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Während Bill mit den Polizeibeamten sprach, ließ sich Kit neben Wren auf dem Boden nieder und legte den Arm um sie. Armes Mädchen! Sie schien Mühe zu haben, gleichmäßig zu atmen. Kit ging es genauso. Auf der kurzen Fahrt von ihrem Haus zum New Hope-Zentrum, die ihr unendlich lang erschienen war, hatte sie nur mit Mühe selbst eine Panikattacke unterdrücken können. Das war seit langer Zeit das erste Mal, dass sie in Gefahr stand, eine zu bekommen.

Sie öffnete die zur Faust geballte linke Hand. Loslassen. Empfangen. Und atmen.

Logan fuhr sich mit beiden Händen durch das dunkle Haar. „Das ist meine Schuld. Ich bin gerade aus Tulsa angekommen. Bill hat mich abgeholt. Ich wollte mir das Gebäude gern vor unseren offiziellen Gesprächen morgen einmal anschauen.“ Er hockte sich vor sie hin, sodass sie auf Augenhöhe miteinander waren. „Sie sind bestimmt Katherine. Ich bin Logan Harris. Und es tut mir wirklich sehr, sehr leid.“

Bevor Katherine ihn mit Wren bekannt machen konnte, rief Bill nach ihr. „Die Polizisten wollen gern eine Bestätigung von dir, Katherine.“

Mit einem tiefen Seufzer ergriff sie Logans ausgestreckte Hand und rappelte sich hoch. „Sie können froh sein, dass ich Ihre Aussage bestätige, Bill.“

Er antwortete mit einem angemessen reuevollen Nicken.

Den Kragen ihres Morgenmantels umklammernd, schilderte Kit den Polizeibeamten, Wren habe in ihrem Atelier gearbeitet, als sie Männerstimmen gehört habe. „Ich bat sie daraufhin, die Polizei zu verständigen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, was jemand um diese Zeit im Gebäude zu tun haben sollte.“

Wren, die immer noch auf dem Boden hockte, wischte sich die Augen trocken. Einer der Beamten fragte sie, ob alles in Ordnung sei. „Ja, alles gut“, murmelte sie. „Es tut mir leid, dass ich so viel Aufruhr verursacht habe.“

„Nicht Sie haben den Aufruhr verursacht“, erwiderte Bill. „Das war ich.“ Er wandte sich an Kit. „Und was haben Sie sich dabei gedacht, hierherzukommen, wenn Sie befürchten mussten, dass hier ein Einbruch begangen wird?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich war nicht sicher, wie lange es bis zum Eintreffen der Polizei dauern würde.“

„Gute Frau, in Zukunft …“, sagte der andere Beamte.

„Ich weiß, ich weiß. Als ich auf den Parkplatz kam, habe ich sofort Bills Auto erkannt, und mir wurde klar, was hier geschehen sein musste. Wenn ich die Befürchtung gehabt hätte, auf bewaffnete Männer zu treffen, hätte ich das Haus ganz bestimmt nicht betreten. Ich wollte nur zu meiner Nichte.“ Sie winkte Wren zu sich. „Brauchen Sie sonst noch etwas von uns? Oder können wir jetzt nach Hause fahren?“

„Vielen Dank. Das war alles“, erwiderte der Polizeibeamte.

„Gut. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Sie wandte sich an Bill. „Sie haben ja einen Schlüssel und können abschließen, wenn Sie fertig sind.“

Erst als sie im Wagen saßen, ging ihr auf, dass sie sich gar nicht von Logan verabschiedet hatte. Egal. Wenn er schlecht von ihr dachte, weil sie wütend und aufgeregt war, dann konnte sie das auch nicht ändern.

„Das Kuratorium hat also einen Nachfolger für dich gefunden?“, fragte Wren, als sie sich anschnallte.

„Habe ich dir das nicht erzählt?“

„Nein.“

„Das tut mir leid.“ Sie hatte ihr diese Information nicht vorenthalten wollen. „Bill hatte mir gesagt, dass ich keine Einzelheiten weitergeben sollte, aber ich hätte dir erzählen sollen, dass ein Kandidat zu Gesprächen herkommt.“ Kit ließ das Auto an. Im Rückspiegel beobachtete sie Logan mit Bill in der Lobby. Sie schienen in ein lebhaftes Gespräch vertieft zu sein, gestikulierten wild und lachten dabei. Verärgert biss sie die Zähne zusammen. Sie konnte noch nicht lachen. Dafür war es noch viel zu früh. Wenn er das lustig fand …

„Er hat nichts für Kunst übrig“, berichtete Wren.

„Wer?“

„Der neue Typ.“

„Woher weißt du das?“

„Ich habe gehört, wie er das zu Bill gesagt hat. Und dann meinte Bill, das gehe ihm genauso, aber den Leuten in deinen Kursen scheine das zu gefallen.“

„Den Leuten?“

„Ja.“

Kit sog scharf die Luft ein und atmete langsam wieder aus. Falls sie sich beleidigt fühlte, dann war es verletzter Stolz. Während sie vom Parkplatz rollte, bekannte sie im Stillen ihre Sünde und betete um Gottes Segen für die beiden. Sie kannte keinen besseren Weg, sich dem Sog der Schwerkraft in Richtung Zorn und Verärgerung zu widersetzen. „Haben sie abschätzig über Menschen gesprochen, die das gut finden?“

„Ich weiß es nicht. Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als du hereingekommen bist und sie erschreckt hast.“ Wren seufzte. „Danke, dass du gekommen bist. Ich habe überreagiert. Ich hätte Bills Stimme erkennen müssen, hätte wissen sollen, dass es bestimmt eine gute Erklärung gab.“

Katherine nahm eine Hand vom Lenkrad und tätschelte Wrens Arm. „Dieses ‚hätte sollen‘ bringt uns nicht weiter. Für unser Verhalten gab es einen guten Grund. Dabei sollten wir es belassen.“ Sie lächelte verlegen. „Aber vielleicht solltest du den heutigen Abend Sarah gegenüber nicht erwähnen.“

B

Am folgenden Morgen klopfte Logan pünktlich um neun Uhr an die halb geöffnete Tür von Kits Büro. „Kommen Sie rein“, rief sie von ihrem Schreibtisch aus und stand auf, um ihn zu begrüßen.

„Hallo, Katherine“, sagte er und hielt ihr die Hand hin, „schön, Sie wiederzusehen.“ Sein kumpelhafter Tonfall grenzte an Herablassung. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, ließ er sich auf einem Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder, nahm eine Wasserflasche aus seiner Aktentasche und schlug ein Bein über das andere.

Insgeheim runzelte sie die Stirn. Fühl dich wie zu Hause, dachte sie. Dann schloss sie die Tür.

Öffne dein Herz, hörte sie den Heiligen Geist flüstern.

Sie ließ ihre Hand auf der Türklinke liegen. Das Flüstern kam noch einmal. Du hast dein Urteil über ihn doch bereits gefällt. Öffne dein Herz. Und höre auf seines.

Sie rieb sich die Handflächen an der Hose trocken und drehte sich zu ihm um.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte er.

Die Frage war zu aufdringlich. Er hatte kein Recht –

Öffne dein Herz, wiederholte der Geist Gottes.

Kit nickte, sowohl als Antwort auf Logans Frage als auch auf die Mahnung des Heiligen Geistes hin. „Ja, danke. Ich habe nur ein kurzes Gebet gesprochen.“ Die Worte, die vermutlich ein wenig frömmlerisch wirkten, waren ihr über die Lippen gekommen, bevor sie sie zurückhalten konnte. Nicht gerade ein vielversprechender Anfang. Wenn sie ihre Gedanken und Worte nicht kontrollieren konnte, würde dieses Gespräch nicht gut laufen.

Logan stellte den Fuß auf den Boden. „Es wäre schön, wenn wir miteinander beten könnten, falls Sie dazu bereit sind. Ganz ehrlich, nach unserer Begegnung gestern Abend bin ich ein wenig nervös.“ Er stellte seine Flasche auf den Teppich. „Ich habe abends noch mit meiner Frau telefoniert, und sie war entsetzt. Noch einmal, Katherine, es tut mir sehr leid.“

Siehst du?, würde Sarah jetzt sagen. Der Heilige Geist vermutlich auch.

Sie nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich zu sammeln. Und statt sich an ihren Schreibtisch zu setzen, wählte sie den Stuhl an seiner Seite. „Meine erste geistliche Begleiterin pflegte zu sagen: ‚Wir fangen doch immer wieder noch einmal von vorne an.‘“

Er faltete die Hände. „Danke. Vielleicht können wir das ja auch tun.“

B

Die folgende Stunde verging wie im Flug. Kit hörte ihm zu, versuchte ihn zu verstehen, nicht nur in seinen Fragen, sondern auch in seiner Vision: Logan wollte das New Hope-Zentrum in der Stadt und darüber hinaus noch bekannter machen, damit noch mehr Menschen von den Einkehrtagen, Workshops und Seminaren profitieren könnten, die die Möglichkeit für eine lebensverändernde Begegnung mit dem lebendigen Gott eröffneten.

Sorge mache ihm, führte er aus, dass in zahlreichen Büchern und Veranstaltungen geistliches Wachstum durch geistliche Übungen dargestellt werde als ein Programm zur Selbstoptimierung. Es gehe häufig nicht mehr darum, dem eigenen Ich zu sterben, sondern um Selbsterfüllung und Selbsterkenntnis. „Es besteht die Gefahr, dass wir Christen uns ausschließlich darauf konzentrieren, in uns selbst hineinzuhorchen, und dabei das Wohl anderer aus dem Blick verlieren“, sagte er.

„Das ist geistlicher Narzissmus“, erwiderte Kit.

„Genau. Gott weiß, dass ich nicht dazu ermutigt werden muss, mich noch mehr mit mir selbst zu beschäftigen. Ich kann so nach innen gerichtet sein, dass ich kaum die Bedürfnisse anderer sehe. Fragen Sie nur meine Frau.“

Sie lachte. „Angehörige sind recht gut dazu geeignet, uns einen Spiegel vorzuhalten, in dem wir uns selbst deutlicher erkennen.“

„Oh ja. Meine Kinder tun das ständig.“ Er warf einen Blick auf die Uhr an ihrer Wand. „Ich weiß, dass unsere Zeit fast vorbei ist, aber mich bewegt noch eine Frage, die vielleicht nicht so leicht zu beantworten ist.“

„Kein Problem. Darum führen wir ja dieses Gespräch. Sprechen Sie ruhig aus, was Sie beschäftigt.“ Sie wartete ab und überlegte, wohin seine Gedanken in diesem Moment der Stille wohl wanderten.

„Meine Schwiegereltern haben mich auf dieses Stellenangebot aufmerksam gemacht. Meine Frau Nicole ist in der Nähe von Muskegon aufgewachsen, und wir überlegen schon seit einer Weile, in die Nähe ihrer Familie zu ziehen. Savannah kommt in diesem Jahr in den Kindergarten, und das erschien uns eine gute Gelegenheit für eine einschneidende Veränderung, nicht nur in Bezug auf den Wohnort, sondern auch, damit ich der stärker werdenden Berufung, die ich empfinde, folgen kann.“

Aha, dachte sie. Rätsel gelöst.

„Ich habe mich im Netz, so gut es ging, über die Kurse, die hier angeboten werden, informiert, und die Einkehrtage und Workshops scheinen mir sehr gut zu sein. Ich meine das wirklich so. Eine gute Auswahl an Themen und Kursleitern.“

Sie wappnete sich gegen das „Aber“, das jetzt unausweichlich kommen würde.

„Und ich habe mich gefragt, welche Personengruppen diese Angebote normalerweise wahrnehmen. Das sind vermutlich zum großen Teil Frauen?“

„Ja. Selbst die von Männern geleiteten Angebote.“ Sie hatten sich zwar immer bemüht, mehr Männer anzusprechen, aber …

„Und welche Altersgruppen?“, fragte er.

„Ich würde sagen, die Mehrheit ist mittleren Alters und älter.“ Kit hätte gern auch Kurse für gemischte Altersgruppen konzipiert, aber …

„Wie sieht es mit der ethnischen Zugehörigkeit aus?“

Sie spürte, wie sie errötete. „Überwiegend Weiße.“

Er hob die Hand. „Verstehen Sie das bitte nicht als Kritik. Es interessiert mich nur.“

„Ja, ich weiß.“ Aber zum zweiten Mal in einer Woche sah sie sich einem Spiegel gegenüber, in den sie nicht so gern hineinschaute.

Halte dein Herz offen, ermahnte sie der Heilige Geist erneut.

„Ich kenne mich ein wenig in der Geschichte West Michigans aus“, erklärte Logan. „Das Motto meines Schwiegervaters und der Einheimischen lautet: ‚Wenn du kein Holländer bist, gehörst du nicht dazu.‘“

Kit hatte diesen Insiderwitz oft zu hören bekommen – manchmal mit dieser kleinen, hinter einem Lächeln versteckten Spitze. Als sie und Robert als frisch verheiratetes Ehepaar von Ohio nach Kingsbury gezogen waren, hatten sie keine Ahnung gehabt, dass das holländische Erbe eine so wesentliche Rolle für die Kultur von West Michigan spielte. „Vielleicht müssen wir ein ‚van‘ oder ‚van der‘ vor den Namen Simpson setzen“, hatte Robert gewitzelt.

Logan trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche. „Ich habe Kontakt zu einigen Freunden aus dem Seminar in Grand Rapids, die sich gegen den Rassismus einsetzen. Sie versuchen vor allem, Pastoren von Gemeinden mit überwiegend weißen Mitgliedern anzusprechen, und bemühen sich, das Bewusstsein für den latenten Rassismus in unserer Gesellschaft zu wecken und sich dafür einzusetzen, dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen und uns für Versöhnung und Erneuerung starkmachen. Nicht nur für eine scheinbare Diversität, die uns ein gutes Gefühl gibt. Wir dürfen vor der richtig schweren Arbeit nicht zurückschrecken und den Finger auf die dahinterliegenden Muster der Sünde, des Widerstands und der Angst legen. Wir brauchen eine nachhaltige kulturelle Veränderung. Glauben Sie mir, ich bin nicht naiv und kenne die Herausforderungen einer solchen Aufgabe. Aber ich frage mich, wie offen das Kuratorium wohl für einen solchen Schwerpunkt in der Arbeit hier wäre. Würde es Angebote befürworten, die speziell ethnische Gerechtigkeit zum Thema haben? Ist hier Raum für schwierige Auseinandersetzungen?“

Kit zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. „Das war bisher nicht unser Fokus, Logan. Aber nicht, weil sich das Kuratorium solchen Ideen oder Empfehlungen verweigert hätte, sondern weil das nicht auf meiner Prioritätenliste stand.“

Einen Augenblick lang war sie versucht, eine Erklärung dafür zu geben, die Arbeit zu verteidigen, die sie im New Hope-Zentrum getan hatte. Selbst wenn spezielle Themen zu Kultur und Gesellschaft mehr im Mittelpunkt gestanden hätten, ihr Anliegen war es, Menschen die Liebe und Gnade Gottes nahezubringen und ihnen Hilfestellung zu geben, so darauf zu reagieren, dass das ganze Leben verändert wurde – das eigene und das Leben der Gemeinschaft – und dass Heilung und Veränderung möglich wurden.

Aber das behielt sie für sich. „Ab und zu haben wir Workshops und Seminare zum Thema Gerechtigkeit angeboten“, erklärte sie stattdessen, „aber immer unter dem Hauptgesichtspunkt des geistlichen Wachstums. Und hin und wieder waren wir auch Gastgeber für einen öffentlichen Austausch über lokale und globale Bedürfnisse. Aber während meiner langen Amtszeit hier hatten wir nie einen Kurs, der speziell Rassismus zum Thema gehabt hätte.“ Sie hielt inne. „Und dafür bin allein ich verantwortlich.“

In seiner Miene lag keinerlei Verurteilung. „Ich verstehe“, sagte er. „Ich fange gerade erst an, mir meine eigene Blindheit und Mitschuld an der gesellschaftlichen Situation einzugestehen. Meine Arbeit in Tulsa in den letzten Jahren hat mir die Augen dafür ein wenig geöffnet, aber ich habe immer noch sehr viel zu lernen. Immer, wenn ich in unserer Gemeinde versuche, ein Gespräch über Gerechtigkeit zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen anzustoßen, laufe ich gegen eine Wand. Da spüre ich großen Widerstand und große Angst, nicht nur vonseiten der Gemeinde, sondern auch von den Mitarbeitern. Und da ich nicht der leitende Pastor bin, kann ich nicht viel tun, um auf Gottes Drängen zu reagieren – zumindest nicht auf organisatorischer Ebene. Das ist einer der Gründe, warum ich eine Veränderung anstrebe. Ich habe das Gefühl, ich brauche irgendwo einen Neuanfang, damit ich mich weiterentwickeln kann.“

Ein leises Klopfen an der Tür ließ Katherine zusammenfahren. Bevor sie aufstehen konnte, um zu sehen, wer vor der Tür stand, ging die Tür vorsichtig auf, und Bill sagte: „Ich unterbreche nur sehr ungern, aber Logan hat noch einen Termin, und wir müssen los.“

„Geben Sie uns noch ein paar Minuten, bitte“, erwiderte sie. „Wir sind fast fertig.“

Bill warf einen Blick auf seine Uhr und schloss die Tür.

Logan senkte die Stimme. „Ich möchte gern das tun, was ich als den Willen Gottes erkenne. Vielleicht ist das nicht mehr, als mit meinem Background von Sponsoren neue Initiativen zu unterstützen. Und ich würde gern die Kooperation mit den Behörden und Partnern hier am Ort fördern und gemeinsam mit ihnen die Schwierigkeiten anpacken. In diesem Zentrum hier steckt viel Potenzial, wenn das Kuratorium offen dafür ist. Sie sagen, das sei so. Aber ich war nicht sicher, ob das, was die Mitglieder des Kuratoriums mir gesagt haben, ernst gemeint ist oder ob sie mir nur nach dem Mund reden. Darum ist mir an Ihrer ehrlichen Meinung gelegen.“

Sie musterte sein ernstes Gesicht. „Ich habe nie erlebt, dass meine Programmvorschläge abgelehnt worden wären. Wenn das Kuratorium Ihnen gesagt hat, dass es offen für Ihre Vision ist, dann können Sie das auch so annehmen, denke ich. Selbst wenn es unbequem wird.“

„Nun, das ist eigentlich schon vorprogrammiert“, erwiderte er. „Aber wenn wir zumindest schon mal erkennen, wo wir ansetzen können, wo wir abwehren oder verteidigen müssen, dann ist das doch ein Anfang, nicht?“

„Ja. Ein sehr guter Anfang.“

Wie gut, dass ihr noch viel Zeit blieb bis zu ihrem ersten Begleitgespräch an diesem Tag. Diese Begegnung mit Logan hatte ihr viel Stoff zum Nachdenken gegeben – zum Beispiel über ihre eigene abwehrende Reaktion.

„Bitte verstehen Sie mich nicht falsch“, sagte er. „Meine Vision soll nicht ersetzen, was das New Hope-Zentrum bereits für die Gemeinschaft hier leistet. Ich sehe einfach nur Potenzial für mehr.“

„Das höre ich gern.“ Kit senkte den Blick auf ihre Hände. Scham über ihr eigenes Versagen und das, was sie übersehen hatte, stieg in ihr hoch. Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass ihre Reaktion zum Großteil mit ihrer eigenen Schuld und ihrem Unbehagen zusammenhing. Auch das war sehr selbstzentriert. Noch etwas, das sie Gott im Gebet bekennen musste.

„Wissen Sie, wie der Heilige Geist mich aufgerüttelt und mir geholfen hat, dieses Problem zu erkennen?“, fragte er. „Vor etwa einem Jahr traf ich mich mit einigen Pastoren und leitenden Mitarbeitern der Gemeinde, und beim Mittagessen unterhielt ich mich mit einem von ihnen, einem afroamerikanischen Pastor, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ich fragte ihn, wie es ihm gehe. Er erzählte mir, er habe gerade mit seinem zehnjährigen Sohn ‚das Gespräch‘ führen müssen. Ich lächelte und erwiderte, ich würde mich noch gut daran erinnern, wie mein Vater dieses Gespräch mit mir geführt habe und wie unbehaglich wir beide uns dabei gefühlt hätten, und dass ich mich nicht darauf freuen würde, es mit meinem Sohn Eli führen zu müssen. Er hörte mir zu und korrigierte mich behutsam. Er meinte nicht das Gespräch über Sex. Er meinte das Gespräch, das schwarze Eltern seit Generationen mit ihren Söhnen führen müssen, ein Gespräch, von dem ich noch nie gehört hatte, und seine Augen waren erfüllt von Schmerz, als er mir schilderte, wie die Lippen des kleinen Jungen gezittert hätten, als er ihn darüber aufklärte, dass einige Leute ihn als Bedrohung empfinden würden, je älter und größer und stärker er werde. Einige Leute würden Angst vor ihm haben. Und er werde stets darauf achten müssen, niemals die Kapuze über den Kopf zu ziehen oder die Hände in die Taschen zu stecken, wenn er in einem Laden Süßigkeiten kaufen wolle.“

Hier ging es nicht um ihr Entsetzen, ermahnte sich Kit. Ihre Gefühle waren nebensächlich. Sie bemühte sich, Logan ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Hier ging es nicht um ihr Unbehagen oder ihre Unwissenheit. Aber während er mehr von diesem Vater-Sohn-Gespräch erzählte, musste sie an Mara denken, und sie fragte sich, ob sie wohl ähnliche Gespräche mit Jeremy geführt hatte, als er noch klein war. Zwar hatte Mara häufig über ihre Sorge um ihn gesprochen, doch in all den Jahren, in denen Kit ihre geistliche Begleiterin gewesen war, hatte sie ihr gegenüber niemals erwähnt, wie es eigentlich war, als weiße Frau einen Sohn mit dunkler Hautfarbe großzuziehen. In Kingsbury. Und Kit hatte sie nie danach gefragt. Der Gedanke, welchen Schmerz oder welche Ängste Mara wohl erlebt haben mochte, während Jeremy immer größer und älter wurde, war ihr nie in den Sinn gekommen.

„Später gestand er mir“, fuhr Logan fort, „er könne nicht genau sagen, warum er mir gegenüber so offen gesprochen hätte, warum er sich gedrängt gefühlt hätte, so ehrlich zu sein. Denn wir hätten auch ganz normalen Small Talk führen können, wie man das bei einer spontanen Begegnung so macht. Aber ich habe mich geehrt gefühlt, dass er mir das anvertraut hat. Und ich sagte ihm, der Heilige Geist habe ihm diese Worte wohl in den Mund gelegt, weil dieses Gespräch, von Bruder zu Bruder, von Vater zu Vater, mich tief betroffen gemacht habe auf eine Weise, wie es die Geschichten aus den Nachrichten nicht vermochten. Davon konnte ich mich distanzieren, mein wohlbehütetes kleines Leben weiterleben, mir selbst vormachen, wir hätten alle Fortschritte gemacht und den Rassismus in unserer Gesellschaft überwunden. Aber bei dem Gespräch mit ihm an jenem Tag spürte ich seinen Schmerz und seine Angst …“ Logan umklammerte seine Wasserflasche. „Die Wahrheit ist, ich mache mir auch Sorgen um meine Kinder. Aber nicht wegen ihrer Hautfarbe. Und allein die Tatsache, dass ich gar nicht darüber nachzudenken brauche, zeigt, wie privilegiert ich bin. Und das hat mir die Augen geöffnet.“

Er schwieg und wirkte nachdenklich. „Ich weiß, dass meine Stimme in solchen Diskussionen keine wichtige sein wird“, sagte er nach einer Weile. „Aber wenn wir unsere Gaben und Ressourcen einsetzen, um die Gelegenheit zu schaffen, dass unterschiedliche Stimmen sprechen und gehört werden können – wirklich gehört und verstanden werden –, dann ist das auch ein Anfang.“ Er stellte seine Flasche auf den Boden. „Würden Sie noch für mich beten, Katherine?“

Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Immer wieder fangen wir neu an, dachte sie und ergriff seine Hand.