Wenn ich an die
vielen Stunden bis nach New York dachte, wurde mir schlecht. So oft, wie ich wegen meines Berufs fliegen musste, bekam ich ständig ein mulmiges Gefühl im Magen, sobald das Flugzeug abhob. Leider konnte ich für den Rückflug keine Direktverbindung finden, womit uns ein Aufenthalt in Frankfurt bevorstand. Allerdings hatte ich für beide Flüge zwei Erste-Klasse-Sitze gebucht und würde allzu gerne Dads Gesicht sehen, wenn er die Abrechnung sah. Nicht nur, dass ich uns eine extra Privatsuite an Bord reserviert hatte, nein, dazu noch insgesamt vier Gourmetessen, jeweils mittags und abends. Sogar eine verdammte Spa-Dusche gehörte zu dieser Suite. Fuck, das Geld nur so aus dem Fenster zu schmeißen, tat irgendwie gut. Ein wirklich krönender Abschluss des Italien-Trips.
Nachdem Lino uns am Steg vom Boot hatte steigen lassen, schlenderten wir zurück in die Suite, packten die Koffer und machten uns nacheinander im Badezimmer fertig. Während Valentina die letzten Dinge in ihren Trolley räumte, rief ich uns ein Taxi und noch mal Vincenzo an und bedankte mich für den Aufenthalt. Ich war überaus gespannt, wie der Bau verlaufen würde, und hoffte schwer, dass ich ab sofort keine Klagen, sondern nur noch Positives von ihm hören würde. Es klingelte an der Tür, Val stürmte mit der Kosmetiktasche unter dem Arm aus dem Badezimmer und schmiss sie schon von weitem in den aufgeklappten Koffer.
»Jetzt wird es aber mal Zeit«, scherzte ich, klappte ihn zu und schloss den Reißverschluss.
»Jaja … halt mal den Ball flach«, stichelte sie und schlüpfte in ihre Sneakers. Ich stellte den Koffer auf dem Boden ab, schob ihn vor mir her und an Valentina vorbei, die noch dabei war, die Schnürsenkel zu binden. Im Vorbeilaufen griff ich nach meinem Gepäckstück und hielt kurz inne, starrte auf ihr Handgelenk und lief mit einem Lächeln auf den Lippen weiter aus der Suite hinaus. Das silberne Armkettchen. Sie hatte es angelegt.
Der Fahrer wartete schon neben dem geöffneten Kofferraum, um das Gepäck zu verstauen. Anschließend fuhr er auf die Autobahn, wo reger Verkehr herrschte, wir aber trotzdem zügig vorankamen und pünktlich vor der Abflughalle hielten.
»Danke«, sagte ich zu dem Fahrer, nachdem wir ausgestiegen waren, und drückte ihm zum normalen Betrag noch etwas Trinkgeld in die Hand. Überaus glücklich verstaute er das Geld im Portemonnaie, stieg aus und hastete zum Kofferraum, den Val gerade öffnete. »Das müssen Sie nicht machen.«
»Doch, doch. Ich mache das gerne«, entgegnete er in gebrochenem Englisch und hob meinen Koffer hinaus. Vals musste er noch mal absetzen, denn mit dem Zementblock bekam man nur schwer den Schwung, um ihn herauszuhieven. Schon beim Einladen hatte er seine Probleme mit dem Gepäckstück gehabt. Ich eilte ihm zur Hilfe, packte an der anderen Seite an und gemeinsam stellten wir ihn auf dem Boden ab. Danach stieg er wieder ein, verabschiedete sich und fuhr davon.
»Das Teil ist ja noch schwerer als bei der Ankunft«, wandte ich mich an Valentina, die gleichgültig mit den Schultern zuckte und grinste.
»Beim Shoppen habe ich halt so viele tolle Sachen gesehen und konnte nicht widerstehen. Hast du ein Problem damit?« Mit dem Ellenbogen stupste sie mir in die Seite, griff nach dem Henkel meines Koffers und stapfte von dannen. Aha, so lief das nun also. Sie ging bummeln, hatte Spaß und ich musste arbeiten, durfte am Ende ihre
Errungenschaften durch die Gegend manövrieren. Was tat man nicht alles für die Menschen, die man liebte …? Lächelnd schüttelte ich den Kopf und folgte ihr in das Flughafengelände, wo sie schon vor der großen Anzeigetafel stand und nach unserem Flug suchte.
»Oho, wer hätte das gedacht? Wir haben Verspätung«, jubelte sie wenig begeistert. »Dafür haben wir ja die First-Class-Lounge. Da gibt es eine Bar für dich und einen Ruhebereich für mich, in dem ich super am Laptop arbeiten kann«, entgegnete ich und lief zum Check-in-Schalter.
»Na, das sind ja prima Ansätze für eine Beziehung. Während du arbeitest, etwas leistest, kann ich mir die Kante geben«, hörte ich sie hinter mir murmeln und daraufhin das Rattern der Kofferrollen. Das Einchecken lief problemlos, sogar der Weg in die Lounge wurde uns gezeigt.
Ich setzte mich in eine ruhige Ecke, klappte den Laptop auf, fing an, E-Mails zu beantworten, und beobachtete nebenbei Valentina, die mir gegenüber in einem der riesigen Sessel saß und ihre Fingernägel in den Stoff der Lehne bohrte.
»Was ist los?«
»An der Bar sitzen noch Leute und knabbern an ihrem Croissant herum.«
»Und?« Keine Ahnung, wo ihr Problem lag.
»Na ja, wie sieht das hier bitte aus, wenn ich mich nebenan setze und einen Cocktail bestelle?« Machte sie sich gerade wirklich Gedanken darüber, was die Leute von ihr dachten? Dass ich das noch erleben durfte …
Rasch stellte ich den Laptop zur Seite, erhob mich und marschierte schnurstracks an die Bar, bestellte einen Sex on the Beach und einen Whiskey on Ice. Ich wartete geduldig, lehnte mich gegen den Tresen und ertappte den kauenden älteren Herren neben mir, wie er mich musterte und zur Uhr schielte. 10:30 Uhr, und? Dadurch, dass wir früh aufgestanden und fast eine Stunde zum Flughafen gefahren waren, kam es mir schon wie mittags vor, weshalb nichts gegen einen Drink sprach. Außerdem brauchte ich vor dem verdammten Flug sowieso einen Entspanner. Selbst der Kellner begutachtete mich komisch von der Seite, als er die Gläser vor mir abstellte. Mich höflich bedankend nahm ich beide in die Hand und lief zurück zu Valentina. »So jetzt sind wir zwei unmögliche Menschen, die Alkohol nicht zu früh trinken können.«
Sie lachte, sogar ihre Augen glänzten dabei, und packte das Cocktailglas am Stiel.
»Die notieren sich jetzt irgendwo unsere Namen und schreiben in Großbuchstaben
Alkoholiker dahinter, damit sie beim nächsten Mal Bescheid wissen«, witzelte sie und trank einen Schluck.
»Das nächste Mal?« Ich liebte die Vorstellung, wie Val sich die Zukunft ausmalte.
»Ja, vielleicht. Ich weiß nicht.« Sie hielt inne, starrte mich und danach den Laptop an. »Und jetzt arbeite weiter!«, forderte sie, wandte sich dem Fenster zu und beobachtete die Flugzeuge, wie sie über die Startbahn rollten. Amüsiert nippte ich am Whiskey, stellte ihn auf den Tisch und schnappte mir den Laptop. Irgendwann stand Val auf und ging hinaus auf den Balkon, um eine zu rauchen. Der letzte Blunt lag auch bei mir schon Ewigkeiten her und ich sollte, sobald wir zu Hause waren, zu einem greifen. Scheiße ja, das war ein guter Plan.
Durch das Arbeiten verging die Zeit wie im Flug. Ich schrieb noch den Bericht für Vincenzo fertig, den er unbedingt haben wollte, und schickte ihn per E-Mail raus, als Val mir auf die Schulter tippte.
»Das Boarding für unseren Flug wurde gerade ausgerufen.«
»Okay, super.« Schnell kramte ich meine Sache zusammen, verstaute alles in der Laptoptasche und gemeinsam verließen wir die Lounge.
Der erste Flug nach Frankfurt verlief zum Glück anstandslos. Keine Turbulenzen und in der First Class hielten sich außer uns beiden nur noch zwei ältere Herren und eine Dame auf. Kaum waren wir in der Luft, hörte ich neben mir ein leises Schnarchen, drehte den Kopf zur Seite und sah Val, die mit der Stirn gegen die Scheibe gelehnt eingeschlafen war. Jetzt saßen wir schon in überaus weichen Sitzen, die sich zu einem Bett umfunktionieren ließen, und Madame versank ausgerechnet in so einer Position im Land der Träume … Daher beugte ich mich zu ihr herüber und stellte ihre Lehne ein, sodass sie etwas weiter nach hinten fuhr. Am Ende wäre ich nämlich an ihren Nackenschmerzen schuld.
Zuerst versuchte ich ebenfalls die Augen zuzumachen, doch konnte nicht einschlafen, weswegen ich den Fernseher einschaltete und die Bluetooth-Kopfhörer damit verband. Ich entschied mich für eine Komödie. Irgendwelche Undercover-Cops, die sich als Frauen ausgaben. Klang ganz lustig und überbrückte den anderthalbstündigen Flug perfekt. Meine Hand legte ich dabei auf die Lehne zwischen Val und mir, erschreckte, als sie plötzlich danach griff und sie zu sich heranzog. Plötzlich murmelte sie etwas, schlug für eine Sekunde die Augen auf und sah mich an, nur um kurz darauf wieder wegzudriften.
Als wir nach dem Zwischenstopp in Frankfurt in New York ankamen, war es fünf Uhr nachmittags. Ich hasste den Jetlag, die Zeitverschiebungen und alles, was mit
Langstreckenflügen zusammenhing. Wieso tat ich mir das innerhalb weniger Tage gleich zweimal an? Dieses Spiel würde irgendwann ein Ende haben, sobald Dads Firma mir gehörte. Wenn Geschäftspartner aus dem Ausland Probleme hatten, mussten sie sich selbst darum kümmern und die Kommunikation über Telefon oder Video stattfinden. Für den Urlaub jedoch waren die Strecken kein Problem. Sofort würde ich mich wieder in den Flieger setzen, um mit Valentina eine Woche in Italien zu verbringen. Aber für die Firma, nur um entscheidungsschweren Kunden zur Seite zu stehen? Nein danke.
Während wir die Kontrollen durchliefen und uns ans Gepäckband stellten, machte ich mein Handy an. Val tat das Gleiche und sobald wir beide Empfang hatten, piepsten die Dinger drauflos. Nachrichten von Stella, Mom und Dad blinkten bei mir auf, die ich allerdings ignorierte und wegdrückte. Auch eine SMS von Graham kam rein:
Hey, du denkst übermorgen an die Party? Wenn du nicht auftauchst, schick ich einen Fahrer!
Beim Lesen fing ich an zu stöhnen und musste unbedingt Alvaro fragen, ob er mitging. Darauf, allein auf eine Party zu gehen, hatte ich nämlich null Bock. Zur Antwort bekam er ein knappes: »Ich komme.«
Daraufhin schrieb ich sofort eine Nachricht an Alvaro, der keine Minute später meine Frage bejahte. Auf ihn war eben Verlass. Zufrieden steckte ich das Handy weg, als auch schon die Koffer in Sicht waren und Valentina weiterhin auf dem Smartphone herumtippte. Ich griff beide Gepäckstücke an den Henkeln, zog sie vom Band herunter und stellte sie neben uns. Statt einen von ihnen zu nehmen, klingelte Vals Handy und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, bevor sie abnahm.
»Hast du mich so sehr vermisst, dass du es nicht mehr abwarten kannst, meiner Stimme zu lauschen?«, lachte sie in den Hörer. Nebeneinander liefen wir zum Ausgang, dabei linste ich immer wieder zu ihr herüber und sah, dass ihre Miene mit jeder Sekunde ernster wurde. »Ach, darauf würde ich nicht viel geben. Es ist momentan einfach eine schwierige Situation. Hört sich für mich nach Paranoia an.« Worüber redete sie da überhaupt? Vor allem mit wem? »Okay … ich klär das mal ab und sage dir Bescheid.« Val verabschiedete sich, verstaute das Handy in ihrer Handtasche und hielt meinen Arm fest. Über beide Ohren grinsend betrachtete sie mich, wackelte mit den Augenbrauen.
»Bei dem, was ich dir jetzt vorschlage, denke daran: Du wolltest mich und all die Flausen in meinem Kopf.« O Gott, was kam nun?
»Ich glaube, das Kommende will ich nicht hören.« Doch sie ignorierte die Worte gekonnt, während die Leute an uns vorbei hinausströmten.
»Celias Dad hat dich ja morgen auf die Valentinstags-Party bei sich zu Hause
eingeladen, oder?«
»Ja … aber eigentlich wollte ich nicht hingehen.«
Kritisch verzog sie das Gesicht, wog den Kopf hin und her und setzte eine unschuldige Miene auf. »Wir müssen hin und Theo etwas besorgen, von dem er denkt, Anthony hat es.«
Hä? »Was?!« Ich verstand nur Bahnhof.
»Celia ist der Meinung, dass sie von Anthonys Leuten bespitzelt wird, und jetzt haben beide natürlich Angst.« Aha, daher wehte also der Wind. »Sie brauchen Beweise, um etwas dagegen unternehmen zu können. Vielleicht finden wir in seinen Unterlagen Fotos, auf denen Celia zu sehen ist. Dieses Drama muss endlich ein Ende haben. Er kann nicht das ganze Leben von ihr bestimmen. Und bevor noch etwas Schlimmeres passiert, müssen wir auf diese Party.« So wie sie sprach, hatte sie für uns beide schon entschieden und duldete keine Widerrede. Fuck, ich gab ihr sogar recht. Anthony schnappte bei der Kontrolle von Celia total über. Irgendwo musste Schluss sein, damit die beiden endlich ihr Glück genießen konnten.
»Das ganze Haus wird voller Menschen sein. Wie willst du das bitte schön anstellen?«, erwiderte ich und schüttelte den Kopf. »Was, wenn uns jemand dabei erwischt, wie wir seine Sachen durchwühlen?«, flüsterte ich und zog sie näher zu mir.
»Ich muss ihnen helfen, Caden. Entweder du gehst mit oder ich mach das allein.« Entschlossen wandte sie mir den Rücken zu. Was? Anscheinend hatte sie mich falsch verstanden.
»Spinnst du?« Hastig holte ich sie ein, drehte sie zu mir herum. »Ich komme mit.« Euphorisch klatschte sie in die Hände und fing leicht an, auf der Stelle zu hopsen. Ein aufgeregtes Glitzern breitete sich in ihren braunen Iriden aus und meine Mundwinkel zuckten. Val brach schon immer gerne die Regeln, wollte die Gefahr und besonders den Nervenkitzel. Früher ließ ich mich ständig von ihr zu irgendeiner Sache überreden. Mein Mädchen fühlte sich dort am wohlsten, wo sie sie selbst sein konnte, nämlich in der Dunkelheit, und deshalb ging ich jedes Risiko ein, egal was auf dem Spiel stand. Fuck, außerdem sprach nichts gegen ein bisschen Aufregung. Viel zu lange hatte ich in Italien nur in diesem bescheuerten Anzug festgesessen, während sie Spaß gehabt hatte.
»Dann lass uns nach Hause fahren und den Rodriguez-Komplott durchdenken.« Rasch griff sie meinen Koffer und eilte los. Ich glaubte selbst noch nicht, dem zugestimmt zu haben. Aber Valentina war es wichtig, ihren Freunden zu helfen, deshalb unterstützte ich sie. Auch wenn das hieß, in fremde Büros einzubrechen und
Sachen zu durchwühlen. Es diente dem guten Zweck. Nach einem tiefen Atemzug folgte ich ihr aus dem Flughafengebäude hinaus und winkte uns ein Taxi heran.