»Das kann nicht
euer beschissener Ernst sein!« Alle saßen im Wohnzimmer, nippten an den Tassen, nichts deutete auf die Worte hin, die Moms Mund verlassen hatten. Mein Blick glitt ständig zu dem Überraschungsgast, der am anderen Ende des länglichen Esstisches saß. Mom und Dad hockten seelenruhig neben mir. Als hätte Mom nur über das katastrophale Wetter geredet. Wahrscheinlich hatte sich Caden extra weit weggesetzt. Er kannte mich besser als jeder in diesem Raum. Las aus mir wie aus einem Buch. Mein Herz raste, ich drehte den Kopf zu allen Seiten und würde am liebsten in ein stockfinsteres Zimmer verschwinden. Ich brauchte die Tabletten … gegen das Zittern, welches sich in mir ausbreitete. Denn bald könnte ich es nicht weiter verstecken. Nicht vor ihm. Hoffentlich nahmen sie an, es wäre die Wut, denn davon besaß ich eine Menge.
Zum Glück zählte meine Schwester Celesté nicht zu den Anwesenden. Mit ihrem
marklosen Getue würde sie mir noch den Rest geben. Oh, wie oft mir Mom predigte, ich solle doch mein Temperament im Zaum halten und so sein wie sie. Dabei war sie verlogener als alle hier zusammen.
»Ihr könnt nicht ernsthaft annehmen, dass ich bei diesem Mist mitmache!« Aufgebracht fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare, schnaubte und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Doch die Wände voller gerahmter Vorfahren, auf die ich hilfesuchend starrte, würden mir nicht helfen. Verzweifelt stand ich auf, nahm eine Tasse vom Tisch und ließ sie gegen ein Porträt krachen, woran sie klirrend brach und zu Boden fiel. Warum kam Caden jetzt damit an? Nach mehr als einem Jahr? Damals hatte er sich verpisst, nachdem ich Celesté in seinem Bett gefunden hatte. Gut, ein paar Mal hatte er versucht, mit mir zu reden, aber er hatte aufgegeben und sich nicht mehr blicken lassen. Wie ein verfluchter Geist. Nein, du bist seine Liebe nicht wert. Er würde dich hassen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Vergiss das nie!
Ein feines Kribbeln schoss quer durch meinen ganzen Körper. Ich bebte vor Wut.
»Valentina, beruhig dich. Das ist kein angemessenes Benehmen«, ermahnte mich meine Mutter.
Ein kurzes Lachen kam mir über die Lippen. »Geht es nicht darum, Mom?! Dass ich mich in der Gesellschaft angebracht verhalte und deshalb wie Vieh verkauft werden muss?« Mom und Dad zielten es darauf ab, dass ich ihn heiratete. Mein Leben aufgab, um eine Hausfrau zu werden, wie es sich gehörte, und nachts nicht mehr in einem Club arbeitete, um aus diesem Höllenloch fliehen zu können. Caden spielte mit, wollte es und ich verstand nicht, warum.
»Eher kannst du von Glück reden, dass er dich nach den ganzen Eskapaden noch möchte. Dein Verhalten im letzten Jahr hätte fast alles gefährdet, woran wir schon arbeiten, seit du debütiert hast«, keifte Mom und widmete sich ihrem Kaffee.
Ich verengte die Augen zu Schlitzen, die beiden Männer pressten die Lippen aufeinander und mieden meinen Blick. Ihnen wurde scheinbar schneller als Mom bewusst, dass sie den Startschuss setzte.
»Ihr plant das alles seit drei Jahren und sagt nichts?« Grollend kamen mir die Worte über die Lippen, ich griff nach dem Teller mit den Keksen darauf und pfefferte ihn gegen die Wand. Der Beistelltisch geriet in mein Visier, am liebsten würde ich das ganze Haus in Schutt und Asche legen.
»Jetzt beruhig dich doch–«, versuchte Mom mit genervtem Unterton auf mich einzureden. Als wolle sie einem Kind erklären, es solle bitte die Schuhe nicht verkehrt
herum anziehen.
»Ja, natürlich. Wollen wir zusammen händchenhaltend shoppen gehen, Mom?! Ein hübsches Hochzeitskleid aussuchen? Oder hast du das schon vor drei Jahren gekauft? Oh, ist die Trauung längst hinten im Garten vorbereitet? Muss ich mich nur hinstellen und ja sagen?! Übernimm das doch gleich mit.« Die Sätze sprudelten wie ein Wasserfall aus mir heraus.
»Mach dich nicht lächerlich. Eine Hochzeit sollte im Sommer stattfinden …«
»Stimmt … natürlich. Wie konnte ich das nur vergessen?« Meine zu Fäusten geballten Hände bebten vor Wut und Angst. Ich war schon immer der Meinung gewesen, meinem Herzen zu folgen, nichts auf Regeln zu geben und nicht die Etiketten zu beachten. Ich sollte lieber nett lächeln als den Geschäftspartnern von Dad die Meinung zu geigen? Auf gar keinen Fall. Irgendwann hatten meine Eltern es akzeptiert, obwohl Dad schon immer versucht hatte, locker damit umzugehen. Im letzten Jahr hatte sich mein Verhalten verschlimmert. Ich kam bekifft nach Hause, musste von der Polizei abgeholt werden und klaute. Dad glaubte, es liege am Liebeskummer. Wahrscheinlich machte er deshalb bei der ganzen Parade mit. Spielen wir doch mal Amor und zwingen sie zu ihrem Glück.
Wenn er nur wüsste, dass er mich damit mitten in mein Verderben trieb.
Aufgebracht sah ich Mom an, die an der Überzeugung festhielt, über alles zu bestimmen – mal wieder. »Du weißt genau, dass dein Vater einen Erben für sein Unternehmen braucht. Und dir kommt das Ganze zugute, du bist abgesichert.« Genaugenommen sollte ich es ausbaden, dass bei ihnen seit Jahren nichts im Bett lief.
»Und was möchtest du bitte tun, wenn meine Kinder lieber Künstler werden, als sich in Anzüge zu quetschen?« Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum, zuckte mit den Schultern. »Denn sollte ich irgendwann welche bekommen, halte ich sie so weit wie möglich von dir fern, damit du ihren Geist nicht mit einer Krawatte erwürgst.« Erschrocken schnappte Mom nach Luft und wandte sich mit brüskiertem Gesichtsausdruck ab.
»Valentina«, ermahnte mich Dad, von Caden hörte man ein unterdrücktes Lachen. Mein Leben war kein verdammtes Schachbrett. Statt Dad zu beachten, richtete ich die Aufmerksamkeit auf ihn.
»Hast du davon gewusst?« Bissig kamen mir die Worte über die Lippen. Ich würde ihn verflucht noch mal umbringen. In der High Society war es üblich, den Kindern einen Platz beim Debütantinnenball zu kaufen, um sie in die Gesellschaft einzuführen. Von diesem Tag an galt man als heiratsfähig. Mom und Dad hatten ihn damals als Begleitung ausgewählt
und wir hatten uns auf Anhieb verstanden. Die Anziehung war vom ersten Moment an greifbar gewesen. Caden hatte bei mir permanent ein heißes Kribbeln verursacht, wenn sich seine Hand um meine Taille geschlungen und mich besitzergreifend zu sich gezogen hatte. Sofort hatte sich etwas zwischen uns aufgebaut, bevor wir mehr voneinander wussten als unsere Namen.
»Lass es mich erklären.« Auf einmal stand er dicht vor mir. Ich hatte nicht aufgepasst.
Seine Finger fuhren meinen Hals hinunter zu der Kuhle des Schlüsselbeins. Sein Blick ließ keinen Widerstand dulden, war trotzdem mitfühlend und ging mir unter die Haut. Ich lachte, wich zurück. Bitterkeit, Enttäuschung und Erkenntnis trafen mich.
»Komm näher und die nächste Tasse landet an deinem Kopf. Ich wusste ja, dass du ein verlogenes Arschloch bist, aber das hätte ich dir nie zugetraut.«
»Valentina! Es reicht. Benimm dich«, mischte sich Mom in das Gespräch ein.
»Hast du ihn nicht hierhergeholt, damit er mir ab jetzt Befehle geben kann?!«
Ich sah zu Dad, der immer noch unbeteiligt am Esstisch saß und das Schauspiel beobachtete. »Und du lässt es einfach zu?!« Mom hatte die Angewohnheit, nie anwesend zu sein, trotzdem alles kontrollieren zu wollen und sich ständig mit mir anzulegen. Dad kümmerte sich stattdessen um mich und Celesté, tauchte trotz des vollen Terminplanes bei Veranstaltungen auf und zeigte Interesse an unserem Leben.
»Bitte, Dad.« In seinem Blick machte sich Reue sichtbar, die mir einen Scheiß brachte. »Ich tue es nur für dich, Liebes.« In welchem Universum?!
»Du hast dich so verändert«, fügte er hinzu, sah mich dabei mit seinem besorgten Blick an. Ich presste die Lippen aufeinander.
»Val, lass uns einfach darüber reden und–«, mischte sich Caden ein.
»Nein! Ich kann mir vorstellen, was du dachtest. Dass du keine Unbekannte heiraten möchtest, deine Zukünftige näher anschauen willst. Um dann gleich zu testen, ob ich es wert bin. Und zur Krönung des Abends hast du mich ordentlich auf der Veranstaltung durchgefickt.« Ich hörte, wie Mom einen erschrockenen Laut von sich gab. Doch das war mir scheißegal. Die Erinnerung an diesen Tag war mir sowohl in mein Herz als auch in meinen Kopf gebrannt worden. Beim Tanzen auf dem Ball, wie unsere Blicke sich sehnsüchtig getroffen hatten. Seine Stimme, die vor Erregung gebebt hatte, wie ich ein heftiges Kribbeln im Unterleib gefühlt hatte. Wie wir gemeinsam von der Tanzfläche verschwunden und in einen der angrenzenden Räume gelaufen waren, uns geküsst hatten, erst sachte und dann intensiver. Seine Hand um meinem Hals, wie er mich gegen die Wand
gedrückt hatte. Die Erinnerung an uns beide hatte ich so oft versucht, zu bekämpfen, doch jetzt, wo Caden so nah war, schien es kaum möglich. Zwei Jahre hatte unsere Beziehung damals gehalten, bevor der große Bruch gekommen war. Seit beschissenen zwölf Monaten kämpfte ich damit, ihn aus dem Kopf zu bekommen. Ich hasste mich für all das. Vor allem hegte ich Zorn dem Menschen gegenüber, der für mein Verhalten verantwortlich war. Der Schmerz saß in den Gliedern und ließ mich innerlich erfrieren. Nicht Caden war das Monster dieser Geschichte, aber das durfte er nie erfahren.
»Valentina …«, hauchte er samtig, bestimmend und furchtbar anziehend. Über den Rücken lief mir ein angenehmer Schauer. Fuck. Seine Augen verdunkelten sich, er kam näher. Die Erregung, die ich fühlte, durfte nicht sein, denn niemals würde aus uns wieder irgendwas werden. Er durfte die Mauer, die ich errichtet hatte, nicht zum Einstürzen bringen. Sonst würden wir beide brennen. Caden stand mittlerweile dicht vor mir, sodass sein Aftershave verführerisch in meine Nase kroch. Ein auffallend herber und maskuliner Duft, der von Pfefferminz und Zimt erfüllt war, umschloss mich. Hemmungslos und luxuriös zugleich erinnerte mich die unterschwellige Duftnote an wilde Partynächte und wie ich in seinen Armen versank. Sein kühler Minze-Atem traf auf meine Haut.
»Nein, das lag an der mangelnden Selbstbeherrschung, nachdem du mich angefleht hast, dich zu nehmen.«
Meine Hand schnellte hoch, doch er fing sie gekonnt ab. »Das wirst du bitter bereuen, ich schwör’s dir«, kam es mit bebender Stimme aus mir heraus.
»Du wirst schon erkennen, dass es besser ist, mich zu heiraten als einen fünfzigjährigen Sack.« Tat er es deswegen? Weil Mom sonst nicht aufgeben würde, bis sie jemanden gefunden hatte?
»Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du aussehen wie ein alter Kautz.«
Und ich würde mein Wort halten. Ein unwiderstehliches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. Er kam näher, erhob seine andere Hand und strich mir mit dem Daumen über die Lippen. Sofort durchfuhr mich ein Kribbeln im ganzen Körper. Ich starrte in seine bernsteinfarbenen Augen, sein braunes Haar. Er sah so verboten heiß aus und … besorgt?
»Ich werde nicht aufgeben, Val.« Mein Herz schlug kräftig gegen meine Brust.
»Aus einem auf und ab kann niemals ein Happy End werden.«