So etwas habe ich noch nie gemacht. Und wenn Steve wüsste, was ich hier tue, würde er ausrasten. Ruben ist jedenfalls ausgerastet, als er mich vorhin angerufen hat und ich ihm beichten musste, dass ich mit der Corvette auf dem Weg zur Burbank Highschool war, um meinen Freund Eric abzuholen und seinen Mitschülern das Maul zu stopfen. Beim Wort »Freund« wurde er allerdings hellhörig, und nachdem ich ihm versprach, dass ich ihn bei Steve von jeder Schuld reinwaschen würde, ließ er mich in Ruhe. Tatsächlich wäre Ruben ein großartiger Freund.
Es war nicht schwer, herauszufinden, auf welche Schule Eric geht. Auf Chaplins Instagramkanal hat er neulich erst ein Foto von sich und ihr in Bulldogs-Trikots hochgeladen, und in der Caption erwähnte er, dass so die Sportteams der Burbank Highschool heißen. Als ich dann danach googelte, fand ich außerdem heraus, dass sowohl Tim Burton als auch Blake Lively zu den Alumni gehören. Bald wird die Webseite auch noch Ferne Resnik in ihre Liste aufnehmen müssen.
Beim Gedanken an Ferne heben sich meine Mundwinkel unwillkürlich. Dieses Wochenende werden wir Zeit für uns haben, und jede Leere, die in mir sein könnte, wird von warmer Vorfreude erfüllt.
Ich parke meinen Wagen direkt vor dem Schulgebäude im Halteverbot. Der offizielle Eingang liegt hinter einem monströsen Durchgang aus Beton, der in den Siebzigern einmal schick gewirkt haben muss. Auf der anderen Straßenseite warten gelbe Schulbusse. Mit einem von ihnen wäre Eric heute nach Hause gefahren. Nur dass er heute mit mir fährt.
Um Punkt sechzehn Uhr dreißig öffnen sich die Türen, und Ströme von Schülerinnen und Schülern ergießen sich um das Betonmonstrum herum auf den Gehweg und auf die Straße. Ein paar von ihnen tragen Bulldogs-Farben und -Logos auf ihren Jacken und T-Shirts. Und beinahe ausnahmslos starren sie mich an.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, Steve nichts von meinem kleinen Ausflug zu erzählen. Aber nachdem jetzt schon Handyfotos von mir geschossen werden, stelle ich mich mental auf ein Donnerwetter ein. Eine passende Ausrede habe ich aber schon: Recherche für meine Rolle. Schließlich ist Ryder Schüler an einer Highschool. Da kann es nicht schaden, mal wieder eine zu sehen – wenn auch nur von außen.
Immer mehr Schülerinnen und Schüler reihen sich um mich. Sie halten Abstand, die meisten von ihnen versuchen, nicht zu auffällig zu gaffen, aber andere zeigen unverblümt mit dem Finger auf mich.
Ich lehne an meinem Wagen, grinse und winke, werfe den Autoschlüssel hoch, fange ihn wieder auf. Mehr Leute kommen. Einer von ihnen ist ein Lehrer, der mit hoch erhobenem Finger auf mich zugestürmt kommt.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagt er, »Sie können hier nicht parken. Das ist strenges Halteverbot.«
»Ist es?«, frage ich. »Das tut mir leid. Ich muss das Schild übersehen haben.«
»Bitte warten Sie um die Ecke auf Ihren …« Er stockt, weil ihm in diesem Moment offenbar auffällt, dass ich zu jung bin, um einen Sohn im Highschoolalter zu haben.
»Äh, Mr Javed«, sagt eine Schülerin, während die anderen anfangen zu kichern.
»Jetzt nicht, Jen.« Er wedelt mit der Hand. »Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.«
»Ja, aber Mr Javed«, versucht sie es wieder.
»Was?« Er dreht sich zu ihr herum.
Mit einem überlauten Flüstern sagt sie: »Das ist Rio McQuoid.« Und um sie herum brechen alle in schallendes Gelächter aus.
In diesem Moment drängt sich ein schlaksiger Kerl mit dunklem Lockenkopf nach vorne, und als er mich erblickt, kriegt er ganz große Augen. Es ist Eric.
»Hi, Eric«, sage ich und hebe meine Hand.
»Hi«, erwidert er, vergisst aber, seinen Mund wieder zuzumachen.
»Lust auf ’ne kleine Spritztour?« Ich klopfe aufs Dach der Corvette.
»Ob ich …« Er kratzt sich am Kopf, als könne er nicht so recht glauben, was hier passiert. Um ihn herum fangen die Schülerinnen und Schüler wieder an zu tuscheln und nicken anerkennend in Erics Richtung.
»Kennst du diesen Mann?«, fragt Mr Javed.
»Ey, Sie sind so peinlich«, sagt Jen in voller Lautstärke.
»Eric?«
»Ja, das ist Rio, mein …« Doch er weiß nicht, wie der Satz endet.
»Hi, Mr Javed«, sage ich jetzt, trete einen Schritt vor und strecke meine Hand aus. »Ich bin ein Freund von Eric.«
»Das muss ich überprüfen«, sagt Mr Javed, und Jen und ihre Freundinnen sehen aus, als wären sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch, weil ihnen ihr Lehrer so peinlich ist.
»Sie machen einen großartigen Job, Mr Javed. Und natürlich können wir Mr oder Mrs Resnik anrufen.« Ich reiche Eric mein Handy.
»Du hast das neue iPhone!«, sagt Eric und nimmt es beinahe ehrfürchtig entgegen.
Eric gibt eine Nummer ein und stellt den Anruf dann laut, damit Mr Javed – und alle anderen – mithören kann. Nach zwei Freizeichen ertönt Mrs Resniks Stimme. »Hallo?«
»Hi, Mom«, sagt Eric mit einem hörbaren Grinsen in der Stimme. Alle anderen sind mucksmäuschenstill, um nichts zu verpassen.
»Eric? Was ist das für eine Nummer?«
Mr Javed wirft mir einen wissenden, überlegenen Blick zu.
»Ich rufe von Rios Handy an. Er will mich von der Schule nach Hause fahren, aber Mr Javed macht sich Sorgen, dass er ein Pädo ist oder so.« Jetzt lachen alle, mit Ausnahme von Mr Javed.
»Das ist ja nett von Rio. Will er zum Essen bleiben?« Ein Raunen geht durch die Menge.
»Willst du?«, fragt Eric an mich gewandt.
»Ich wünschte, aber leider kann ich heute nicht«, sage ich. Denn wenn ich das Wochenende mit Ferne ohne zusätzliche Workouts und strenge Diät verbringen will, sollte ich vorher sicher nicht zwei Portionen von Mrs Resniks Essen zu mir nehmen.
»Er kann heute nicht«, sagt Eric.
»Gern beim nächsten Mal«, füge ich hinzu.
»Gern beim nächsten Mal«, sagt er.
»Dann sag ihm liebe Grüße.«
»Liebe Grüße«, sagt Eric.
»Liebe Grüße zurück.«
»Liebe Grüße zurück«, richtet Eric aus. Dann legt er auf.
»Danke, dass Sie so gut auf Ihre Schützlinge aufpassen«, sage ich an Mr Javed gewandt. »Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie Eric nicht mit jedem Fremden mitgehen lassen.«
»Sicher ist sicher«, gibt er zurück, und während Eric und ich einsteigen, zeigt Jen ihm offenbar meinen Wikipedia-Artikel oder so, denn er gibt ein paar peinlich berührte Aaaah- und Ooooh-Laute von sich.
»Du bist der Coolste«, sagt Eric, als ich vor dem Haus der Resniks halte.
»Nicht halb so cool wie du.«
»Na ja.« Er grinst und wird ein bisschen rot. »Sorry noch mal wegen Mr Javed.«
»Kein Ding. Er hatte völlig recht.«
»Ja, aber dass er keine Ahnung hatte …«
»Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlich erfrischend«, sage ich lachend.
»Er ist ein echt guter Lehrer. Englisch und Geschichte. Und er war sehr nett im letzten Jahr.«
»Wenn dir noch mal jemand Stress macht«, sage ich, »gibst du mir Bescheid, okay? Ich habe einen ziemlich starken Security, der auf Abruf bereitsteht.«
»Dein Ernst?«
Ich nicke. »Mein voller Ernst. Gib mir dein Handy.«
Er zieht ein ziemlich ramponiertes Teil mit Sprüngen auf dem Display aus seiner Hosentasche, und ich nehme mir vor, Steve zu sagen, er soll mir – schon wieder – ein neues iPhone bestellen, damit ich es Eric geben kann. Wenn das Donnerwetter vorbei ist.
Nachdem Eric sein Telefon entsperrt hat, reicht er es mir, und ich tippe meine Nummer ein. »Hier. Wenn was ist, ruf mich an.«
»Du bist echt der Coolste«, sagt er erneut, dann verabschieden wir uns.
Ich sehe ihm nach, wie er mit leichten, federnden Schritten die Einfahrt entlangläuft. Dann merke ich, dass ich breit grinse. Es war mir nicht einmal aufgefallen. Aber anscheinend passiert das mit einem, wenn man einmal im Leben etwas fucking Nettes tut.