17

 

 

Während der nächsten zwei Tage stehen die Theaterszenen auf dem Drehplan. Ich muss also nun spielen, dass ich spiele, und allein bei dem Gedanken verknotet sich mein Gehirn.

Cas hat mir zwar ein paar Tipps gegeben, wie ich mich auf mich selbst fokussiere und ausblende, dass ich umgeben von Kameras, Mikros, Assistenten, Ferris, Lidia, Rio und allen anderen bin, aber es gibt Situationen, in denen es mir dennoch schwerfällt.

Vor dem Spiegel habe ich geübt, meine Mimik besser zu kontrollieren. Ich fühlte mich unendlich albern dabei, meinem Spiegelbild Du bist ein Scheißkerl, Ryder entgegenzubrüllen und dabei wütend zu schauen. Oder Du darfst mich berühren und dabei sehnsüchtig zu schauen. Du darfst mich küssen aufgeregt und voller … Lust? Und vor allem mit Rio McQuoids Gesicht vor Augen. Ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Und nicht die gute Art.

Jetzt aber erst mal Theaterszenen. Zum wiederholten Male frage ich mich, warum es in Serien und Filmen immer Romeo und Julia sein muss. Aber vermutlich braucht man dafür am wenigsten Erklärung. Wir beginnen damit, dass ich aka Madison in die Umkleide hineinplatze, in der sich Rio aka Ryder gerade umzieht. Alle sind bereit, Ferris gibt das Kommando. Ich atme tief ein, fokussiere mich auf mich. Wie Cas es mir gezeigt hat. Ich werde mir meines Körpers bewusst, blende alles andere aus. Dann …

Mit einer Kiste voller Requisiten im Arm schiebe ich etwas unbeholfen die Tür mit der Schulter auf und trete rückwärts in die Umkleide. Deswegen sehe ich im ersten Moment nicht, dass dort schon jemand ist. Erst, als ich mich umwende, erblicke ich ihn. Rio. Ryder. Mit nichts bekleidet als dieser komischen historisch eher semi-korrekten Interpretation einer Pluderhose.

»Oh, entschuldige, ich … «

»Bringe ich dich aus dem Konzept? «

»Was? «

»Ob dich das hier « – er deutet an seinem durchtrainierten Oberkörper hinunter – »aus dem Konzept bringt. «

»Cut«, ruft Ferris. »Madison, könntest du wenigstens ein bisschen aus dem Konzept gebracht wirken? Nur so ein ganz kleines bisschen? Damit diese Show nicht als das Beschissenste EVER in die Geschichte eingeht? Das wäre super. Danke dir.« Sein Tonfall ist ekelhaft süßlich.

»Ich dachte, das würde ich.« Ich sage es mehr zu mir selbst als zu irgendjemandem sonst. Aber gut, ich probiere es noch mal. Vor dem Spiegel in meinem Zimmer habe ich es auch geschafft, auszusehen, als wäre ich aus dem Konzept gebracht.

»Oh, entschuldige, ich … « Ich versuche, überrascht und verwirrt auszusehen.

»Bringe ich dich aus dem Konzept? «

»Cut!« Ferris fährt sich hektisch durch seine kinnlangen schwarzen Locken. Um mich herum seufzen Leute. »Ihr wollt mich verarschen, oder? IHR WOLLT MICH ECHT ALLE VERARSCHEN !« Jetzt schreit er wieder. Das war abzusehen. Das tut er jeden Tag. Nicht nur meinetwegen, aber oft meinetwegen. Man stumpft mit der Zeit ab.

»Ferris, darf ich kurz?«, fragt Rio mit einem entwaffnenden Lächeln. Das ist neu. Dass jemand Ferris unterbricht.

»FUCK ME ! Tu, was du nicht lassen kannst, Rio.«

»Hey, kann ich mal mit dir reden?«, fragt Rio nun an mich gewandt.

Was? In diesem Moment meistere ich den Ausdruck des Aus-dem-Konzept-gebracht-Seins vermutlich, denn Rio McQuoid tut normalerweise alles dafür, genau das nicht zu machen. Mit mir zu reden. Auch das ist also neu. »Äh, okay?«

»Lass uns kurz wo hingehen, wo wir ungestört sind.« Er sieht sich um. »Zumindest ungestörter als hier.«

Ich folge ihm, immer noch mächtig aus dem Konzept gebracht, hinter die Kulissen des Bühnenbilds, wo wir vor neugierigen Blicken abgeschirmt sind. Nach wie vor hat er obenrum nichts an, was die Situation noch seltsamer macht. Unangenehm, um genau zu sein, denn ohne dass ich es will, ist mein Blick auf seinen durchtrainierten Rücken geheftet. Es ist obszön, wie perfekt jeder einzelne Muskel definiert ist, ohne zu viel zu sein. Argh!

»Du starrst mich an«, ist das Erste, was er sagt, als er sich umdreht.

»Ich starre dich nicht an.« Aber ich merke, wie mir Röte ins Gesicht schießt, weil ich mich ertappt fühle. Mist, Mist, Mist.

»Du starrst mich an«, wiederholt er und grinst selbstgefällig.

»Ich …« Wieder will ich es abstreiten, aber er lässt mich nicht ausreden.

»Ist auch egal. Fakt ist, das hier ist echt. Dein Blick. Dein Gesichtsausdruck. Das ist nicht gefakt. Und deswegen ist es gut. Im Gegensatz zu dem, was du da draußen vor der Kamera machst.«

Was will er mir damit sagen? Dass ich scheiße bin? Das weiß ich selbst. »Danke, das hilft mir wirklich sehr«, sage ich und versuche, so gut es geht, den sarkastischen Tonfall zu kaschieren. »Und zum letzten Mal, ich starre nicht. Ich habe dich höchstens kurz angesehen, weil man das so macht, wenn man sich unterhält.«

»Jetzt lass mich doch mal ausreden, ey«, sagt er ungeduldig. »Ich versuche dir hier zu helfen.« Auf einmal ist sein Tonfall freundlicher. Nicht mehr so spöttisch. Und wenn überhaupt, finde ich das noch befremdlicher.

»Okay.« Ich hasse es, wie kleinlaut ich klinge. Kleinlaut im Angesicht von zu vielen Bauch- und Brustmuskeln um mich herum.

»Hör zu, Ferne. Was du machst, ist Fake. Ist So-tun-als-ob. Aber faken ist nicht schauspielern. So tun, als ob, ist nicht schauspielern. Spielen ist nicht schauspielern. Es tun ist schauspielern.«

Ich verstehe nicht richtig, was er meint. Sein blöder Adonis-Körper und sein lächerlich herb-männliches Parfüm vernebeln mir die Sinne. »Hä?«

»Was gibt’s da nicht zu verstehen? Sobald die Kamera an ist, tust du so, als ob du sauer wärst. Tust du so, als ob du aus dem Konzept gebracht wärst. Aber niemand nimmt dir ab, dass Madison wirklich sauer oder aus dem Konzept gebracht ist. Höchstens, dass Madison so tut, als wäre sie sauer oder aus dem Konzept gebracht.« Er lacht über seinen Witz, den er offensichtlich für sehr clever hält, aber ich verstehe immer noch nicht so ganz, was er meint. Dass ich nicht überzeugend bin, ja klar. Das weiß ich selbst. Aber was soll ich denn noch tun?

»Deswegen habe ich extra vor dem Spiegel geübt, wütend oder wie auch immer auszusehen«, sage ich, damit er nicht denkt, dass ich nicht an mir arbeite.

Er lacht, und das Spöttische ist zurück. »Das ist der völlig falsche Weg und so ungefähr das Dümmste, was du machen kannst.«

»Na danke.« Und das soll jetzt helfen? Von Rio als dumm bezeichnet zu werden?

»Sorry, aber es stimmt. Schauspielern 101: Übe niemals vor dem Spiegel, denn sonst bist du nicht mehr präsent im Moment. Du willst nur das rekreieren, was du vor dem Spiegel gemacht hast. Aber das, was du im Spiegel siehst, das bist ja nicht mal du. Das ist einfach nur dein Spiegelbild, das dich anschaut. Wie sollst du denn überzeugend etwas porträtieren, wenn du nicht mal du selbst bist?«

»Okay?« Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstehe, aber es klingt sogar einigermaßen … plausibel. Und tiefgründiger, als ich es von einem oberflächlichen Menschen wie Rio erwartet hätte. Hat er recht? Denn das war genau das, was ich versucht habe. Den Gesichtsausdruck meines Spiegelbilds nachzuahmen. Und offensichtlich ging es schief. »Also, was soll ich dann machen?« Es fuchst mich, dass ich vor Rio eingestehen muss, dass ich mit meiner Weisheit am Ende bin. Aber schließlich ist er der Profi auf dem Gebiet. Und wenn seine Hilfe dazu beiträgt, dass Ferris ein bisschen weniger rumblökt, ist es vielleicht einen Versuch wert.

»Du sollst dich nicht davon überzeugen, dass du dein Spiegelbild bist. Oder irgendein Bild von dir, wenn wir schon dabei sind. Du sollst jemand sein. Nicht das Bild von jemandem. Du sollst dich nicht davon überzeugen, dass du eine bestimmte Emotion hast. Du sollst die Emotion haben. «

Ich schlucke. Na klar. Das klingt logisch. »Aber wie?«

»Schau mich an.«

Ich will ihn nicht anschauen. Wie schon die ganze Zeit. Aber wie schon die ganze Zeit tue ich es trotzdem. In seine viel zu schönen Augen. Auf seinen perfekt getrimmten Dreitagebart, der in Kombination mit der feinen Narbe dennoch verwegen aussieht. Seine bescheuert vollen Lippen …

»Nicht in mein Gesicht. Schau dir meinen Körper an.« Er tritt einen Schritt zurück. »Schau dir meinen durchtrainierten Oberkörper an, Ferne.«

Ich dachte, es wäre mir unangenehm gewesen, von ihm dabei ertappt zu werden. Aber von ihm aufgefordert zu werden, unverhohlen seinen Körper anzusehen, ist ein ganz neues Level an Peinlichkeit.

»Siehst du das?« Er spannt sein Sixpack an, und ich muss schlucken. Herrgott noch mal, warum muss ich denn jetzt schlucken?

»Ja.« Ich spreche verblüffend leise. Verdammt.

»Und es gefällt dir, oder?«

Ich schweige. Den Teufel werde ich tun und sein Ego auch noch streicheln. Aber das muss ich ohnehin nicht. Das ist wirklich das Letzte, was er nötig hat. Denn er weiß, wie gut er aussieht.

»Wenn Madison in die Umkleide kommt, ist sie überrascht. Warum?«

»Weil sie nicht damit gerechnet hat, dass da jemand ist.«

»Und warum noch?«

»Weil Ryder da ist.«

»Und warum noch?« Er wird ungeduldiger.

»Weil du oben ohne bist.« Wieso sage ich du? Wieso nicht Ryder? Und wieso ist da wieder dieses verräterische Schlucken? Kurz hoffe ich, es ist ihm nicht aufgefallen, aber natürlich ist es das. Und nicht nur das, er hat es vermutlich sogar erwartet, denn er zieht amüsiert die Augenbrauen nach oben.

»Und warum noch?«

»Weil sie nicht damit gerechnet hat, dass er so …« Ich beiße mir auf die Zunge.

»… heiß aussieht«, beendet Rio meinen Satz. »Und dass es ihr gefällt.« Er sieht mich an, und ich löse meinen Blick von seinem Oberkörper, um ihm wieder ins Gesicht zu sehen. Meine Wangen glühen, ich spüre es. »Es ist egal, ob ich dir gefalle, Ferne. Aber es ist nicht egal, ob Ryder Madison gefällt. Denn Ryder gefällt Madison. Und umgekehrt, aber darum soll es nicht gehen, denn ich habe schließlich keine Schwierigkeiten damit, die Leute davon zu überzeugen.«

Was soll das denn heißen? Dass er es im Gegensatz zu mir spielen kann? Aber gerade hat er doch gesagt, dass es um echte Emotionen geht, nicht ums Spielen. Gefalle ich ihm? Stopp! Ryder. Er spricht von Ryder. Hör auf, dich zum Affen zu machen, Ferne.

»Wenn du also die Tür aufmachst und mich erblickst, bist du überrascht. Du bist perplex, weil du angeturnt bist. «

Wieder steigt mir Hitze ins Gesicht. Verräterische Hitze. Weil ich angeturnt bin. Ich schüttle kaum merklich den Kopf, weil mich das alles wirklich, wirklich verwirrt. Mich noch dazu die Worte aus seinem Mund wirklich, wirklich verwirren. Auf einem anderen Level als sein Sixpack. Es ergibt alles Sinn, aber gleichzeitig ist mein Kopf nicht an all diese Ebenen gewöhnt. Mein Kopf kennt bislang nur die Realität und meine Fantasie. Doch auf einmal sind dazwischen einfach weitere Realitäten, die ich zulassen muss, oder wie?

»Und jetzt komm, bevor Ferris sich jedes seiner so kostbaren Haare einzeln ausreißt.«

Wir betreten wieder das Set. Für einen Moment hatte ich verdrängt, wie wuselig es hier überall ist, weil da nur Rio und ich waren und die Hitze in meinem Gesicht. Jetzt bin ich wieder mittendrin und muss versuchen, bei mir zu bleiben.

»Wir sind so weit«, verkündet Rio. »Wir brauchen nur eine Visagistin, die etwas gegen Fernes knallroten Kopf unternimmt.« Er grinst mich an, und die kurze Dankbarkeit, die ich tatsächlich empfunden habe, schwindet mit dem Lachen der Umstehenden.

Fünf Minuten später sind wir alle wieder auf Position.

»Und Action!«

Ich balanciere die Kiste mit den Requisiten auf dem Arm und schiebe mich durch die Tür zur Umkleide. Ich drehe mich um und lasse beinahe die Kiste fallen, denn ich bin nicht allein.

»Oh, entschuldige, ich … « Ausgerechnet Ryder ist in der Umkleide. Und er zieht sich um. Und … mein Blick bleibt an ihm hängen.

»Bringe ich dich aus dem Konzept? « Er grinst.

»Was? « Ich starre. Wieso starre ich? Wieso hat Ryder ein Sixpack? Und wieso lässt es mich verflucht noch mal nicht kalt?

»Ob dich das hier « – er macht eine Geste über seinen Oberkörper – »aus dem Konzept bringt. «

Ich schlucke. Hart. Ryder sieht nicht nur gut aus. Ryder ist hot . So richtig fucking hot, wie er selbst sagen würde. Und mein Gesicht glüht.

»Habe dich einfach nur nicht erwartet «, gebe ich zurück, aber ich weiß, dass er weiß, dass ich schwafle.

»Was immer du sagst, Madison. « Die Art, wie er meinen Namen sagt, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Es klingt, als würde er jeden einzelnen Buchstaben genießen. Auf eine nicht jugendfreie Art.

»Wir sind spät dran. « Ich muss mich selbst aus diesem peinlichen Traum aufwecken, in dem ich mit diesem ultraheißen Typen allein in einer Umkleide stehe.

»Ja, aber weißt du noch, was du neulich über das Gleichgewicht in zwischenmenschlichen Beziehungen gesagt hast? «, fragt er und zieht einen Mundwinkel zu einem schiefen, beinahe lüsternen Lächeln nach oben. »Ich fürchte, Madison « – wieder die nicht jugendfreie Art, meinen Namen zu sagen –, »in den letzten Minuten ist ein Ungleichgewicht entstanden. «

»Warum? « Was meint er?

»Du kennst jetzt deutlich mehr von mir als ich von dir. Und das macht, dass ich mich … ein bisschen … unsicher fühle. « Nichts an ihm sieht unsicher aus. Nichts an ihm klingt unsicher. Er will mich nur aufziehen.

»Wärst du rechtzeitig fertig gewesen, hätte ich nichts gesehen. Das hast du also nur dir selbst zuzuschreiben. «

»Aber das löst das Problem nicht, oder? « Er kommt einen Schritt auf mich zu, und ich weiche nicht zurück. Warum weiche ich nicht zurück? Im Gegenteil, ich lasse ihn so nahe kommen, dass er die Box mit den Requisiten aus meiner Hand nimmt. Verdammt, sieht er gut aus. Verdammt, riecht er gut. Eric hatte doch recht. Stopp! Eric? Der hat hier nichts verloren. Ich bin Madison. Madison Maguire. Ich habe keinen Bruder.

»Noch mal die Kiste«, ruft Ferris.

Offenbar hat man gemerkt, dass ich für einen kurzen Moment nicht ganz da war. Oder zu sehr da. Die Kameras laufen weiter, und Ryder nimmt mir erneut die Kiste aus der Hand. Kommt näher. Noch näher. Ich kann ihn riechen, und Ryder riecht gut. Riecht so gut, dass ich weiche Knie bekomme. Ich will aus dieser Situation ausbrechen, aber er hält mich in seinem Bann aus Schönheit und Duft und verfluchten perfekt definierten Muskeln.

Ryder streicht mir eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das löst das Problem ganz und gar nicht «, wiederholt er.

»Was würde das Problem denn lösen? « Meine Stimme klingt auf einmal heiser und als käme sie von ganz weit weg.

»Das hier … « Er kommt noch näher, und beinahe meine ich, meine Beine würden nun wirklich unter mir nachgeben, als auf einmal –

»Da seid ihr ja «, sagt Miss Little, unsere Lehrerin. »Die anderen warten schon. «

Und unser Moment ist vorbei.

»Ryder wollte sich gerade noch ein Hemd anziehen «, sage ich als Erklärung und stolpere mehr, als dass ich gehe, hinter Miss Little her.

»Cut! Und so, Leute, macht man eine gute Show«, sagt Ferris. Dann leiser an die begeistert klatschende Izzy gewandt, sodass ich es kaum hören kann: »Ich habe ja gesagt, dass eine Schauspielerin in ihr steckt.« Und ich weiß nicht, wie mir geschieht. In mehrfacher Hinsicht und auf allen möglichen Realitätsebenen.

 

Ich verlasse gerade meinen Trailer, will mich auf den Weg zum Parkplatz machen, als eine Bewegung meine Aufmerksamkeit auf sich zieht und mich innehalten lässt.

Zehn Meter entfernt kniet Rio auf dem Asphalt. Es ist eine so untypische Position für ihn, dass ich zweimal hinsehen muss, um sicher zu sein, dass es sich tatsächlich um meinen arroganten Drehpartner handelt. Aber es besteht kein Zweifel. Dort kauert er und streichelt einen Hund. Keine Ahnung, zu wem er gehört, aber es ist ein schönes Tier. Ein Schäferhund, der die Streicheleinheiten von Rio McQuoid offensichtlich sehr genießt.

Stand nicht in diesem Artikel, dass die Familie McQuoid einen Schäferhund hat? Zsa Zsa? Vermutlich ist er das, und für einen Augenblick bin ich ein bisschen überrumpelt davon, dass Rio offenbar menschliche Züge hat. Dass er Hunde mag. Und dass der Hund sogar ihn mag. Bei diesem Gedanken muss ich unwillkürlich grinsen.

»Wie süß«, ertönt auf einmal Lidias höhnische Stimme hinter mir. Sofort bereue ich, dass ich stehen geblieben bin. »Stehst du auf ihn?« Sie lacht. »Sorry, Süße, aber mach dich nicht lächerlich.«

Ich wünschte, Lidia wäre mir egal. Ich wünschte es wirklich. Als Eric in der Schule Probleme hatte, hat die Schulpsychologin gesagt, er solle die Leute ignorieren, die ihm das Leben schwer machen. Aber solange die Bullys wissen, dass sie dich damit trotzdem treffen, ist es ihnen leider herzlich egal, ob du sie ignorierst. Natürlich ist meine Situation eine völlig andere. Nie im Leben würde ich Lidia mit den kleinen Wichsern vergleichen, die meinen Bruder wegen seiner Sexualität fertiggemacht haben. Aber ignorieren kann ich sie trotzdem nicht. Und auf einmal fällt mir Erics Voodoo-Puppe wieder ein. Vielleicht leihe ich sie mir bei Gelegenheit mal aus.

»Du könntest mir Rio McQuoid auf den Bauch binden«, sage ich. »Der Fortbestand der gesamten Menschheit könnte davon abhängen. Und ich schwöre dir, wir würden aussterben. Du musst dir keine Sorgen machen, ich werde ihn dir nicht streitig machen.«

»Und deswegen stehst du hier herum und schmachtest ihn an. Schon klar.«

»Anschmachten?« Jetzt muss auch ich lachen, weil es so absurd ist. Ja, Rio sieht gut aus. Zu richtig echter Attraktivität gehört allerdings leider auch, dass man kein Arschloch ist. Aber woher soll Lidia das wissen, wenn sie sich tagaus, tagein mit ebendiesen Arschlöchern umgibt? »Ich wollte lediglich sichergehen, dass mit dem Hund alles in Ordnung ist. Normalerweise erkennen die nämlich, was für einen Menschen sie vor sich haben. Und dieser …« Ich lasse keinen Zweifel daran zu, dass ich seine Menschenkenntnis infrage stelle.

Lidia schnaubt. Dann stolziert sie in Rios Richtung davon. Ich will mich gerade endgültig auf den Weg zu meinem Wagen machen, als ich höre, wie der Hund zwei Mal laut bellt. Ich wende mich noch einmal um und sehe, dass er vor Lidia zurückweicht. Also ist mit seiner Menschenkenntnis offensichtlich doch alles in Ordnung.