
«Nach dem Verhör heute Morgen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass er die Krankheit vorgetäuscht hat, um jederzeit ein Alibi zu haben», erklärte Max.
Ein triumphierendes Blitzen trat in Martinas Augen, doch sie sagte nichts.
«Felix kannte Robert aus der Schulzeit. Sie haben den Plan gemeinsam ausgeheckt», fuhr Konstantin fort. «Friedrich stiess später dazu, weil er ein geschickter Kletterer ist und sich überdies gut mit dem Öffnen von Schlössern auskennt.»
Martinas Gesichtszüge entspannten sich wieder, als Konstantin verstummte. Sie schien noch immer zu fürchten, ihre heimlichen Treffen mit Robert könnten ans Tageslicht kommen.
«Aber ...» Erika runzelte verwirrt die Stirn. «Wie haben sie sich abgesprochen? Weder dieser Robert noch Friedrich war jemals hier.»
«Friedrich hat ausgesagt, dass sie sich jeweils nachts getroffen hätten. Wenn Felix das Haus verlassen hat, habt Ihr das womöglich nicht mitgekriegt.»
«Manchmal hätten sie auch Briefe am Fenster hinterlegt», ergänzte Konstantin.
Verzweifelt schüttelte Erika den Kopf, ihr Blick hing irgendwo in der Luft. «Was geschieht jetzt mit ihm?» Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
«Er hat mehrere Einbrüche begangen, einige Geschädigte haben Anzeige erstattet», sagte Max. «Dafür wird er sich verantworten müssen.»
«Dürfen wir ihn besuchen?», fragte Martina, die bisher kein Wort gesagt hatte.
Max bejahte.
Cleras Blick wanderte heimlich zu Konstantin, als sie bemerkte, dass er sie beobachtete. Sie war froh, als die beiden wieder aufbrachen, da sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. «Ich begleite die beiden hinaus», bot sie an und erhob sich.
Erika nickte nur.
Draussen im Hof drehte Konstantin sich zu ihr um. «Es hat mich gefreut, Fräulein», sagte er förmlich und reichte ihr die Hand, die er ein wenig länger als notwendig festhielt.
Clera spürte ein Stück Papier in der Handfläche, verabschiedete sich höflich von ihm und Max und liess den Zettel in ihre Rocktasche fallen.
Wenig später, als sie zur Toilette ging, faltete sie das kleine Stück Papier auf.
Meine liebe Clera, es war schön, dich zu sehen! Leider konnten wir in Anwesenheit deiner Verwandten nicht reden. Wie fandest du meine Vorstellung als Polizist? Ich komme heute Abend um Mitternacht zum Hof. Warte hinter dem Ofenhäuschen auf mich! Bis dann! K.
Mit klopfendem Herzen schlich sie sich fünf Minuten vor Mitternacht aus ihrer Kammer, hielt kurz inne und lauschte auf allfällige Geräusche, bevor sie über den Hof eilte. Sie stand keine zwei Minuten dort, als sie Konstantins Laterne aus der Dunkelheit auftauchen sah.
«Clera», flüsterte er.
«Hier bin ich!»
Er trat zu ihr, drückte sie gegen die Wand und küsste sie. Sie legte die Arme um seinen Nacken und zog ihn an sich.
«Na, wie mache ich mich als Polizist?», fragte er, als er seine Lippen von ihren löste.
«Du hast das sehr gut hingekriegt, sie haben es dir geglaubt», lachte Clera. «Und die Einbrecher haben alles zugegeben?»
«Na ja, Robert hat kein Wort gesagt, Felix hat gestanden, wenn auch einsilbig, und Friedrich wollte gar nicht mehr aufhören zu reden.» Konstantin lachte. «Wahrscheinlich dachte er, er komme so glimpflicher davon.»
Clera lachte ebenfalls. «Ich fasse es noch immer nicht, dass Felix die ganze Krankheit nur vorgetäuscht hat. Einmal habe ich zwar gesehen, dass er ein Buch unter dem Bett versteckt hat, obwohl ihn nie jemand lesen sah. Aber da der Boden vor seiner Tür knarrt, hörte er immer, wenn sich jemand näherte.»
«Beinahe wäre der Plan aufgegangen», sagte Konstantin und streichelte ihr das Haar. «Nur weil du meinen Füllfederhalter gefunden hast, konnten wir sie schnappen.»
«Ein Glück, dass es in jener Nacht geregnet hat, sonst wären auch wir nicht im Ofenhäuschen ...»
«Aha, ich wusste doch, dass da etwas nicht stimmt!»
Clera zuckte zusammen und verstummte, als sie die Stimme hinter sich hörte. Konstantin schlang die Arme um sie.
«Nun, Clera, dein Bruder, hast du gesagt? Und dann ist er plötzlich Polizist. Wie viele Rollen spielt er noch?»
«Martina», zischte Clera und drehte sich zu ihr um.
«Ihr trefft euch heimlich nachts? Heckt ihr da die Pläne aus, um anderer Leute Leben zu zerstören?» Mit verschränkten Armen stand sie da und funkelte Clera wütend an.
«Es tut mir leid für dich, wenn du glaubst, wir hätten dein Leben zerstört», sagte diese ruhig. «Aber Robert hat eine Straftat begangen. Hätte er das nicht, wäre deine Welt wohl noch in Ordnung.»
«Ach.» Martina verdrehte die Augen. «Warte nur, bis meine Eltern erfahren, was du nachts treibst.»
Clera biss sich auf die Unterlippe. «Vielleicht würde es sie auch interessieren, dass du dich nachts mit Robert getroffen hast und wir euch zusammen in Thun in einem Hinterhof gesehen haben», konterte sie mit ruhiger Stimme. Unsicherheit trat in Martinas Miene und Clera wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. «Bisher wissen sie nichts davon.»
«Das stimmt», mischte sich nun Konstantin ein. «Ich habe ihnen erzählt, Felix kenne Robert seit der Schulzeit, was immerhin die halbe Wahrheit ist. Stattdessen hätte ich sagen können, er kenne ihn, weil er der Geliebte von Felix’ Schwester sei.» Er machte eine Pause, um Martinas Gesichtsausdruck zu beobachten. «Ich habe ihnen diese kleine Halbwahrheit aufgetischt, bevor Max ihnen die Wahrheit sagen konnte, der weiss nämlich Bescheid.»
Martinas Miene veränderte sich. Mit jedem Wort, das er sagte, sah sie unsicherer und bedrückter aus. Schliesslich senkte sie den Blick. «Na, schön», sagte sie kaum hörbar. «Solange ihr mich nicht verratet, werde ich auch nichts sagen.»
«Wusstest du, dass Robert in die Sache verwickelt war?», fragte Clera.
Martina schüttelte den Kopf. «Ich wusste auch nicht, dass er Felix kennt.» Sie schniefte. «Eigentlich wusste ich fast nichts über ihn.»
«Aber du warst bis über beide Ohren verliebt», sagte Clera sanft. «Da sieht man schnell einmal über etwas hinweg.»
«Ehrlich gesagt, hat er mich sehr enttäuscht. Er hat mein Vertrauen missbraucht.» In ihren Augen glitzerten Tränen.
Clera legte ihr mitfühlend die Hand auf die Schulter. «Ich glaube immer noch, dass es besser ist, das jetzt herausgefunden zu haben. Und deine Eltern müssen ja nichts davon erfahren.»
Martina nickte und wischte die Tränen ab. «Danke.» Ihr Blick wanderte zu Konstantin, der Clera noch immer festhielt. «Und wer bist du nun wirklich?»
«Konstantin Balthasar», sagte er, «ich lebe nicht weit von dem Ort, wo Clera aufgewachsen ist. Wir haben uns auch dort schon heimlich getroffen, genau wie du und Robert. Da ich gelegentlich wegen meiner Arbeit nach Thun fahren muss, konnte ich Clera weiterhin besuchen.»
Ein Lächeln huschte über Martinas Gesicht. «Dann hoffe ich für Clera, dass du keine krummen Machenschaften treibst.»
Konstantin lachte. «Ich versichere dir, dass ich nichts dergleichen tue.»
Martinas Miene wurde zunehmend freundlicher. «Nun denn», sagte sie, «ich gehe zurück ins Bett. Lasst euch nicht erwischen.» Sie zwinkerte Clera zu. «Und wenn mich jemand fragt, weiss ich von nichts.» Damit drehte sie sich um und ging gemächlich über den Hof zurück zum Haus.
Clera lauschte in die Dunkelheit, bis sie die Tür ins Schloss fallen hörte.
«Hat Konstantin seine Wertgegenstände zurückbekommen?», fragte Hermine, als sie an einem Markttag Anfang Oktober gemeinsam mit Clera durch Thun schlenderte. Die Nachmittagssonne tauchte die Stadt in ein goldenes Licht, und man spürte, dass der Herbst begonnen hatte.
«Ja, glücklicherweise», erwiderte Clera, die die kleine Martha an der Hand führte. «Die drei Einbrecher haben die Taten gestanden und erhalten nun ihre Strafen.»
«Ich hätte nicht gedacht, dass sie zu dritt sind», murmelte Hermine.
«Das hätte niemand gedacht, sie haben sich gut versteckt.» Clera seufzte. «Aber dann sind sie unvorsichtig geworden und haben den Füllfederhalter verloren.»
«Wissen dein Onkel und deine Tante das?»
«Um Himmels willen, nein!» Clera sah sie mit grossen Augen an. «Sonst müsste ich ihnen erzählen, dass ich mich nachts mit Konstantin getroffen habe.» Ihre Stimme war leiser geworden.
Hermine zwinkerte ihr zu. «Wirst du ihn wiedersehen, wenn du nach Hause zurückkehrst?»
«Ja, er lebt ja auch im Kandertal.» Zum ersten Mal sah Hermine ein glückliches Lachen auf Cleras Gesicht, während sie von ihrer Heimat sprach. «Er hat mir versprochen, dort auf mich zu warten.»
«Das klingt romantisch», freute sich Hermine.
Clera nickte.
«Du freust dich nicht darauf, nach Hause zurückzukehren, nicht wahr?», fragte Hermine nach einer Weile. «Ich sehe es dir an.»
Clera senkte den Blick. Ihr blieben nur noch wenige Wochen, bis sie nach Mitholz zurückfahren würde, um bei Teodors Hochzeit dabei zu sein. Rita hatte ihr in letzter Zeit oft geschrieben und mehrmals nachgefragt, ob sie auch wirklich da sein werde.
«Na ja, ich freue mich darauf, meine Mutter und meine Brüder wiederzusehen, aber ... der gewalttätige Knecht ist immer noch da.»
«Ich hoffe, Herr Berger geht auch in diesem Fall so eifrig vor wie in jenem der drei Einbrecher», sagte Hermine und blieb plötzlich stehen. Sie lächelte Clera aufmunternd zu. «Lass dich nicht unterkriegen», sagte sie. «Als ich dich damals im Zug getroffen habe, warst du ein schüchternes kleines Ding, und nun sieh dich an! Du bist zu einer starken jungen Frau geworden.» Clera fühlte sich geschmeichelt. «Du wirst das schaffen, ob der Knecht nun da ist oder nicht. Schau, manchmal ist der Weg hart und voller Steine. Aber vielleicht wirst du später einmal genau diese Steine brauchen, um dir ein Haus zu bauen.»
Clera brauchte einen Moment, um die Metapher zu verstehen. Schliesslich nickte sie und wischte sich mit dem Handrücken eine Träne aus dem Augenwinkel. «Danke», flüsterte sie und umarmte ihre Freundin.