»Ihr werdet nicht komplett nackt sein, weil wir hier PG 15 bleiben wollen. Ferne, du trägst Spitzenunterwäsche, auch obenrum. Rio, du hast Boxershorts an. Wir filmen euch vom Bauch aufwärts.« Anisa, unsere Intimitätskoordinatorin am Set, geht mit uns noch mal die letzte Szene durch. Die Sexszene zwischen Madison und Ryder. Ausgerechnet. »Wir haben das vor eurem Kuss bereits besprochen, und das hat ja auch echt …« Sie hält kurz inne, dann schüttelt sie den Kopf, denn sie war ganz und gar nicht glücklich über Ferris’ Idee. »… gut funktioniert.«
Beim Gedanken an unseren ersten Kuss kriege ich eine Gänsehaut. Ich blicke zu Rio, der auf der anderen Seite des Sofas sitzt. Er nimmt so viel Raum ein, wie er kann. Den einen Arm hat er auf die Armlehne, den anderen auf die Rückenlehne gelegt. Er liegt fast mehr, als dass er sitzt, die Beine weit gespreizt, die Cap tief ins Gesicht gezogen. Zwischen uns so viel Platz wie irgend möglich. Doch seine Miene ist unbeweglich, und er blickt einfach stur nach vorn.
»Eine Sexszene ist ein bisschen was anderes. Rio, dir muss ich das nicht sagen. Aber für dich ist es die erste, Ferne, stimmt’s?«
Ich nicke. Und es nervt mich, dass ich nun wieder mal diejenige bin, auf die man Rücksicht nehmen muss, weil sie keine Ahnung hat.
»Wir wollen die Szene – wie ja auch bei der Kussszene – nicht vorchoreografieren. Ihr beide habt eine so tolle Dynamik, die würde verloren gehen. Aber trotzdem sollt ihr euch natürlich wohlfühlen. Gibt es etwas, worauf wir achten müssen? Habt ihr No-Gos? Dinge, die ihr nicht voreinander bereden wollt, können wir auch im Nachgang noch mal privat klären.« Sie lächelt. Anisa schafft es jedes Mal, dass man sich trotz der merkwürdigsten Themen bei ihr wohlfühlt. Zumindest bis man daran denkt, dass man morgen mit Rio McQuoid eine Sexszene spielen wird. Und dass das Herz schwarze Suppe in den Körper hineinblutet beim bloßen Gedanken an das, was zwischen uns passiert ist.
»Ich habe keine No-Gos«, sagt Rio mit kratziger Stimme und fährt sich mit dem Daumen über die Lippen. Immer noch sieht er mich nicht an. »Wenn es Ferne unangenehm ist, dass ich eine Erektion bekomme, kann ich einen Schutz tragen.«
Ich schlucke, aber meine Kehle ist so eng, dass es eher ein Röcheln wird. Wenn es Ferne unangenehm ist. Eine Erektion.
»Guter Punkt, danke, dass du das so offen ansprichst«, sagt Anisa. »Durch die Unterwäsche habt ihr ja ohnehin zwei Lagen Stoff zwischen euch – das ist also auflagenkonform. Aber wie ist das für dich, Ferne?«
»Äh …« Wieder sehe ich zu Rio. Und endlich, endlich wendet er den Kopf.
»Keine Sorge«, sagt er und lächelt. Aber das Lächeln hat nichts von der Wärme oder der Sanftheit oder der Verliebtheit, die ich sonst von ihm kenne. Es ist einfach nur … überheblich. »Es hat nichts mit dir persönlich zu tun. Ist einfach nur Biologie.« Er zuckt lustlos mit den Schultern, und ich erschrecke. Erschrecke vor so viel Gleichgültigkeit, wo früher Zuneigung war.
»Ich habe kein Problem damit, solange genug Stoff zwischen uns ist«, sage ich und merke, wie mir schlecht wird.
»Sehr gut.«
Anisa spricht noch ein bisschen darüber, wie sie eine Wohlfühlatmosphäre schaffen will, wie sie an unserer Seite sein wird und wir uns sofort melden sollen, wenn etwas ist, aber ich höre nur noch mit einem Ohr hin, weil sich mein gesamter Körper anfühlt, als würde er glühen. Auf die schlimmste Weise.
Als sie geendet hat, schlägt Rio mit der flachen Hand auf die Sofalehne. »Sind wir dann jetzt hier fertig?«, fragt er und macht bereits Anstalten, aufzustehen.
»Wenn von eurer Seite aus nichts mehr …«
»Nope«, sagt er, erhebt sich und verlässt den Raum, ohne mich noch einmal anzusehen.
»Und Action!«
Die Kameras sind auf uns gerichtet. Auf mich und Rio. In Madisons Bett. Wir tragen nichts als Unterwäsche, denn das ist die Szene, in der Madison und Ryder ihr erstes Mal haben. Die letzte Szene, die wir drehen.
»Du bist so schön «, flüstert Rio in mein Ohr, während er mir über die Haare streicht. »So schön. « Er schluckt heftig. Ryder schluckt. Rio war vorher kalt und ist es immer noch.
Er küsst meine Stirn, meine Schläfe, meine Wange, meinen Hals. Ryder küsst mich, aber es sind Rios Lippen. Lippen, die ich kenne. Nach denen ich mich sehne, auch wenn ich es nicht sollte. Diese Welt hat ihn kaputt gemacht. Uns kaputt gemacht.
Ich gebe ein leises Stöhnen von mir, und für den Bruchteil einer Sekunde zögert er. Doch dann ist er wieder ganz Schauspieler, blickt mir tief in die Augen und raunt: »Bist du dir sicher? «
Madison sieht ihn an, lächelt leicht, nickt. So, wie ich mir sicher war, weil ich ihn so, so, so sehr wollte. Und er mich. Bevor Menschen in unsere Privatsphäre eingedrungen sind. Bevor er sie in Schutz genommen hat.
»Cut«, ruft Ferris, und alles geht auf Anfang. Noch mal, mit mehr Gefühl. Mit mehr Gier. Mit mehr Sehnsucht. Und noch mal. Und noch mal. Und noch mal.
»Du bist so schön. « Rios Geruch umgibt mich. Wenn ich die Augen schließe, kann ich mir vorstellen, wie es wäre, wenn all das nicht passiert wäre. Wenn wir einfach in seinem Bett gefrühstückt hätten. Wenn wir immer noch wir wären, und ich muss mich wirklich, wirklich zusammenreißen, damit meine Lippe nicht bebt. »So schön. « Ich gebe mich ihm hin. Sinke nach hinten. Sinke, damit er über mich kommen kann, wo er immer sein sollte, aber nicht sein kann, und mein Herz sticht. Sticht so sehr, dass ich stöhne. Vor Schmerz, nicht vor Lust, aber vor der Kamera ist es dasselbe.
Rio stöhnt ebenfalls, streicht meinen Körper entlang, den Saum meines Spitzen-BH s, bis hinunter zu meinem Bauchnabel. Ich bäume mich ihm entgegen, will ihn spüren, ihm nah sein. Näher als nah. Er küsst mich, und seine Zunge ist so sanft und vorsichtig, als wäre er tatsächlich mein erster Freund und dies das Vorspiel zu meinem ersten Mal. Weil es das ist. Weil das hier Ryder und Madison sind.
»Bist du dir sicher? «, fragt er leise.
»Ich bin mir sicher, weil ich mir … « Meine Stimme bricht. Fuck.
»Wir laufen weiter, noch mal die Zeile, Maddy!«
»Ich bin mir sicher, weil ich mir mit … « Ich räuspere mich, sehe mich Hilfe suchend um, weil ich Rio nicht ansehen kann. Ferris bedeutet mir, noch mal anzufangen.
Stattdessen übernimmt Rio, ganz der Profi, der er ist.
»Bist du dir sicher? « Sein Blick geht durch und durch. Beißt sich in mich. Frisst sich in mein Herz.
»Ich bin mir sicher, weil ich mir mit dir sicher bin. «
Er greift nach einem Kondom, sieht mich unverwandt an, reißt es mit den Zähnen auf – was für ein Klischee, aber es gelingt ihm nicht auf Anhieb.
»Cut!«
Die Requisiteurin legt ein neues Kondom hin, wir beginnen erneut.
»Folge acht, Szene neun, Take sieben!«
»Und Action.«
Küsse. Berührungen. Rio und ich, die wir nicht Rio und ich sind, sondern Ryder und Madison, und mein Gehirn erträgt den Gedanken nicht, dass diese Küsse, diese Berührungen die letzten gewesen sein sollen. Rio ist hingebungsvoll in allem, was er tut. Nein, Ryder ist es. Weil es Madisons erstes Mal ist. Und unser letztes.
Er reißt die Kondompackung auf, diesmal so souverän, wie er in all diesen Dingen ist. Und er sieht so verdammt sexy dabei aus. Aber das macht, dass es mir leichter fällt, in meiner Rolle zu bleiben. Denn ich kenne Rios wahres Gesicht, wenn er erregt ist. Wenn er sich so sehr sehnt, dass er es nicht aushält. Wenn er in mich eindringt. Und das ist auch sexy, aber es ist auch wunderschön. Und hier und jetzt ist er einfach nur sexy Ryder. Es tut weh, aber es hilft.
Eine Kamera filmt nun von hinten, sodass man nicht sehen kann, dass er in Wahrheit eine seiner Dreihundert-Dollar-Boxershorts trägt und sich kein Kondom überzieht. Dann positioniert er sich, ich komme ihm entgegen, und er macht eine Bewegung, als würde er in mich eindringen. Und er sieht aus, als wäre es die Erfüllung all seiner Träume. Und ich beiße mir auf die Unterlippe, weil es mein erstes Mal sein soll und es ein bisschen wehtut. Doch in Wirklichkeit tut es nicht nur ein bisschen weh, sondern sticht wie Hölle.
»Ist das okay? «, fragt er.
Ich nicke. Dann schüttle ich den Kopf. »Warte «, piepse ich ein bisschen unbeholfen.
»Du kannst mich um alles bitten, aber das hier ist das Härteste, was ich je getan habe. Das Warten. « Er küsst meinen Mundwinkel, ich schließe die Augen.
»Okay «, flüstere ich.
Und er … bewegt sich. Auf mir. Da ist so viel Wärme. So viel Hitze. So viel wir, auch wenn es nur eine Trockenübung ist. Und er wird tatsächlich hart, wie er es angekündigt hat, und ich will ihn anfassen, aber stattdessen kralle ich mich ins Bettlaken, ertrage die Nähe mit einer Miene, die Glück und Unsicherheit in einem aussagen soll, während mir eine Träne die Wange hinunterrollt.
Das ist nicht gespielt, aber offenbar ist es genau das, was Ferris will, denn eine Kamera kommt auf einmal ganz nah.
»Soll ich aufhören?«, fragt Ryder, aber das steht nicht im Skript. Er improvisiert, weil diese bescheuerte Träne offensichtlich zu gut ist, um nichts damit zu machen. Obwohl sie verdammt noch mal echt ist. Und das Gefühl, dass mein Innerstes nach außen gezerrt wird, poltert mit aller Macht auf mich ein. Schon wieder.
»Ich …« , stammle ich. Ich muss auch improvisieren. Weiß nicht, was ich sagen soll. »… liebe dich.« O nein, o nein, o nein.
»Ich … liebe … dich … auch«, flüstert er, und mit jedem Wort küsst er mein Gesicht. »Ich … liebe … dich … auch.« Und mit jedem Wort bewegt er seine Hüften nach vorne, als würde er in mich eindringen.
Dann küsst er meine Träne weg.