22
Hinter dem Club lief ich zu den Mülltonnen, zog den Deckel hoch und schmiss den Sack in den Eimer. Ich hörte ein Geräusch, drehte mich rasch um, schlug mit der Hand vorwärts und wurde direkt abgefangen. Warme, braune Iriden blickten mir entgegen und ich ließ entspannt die Schultern sinken. »Fuck, Phil. Hast du sie noch alle?!« Mürrisch, aber spielerisch haute ich ihm mit der Faust auf die Brust und ein Lachen ertönte. »Hast du eine Leiche dort reingesteckt oder weswegen so angespannt?«, erwiderte er amüsiert und schaute zu dem Abfalleimer.
»Nein, könnte andererseits passieren, dass ich gleich deine Überreste verstecken muss«, gab ich belustigt von mir, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich an die Steinmauer.
»In diesem Fall würdest du das hier nicht mehr bekommen.« Er wedelte mit einer Dose vor meiner Nase herum, legte den Kopf schief und lächelte. Von jetzt auf gleich verdunkelte sich sein Blick und das Lächeln verschwand. »Was nicht übel wäre …«, hauchte er und bevor Phil es sich anders überlegte, griff ich rasch nach dem Pillendöschen.
»Nichts da!« Seine Hand geriet in mein Blickfeld. »Hübsche Abschürfungen«, brummte ich, kam leicht näher und sah ihn mir von der Seite an. Sein Kiefer und seine Wangenknochen waren geziert von Prellungen. »Deine Lippe ist aufgeplatzt.« Ich strich mit den Daumen drüber, wobei er zusammenzuckte.
»Fuck, Val!«, kam es erbost von ihm, woraufhin ich die Augen verdrehte.
»Warst du bei einer Schlägerei, oder wer war das?« Beunruhigt sah ich ihn an, legte ihm eine Hand auf die Schulter.
Seine Muskeln verhärteten sich, er verschloss sich und drehte den Kopf zur Seite. »Niemand.«
»Deine Mom?«, sprach ich meine Gedanken laut aus.
»Als könnte ich mich nicht wehren«, kam es spöttisch von ihm. Wir wussten beide, er würde seine Mutter nie anrühren. Egal, wie oft sie ihm vorwarf, er wäre schuld an der ganzen Sache. Phil liebte sie mehr, als sie es verdiente. Und er ahnte nicht, wie viel ihm seine Mom bedeutete.
»Ey, was soll der Mist hier?!«, hörte ich eine Stimme, die bei jedem Wort näherkam. Fuck. Ich drehte mich um und legte seufzend den Kopf in den Nacken. »Seid ihr beide im früheren Leben ein Liebespaar gewesen? Ihr zieht euch magisch an«, murmelte ich, woraufhin ich von Phil ein amüsiertes Lachen wahrnahm. Nur leider glaubte ich nicht, dass Caden es genauso witzig auffassen würde.
»Was machst du hier mit ihm?«, brüllte er.
»Darf ich mich nicht mit meinen Freunden treffen?«, pfefferte ich zurück. Sein prüfender Blick verpasste mir eine Gänsehaut. »Klar …«, schnaubte Caden, er schaute auf die Pillendose in meinen Fingern und mir wurde bewusst, es ging ihm nicht darum, dass ich hier mit Phil stand. »Geben sich Freunde so etwas?« Seine braunen Augen durchbohrten mich regelrecht. Die winzigen, goldenen leuchtenden Sprenkel in seiner Iris funkelten besorgt. Phil schnalzte mit der Zunge. »Denkst du, ich drück ihr das Zeug gerne in die Hand?«, fluchte Phil. »Halt die Klappe!«, knurrte ich.
Wenn er so weitermachte, würde er auch alles auf einem Silbertablett servieren können.
Anstatt auf seine Worte einzugehen, fuhr sich Caden mit den Fingern durchs Haar. Dann griff er zu der Dose, nahm sie und warf sie gegen die Wand. So fuchsteufelswild hatte ich ihn lange nicht mehr gesehen. Seine Muskeln wölbten sich durch die heftige Atmung und ich war außer Stande, etwas von mir zu geben, und öffnete nur leicht schockiert den Mund. »Ich hab gewartet, bis du auf mich zukommst, Val. Dass du mir erklärst, was es mit den Tabletten auf sich hat … Aber du traust lieber diesem Penner als mir.« Seine Stimme klang verletzt, niedergeschlagen und ich presste die Lippen aufeinander. Ich hatte keinen dummen Spruch auf Lager, nicht mal eine Idee für eine Ausrede, und ich wollte ihn – ehrlich gesagt – nicht belügen. Aber was blieb mir anderes übrig? Die Wahrheit würde uns beide in den Abgrund ziehen. Ich hatte nicht so lange gelogen, damit er diesen Schmerz nicht fühlen muss, um nun aufzugeben. Ich wurde panisch, bekam kaum Luft. Du wirst sehen, was passiert, wenn jemand davon erfährt. Es sind drei Wochen vergangen, es werden keine Spuren mehr sichtbar sein. Ich wollte dir doch nur helfen und zeigen, was geschieht, sollte sich eine Frau nicht an die Regeln halten. Was bringt es dir, Caden von dieser Angelegenheit zu erzählen? Außer Schmerz und Leid. »Lass sie …«, hörte ich nur von Phil, der von meinem Verlobten zur Seite gestoßen wurde. »Vielleicht willst du mir erklären, was mit ihr los ist, hm?! Bist du dafür verantwortlich?« Ich sah nur aus dem Augenwinkel, wie Caden ihn am Kragen gepackt hatte. Er suchte verzweifelt nach Antworten und mir wurde klar, dass ich einen Fehler begangen hatte. In Italien hatte ich das Gefühl bekommen, ein normales Leben, eine gewöhnliche Zukunft mit ihm haben zu können. Ohne die Geheimnisse, die uns umgaben, offenlegen zu müssen. Fuck.
»Frag doch deinen Vater«, brummte Phil, woraufhin ich mich aus meiner Angststarre löste und einen Schritt nach vorne machte. »Stopp«, kam es von mir, zitternd wie ein zartes Flüstern. Sofort drehte Caden den Kopf zu mir, kam auf mich zu und legte sanft seine Hände um meine Schulter. »Was zum Teufel meint er, Val? Hat er dich bedroht? Hat Dad irgendetwas gesagt? Ich kann mit ihm sprechen … Aber dafür musst du mit mir reden. Ich bin sicher, wir können das alles klären«, brachte er hervor. Mein Herz raste und schien zu zerspringen. Leider würde diese Sache, kein Gespräch der Welt lösen.
Robert hat nichts getan, meine Liebe. Du hast das zu verantworten, Valentina. Wer läuft so herum und erwartet, dass nichts passiert? Du bist schuld daran, niemand anderes.
Das stimmte nicht. Kein Kleidungsstück war ein Freifahrtschein. Was jemand anzog, spielte keine Rolle, der kranke Kopf war das Problem. »Val, sag bitte etwas.« Doch ich konnte Caden nicht antworten, ihm nicht die Wahrheit sagen. Irgendwas blockierte die Worte, scheißegal, wie sehr ich sie aussprechen wollte.
Mein Mann ist nicht schuld, dass du dich billig anziehst. Es reicht, wenn du unserer Ehe damit einen Knacks verpasst hast. Willst du nun auch dafür sorgen, dass Caden leidet?
Ich presste die Lippen härter aufeinander. Ohne Rücksicht auf mich musste ich kämpfen. Ich atmete tief durch, ermahnte mich zur Ruhe, obwohl mein Herz so stark klopfte, dass ich glaubte, es zu hören. Er durfte diese verschlossene Tür nicht entriegeln. Du hättest ja weglaufen können, Valentina. Ich wollte hier weg. Ich konnte mich nicht den Gefühlen stellen. Sie nahmen mich in Besitz und ich hatte so hart daran gearbeitet, alles zu verdrängen. So etwas wie Normalität würde es nie für uns geben. Ich legte meine zittrigen Hände auf seinem Brustkorb ab, schob ihn von mir. Meine Augen wurden feucht, ich spürte und hasste die Tränen, die ich nicht zeigen wollte, und schluckte sie herunter. »Ich kann das nicht … Tut mir leid«, hauchte ich und meine Stimme drohte, zu versagen. »Val, bitte tu das nicht. Verschließ dich nicht wieder«, bat er mich. Doch ich entfernte mich von ihm, er machte einen Schritt vorwärts, ich schüttelte den Kopf. »Geh von mir weg, solange du noch kannst.« Das brachte ihn jedoch nicht davon ab, näherzukommen, erst als Phil ihm seine Hand auf die Schulter legte.
Ich sagte nichts mehr, sondern drehte mich nur auf der Ferse um und lief zur Straße, wo einige Taxis standen. Hier sah es anders aus als hinter dem Club. Das Leben blühte und viele Gruppen lachten und tranken. Schnell setzte ich mich in ein Taxi. »Madame, wohin kann ich Sie bringen?«, fragte der Mann, nachdem ich ein paar Minuten nichts von mir gegeben und versucht hatte, meinen Atem zu beruhigen. Kurz überlegte ich, zu meinen Eltern zu fahren, aber die Fragen am nächsten Morgen … Es gab nur eine Lösung, nur eine Adresse, die ich dem Taxifahrer auch nannte. Der restliche Weg verlief schweigend, ich schaute nach draußen in den kühlen Nachthimmel und fragte mich, ob ich nicht in einen Flieger nach Italien steigen sollte. Schon jetzt vermisste ich die Atmosphäre dort, die sich innerhalb weniger Tage vollkommen abgebaut hatte.
Ich klingelte. Einmal. Zweimal. Gefühlt hundertmal.
»Verdammt! Welcher Mistkerl das auch ist, ich werde dir eine Kugel–« Aufgebracht wurde die Tür aufgerissen, Theo stand mit einem Handtuch bekleidet vor mir und statt ihn zu begrüßen, drängte ich mich an ihm vorbei, um in die Wohnung zu gelangen. »Warum hat eigentlich Phil einen Schlüssel und ich nicht?« Stellte ich resigniert fest.
»Weil ich nicht zwei Menschen brauche, die mir das Leben versauen.«
»Fick dich, Kennedy.« So schnell, wie mein Mittelfinger in seine Richtung zeigte, konnte er nicht schauen. Sofort schritt ich in den offenen Wohnbereich.
»Wo ist Celia?«, fragte ich und sah mich um. Überall lagen Klamotten verteilt. Fand hier gerade eine Orgie statt? »Hier!« Total außer Atem kam sie in Leggings, einem zu großen Top und nassen Haaren aus dem Badezimmer gestürmt.
»Wir müssen reden«, kam ich gleich zur Sache, lief zum Sofa, setzte mich und wartete, bis sie sich danebenfallen ließ.
»Kein: Tut mir leid, dass ich euch bei etwas Wichtigem gestört habe?!«, blaffte Theo und breitete fragend die Arme aus.
»Ach, halt die Klappe. Ich hab dir doch gesagt, es ist sicherlich lebenswichtig, wenn jemand so oft klingelt«, fuhr ihn Celia an und ich starrte sie für diese Bestimmtheit, die sie an den Tag legte, bewundert von der Seite an. Ihr tat der Umgang mit unserm Rüpel ziemlich gut. Und er hatte wohl das größte Vergnügen dabei, ihr das große Mundwerk als Strafe zu stopfen. Na ja, wahrscheinlich machte sie es genau aus diesem Grund. Meine beste Freundin hatte sich nämlich um 180 Grad gedreht und verblüffte mich immer wieder aufs Neue.
»Aber–«, versuchte er, weiter zu argumentieren.
»Holst du uns einen Wein?« Abwartend hob sie ihre Augenbrauen. Theo musterte sie kurz kritisch, fuhr sich seufzend übers Gesicht und lief in die Küche. Es gefiel mir, wie Celia aufblühte und sich durchsetzte. Leise hörten wir ihn vor sich hin fluchen, bemerkten, wie er ab und zu hinüberlugte, und sie kicherte leicht. Meine Mundwinkel zuckten amüsiert.
»Was ist denn los?« Schlagartig wurde ihr Blick weicher und besorgter. Während ich ihr vom heutigen Tag, von Italien und all dem Shit erzählte, kam Theo zurück. Er drückte uns jeweils ein volles Glas in die Hand, ging sich im Badezimmer eine Jogginghose überziehen und nahm uns gegenüber im Sessel Platz.
»Sprich mit ihm, Val«, pflichtete mir Celia bei und trank einen Schluck Wein, woraufhin ich seufzend den Kopf in den Nacken fallen ließ.
»Nein, das geht nicht. Er wird mehr leiden, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Ich muss diesen Weg einschlagen.«
»Ich hab mal wieder das Gefühl, mir fehlen Informationen«, murmelte Theo, der sich nebenbei einen Blunt drehte. Am liebsten würde ich mit ihm nach draußen gehen, aber zu rauchen, würde nur ein tödlicher Cocktail werden. Er stand auf, schlenderte zu Celia und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann wandte er sich mir zu. »Hast du zufällig ein Tagebuch, wo ich reinlesen kann? Oder muss ich hier eine Wanze verstecken?« Dabei verzogen sich seine Mundwinkel zu einem breiten Grinsen. Entnervt schlug ich ihm gegen den Oberschenkel. »Geh, bevor du einen Kopf kürzer bist.« Allerdings konnte ich mir nach seinen Worten ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen.
»Dafür siehst du mich doch zu gerne an.«
»Auf einer Dartscheibe vielleicht.« Er kam näher, legte seine Hand auf meinen Kopf und wuschelte mir durchs Haar. Verwundert schaute ich zu ihm hoch. Theo hatte das in unserer Kindheit öfters getan, als ich deprimiert gewesen war, und mir damit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.
»Du packst das. Wir stehen immer an deiner Seite.« Dann drehte er sich um, ging hinaus auf den Balkon und schloss die Tür hinter sich.
»Was war denn das?«, verwundert sah ich ihm hinterher.
»Nicht nur ich mache mir Sorgen um dich, Val. Du siehst blass aus. Und Theo weiß nicht mal, was los ist. Wenn du ihm erz–«
»Niemals.« Energisch schüttelte ich den Kopf. Nur über meine Leiche.
»Okay, okay. Niemand soll davon erfahren, hab’s kapiert. Aber er hat recht, du packst das. Ich glaube, du hast mehr Angst davor, verletzt zu werden, als vor den Konsequenzen, welche die Wahrheit mit sich bringt.« Ich nahm einen größeren Schluck von dem Wein und warf ihr einen bedrückten Blick zu. »Ich hab recht, oder?«, fragte sie und legte mir dabei beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.
»Vielleicht, verfluchte Scheiße«, stöhnte ich verzweifelt auf und raufte mir die Haare.
»Ich muss dich etwas fragen, raste nicht aus.« Gespannt sah ich sie an. Was kam denn jetzt? »Willst du Caden?« Celia sah mich ernst an, ich schluckte, doch wusste sofort die Antwort.
»Ja.« Einen anderen gab es nicht für mich, hatte es nie gegeben.
»Du hast gesehen, wie es bei uns gewesen ist … Wie sehr ich gelitten habe, weil Theo nach der Pfeife meines Dads getanzt hat. Und wie sehr er leiden musste, als ich auf Dad gehört habe.« Fuck, sie hatte recht. »Und ja, es hat weh getan, als ich herausfand, dass mein Dad ein mieseres Arschloch ist, als ich es vermutet hatte. Aber ich bin jetzt glücklich, Val. Er kann noch so viele Probleme machen und ich würde mich trotzdem immer wieder hierfür entscheiden. Und Caden wird die Wahrheit ebenfalls wehtun, doch auch er wird sich immer wieder dafür entscheiden, sie gehört zu haben.« Sie sah mich flehend an, nahm meine Hand. »Vertrau mir.«
»Ich hasse es, wenn du recht hast«, brachte ich mit brüchiger Stimme hervor und trank schnell das Glas leer. »Du bist bestimmt nicht hergekommen, um nur Ja und Amen von mir zu hören.« Mit einem Lächeln auf den Lippen verdrehte ich bei ihren Worten die Augen. »Ich glaube, du wolltest, dass ich dir sage, dass du ihm die Wahrheit erzählen musst. Du musstest es hören …« Und wieder traf sie voll ins Schwarze.
»Ich fahre morgen zu ihm …«, murmelte ich. Sie drückte sanft meine Schulter. »Nimm dir die Zeit, die du brauchst.« Mit einem Lächeln auf den Lippen stand sie auf, verzog sich aus der Stube, ich blieb da und legte mich auf dem Sofa hin. Die restliche Nacht wälzte ich mich mehr als alles andere und fand einfach keinen Schlaf. Konnte ich wirklich zu Caden gehen und ihm alles erzählen? Obwohl ich sonst kein Problem damit hatte, den Mund aufzukriegen, würde es da wohl anders aussehen. Aber es weiter vor mir herzuschieben, würde mir nichts bringen. Ich stand auf, lief ins Badezimmer und ging zu der Dusche in der Ecke des Raumes. Einige Minuten lang ließ ich das Wasser über mich prasseln, bevor ich mich einseifte und überlegte, was ich jetzt genau tun sollte. Bis ich einen Plan vor Augen hatte: Ich würde mir Klamotten von Celia leihen, ein Taxi rufen und zu Caden fahren. Entschlossen trat ich aus der Dusche, schlang mir ein Handtuch um den Körper und eins um die Haare. Zur Hölle mit den Geheimnissen.
Als ich den Gedanken aussprach, wurde die Tür aufgerissen, ich stieß einen Schrei aus, bis ich Theo entdeckte, der die Badezimmertür schloss und sich dagegen lehnte. »Was zum Teufel stimmt nicht mit dir?«, fluchte ich, hielt die Hand gegen meine Brust und versuchte, den Herzinfarkt zu vermeiden, der sich herannahte. Anstatt mir zu antworten, nahm er aus seiner Hosentasche eine Zigarettenschachtel, zündete sich eine Fluppe davon an und reichte mir die. Misstrauisch sah ich auf den Glimmstängel, schob ihn zwischen meine Finger und zog dran. »Celia wird dich umbringen.«
»Das ist mir scheißegal.« Um die Worte zu untermalen, nahm er sich nun eine eigene und genehmigte sich gleich einen tiefen Zug. »Das hier ist ein besonderer Umstand. Denn du wirst hier nicht rausgehen, bis ich weiß, was Sache ist.« Genervt stöhnte ich.
»Theo!«
Ich klang so quengelig wie ein kleines Kind und zog an der Kippe. »Willst du heute unbedingt sterben?«
»Val, du bist wie eine Schwester für mich. Ich hab dich wirklich lieb. Und es kotzt mich an, dass jeder weiß, was mit dir los ist. Außer ich! Celia hat sich die ganze Nacht gedreht, war vollkommen unruhig und ich bin vor ihr wach geworden. Das heißt schon etwas. Wenn das nicht bedeutet, dass die Kacke gewaltig am Dampfen ist, dann weiß ich auch nicht mehr.« Theo fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wirkte verloren und ich setzte mich auf den Hocker in der Ecke. Schwer seufzte ich, sah auf die Hand, in der ich die Kippe hielt, welche zitterte. Wenn ich Caden die Wahrheit sagen wollte, konnte ich direkt einmal üben, ob die Worte meinen Mund verlassen konnten. »Du hast recht …«, gab ich schlussendlich zu und Theo setzte sich hin, an der Tür gelehnt. »Ich hätte auch Alkohol hier reingeschmuggelt, aber ich dachte, es wäre noch ein bisschen zu früh für den harten Stoff.«
Ich schüttelte grinsend den Kopf. »Phil trinkt Wasser auf einer Veranstaltung und du überlegst, wie spät es ist, um mit dem Trinken anzufangen. Was ist nur aus euch geworden?«, gab ich schmunzelnd von mir und Theo fing an zu lachen. »Sagt die, die bei einem Kerl eingezogen ist und sich verlobt hat. Und jetzt erzähl mir bloß nicht, du wurdest gezwungen, Caruso.«
»Es stimmt …« Ich lächelte leicht. »Ich finde den Gedanken, Caden irgendwann zu heiraten, gar nicht so schrecklich. Solange es nicht dieses oder nächstes Jahr sein muss. Ich will leben, reisen und nicht – wie meine Mom hofft – als Hausfrau enden«, gab ich zu und fuhr mir durch die Haare, zog an der Kippe und wusste nicht, wie ich anfangen soll. »Ich liebe Caden. Und ich weiß, er würde das alles akzeptieren. Aber es gibt eine Sache, die passiert ist …« Zum ersten Mal seit zwei Jahren ließ ich die Mauern fallen, zwang mich nicht, die Tränen zurückzuhalten, sondern ließ sie laufen. »Fuck, Val …«, hörte ich nur von Theo, er wollte aufstehen, doch ich hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
Ein Schwindelgefühl erfüllte mich. Die Blunts in Kombination mit der beachtlichen Menge von Alkohol waren nicht die beste Entscheidung vorhin gewesen. Wer traf die allerdings auf einer Fete? Das Bett und alles drehte sich. Mein Blick glitt zu Caden, der friedlich neben mir schlief. Die letzten drei Shots hätte ich nicht trinken sollen. Meine Kehle fühlte sich staubtrocken an. Aufstehen klang nicht sonderlich toll für den Magen, den Schwindel, jedoch wusste ich, dadurch wäre es am Morgen besser. Vorsichtig erhob ich mich, um Caden nicht zu wecken – obwohl er sowieso schlief wie ein Stein. Glücklicher Idiot. Schmunzelnd strich ich ihm über die Wange, hauchte einen Kuss auf seine Stirn und schlich mich aus dem Zimmer. Geräuschlos nahm ich die Treppe nach unten, wo ein ohrenbetäubendes Scharchen ertönte. Ich verdrehte die Augen und seufzte genervt. Graham war, anstatt nach Hause zu gehen, im Wohnzimmer auf dem Sofa eingeschlafen. Ich wollte ihn vorhin wecken, doch Caden hatte mich davon abgehalten und nun würde ich ihn morgen beim Frühstück ertragen müssen. Ich konnte ihn nicht leiden. Graham schien die faulste Person auf diesem Planeten zu sein und ich glaubte nicht daran, dass er es jemals an der Börse packen würde, wie er es vorhatte. Obwohl, ich sah an dem Aktienmarkt zahlreiche Mistkerle. Viele Herren, so wenig Eier. Also würde er irgendwie doch dort reinpassen. Ich mochte Graham nicht, das musste ich nicht, Caden und er waren seit Kindheitstagen befreundet. Solange er immer für ihn da war, kümmerte es mich nicht. Und er schien anders zu sein, wenn die beiden unter sich waren, nicht der Großkotz, den er gerne vor Weibern herausließ.
Ich grinste, nahm mir eine Karaffe Wasser aus dem Kühlschrank und sah mich in der Küche um. Vor der Feier hatten Theo und ich das ganze Haus weiß, rot und blau gestaltet. Ich nahm einen Schluck, die kühle Flüssigkeit breitete sich in meinem Körper aus und tat unbeschreiblich gut. Als ich die Kühlschranktür schloss, erschreckte ich so sehr, dass die Karaffe aus meiner Hand fiel und der Scherbenhaufen laut auf dem Boden aufkam. »Fuck. Was für eine Scheiße.« Ich sah auf den Fußboden, ging einen Schritt zurück. Denn ich trug nur Cadens Hemd, meine Füße und Beine waren entblößt und Schnitte von Scherben wollte ich nicht bekommen. »Zügle deine Zunge, Mädchen«, entgegnete mir der Vater meines Freundes scharf. Ich verdrehte die Augen. Für ein Gespräch mit ihm war ich nicht breit genug. Er tolerierte mich nur, hielt nichts von meinem Wesen und ich glaubte, ihm wäre es lieber, Caden und ich würden uns trennen. Robert arbeitete viel mit Dad zusammen, der einzige Grund, weshalb er mich wohl nie rausgeschmissen hatte.
»Robert, ich hab keinen Nerv für höfliche Umgangsformen«, presste ich hervor. Er betrachtete die Küche, wie ich vor einigen Augenblicken. »Nicht so, wie ich sie verlassen hatte«, war sein Kommentar, mit knirschenden Zähnen, zu der Dekoration. »Ich finde es besser. Nicht mehr so zugeknöpft hier drin.« Dabei drehte ich mich leicht zur Seite, versuchte, keine zügigen Bewegungen zu machen, und sah dann wieder zu Robert, der nun mich anstarrte. Wenn er jetzt über mein Aussehen meckerte, würde ich ausrasten. »Hübsch siehst du aus …«, kam es schlussendlich von ihm. War das sein Ernst? Mein Erscheinungsbild glich einem Chaos, da ich die ganze Nacht gefeiert und es zwischendurch ziemlich heftig mit seinem Sohn getrieben hatte. Sein Blick haftete an mir, er schritt näher und bevor ich realisierte, was er tat, streckte er seine Hand aus, um mich an den Haaren zu packen.
»Geht’s noch?«, zischte ich, verpasste ihm eine, woraufhin ich ausrutschte und zu Boden fiel. Glassplitter bohrten sich in meine Beine. »Sprich nicht so mit anderen, Valentina. Haben dir deine Eltern denn nichts beigebracht?«, hörte ich seine Stimme bedrohlich. Sauer giftete ich ihm entgegen. »Sie haben mir auf jeden Fall nicht erklärt, wie man mit Arschlöchern redet.« Die Angst stieg in mir empor, trotzdem würde ich nicht die Klappe halten.
Mein Blick glitt durch den Raum, ich suchte einen Fluchtweg oder nach Platz, um von Cadens Vater Abstand zu gewinnen. Meine Position gefiel mir nicht. Als ich aufstehen wollte, spürte ich, wie eine Hand mein Bein umfasste, daran zog und mich durch die Scherben schlitterte. Um mir keine Schmerzen anmerken zu lassen, presste ich die Lippen fest zusammen. »Du bist ungehorsam, Valentina. Wen wundert es? Deine Eltern haben dich nicht im Griff und mein Sohn … Selbst das kriegt er nicht hin«, meinte er und packte meinen Oberarm. Ich wünschte, ich wäre nicht so betrunken. Mit einem Ruck zog er mich hoch, sodass meine Augen in seine blickten. Provozierend grinste ich ihn an. »Oh, bei ihm ist mein Mund mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Keine Sorge.« Wahrscheinlich sollte ich meine Klappe halten, jedoch gehörte das nicht zu meinen Stärken. Ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien.
Seine Augen verdunkelten sich, wurden zornig, weshalb ich zurückweichen wollte. Ich sollte einfach wieder nach oben verschwinden oder nach Hause gehen. Plötzlich zog Arthur mich mit sich, woraufhin ich mein Bestes gab, mich zu befreien. »Hey, lass das! Was willst du von mir?!« Doch er zog mich weiter, weshalb ich nach ihm trat und mich mit allen Kräften wehrte.
Ich gab nicht auf, aber dann öffnete Arthur eine Tür, schliff mich mit hinein und zerrte mich rücksichtslos auf das Bett. Es war zwecklos. Also verpasste ich ihm eine Kopfnuss. »Miststück«, zischte er nun schmerzhaft und ließ los. Ich ergriff meine Chance, stand schnell auf und wollte flüchten. Als würde ich hierbleiben! Durch meine Panik raste das Adrenalin durch meine Adern, ließ mich die Schmerzen in den Beinen nur im Hintergrund wahrnehmen. Als ich aus der Tür verschwinden wollte, wurde ich von hinten an der Kehle gepackt und an einen Körper gepresst. Mein Kopf schwirrte durch den Alkohol und die Panik. Arthur presste mich nun noch enger an sich, sodass ich etwas Hartes an meinem Rücken spürte. Er war doch nicht etwa … Er wollte doch nicht … doch bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, wurde ich aufs Bett geworfen und eine Sekunde später hievte sich Cadens Vater über mich.
»Nein!«, sagte ich verzweifelt und versuchte, ihn von mir zu drücken. Doch er grinste nur, legte sich mit seinem gesamten Gewicht auf mich, dass ich nicht mal mehr meine Beine bewegen konnte. Meine Arme hielt er an beiden Seiten fest. Auch wenn es aussichtlos war, gab ich alles, um mich herauszuwinden. Ohne Erfolg. Er war, viel, viel stärker als ich. Panisch weiteten sich meine Augen. Ich wollte schreien, nach Hilfe, nach Caden, nach irgendwem. Doch ich konnte nicht. Mein Körper war wie gelähmt, er reagierte nicht mehr auf mich.
»Wenn er es dir nicht beibringen kann, muss es wohl jemand anderes tun«, hauchte er mir ins Ohr, weshalb sich ein kalter Schauer durch meinen Körper zog. Ohne ein weiteres Wort riss er mir die Boxershorts vom Leib, worauf ein Wimmern meine Kehle verließ und ich merkte, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten. Die Panik wurde größer, als seine Hand unter das T-Shirt fuhr und mir über die Brüste strich. Ich wollte schreien, mich wehren aber ich konnte nicht. Übelkeit stieg in mir auf, als er wie in meinem schlimmsten Albtraum seinen Reißverschluss aufmachte und mit der Hand meinen Körper herunter und zwischen meine Beine glitt. Tränen flossen langsam über mein Gesicht und Arthur flüsterte mir mit einem verschmitzten Grinsen ins Ohr. »So still gefällst du mir besser …«
Ohne ein weiteres Wort und mit einem harten Ruck war es passiert. Als er rücksichtslos in mich eindrang, schossen die Schmerzen wie Blitze durch meinen Körper. Mir wurde schlecht und ich glaubte, innerlich zu zerreißen. Ich nahm das Brennen seiner Lippen wahr, die meinen ganzen Körper benetzten. Ich zitterte, hoffte, zu ersticken. Meine Seele zersprang in tausend Teile. Ich bekam kaum noch Luft und obwohl ich mich massiv wehren wollte, passierte nichts. Nicht ein einziges Japsen verließ meine Lippen und ich war nicht in der Lage, nach Hilfe zu schreien. Ich zitterte, mein Schädel hämmerte und mein Herz wurde schwer.
Wie lange ich noch dagelegen hatte, nachdem er schon längst gegangen war, wusste ich nicht. Genauso wenig, wie ich nach Hause gekommen war. Erst als ich aus der Dusche stieg, wurden meine Gedanken wieder etwas klarer und die Schmerzen lauter und aufdringlicher. Es brachte mich dazu, heftig ein- und auszuatmen. Ich hatte mir die Haut wund geschrubbt, doch verglichen mit meinem Inneren waren die Verletzungen nichts. Sie würden verblassen. Der wahre Schmerz wütete jedoch wie ein Tornado in meiner Seele. Riss dort alles nieder, bis alles in Schutt und Asche lag. Eine Welt brach für mich zusammen. Ich fühlte mich beschissen, benutzt und brauchte Zeit, die ich nur in meinem Zimmer verbrachte.
3 Tage. 72 Stunden. 4320 Minuten. 259200 Sekunden. So lange verbrachte ich in meinem Zimmer. Allein. Abgeschottet von der Welt. Schuldgefühle machten sich in mir breit, dann wieder die Wut und die Einsicht, dass der einzige Verantwortliche der Täter ist. Der Vater meines Freundes. Jedes Mal wenn ich daran dachte, wurde mir übel. Die blauen Flecken verblassten langsam – ich sah es im Spiegel. In dem Spiegel, vor den ich mich nach jeder meiner stündlichen Duschen stellte. Mein Kopf platzte, doch dann musste ich aus dem Zimmer raus. Sonst würden meine Eltern eine Leiche hier finden, da ich keine Nahrung zu mir nahm. Vielleicht würde Caden auch vorher die Zimmertür herausreißen. Meine Handtasche hatte ich mitgenommen, mein Handy war darin und es piepte, aber ich ging nicht dran. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. Würde die Tasche nicht hier liegen, würde ich nicht mal wissen, ob ich sie geholt hatte. Was ich überhaupt danach angezogen hatte, war so verschwommen vor meinen Augen, dass ich im Mülleimer nachsehen hätte müssen. Aber das wollte ich alles nicht.
Ich duschte, meine Haut war schon ganz schrubbelig, zog mir etwas an, band meine Haare zusammen und ging nach unten. Mom ließ fast erschrocken ihre Teetasse fallen. »Liebes!« Sie stürmte auf mich zu, umfasste mein Gesicht. »Alles in Ordnung bei dir? Ich hatte ein paar Mal bei dir geklopft. Hast du dich mit Caden gestritten?« Sie wirkte besorgt. Ob sie nun mütterlich war oder sie einfach nur Angst vor einer Trennung hatte, wusste ich nicht. Schnell schlug ich ihre Hand weg, denn Nähe wollte ich nun wirklich nicht spüren. »Ich hab nur intensiv für eine Klausur gelernt. Nichts Wildes«, hauchte ich, lief zum Kühlschrank und holte mir Wasser heraus. Die Karaffe trank ich in einem Zug leer. »Ohne zu essen? Das ist nicht gesund, Val. Oder hast du dich aus dem Zimmer geschlichen, wenn ich nicht da war?« Wirkte sie beleidigt? Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. »Mom … Hast du die Angestellten gefragt, oder woher weißt du das?! Ich glaube nicht, dass du die ganzen Tage hier warst«, murmelte ich, nahm mir ein Brot von der Theke und stopfte es in mich hinein. »Nein, aber dein Vater war ziemlich besorgt und hat mich darüber ausgefragt. Und ob du es mir glaubst oder nicht, doch selbst ich mache mir Sorgen um dich.« Ich nickte nur, konnte nichts darauf erwidern.
6 Tage. 114 Stunden. 8640 Minuten. 518400 Sekunden. Ich verkroch mich in meinem Zimmer, schluckte eine Handvoll Tabletten und schlief gleich wieder ein. Dazwischen kotzte und zitterte ich. So liefen meine Nächte ab, deshalb versuchte ich erst gar nicht zu schlafen. Meine Arbeit im Club half mir, ich nahm mehr Schichten an. Schlaf und Beruhigungstabletten ließen mich die körperlichen Qualen etwas lindern. Es war der falsche Weg, doch ich war fest entschlossen, damit aufzuhören, sobald ich mich gefasst hatte. Meine Gedanken versuchten, die Vernunft zu mobilisieren. Caden merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich log ihn an, nicht in böser Absicht, sondern um ihm den Schmerz nicht anzutun. Aber er merkte was, genauso wie Mom und Dad. Mein Anblick heute Morgen musste sie sehr schockiert haben. Celesté hingegen glaubte, ich zog eine Show ab, um ihr die Aufmerksamkeit vor ihrem Tanzauftritt morgen Abend zu klauen. Ich hielt diese ganze Scheiße nicht mehr aus. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich extrem darunter litt, und ich schwor mir, dass ich nie wieder so enden würde. Ich musste Caden die Wahrheit sagen. Daher fuhr ich zu ihm und hoffte, er wäre zu Hause. Ich parkte, klingelte an seiner Haustür und wartete auf die Dienstboten. Ich zitterte am ganzen Körper. Wieder hier zu sein, war nicht gut für meine Nerven, aber ich musste mit ihm sprechen. Bevor mich der Mut verließ.
Unerwartet öffnete Robert die Tür anstatt eines der Dienstmädchen, grinste und ich erstarrte angstvoll. Ich wollte auf der Ferse umkehren, er hielt mich an der Schulter zurück und ich schlug seine Hand energisch weg. »Ich bin hier, um mit Caden zu reden«, zischte ich, sein Blick verdunkelte sich augenblicklich. »Worüber?«
»Über die Vergewaltigung.« Es auszusprechen, tat weh. Meine Stimme brach beinahe. Sofort wollte mich Robert ins Haus ziehen, doch ich blieb draußen stehen. Ich würde nicht allein mit ihm hineingehen. »Robert?«, kam es von drinnen, ich erkannte direkt den Klang von Stephanies Stimme. Nun schob ich mich an ihm vorbei, lief ins Wohnzimmer auf sie zu. »Ist Caden da?«, fragte ich ohne Umschweife, ich wollte ihn sehen und hier wieder raus. »Valentina, das ist absolut unhöflich, wie du hier einfach reinplatzt, und unnötig«, mischte sich Robert zischend hinter uns ein.
»Unnötig?«, brüllte ich zurück und seine Frau fuhr kurz zusammen.
»Um Himmels willen, was ist denn passiert?«
Er zuckte mit den Schultern, als würde heute ein Ausflug aufgrund des schlechten Wetters nicht klappen. »Du warst letzte Woche doch in Mailand auf dieser Modenschau und da haben Valentina und ich uns etwas vergnügt.« Die Worte kamen so tonlos aus seinem Mund – es war unfassbar. Ich blickte zu ihr und sah kurz den Schmerz in ihren Augen und wie sie die Lippen aufeinanderpresste. Mehr nicht. Als wäre dieser Fall öfter vorgekommen.
»Ich habe nicht mitgemacht!«, versuchte ich mich jetzt selbst zu verteidigen und kam mir dämlich vor. Stephanie starrte mich enorm wütend an. Fuck. In was für eine Show war ich hier reingeraten? Dachte sie wirklich, ich hätte freiwillig mit ihrem Mann geschlafen, um es nun meinem Freund zu erzählen? Oder verschloss sie einfach nur die Augen vor der Realität? »Valentina, zieh hier nicht so eine Nummer ab. Du kommst nur mit einem T-Shirt und einem Slip zu mir und machst mich an … Und jetzt willst du hier so eine Aufführung veranstalten?«, kam es erbost von Robert, der einen Schritt auf mich zu machte.
»Es ist egal, welche Kleidung ich getragen habe. Ich wollte das nicht! Du hast mich vergewaltigt!«, fluchte ich, sah zu Stephanie und hoffte, dass sie mir wenigstens jetzt glaubte. »Ich hab nichts getan. Sonst wäre ich wohl kaum hier und würde mit Caden sprechen wollen«, hauchte ich. »Bitte«, fügte ich noch flehend hinzu und ging einen Schritt weiter auf sie zu. Doch sie sah mich nur hasserfüllt an. »Willst du meinem Sohn wirklich erzählen, was für eine Schlampe seine Freundin ist? Ihm antun, was du mir angetan hast?«
Theo schluckte. »Fuck, ich bring dieses Schwein um.« Er stand auf, riss die Tür auf und ich war innerhalb von Sekunden bei ihm. Ich hielt ihn am Arm fest. »Nicht …«, kam es brüchig von mir.
»Warum hast du nie ein Wort darüber verloren? Verflucht, Val! Wieso hast du es Caden nicht erzählt?«
»Weil ich nicht wollte, dass er seinen Vater für ein Schwein hält. Weil ich dachte, ich komme darüber hinweg. Ich war verstört und naiv. Das Gespräch mit seiner Mom hat Selbstzweifel und Verwirrung in mir geschürt. Und dann war Caden weg, ich hab die Tabletten aus der Apotheke durch Pillen getauscht, die Phil mir gegeben hat, und es ging mir eine Weile gut. Ich hab es einfach verdrängt und … Fuck. Ich weiß, ich habe Mist gebaut.« Tränen liefen mir herunter und bevor ich mich versah, zog mich Theo ganz selbstverständlich in seine Arme. »Geh zu ihm … Erklär es ihm … Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren.« Ich wischte mir die Tränen weg, nickte.
In dem Moment hörten wir Celia, die sich räusperte und auf die Kippe in Theos Hand sah. »Babe, es war ein Notfall!« Nichts war mehr von dem selbstbewussten jungen Mann übrig, der eben noch gemeint hatte, wie scheißegal es ihm wäre, wenn meine beste Freundin ihn erwischen würde. Als Celia jedoch mein Gesicht sah, wandelte sich ihr Blick von Wut zu Schock zu Besorgnis. »Dein Handy klingelt die ganze Zeit …«, hauchte sie dann. Ich löste mich von Theo, tapste in die Stube, durchquerte sie langsam und nahm mein Handy. Mein Atem stockte. Ich schluckte und sah auf das Display. 50 Anrufe in Abwesenheit. Mein Herz hämmerte wie wild, ich spürte den Drang, mich zu übergeben. »Wer ist es?«, hörte ich von Celia, die mir eine Hand auf die Schulter legte. »Die meisten sind von Caden. Aber einige … sind auch von Robert«, wisperte ich und mein Bauch fuhr Achterbahn. Und das definitiv nicht auf eine gute Art und Weise. Neben mir vernahm ich nur am Rande, wie Celia kräftig schluckte.