Die Nähe zu ihr macht mich unruhig. Macht mich nervös.
Wir liegen auf ihrem Bett. Auf Madisons Bett. Ich habe die Arme um sie gelegt, sie lehnt an meinem Körper, und ich spüre ihre Wärme. Ich flüstere ihr Dinge ins Ohr. Sie kichert. Oder seufzt. Oder dreht sich zu mir um, bis wir uns noch näher sind.
»Hat mit dem Auto alles geklappt?«, frage ich, weil mein Kopf voll von ihr und zu etwas Gehaltvollerem nicht in der Lage ist.
»Ja, danke noch mal für deine Hilfe«, erwidert sie und lächelt.
Ein andermal – wir haben einen Außendreh – gehen wir Hand in Hand. Und ich ertappe mich dabei, wie ich ihre Hand drücke. Kaum merklich. So, dass es auf keiner verdammten Kamera zu sehen sein wird. Sie erwidert die Geste nicht, und ich zermartere mir den Kopf darüber, warum nicht.
»Mit deinem Auto alles gut?«, frage ich in einer Drehpause.
Sie lächelt. »Ja, noch mal danke, dass du dich darum gekümmert hast.«
Und dann ist sie über mich gebeugt. In ihrem Julia-Kostüm. Ich liege starr, habe das Gift bereits geschluckt.
»Ich will deine Lippen küssen. Vielleicht hängt noch so viel Gift daran, als ich nötig habe. Deine Lippen sind noch warm. « Sie drückt ihre Lippen ganz sanft auf meine, und ich darf den Kuss nicht erwidern. Ich spüre ihre Wärme. Ihren weichen Mund. Und ich wünschte – ich wünschte –, fucking Romeo hätte sich noch einmal aufgebäumt und Julia ein letztes Mal stürmisch geküsst. Danke für nichts, Shakespeare.
Mein Herz rast, und ich bin mir sicher, sie muss es spüren. Äußerlich bin ich zwar vollkommen unbeweglich, aber in mir passieren die abenteuerlichsten Dinge. Ich will meine Lippen öffnen. Mehr als alles andere. Will meine Arme heben und sie komplett auf mich ziehen. Ich will ihren Körper so eng an meinem spüren, bis wir verschmelzen. So fühlt es sich an. Es muss Sehnsucht sein. Nicht diese Geilheit auf einen Körper. Sondern da ist mehr. Da ist echtes Gefühl. Echtes beschissenes Gefühl, das man äußerlich spielen kann, aber das sich nach innen verselbstständigt hat. Und dann zucke ich auf einmal. Ich habe es nicht unter Kontrolle. Das ist etwas, das ich von mir nicht kenne. Aber die Sehnsucht oder was auch immer lässt mich für den Bruchteil einer Sekunde vergessen, wo wir sind und was wir tun. Da ist nur dieser unbedingte Wunsch, die Millimeter, die zwischen unseren Lippen sind, zu überbrücken. Und ich tue es.
Ferne weicht zurück, verwirrt, weil das nicht im Drehbuch steht.
»Cut!«, ruft Ferris. »Was war das denn?«
Ich bin so perplex, dass ich nicht einmal eine Erklärung dafür habe. »Sorry, mein Fehler«, sage ich. Ich zwinge mich zu meiner normalen Coolness, als ich mich kurz aufsetze. »Ich lag komisch und wollte mich besser positionieren.« An Ferne gewandt, deren Stirn gerunzelt ist, füge ich hinzu: »Entschuldige. Ich habe nicht gecheckt, dass wir uns so nah sind.« Doch in dem Moment, als ich mich wieder hinlege, das Gefühl ihrer Lippen noch auf meinen Lippen, ohne dass die Sehnsucht auch nur im Ansatz gestillt worden wäre, fasse ich einen Entschluss.
Das wäre mal ein Fakt für diese bescheuerte Liste. Als Rio McQuoid eines Abends an Ferne Resniks Trailer klopft, sind seine Hände schweißnass. Das ist eine Premiere. Schließlich bin ich Rio McQuoid. Ich war in meinem ganzen Leben noch nicht nervös. Ich habe in meinem ganzen Leben noch kein einziges Mal einen Korb bekommen. Warum bin ich also jetzt ein nervliches Wrack? Warum ist es mir nicht egal? Wie schön war das Leben, als mir noch alles egal war.
»Oh, hi«, sagt Ferne, als sie die Tür öffnet, und mein dämlicher Körper macht schon wieder seltsamen Kram bei ihrem Anblick. Sie ist abgeschminkt, ihre Haare sind zerzaust, ihr Kostüm hat sie gegen Jeans und ein T-Shirt getauscht, auf dem ein kleiner Fuchs auf Höhe ihrer Brüste Fußspuren hinterlässt.
Bevor sie mich ertappt, hebe ich den Blick lieber wieder. »Hi.«
»Brauchst du was? Kann ich dir helfen? Mich mit Schauspieltipps revanchieren? Ich habe gehört, es ist gut, wenn man sich in einer Szene nicht plötzlich unkontrolliert bewegt.« Sie grinst.
»Ich … ähm …« Jetzt stottere ich auch noch, während sie schlagfertig ist und Witze macht. »Mit deinem Wagen alles gut?« Was, zur Hölle, passiert mit mir? Habe ich einen Schlaganfall?
»Immer noch alles gut, ja.« Das Grinsen wird breiter.
Macht sie sich lustig? Denn in Ermangelung von etwas anderem, über das ich sprechen könnte, habe ich sie in den letzten Tagen immer wieder nach ihrem bescheuerten Auto gefragt. Und sie hat sich immer wieder bedankt. Und ich habe immer wieder abgewunken.
»Danke noch mal für deine Hilfe. Das wäre echt nicht nötig gewesen.«
»Ach was.« Ich winke ab. Großartig, Rio. Richtig smooth. »Ich wollte eigentlich etwas mit dir bereden.« Bereden? Bereden? Vielleicht sollte ich einfach wieder gehen. Steve einen Termin bei meinem Arzt vereinbaren lassen, um mich mal durchzuchecken. Aber selbst wenn ich wollte, mein Körper würde nicht gehorchen. Mein Körper will ihre Nähe. Der Pisser.
»Oh, okay. Komm rein.« Sie geht einen Schritt zur Seite. »Bei mir ist es allerdings längst nicht so schick wie bei dir.«
Doch mich interessiert das Innere ihres Trailers nicht. Mich interessiert sie. Und die Tatsache, dass ich vollkommen hilflos im Raum stehe und nicht weiß, was ich als Nächstes tun soll. Ich atme tief ein. Das ist nicht normal. Es ist einfach nicht normal! Und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Vielleicht könnte ich sie als Ryder … könnte er sein und sie Madison, und dann wäre es einfacher.
»Geh mit mir aus «, sage ich deutlich gefasster, als ich mich fühle.
Ferne sieht mich fragend an. Natürlich. Wie soll sie wissen, was ich tue?
»Geh mit mir aus, Ferne.« Da. Ihr Name. Nicht Madisons. Mein Herz rast.
Sie runzelt die Stirn. »Was?«
»Geh mit mir aus, Ferne«, sage ich wieder. Betone ihren Namen diesmal deutlicher, damit sie es endlich versteht.
»Das … ist keine gute Idee«, sagt sie. Es ist Madisons Text. Aber sie sagt ihn auf Ferne-Art. Verdammt!
»Warum nicht?« Warum zur Hölle nicht? Wieso will ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas und soll es gleichzeitig zum ersten Mal in meinem Leben nicht haben können? Das ergibt keinen Sinn. Das ist das schlechteste Timing ever! »Weil ich ein Arschloch bin?« Das wäre zumindest Madisons nächste Zeile. Vielleicht kann ich sie vorwegnehmen, und dann kommt sie nicht.
»Weil du … das nicht ernst meinst.« Sie zuckt mit den Schultern, und das Schulterzucken fühlt sich an, als wäre da kein Spielraum.
»Weil ich … was?« Ich habe noch nie etwas so ernst gemeint. Sonst wäre ich ja wohl kaum hier. Das muss sie doch eigentlich wissen.
»Ich weiß nicht, was du dir erhoffst, ob du mich vorführen willst, ob das ein riesiger Spaß ist, ob du wirklich denkst, dass du mich magst … keine Ahnung. Aber ich kann es mir nicht leisten, darauf reinzufallen.« Die Freundlichkeit ist aus ihrer Stimme gewichen, und so langsam beschleicht mich das Gefühl, dass sie eine härtere Nuss ist, als ich mir wünschen würde.
»Ich denke nicht nur, dass ich dich mag«, sage ich. Ich fahre mir mit dem Daumen über meine Lippe. Sehe sie direkt an. »Ich weiß es.«
»Das ergibt keinen Sinn.«
»Ich weiß«, sage ich. Doch im nächsten Moment ärgere ich mich über mich selbst, denn das klingt nicht nach einem Kompliment. »Ich weiß, dass es auf den ersten Blick keinen Sinn ergibt«, korrigiere ich. »Aber ich habe es in den letzten Tagen von allen Seiten betrachtet. Und so sieht es nun mal aus. Fakt über Rio McQuoid: Er mag Ferne Resnik.«
Sie stößt ein halb frustriertes, halb belustigtes Schnauben aus. »Selbst wenn. Für dich ist es die Erweiterung einer Romanze, die vor der Kamera stattfindet. Du hast dabei nichts zu verlieren. Du bist du. Du bist ein Star. Der große Rio McQuoid.« Ich bin mir fast sicher, dass da eine Prise Sarkasmus in ihrer Stimme ist. »Du kannst alles und jeden haben und dann alles und jeden fallen lassen. Du weißt, wer du bist. Die Welt weiß, wer du bist. Aber ich bin nur ich. Ferne. Und ganz normal.«
»Wer sagt das?« Es ist Ryders Text. Aber er passt. Und er hilft mir außerdem dabei, nicht den Faden zu verlieren. Einen Faden, den Ferne sich irgendwie geschnappt und verheddert hat, sodass ich jetzt Schwierigkeiten habe, ihn wiederaufzunehmen.
»Du sagst das, Rio.« Sie sieht mich direkt an. Aus ihren warmen braunen Augen.
»Ich?« Was meint sie?
»Als wir uns fast geküsst hätten. Weißt du noch?« Sie bringt jetzt ein paar Meter Abstand zwischen uns. Warum? Warum will sie mir nicht nah sein?
»Stimmt.« Ich erinnere mich. Aber ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll.
»Und für dich ist das vielleicht keine große Sache. Aber für mich wäre es das. Ich habe mich gerade einigermaßen eingefunden. Am Set. Im Team.«
»Mit mir.« Ich sage es mit mehr Überzeugung, als ich gerade verspüre, einfach, damit sie mir recht geben muss.
»Ja, auch mit dir.«
»Hör zu. Was ich gesagt habe, tut mir leid. Es war nicht so gemeint, wie du es offenbar aufgefasst hast. Ich wollte nur … das sollte nur bedeuten, dass …«
Sie sieht mich abwartend an. Aber ihre Haltung ändert sich nicht.
»Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es mehr ist als das hier.« Ich mache eine Geste durch ihren Trailer. »Mehr als diese Scheinwelt. Dass es …« Ich räuspere mich. »… besonders ist.«
Sie verzieht den Mund zu einer ungläubigen Grimasse. »Und das Wort deiner Wahl, um auszudrücken, dass etwas besonders ist, war ›normal‹?«
Ich lache leise, denn ja, wenn sie es so ausdrückt, klingt es wirklich dämlich. »Für mich ist normal besonders, glaube ich.«
»Für mich fühlt es sich an, als wärst du was Besseres.«
Jetzt muss ich laut auflachen. »Das denke ich nicht.«
»Vielleicht nicht mehr.«
»Ja, okay, am Anfang habe ich es gedacht«, gestehe ich. »Aber das war, bevor …«
Sie hebt die Augenbrauen. Und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bevor ich dir nah war? Bevor ich dir noch näher sein wollte? »Bevor ich wissen wollte, ob das, was vor der Kamera passiert ist, echt ist.«
»Hast du mir nicht gesagt, dass man es fühlen muss, um es zu spielen?«
»Ja, aber normalerweise höre ich danach wieder damit auf, es zu fühlen.« Da. Ich habe es gesagt.
Sie schluckt. »Aber das hast du nicht?«
»Und du?«
»Ich habe zuerst gefragt.« Ihre Stimme ist ganz leise geworden. Die schlagfertige, die abweisende Ferne ist auf einmal verschwunden.
»Ich habe nicht damit aufgehört.« Ich stoße die Luft aus, als wäre es eine Erleichterung, es auszusprechen. Dabei ist es das Gegenteil, weil es bedeutet, dass ich ehrlich bin. Und Ehrlichkeit setzt Vertrauen voraus. Und Vertrauen macht angreifbar. Deswegen vertraut man am besten nur sich selbst. Und ab und zu Steve. »Und ich wüsste gern, wie es ist, wenn keine Menschen um uns herum sind. Weil …« Wieder weiß ich nicht, wie ich fortfahren soll. Wie ich in Worte fassen soll, was all diese Gedanken mit mir machen. Worte sind zu banal. Zu … normal. Und auf einmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das meinte sie! Das ist ihr Problem! Endlich verstehe ich, warum sie verletzt war. Verletzt ist. »Weil das nicht normal ist. Verstehst du? Nicht für mich. Ich habe keine Menschen in meinem Leben, die mir was bedeuten. Ich habe Leute, die für mich arbeiten. Leute, die mit mir arbeiten.«
»Was ist mit deinen Freunden? Deiner Familie?«
»Nein«, erwidere ich und schüttle langsam den Kopf. »Aber komischerweise bist da du.«
Für einen Moment schweigen wir. Sehen uns an. Sie mich, ich sie. Das Dröhnen meines Herzschlags erfüllt mich. Was macht sie aus diesem Geständnis? Glaubt sie mir?
»Ich höre auf mein Bauchgefühl «, sagt sie dann. Es ist Madisons Text. Und er lässt Hoffnung in mir aufkeimen.
»Dann muss ich also deinen Bauch überzeugen, bevor ich dein Herz für mich gewinnen kann? «, frage ich und muss lachen. Über den Text, aber auch aus Erleichterung, weil wir uns wegbewegen von diesem peinlichen Seelen-Striptease. »Wer denkt sich so was aus?«
Sie gluckst ebenfalls.
»Was ist dein Lieblingsessen, Ferne? «
»Find’s raus «, sagt sie.
»Das werde ich, glaub mir. Und dann gehst du mit mir aus. «
»In deinen Träumen «, erwidert sie.
»In meinen Träumen machen wir noch ganz andere Dinge. «
Jetzt prustet sie.
»Du kannst lachen, so viel du willst. Aber es stimmt leider.« Auf einmal bin ich nicht mehr Ryder. Auf einmal bin ich wieder ich. Denn es ist wahr. Seit unserem Kuss – unserem heißen, verrückten, wahnwitzigen Kuss – ist sie in meinen Gedanken. Immerzu. Und immerzu nicht jugendfrei.
Ihre Augen werden noch größer. Als könne sie nicht glauben, was ich da eben gesagt habe. Und ich kann es ja selbst kaum glauben, dass ich mich hier so verwundbar mache. So ehrlich. So echt. So ich. Fucking hell.
»Du meinst das ernst.« Es ist eine Feststellung. Aber eine zögerliche, schwer zu begreifende.
»Ich schätze, schon«, sage ich und zucke mit den Schultern.
»Aber …«
»Sag nicht ›aber‹, okay?«
»Aber …«
»Sag einfach Ja.«
»Aber …«
»Ich will dir nah sein.« Ich klinge drängend, und ich hoffe, dass ich sie nicht in die Enge treibe. Aber es ist nun mal drängend. Dringend. »Ich will dich wieder küssen, Ferne.«
Sie schluckt. Öffnet ihren Mund, und ich bin mir sicher, dass wieder ein Aber herauskommt.
»Ich will dich auch wieder küssen, Rio«, sagt sie, und sie sagt es so leise, dass ich im ersten Moment nicht einmal sicher bin, ob das wirklich ihre Worte waren.
Dann verzieht sich mein Mund zu einem breiten Lächeln. »Ja?«
»Ja.«
Und beim Klang dieses heiseren Jas komme ich beinahe ins Straucheln.