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Kit lag gemütlich im Schlafanzug auf ihrer Veranda, als ihr Handy läutete. Sie warf einen Blick auf die Nummer. Gayle würde sich hüten, sie an ihrem freien Tag anzurufen, wenn es sich nicht um eine dringende Angelegenheit handelte.
Sie legte die Zeitschrift zur Seite und begrüßte sie mit bewusst ruhiger Stimme.
„Entschuldige bitte, dass ich dich störe, Katherine, aber gerade hat Bill angerufen. Ich habe ihm gesagt, dass du heute freihast, und er meinte, er würde sich ein anderes Mal bei dir melden.“
Sie richtete sich auf. „Hat er sonst noch etwas gesagt?“
„Nein. Aber vielleicht haben sie ja jemanden gefunden.“
Der Gedanke war Katherine auch sofort durch den Sinn gegangen. Der Vorsitzende des Kuratoriums würde sie nicht anrufen, um einfach nur mit ihr zu plaudern. „Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast, Gayle.“
„Wirst du ihn zurückrufen?“
Kit hörte die Anspannung in ihrer Stimme. Seit Gayle die Stellenbeschreibung gelesen hatte, quälte sie die Sorge, wer wohl ihr nächster Chef sein würde. Sie brauchte das Einkommen aus dieser Teilzeitstelle. Ihre Tochter litt an einer chronischen Erkrankung, und da waren die flexiblen Arbeitszeiten ein Geschenk für sie. „Ich sage dir Bescheid, wenn ich etwas weiß“, beruhigte Kit sie.
Einfach abzuwarten war nicht sinnvoll, entschied sie, nachdem sie den Anruf beendet hatte. Sie wählte Bills Nummer.
„Katherine! Ich dachte, Sie hätten heute frei.“
„Das habe ich auch. Ich genieße den Vormittag auf meiner Veranda.“ Sie wollte nicht um den heißen Brei herumreden. „Gibt es etwas Neues im Blick auf meine Nachfolge?“
Ja, so war es tatsächlich. Nach Gesprächen mit mehreren Bewerbern kristallisierte sich ein Kandidat heraus, von dem das Kuratorium begeistert war. Er war noch jung und Pastor einer großen Gemeinde in Tulsa. „Ich will Ihnen gegenüber ehrlich sein“, sagte Bill. „Wir haben schon fast geglaubt, wir würden niemanden finden, der alle Voraussetzungen erfüllt. Aber Logan besitzt sowohl Führungserfahrung als auch eine Leidenschaft für geistliches Wachstum. Wir wollen ihn für Ende der Woche zu einem persönlichen Gespräch herbitten.“
Kits Hand zitterte, als sie nach ihrem Kaffeebecher griff. „Das klingt sehr vielversprechend. Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben.“
Diese Information sei vertraulich zu behandeln, erklärte Bill, und er bat sie, mit niemandem darüber zu sprechen. „Wir bringen es im Gebet vor Gott, Katherine, und warten ab, wie Gott uns führt.“
„Natürlich. Ich werde Gott bitten, allen Beteiligten Weisheit zu schenken.“
„Danke“, erwiderte er. „Wir fänden es schön, wenn Logan Sie kennenlernen könnte. Bestimmt hat er Fragen, die wir ihm nicht beantworten können. Wäre das in Ordnung für Sie?“
„Natürlich. Ich würde ihn gern kennenlernen.“
„Das ist schön. Können wir dann für Freitag einen Termin einplanen?“
„Das kann ich noch nicht sagen“, entschuldigte sich Kit. „Mein Terminkalender liegt in meinem Büro. Wäre es in Ordnung, wenn ich Ihnen morgen eine Mail schicke?“
Damit war er einverstanden.
Erst nachdem sie das Telefonat beendet hatte, ging ihr auf, wie altmodisch es war, ihren Terminkalender nicht digital verfügbar zu haben. Egal. Das Kuratorium hatte sich ja jemanden ausgesucht, der mehr auf der Höhe der Zeit war.
B
„Das sind doch gute Neuigkeiten“, freute sich Sarah, als Kit sie später am Nachmittag anrief. Familie, so hatte sie beschlossen, fiel nicht in die Kategorie: „Sprechen Sie mit niemandem darüber.“ „Wenn der Prozess schon so weit gediehen ist und er zu einem Gespräch nach Kingsbury eingeladen wird, Mama, dann scheint das Kuratorium ziemlich begeistert von ihm zu sein.“
Kit richtete das Kissen hinter sich auf dem Sofa. „Ja, das hörte sich so an.“
„Ich spüre Zweifel bei dir.“
Es gab keinen Grund für irgendwelche Zweifel. Sie wusste nichts über diesen Logan oder seine Begabungen, und ganz bestimmt würde sie sich nicht anmaßen, Gottes Pläne zu beurteilen. „Ich sehe das sehr locker.“ Sie öffnete die Hand auf ihrem Schoß als eine Absichtserklärung. Loslassen. Empfangen.
„Wenn ich du wäre, würde ich mich freuen, Mama. Du hast befürchtet, dass bis zu deinem Ruhestand vielleicht kein Nachfolger gefunden wird. Und jetzt kannst du ganz beruhigt deinen Abschied feiern.“
„Noch ist er nicht eingestellt.“
„Stimmt. Aber das Kuratorium weiß schon, was es tut, und wenn das nicht klappt, dann wird sich eine andere Möglichkeit auftun. Das liegt nicht in deiner Verantwortung. Du brauchst dir keine Sorgen darum zu machen.“
Auch das stimmte. Es lag nicht in ihrer Verantwortung und brauchte sie auch nicht zu kümmern. Trotzdem – es war ihr nicht gleichgültig, wie sich die Zukunft des New Hope-Zentrums gestaltete. Am anderen Ende der Leitung hörte sie die Tastatur klicken. „Tippst du gerade etwas?“, fragte sie.
„Ich schaue nur schnell mal im Netz nach“, erklärte Sarah. „Wie viele leitende Pastoren in Tulsa heißen wohl Logan mit Vornamen?“
Diese Idee war Katherine noch gar nicht gekommen. Vielleicht hätte sie seinen Namen für sich behalten sollen. Jetzt war es zu spät.
„Ha! Hab ihn! Einer. Logan Harris. Wow, er scheint wirklich noch sehr jung zu sein. Dreißig, höchstens. Mal sehen, ob ich ein paar Informationen über ihn finde.“
Kit legte die Füße auf den Couchtisch. Sie konnte nicht guten Gewissens behaupten, das interessiere sie nicht.
„Also gut“, sagte Sarah schließlich, „da haben wir ihn. Er ist seit fünf Jahren leitender Pastor der Woodlands Memorial Church. Hat vor sieben Jahren sein Examen am Seminar abgelegt. Und er scheint älter zu sein, als er aussieht. Ich schicke dir den Link. Schalte mich auf Lautsprecher, wenn du ihn hast.“
„Ich schaue mir das später an, Sarah. Ich habe heute Morgen noch nicht einmal geduscht.“
Stille. Entweder wunderte sich Sarah darüber, dass sie so zurückhaltend reagierte, oder sie war beeindruckt, dass sie so gelassen blieb. „Dann ruf mich an, wenn du dich informiert hast. Ich schaue mal nach, was ich sonst noch über ihn herausfinde.“
Kit lag es auf der Zunge zu sagen: „Lass mal lieber, das geht mich nichts an“, aber diese Worte blieben ihr irgendwie im Hals stecken, und stattdessen erwiderte sie: „Danke.“
Innerhalb einer Stunde hatte Sarah ihr alles geschickt, was sie im Netz, auf der Facebookseite der Gemeinde, in archivierten Newslettern und auf Logans Webseite gefunden hatte. Bei YouTube oder Twitter habe ich noch nicht nachgeschaut, aber vermutlich gibt es auch dort viele Informationen über ihn. Er scheint eine gute Wahl zu sein! Freue mich!
Immer noch im Schlafanzug überflog Kit die Informationen, während sie ein spätes Mittagessen zu sich nahm. Da der Tag schon mehr als zur Hälfte vorbei war, schien es wenig sinnvoll zu sein, jetzt noch zu duschen und sich anzuziehen.
Sie biss in ihr Truthahnsandwich. Sarah hatte recht. Angesichts der Prioritäten, die das Kuratorium setzte, schien Logan ein passender Kandidat zu sein. Geboren und aufgewachsen war er in der Nähe von Pittsburgh. Im College hatte er durch die christliche Arbeit auf dem Campus zum Glauben gefunden. Seinen Abschluss in Betriebswirtschaft hatte er in Wharton gemacht und anschließend am Beacon Hill Seminar studiert, wo er Betriebsorganisation und Management als Hauptfach wählte.
Kit scrollte durch das Material. Kein Hinweis auf einen Schwerpunkt in der geistlichen Begleitung. Und seine Erfahrung bei der Organisation und Durchführung von Seminaren und Einkehrtagen mit Bezug zu geistlichem Wachstum beschränkte sich auf einige wenige Seminare für Männer, die er in den vergangenen Jahren angeboten hatte: „Goliat besiegen“, „Wie werde ich ein Mann nach dem Herzen Gottes?“ und „Die Langstrecke durchhalten“. In seiner Biografie wurde seine Leidenschaft für Öffentlichkeitsarbeit erwähnt und dass es sein Ziel sei, „dem Einzelnen und der Gemeinschaft Hilfestellung zu geben, das eigene Potenzial auszuschöpfen“. In seinem Blog, den er unregelmäßig führte, fanden sich persönliche Reflexionen und Buchbetrachtungen, die in erster Linie Fragen der Leitung und die Anweisung Jesu, anderen zu dienen, zum Thema hatten.
Aber kein Wort über das Gebet. Nichts über das Wirken des Heiligen Geistes, der einen Christen erst zu diesem Dienen befähigt oder ihm hilft, Christus ähnlicher zu werden, und das Leben verändert.
Das konnte dem Kuratorium nicht entgangen sein. Schließlich war der Bewerbungsprozess schon so weit fortgeschritten. Für die Mitglieder des Kuratoriums hatte das Gebet doch einen hohen Stellenwert, und sie konnten Menschen doch einschätzen. Auch wenn die Liebe zum Gebet in der Stellenbeschreibung nicht explizit erwähnt war, würde doch bestimmt nicht jemand eingestellt, dem diese Leidenschaft oder Hingabe fehlte, oder?
Sie biss noch einmal in ihr Sandwich.
Logan besäße nicht nur Führungserfahrung, sondern „eine Leidenschaft für geistliches Wachstum“, hatte Bill gesagt. Hatte er diese Worte nur gewählt, weil er wusste, dass sie darauf wartete? Aber den Inhalt der Gespräche mit Logan kannte sie natürlich nicht. Vielleicht war dabei mehr zur Sprache gekommen als das, was der Webseite der Gemeinde oder seinem Blog zu entnehmen war.
Aber ihre Meinung und ihr Eindruck spielten ja auch keine Rolle. Sie sollte Logan kennenlernen, nicht um ihn auf Herz und Nieren zu prüfen, sondern um ihm seine Fragen zu beantworten. Und ganz bestimmt würde ihm vieles auffallen, was verbesserungswürdig wäre, nicht nur in ihrer Arbeit als Leiterin, sondern in der gesamten Organisation des Zentrums.
Dann war es eben so. Auch das hatte sie nicht in der Hand.
Ihr Blick blieb an einem Foto des Bewerbers hängen. Vor einem gut gefüllten Auditorium stand er, ausgestattet mit einem drahtlosen Headset, ein wenig vorgebeugt auf einer Bühne und hielt einen Vortrag. Seine gespreizten Finger kommunizierten Leidenschaft und Energie. Was für ein starker Kontrast zum New Hope-Zentrum mit seiner kleinen, persönlichen Kapelle, die zu Stille und Besinnung einlud, und den Seminarräumen, die nicht groß genug waren für eine Verstärkeranlage.
Was also war an dieser Stelle für ihn so attraktiv? Brauchte er den Nervenkitzel einer neuen Herausforderung? Hegte er die Hoffnung, etwas vollkommen Neues aufbauen zu können? War sein Ego angesprochen?
Sie rieb sich die Stirn. Halte dich zurück mit einem vorschnellen Urteil, ermahnte sie sich. Liebe glaubt alles, hofft alles.
Sie würde sich darin üben, ihm erst einmal nur positive Absichten zu unterstellen.
Vielleicht fühlte er sich ja zu dieser Arbeit und Aufgabe berufen. Vielleicht hatte er es satt, die Gemeinde nur als Organisation zu sehen, und wollte seine Gaben und seine Leidenschaft anders einsetzen. Wer war sie, dass sie sich ein Urteil darüber erlauben könnte?
Sie schob ihr Sandwich zur Seite und tat, worum Bill sie gebeten hatte. Sie betete dafür, dass Gottes Wille geschehen möge. Und zwar für alle, die an dieser Angelegenheit beteiligt waren.