KAPITEL 3

LEAH: DIE TAUCHFAHRT

Lernstress, wie in der Schule, Physik und Mathe, Chemie und Biologie. Alles kam wieder, nun jedoch im Zusammenhang mit Wassertiefe, Druck, Grundlagen der Elektrotechnik, Dieselmotor-Technik, Grundlagen von Brennstoffzellen, Kohlendioxid-Konzentration in der Atemluft, Brandbekämpfung und Verhalten im Notfall, Gesundheitsvorsorge im U-Boot, Metallhydrid-Wasserstoffspeicher, Batterietechnologie, Stromrichter, Batterieladung und Aufbau von Drehstrommotoren. Dazu auch noch Basiswissen der Seefahrt, zum Beispiel Morsen und akustische Signale. »Wer morst denn heute noch?«, murmelte Roni, die neben mir saß. Da musste ich sie mit meiner Patrouillenboot-Praxis korrigieren: »Mit Lichtsignalen wird schon noch gemorst, ist abhörsicher. Musste ich auch schon machen.«

Eines Vormittags kam der Leiter des Lehrgangs in den Kurs, bat den Dozenten um eine kurze Unterbrechung und fragte: »Wer ist noch nicht auf Tauchfahrt gewesen? Wir haben heute Nachmittag einige Mitfahrplätze für eine kurze Tagesfahrt.«

Ich riss die Hand hoch, sechs andere fuhren gleichzeitig in die Höhe. »Nur vier können mit – Roni, Talia, Rachel und«, jetzt sah er mich an, »und du, Leah.« Ich konnte mein Glück kaum fassen: endlich raus aus dem Lehrsaal und wieder auf ein Schiff, noch dazu ein U-Boot.

Wir liefen dem Lehrgangsleiter hinterher, der es eilig hatte. Als erstes ging es zum Taucherarzt, wo wir vier Frauen nacheinander antreten mussten. Der Taucherarzt hatte meine Gesundheitsakte vor sich, die große Tauglichkeitsuntersuchung lag aber schon Monate zurück. Er legte prüfend die Hand an meine Stirn. »Erkältet?«

»Nein.«

»Mach mal Druckausgleich.«

Ich hielt die Nase zu und drückte die Trommelfelle nach außen, ließ die Luft wieder heraus und machte eine Bewegung wie beim Gähnen mit dem Unterkiefer, bekräftigte: »Alles klar.« Der Doktor nickte.

Danach klopfte er mir mit dem Fingerknöchel auf die Stirn und die Wangenknochen. »Tut irgendetwas weh?«

Es tat nichts weh.

»Schwanger?«

»Nein.«

Schwungvoll unterschrieb der Taucherarzt das Blatt Papier und drückte es mir in die Hand. »Gute Fahrt!«

Als wir alle durchgeschleust waren, ging es zur Pier. Erst jetzt, wo wir ganz nah davorstanden, sahen wir von oben das ganze Boot, vorher hatten nur der Turm, die Periskope und Antennen über die Pier hinausgeragt. »Wartet hier.«

Auf dem Vorschiff standen zwei U-Boot-Männer und hantierten an den Leinen, eine Klappe des Turmes stand steil nach oben; die beiden starrten jetzt aufmerksam uns vier junge Frauen an, die Leinen interessierten sie nicht mehr. Sonst war niemand zu sehen. Der Lehrgangsleiter ging auf den schmalen Steg, der zum Boot führte, und lief zu einem anderen Luk, das offen stand. Er rief nach unten, gab dem Kommandanten Bescheid, dass die Gäste angekommen waren. Ob eine Antwort kam, konnten wir nicht hören. Eine ganze Weile passierte gar nichts.

Dann tauchte eine weiße Mütze auf, schließlich der Kopf und der drahtige Körper des Kommandanten. Er nahm keine Notiz von uns, sondern ging an uns vorbei an Land. Jetzt kamen aus dem Luk die U-Boot-Männer, einer nach dem anderen, und folgten dem Kommandanten. Sie stellten sich im Abstand von zehn Metern zur Pier in einer Reihe auf, dem Boot zugewandt. Den einen oder anderen meinte ich schon mal in der Kantine gesehen zu haben. Sie sahen eigentlich ganz normal aus, jedenfalls nicht so, wie man sich Elitesoldaten vorstellt.

Der Lehrgangsleiter wies uns an, ebenfalls eine Reihe zu bilden, aber senkrecht zur Pier. Uns gegenüber stellten sich die Offiziere auf, das ganze bildete jetzt ein zur Pier offenes Viereck. Der Kommandant stand mittlerweile neben dem Steg.

Der Erste Offizier meldete: »Crew Charly angetreten!« Dann sprach der Kommandant, nicht allzu laut: »Danke. Männer der Crew Charly, wir machen eine Übungsfahrt und prüfen die Grundfunktionen des Bootes, bevor wir morgen die Waffen an Bord nehmen. Geplant sind zehn Stunden auf See. Auslaufen dreizehnhundert, es fährt die Steuerbordwache, um achtzehnhundert übernimmt die Backbordwache, Rückkehr gegen dreiundzwanzighundert. Noch etwas: Wir haben heute Gäste dabei, die Lehrgangsbesten der künftigen Crew Foxtrott.« Oh, er hatte uns zu Lehrgangsbesten befördert. Er wandte sich uns zu: »Willkommen an Bord, zu eurer ersten Tauchfahrt, wie ich gehört habe.« Und dann wieder zur Besatzung: »Männer, dass mir keine Beschwerden kommen.« Bei der Mannschaft kam Gemurmel auf.

So förmlich hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Ich streckte den Rücken durch. Die Männer schielten zu uns herüber.

Der Erste Offizier rief laut: »Crew Charly«, dann mit merkwürdiger Betonung, das erste Wort lang gedehnt: »Aaauuuf … Manöverstation!« Alle bewegten sich über den Steg und verschwanden nacheinander im Luk, drei Mann blieben an Deck und gingen wieder zu ihren Leinen. Von der Seite näherte sich ein Kranfahrzeug, fuhr auf den Steg zu. Es sollte ihn wohl heben und damit die Verbindung zum Land kappen. Der Lehrgangsleiter gab uns die Hand, dann gingen wir als letzte über den Steg, bückten uns, um den Handlauf der Leiter durchs Luk zu erreichen, und dann mussten wir aufpassen, die Sprossen unter uns zu treffen und den Po durch das enge Rohr nach unten zu schieben.

Unten angekommen standen wir im Halbdunkel im Weg herum, bis uns der Zweite nicht diensthabende Offizier einige Schritte weiter in die Zentrale bugsierte. »Ich soll euch einweisen. Also: Ihr aus dem Lehrgang müsstet euch ja eigentlich auskennen. Hier ist der Niedergang nach unten zu den Mannschaftsräumen, hier in den Ecken der Zentrale oder unten in der Messe stört ihr am wenigsten. Geheimes gibt es heute nicht an Bord, wir haben auch fast keine Waffen dabei, in den Rohren sind nur Dummies, wegen des Gewichts. Ihr werdet selbst ein Gefühl dafür haben, wann die Kameraden Zeit haben, euch etwas zu erklären. Wenn sie beschäftigt sind, lasst sie in Ruhe.«

Die Sicherheitseinweisung war kurz, theoretisch wussten wir ja alles, er wies nach oben. »Gelbe Tüten mit Atemmasken hängen überall, im Notfall die erstbeste greifen. Anschlüsse für Atemluft«, er wies auf ein Rohr mit einem Ventil dran, das Rohr ging durch den ganzen Raum, immer wieder Ventile, »auch überall, im Notfall von einem zum anderen hangeln, immer aus- und wieder einstöpseln. Habt ihr schon mal geübt, hoffentlich, jetzt wisst ihr auch, wie es an Bord aussieht. Hier sind wir in der Zentrale. Die Arbeitsbereiche sind eingeteilt«, er wies auf den Bereich uns gegenüber, »in Maschine und Elektrotechnik, da Ruder, dort der Waffeneinsatz.« Die meisten der Bildschirme waren abgedeckt, es saß auch keiner dran. »Da drüben Horchen und Sonar, daneben Lagezentrum, Kommunikation und hier«, wir standen davor, »Navigation, da stören wir jetzt im Moment am wenigsten.« Überall waren Sessel vor den Arbeitsplätzen, überall Tastaturen, Mousepads und jede Menge Bildschirme, meist drei übereinander. Am Rand ein altmodischer Telefonhörer mit einem kleinen Schaltkasten, »Unterwassertelefonie« stand dran. Mittendrin das Sehrohr, ein großer Block, die Okulare, jeweils drehbar mit zwei Griffen, mit extra Bedienungstasten für fast jeden Finger.

»Wollt ihr beim Auslaufen auf den Turm? Zwei können hoch, mehr Platz ist nicht.« Ich stand richtig, und zusammen mit Talia kam ich dran. Also wieder hoch, aber diesmal durch den Turm, eine viel längere Leiter, unterbrochen durch das untere Turmluk, wo sich die Röhre verengte, zum Glück mit glatten Flächen, sodass man sich mit dem Rücken hinten abstemmen konnte beim Nach-oben-Schieben. Oben angekommen suchte man vergeblich eine Stehfläche, es gab nur einen schmalen Rand um das Loch, durch das man bis auf das Deck im Bootskörper tief unten sehen konnte.

Der Erste Offizier stand bereits auf dem Turm, nahm aber keine Notiz von uns und musterte die Vorbereitungen der Männer an Deck. Schließlich rief er in ein Mikrofon: »Klar zum Auslaufen.« Der Lautsprecher tönte blechern: »Leinen los und auslaufen.«

Nach einer Reihe weiterer Kommandos machte sich das Boot auf den Weg Richtung Hafenausfahrt, ein Weg, den ich schon oft mit dem Patrouillenboot selbst gesteuert hatte.

»Diesel starten, auf vierzig Umdrehungen gehen.« Jetzt ertönte ein Grummeln an der Flanke des Bootes, kein richtiges Motorgeräusch, bloß ein starkes Fauchen und manchmal ein Blubbern. Der Offizier hatte mitbekommen, dass ich auf das Geräusch achtete. »Wenn wir getaucht mit Schnorchel fahren, ist fast nichts zu hören, der Auspuff ist so konstruiert, dass er zusätzlich ein Luftbläschen-Polster um das Heck legt. Aufgetaucht und mit solchem Krach fahren wir ja nur in der Hafeneinfahrt.«

Jetzt fuhren wir um die Neunzig-Grad-Kurve in der Hafeneinfahrt. Das Boot begann sich mit der Dünung zu bewegen, es gab nahezu keine Bugwelle, der runde Bug schob sich einfach so unter die Wasseroberfläche, nur seitlich und hinten gab es eine mächtige Schaumspur. Im Takt der Wellen wurde das Fauchen der Abgase mal lauter, mal leiser. Der Kommandant kam von unten und schob sich neben uns auf die winzige Plattform im Turm, nickte uns zu und drehte sich zur Sprechanlage: »Klarmachen zum Tauchen!«

Wir verstanden das als Signal für uns, nach unten zu verschwinden. Talia zuerst, ich kletterte ihr langsam nach und achtete darauf, ihr nicht auf den Kopf oder die Hände zu treten. Von oben drängelte schon der Erste Offizier. Unten angekommen spürten wir die Betriebsamkeit in der Zentrale. Die Bildschirme waren jetzt erleuchtet, ein Teil der Sitze war von den Männern besetzt, die Tastaturen oder Knöpfe bedienten. Als Letzter kam der Kommandant, wir hörten ihn klackend das Luk verriegeln, hoch über uns, dann stieg er herunter, das untere Luk ließ er offen.

»Boot ist klar zum Tauchen«, meldete der Erste Offizier. »Fluten und auf Sehrohrtiefe gehen!«, rief der Kommandant, »Fluuuten« wiederholten alle im Boot im Chor. Der tiefe Männergesang, der nur aus diesem einen Wort bestand, hatte etwas Geheimnisvolles, wie eine Beschwörungsformel der gemeinsamen Tauchfahrt. Ein Ritualgesang, den ich noch oft genug hören sollte, auch wenn er als reiner Frauenchor nicht so eindrucksvoll klang, das muss ich zugeben.

Das leise Gluckern von Wasser in den Tauchtanks war zu hören, danach passierte überhaupt nichts Außergewöhnliches. Den ersten Tauchgang hatte ich mir spannender vorgestellt. Es fiel kein Wort, außer wenigen kurzen Ansagen und Befehlen: »Achtzehn Meter, Sehrohrtiefe.« – »Maschine stopp, Boot auspendeln.« Wir schwebten jetzt lautlos durchs Wasser, ein leichtes Schwanken. Dann: »Fünfzig Umdrehungen.«

Es war genauso ruhig, als läge das Boot noch im Hafen, kein Schiffsgeräusch, kein Maschinengeräusch. Ich ging zum Kontrollstand für die Motoren und die Elektrotechnik, einer der Dieselmotoren schien zu laufen, zu hören war davon aber nichts. Der Maschinen-Maat zeigte mir die Drehzahlanzeige des Elektromotors, der nur fünfzig Umdrehungen machte, geradezu gemächlich, verglichen mit den hochtourigen Motorbooten, die ich von früher kannte. »Der Schnorchel ist draußen, der Diesel lädt die Batterie und liefert gleichzeitig Strom für den Antrieb«, er zeigte auf Pfeile, die die Stromflüsse anzeigten. »Die Schraube ist sehr groß, damit wir nur wenige Umdrehungen machen müssen und so praktisch ohne Schraubengeräusch unterwegs sind.«

In dem Moment ging einer der Männer zur Tür des Maschinenraums und stülpte sich große Ohrenschützer über. Als er die Tür öffnete, dröhnte der Dieselmotor laut, als er sie hinter sich schloss, war es sofort wieder absolut ruhig. »Alles, was Krach macht, ist gummigelagert in einer hermetisch geschlossenen Kapsel. Auf keinem Schiff schläft man so komfortabel wie in unserem Boot, keine Vibration, kein Krach! Und vor allem: Niemand hört uns, wir sind nicht zu orten.« Der Maat schien so stolz auf das Boot zu sein, als hätte er es selbst konstruiert. Ich nickte ihm anerkennend zu.

Der Zweite Offizier kam vorbei. »Schaut euch ruhig allein um.« Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Zuerst gingen wir in den Bugraum mit seinen mächtigen Torpedorohren. Die Durchgänge hatte ich mir enger vorgestellt; aus U-Boot-Filmen kennt man die Schotten mit den kleinen runden Mannlöchern zum Durchschlüpfen, hier gab es keine Schotten, im Bugraum war sogar richtig Platz. Einer der U-Boot-Männer schien meine Gedanken zu ahnen und stellte richtig: »Hier geht es eng zu, wenn wir alle Waffen dabeihaben.« Er zeigte uns auch den Schlafraum für die Unteroffiziere, drei Kojen übereinander, die beiden Wachen schliefen abwechselnd, keiner hier hatte eine eigene Koje. Jetzt am Nachmittag lagen nur zwei Mann darin, einer auf der oberen Koje döste vor sich hin, einer ganz unten hatte einen E-Book-Reader in der Hand und sah jetzt zu mir herauf.

Er fragte grinsend: »Na, ihr Schönen, wollt ihr wirklich eure eigene Foxtrott-Crew aufmachen, oder nicht doch lieber mit unserer netten Crew Charly mitfahren? Wir hätten viel Spaß hier.« Da beugte sich der Mann von der oberen Liege heraus und fuhr ihn an: »Wegen Typen wie dir, die Frauen blöd anquatschen, trauen die sich nicht, sie bei uns mitfahren zu lassen. Halt doch einfach die Klappe, dann wird das eher was mit den gemischten Crews.«

»Na, so empfindlich sind die Frauen aber auch nicht, die sind doch schon auf anderen Schiffen gefahren, stimmt’s?«

Ich nickte und sagte beim Hinausgehen: »Kann mit euren Sprüchen umgehen.«

Aus der oberen Koje hörte ich noch: »Bei denen brauchst du dir keine Hoffnungen zu machen mit deiner blöden Anmache!«

»Aber du vielleicht?«

Dann war hinter dem Filzvorhang nichts mehr zu hören.

Neben dem Schlafraum sollte eine Toilette sein, wie ich vom Bootsgrundriss aus dem Lehrgang wusste. Tatsächlich, es gab eine Tür; ich öffnete sie vorsichtig. Eine Dusche mit Plastikvorhang, ein Waschbecken, unglaublich viele Rohre und Ventile und dazwischen eine Toilette. Ich stand noch unschlüssig in der Tür, als einer der Männer vorbeiging und rief: »Aber nichts reinwerfen! Wenn sie verstopft ist, müssen wir einen Eimer aufstellen.«

»Sollen immer nur Frauen schuld sein, wenn was verstopft ist?«, gab Talia sofort zurück.

»Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Frauen neunundneunzig Prozent aller Rohrverstopfungen verursachen.«

»Erstens sind wir nicht irgendwelche Frauen, wir sind nicht erst seit gestern bei der Marine. Und zweitens stammen neunundneunzig Prozent aller blöden Sprüche von Männern.«

Er hob beschwichtigend die Hände: »Ok, ok, alles gut, zwei zu eins für euch. Ich wollte es ja nur gesagt haben.«

Wir gingen wieder zurück in die Zentrale, dann über die Leiter ins Unterdeck, dort kamen wir neben der Kombüse heraus, der Koch füllte gerade Kaffee in eine Kanne. »Das ist mein Reich. Ich habe es am schönsten an Bord, ich teile mir meine Arbeit selbst ein.« Wir staunten. »Und wie sieht diese Einteilung aus?« »Essen gibt es immer in zwei Schichten: vier Uhr aufstehen, um fünf Uhr dreißig und sechs Uhr Frühstück, ein bisschen Freizeit, um zehn Uhr Mittagessen kochen, elf Uhr dreißig und zwölf Uhr wieder Essen in zwei Schichten, aufräumen und ein wenig Freizeit, siebzehn Uhr dreißig und achtzehn Uhr Abendessen, danach wieder alles aufräumen, den Mitternachtsimbiss vorbereiten und ab in die Koje. Ich möchte aber mit keinem tauschen.«

Wir musterten seine winzige Küche, in der genau ein Mann Platz hatte, mit Herd, Backofen, Spüle und vielen Schränken. »Wollt ihr mal sehen?« Er kam aus der Kombüse, öffnete eine riesige Tür, und man konnte in einen begehbaren Kühlschrank sehen. »Dahinter ist der Gefrierraum. Hier haben wir Futter für sechs Wochen dabei, wenn wir auf großer Fahrt sind. Morgen kommt die Lieferung. Habt ihr überhaupt schon was gegessen?«

»Eigentlich nicht.«

»Na, ich habe hier noch Hühnchen in Orangensauce mit Reis, wie wäre es? Dann gibt es erst wieder nach siebzehnhundertdreißig etwas zu Essen, für die Backbordwache.« Der Koch holte einen Stapel von vier Suppentellern aus einem seiner Schränke, füllte jeweils in den obersten Teller Reis und eine Kelle Orangenhühnchen-Sauce und reichte ihn heraus. »Besteck ist da«, wies er auf ein schmales Regal an der Wand. »Wasser, Cola, was darf es sein? Salat gibt es hier.« Er wies auf eine große Blechschüssel zur Selbstbedienung.

Wir »Gäste« saßen gegenüber auf zwei Bänken vor unseren Tellern, zu viert war es ok, aber wenn hier zehn oder mehr Seeleute auf einmal essen sollten, würde es ziemlich eng sein.

Das Boot machte jetzt nur noch ganze leichte, gleichmäßige Bewegungen in der Dünung, je tiefer, desto ruhiger; wir waren auf Marschfahrt in Sehrohrtiefe. Das Hühnchen in Orangensauce schmeckte sogar ganz gut, fand ich, besser als in der Kantine, und die anderen stimmten zu. »Müssen wir dem Koch sagen, der freut sich.«

In dem Moment schrien oben alle Männer gleichzeitig: »Alaaaarm!« Der Koch in seiner Kombüse und die drei, vier Männer, die im unteren Deck waren, stimmten ein und riefen auch: »Alaaarm!« Wir hielten unsere Teller fest, oben war wieder Betriebsamkeit zu hören. Obwohl er wusste, dass es sich nur um eine Übung handelte, schloss der Koch hektisch seine Schubladen und zurrte die klappernden Schöpflöffel an der Wand fest.

Wir wussten aus dem Lehrgang: Auf Sehrohrtiefe und mit Schnorchel war ein U-Boot noch nicht wirklich ein U-Boot, der Schnorchel war zu sehen und zu orten, die Abgase sogar zu riechen von den Schnüffel-Sensoren der U-Jagd-Hubschrauber. Wenn man einen U-Boot-Jäger in der Nähe vermutete, musste man schleunigst zu einem richtigen U-Boot werden und tief tauchen. Dazu musste der Diesel gestoppt und die Luftzufuhr durch den Schnorchel sicher verschlossen werden, dann musste das Boot nur mit Batteriestrom lautlos in sichere Tiefe gehen, und das alles sollte ganz schnell passieren. Deshalb das Geschrei, damit alle die eingeübten Griffe ohne zu zögern ausführten und jeder sofort mitbekam, was los war.

Wir spürten die Vorlage des Bootes, als wir tiefer gingen, sonst war auch dieses Manöver wenig spektakulär. Ich hielt den Teller fest, löffelte den Rest Soße mit Reis, stellte den leeren Teller in die dafür vorgesehene Plastikwanne und machte mich auf den Weg nach oben in die Zentrale. »Zweiundfünfzig Meter«, wurde dort gerade angesagt. Der Kommandant saß in seiner Ecke und schien unbeteiligt. Ich sah auf den Platz, den ich irgendwann einzunehmen hoffte, den Platz des wachhabenden Ingenieurs, als »schiffstechnische Offizierin«. Dort saß ein konzentriert auf drei große Monitore starrender Ingenieur im Offiziersrang, mit kahlrasiertem Schädel und strengem Blick, und ich traute mich nicht, ihn anzusprechen.

Daher fragte ich leise den Zweiten Offizier, der als Backbordwache gerade dienstfrei hatte: »Hört man es denn draußen nicht, wenn an Bord so laut gesprochen wird?« Er sah mich überrascht an. »Meinst du das ›Alarm‹-Geschrei? Nein, Luftschall hier drin überträgt sich nicht nach draußen. Wenn ich aber mit einem Metallgegenstand gegen die Stange hier klopfe, dann hört man das viele Meilen weit.« Er deutete auf ein Gestänge. »Deshalb bewegen sich alle schön langsam und bedächtig, um keinen Körperschall zu produzieren.«

»Sechzig Meter erreicht«, wurde angesagt, jetzt kam das Boot wieder in eine gerade Lage. Ich ging zu den Sonar- und Horch-Männern, die beiden hatten wir vorher auf Oberdeck mit den Leinen gesehen. Die Sonar- und Horchspezialisten mussten die Seemannsarbeit auf Deck beim Einlaufen und beim Auslaufen machen, weil für sie dann in der Zentrale nichts zu tun war. Im Hafen gab es nichts zu horchen. Jetzt waren sie in Aktion und inzwischen die Einzigen, die direkt mitbekamen, was draußen passierte. Sie mussten sich aus den Geräuschen ein Bild machen über andere Schiffe, die Umgebung, den Untergrund.

Einer der beiden starrte angestrengt auf einen Bildschirm mit Mustern, der andere schob einen der beiden großen Kopfhörer vom Ohr, winkte mich heran und fragte mit ehrfürchtig gedämpfter Stimme: »Willst du mal?« Er reichte mir ein zweites Paar Kopfhörer, drehte an seinen Knöpfen. »Hörst du es? Schön, aber lästig, die lenken uns ab und stören eigentlich nur.«

Psychedelische Unterwasserklänge, dann ein dumpfes Rauschen, wieder eine Art Gesang, ein Zirpen und Fiepen, wie aus einer anderen Welt. Ich schaute ihn fragend an. Er erklärte: »Eine Delfin-Schule, die sind richtig gut aufgelegt, haben Spaß da oben! Mindestens zehn, schätze ich.« Ich lächelte.

Auch die Männer der Backbordwache, die dienstfrei hatten, überboten sich, uns junge Frauen herumzuführen und uns alles zu erklären. Als wir zum Steuerstand der Elektrotechnik kamen, rief der Wachhabende das Kommando: »Brennstoffzellen einschalten!« Das Boot konnte ziemlich lange nur mit den Batterien fahren, aber irgendwann würde man wieder auf Sehrohrtiefe gehen und den Schnorchel ausfahren müssen, um mit dem Diesel nachzuladen. Ein Teil unserer Boote hatte allerdings noch eine weitere Möglichkeit der Stromversorgung, neben den Batterien, die irgendwann leer waren: Brennstoffzellen und einen ziemlich großen Wasserstoff- und Sauerstoffvorrat, was die Unterwasserreichweite enorm vergrößerte. Die Stromerzeugung mit den Brennstoffzellen brauchte keine Luft, sie war außerdem lautlos, und als Nebenprodukt fiel chemisch reines Wasser an, das aber nur für Reinigungszwecke verwendet werden durfte.

Mich hielt es nicht beim Steuerstand, und ich ging zur Tür, die in den Maschinenraum führte, nahm einen der Ohrenschützer und richtete einen fragenden Blick an den danebenstehenden wachfreien Mann. »Ohrenschützer brauchst du nicht, wenn die Diesel nicht laufen.« Er öffnete die Tür, es war nur leises Summen zu hören. Wir gingen in den Maschinenraum, der von der Abwärme des Dieselmotors noch gut aufgeheizt war. »Hier kommt jetzt der Strom her«, er zeigte auf große Schaltkästen. Versteckten sich dahinter die Brennstoffzellen? »Das sind die Stromrichter. Die formen den Strom um, passend für die verschiedenen Verbraucher. Vor allem den Drehstrom mit variabler Frequenz für die Synchron-Antriebsmaschine, also in der Frequenz, die zur Umdrehungszahl der Schraube passt.« Er zeigte auf einen blinkenden Schaltschrank mit deutschen, englischen und hebräischen Aufschriften, manche hebräische Bezeichnungen waren nur mit Aufklebern ergänzt. »Und hier die Brennstoffzellen, man sieht nicht viel, nur Schränke mit Technik drin. Aber ganz im Heck gibt es noch was zu sehen.« Er ging zur hinteren Wand des Maschinenraums, öffnete dort eine andere schalldichte Tür und schlüpfte in den Heckraum. Da stand groß und rund die E-Maschine zum Antrieb, die Welle dahinter, ich schaute genau hin: Sie rotierte, vollkommen geräuschlos. Erstaunlich – dass dieser große Antriebsmotor lief, war tatsächlich nicht zu hören.

Danach lotste mich mein persönlicher U-Boot-Erklärer in Richtung Bugraum. »Hier sind unsere Fitness-Maschinen.« Es gab ein Gerät zum Rudern, wie im Fitness-Center, und ein Laufband. »Ist Pflicht auf längeren Fahrten, sonst rostet man ein, nach drei, vier Wochen.«

Schlagartig wurde mir bewusst: Ich hatte mich darauf eingelassen, bald hier eingesperrt zu sein, wochenlang, und könnte mich höchstens in diesem Raum ein bisschen bewegen, um in Form zu bleiben, aber auch das nur, wenn nicht gerade eine andere der Frauen rudern oder laufen wollte.

Die Uhr zeigte zweiundzwanzig Uhr dreißig, wir waren zwei Meilen vor der Hafeneinfahrt von Haifa, wie ich am Bildschirm des Navigationsplatzes sehen konnte. Es kam das Kommando: »Klarmachen zum Auftauchen!«

Nach dem »Boot ist klar zum Auftauchen« des Zweiten Offiziers folgte vom Kommandanten das Kommando »Anblasen«, wiederholt von der ganzen Mannschaft im Chor, wobei das »An« wieder stark betont und gedehnt wurde. Noch ein Ritual der U-Boot-Männer. Druckluft zischte, als sie in die Tauchtanks gepresst wurde.

»Turmluk frei.« – »Druckausgleich!«, es knackte in meinen Ohren. Dann stieg der Kommandant nach oben, dumpfes Scheppern des Turmluks beim Einrasten in der Halterung. Der Lautsprecher knarrte »Sprechprobe«, als der Kommandant oben ankam, und es wurde bestätigt: »Klar und deutlich.« Dann kam das Kommando: »Brückenwache aufsteigen.«

Vom Anlegemanöver bekamen Talia und ich nichts mit, die anderen beiden Frauen, Roni und Rachel, durften diesmal oben sein. Ob sie wohl auf die Patrouillenboote geachtet hatten? Ob David noch auf einem der Motorboote fuhr?

Nach dem Aussteigen wieder dieselbe Aufstellung am Boot wie vor der Ausfahrt, der Kommandant hielt eine kurze Ansprache, verabschiedete sich dabei auch von uns und wünschte uns allzeit gute Fahrt als künftige U-Boot-Frauen. Damit war der Dienst beendet und wir rückten in unsere Unterkunft ein.

Wir vier Frauen waren zu aufgekratzt zum Schlafen, saßen noch in Ronis Stube zusammen. »Eigentlich waren sie ganz nett, die Typen auf dem Boot heute. Gemischte Crews wären vielleicht gar nicht so schlecht.«

»Wir wären immer schuld, wenn etwas schiefgeht oder es Probleme mit dem Klo gibt, nein danke. Unter uns, das funktioniert besser.«

Rachel stimmte zu: »Nach Männern schauen wir uns an Land um, das gibt weniger Probleme.«

»Ok, lass uns gleich morgen damit anfangen!«

»Ja, Leah, du brauchst auch endlich wieder einen Freund.« Roni begann zu lachen, hörte gar nicht mehr auf, Rachel fiel ein.

Als der Lachanfall vorbei war, saßen wir wieder schweigend da.

»Der Grund, warum wir da wochenlang herumfahren müssen«, unterbrach Talia die Stille, »die Waffen, die wir da herumfahren, darüber unterhält sich gar keiner an Bord.«

»Was denkst du denn, sollen die sich pausenlos Gedanken machen, was man mit den Waffen alles anrichten kann? Ist doch bei den Leuten auf den Luftwaffenstützpunkten oder in den Raketenbunkern auch nicht anders.«

»Na, die sitzen aber auch nicht auf Behältern mit Atomwaffen, löffeln dabei Suppe oder schlafen direkt nebendran.«

Jetzt war das A-Wort ausgesprochen. Wir alle wussten, warum die U-Boote überhaupt herumfuhren, wochenlang, ohne Kontaktmöglichkeit außer genau festgelegten Kommunikationssignalen. Sie waren nichts anderes als Abschussrampen, deren Standort niemand genau kannte, für die Abschreckungswaffen, die darauf programmiert waren, die Hauptquartiere der feindlichen Länder zu treffen, oder feindliche Raketenabschussrampen und Flugplätze. Und jede von uns wusste, auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, dass sich neben Torpedos und normalen Flugkörpern auch Flugkörper mit Nuklearsprengköpfen an Bord befanden.

»Ist doch die Lebensversicherung für Israel, für uns alle. Solange eines unserer Boote draußen ist, kann niemand unser Land angreifen, ohne die sofortige eigene Zerstörung zu riskieren, aus unseren Rohren. Und nie mehr wieder werden Juden wehrlose Opfer sein, so heißt es doch.« Wir saßen nachdenklich da. »Wir haben uns entschieden, dass wir aufs U-Boot gehen, jetzt bleiben wir dabei«, stellte Roni klar. »Irgendeiner muss es ja machen.«

Und Talia pflichtete ihr bei: »Oder irgendeine!«

Am nächsten Morgen hatte ich Kopfschmerzen. Es war Freitag, eigentlich frei, an diesem Tag aber ausnahmsweise Lehrgang bis mittags. Die drei von uns, die noch nicht in einem U-Boot hatten mitfahren dürfen, beneideten uns. Wir machten auf cool und meinten, es hätte nicht viel zu sehen gegeben, und das Essen an Bord sei ganz ok.

Danach schnell umziehen auf »Alef«, also die bessere Uniform, zur Fahrt ins Wochenende. Das Sturmgewehr aus der Waffenkammer holen. Auf der Heimfahrt mussten wir die Waffe dabeihaben, das war die Vorschrift.

Ich verließ den Stützpunkt um kurz vor eins, ziemlich knapp, um den Zug um dreizehn Uhr sieben vom Bahnhof Haifa Bat Galim noch zu erwischen, der hatte die bequemeren Wagen, und es gab mehr Platz. Es war auch schon Zeit, an den Schabbat-Stillstand bei der Bahn zu denken, bald fuhr kein Zug mehr nach Tel Aviv bis Schabbat-Abend.

Am Bahnhof war eine Schlange vor der Personenkontrolle, den Truppenausweis für die Bahnsteigsperre fand ich auch nicht sofort, musste in meinen Uniformtaschen suchen. Als ich aus der Unterführung auf den Bahnsteig kam, fuhr der Zug schon ein, mit einer brüllend lauten Diesellok und einer langen Kette aus blauen Waggons. Die Türschwelle der Wagen trug den Schriftzug SIEMENS – derselbe Schriftzug wie auf den Elektromaschinen im Boot. Ich ging in das Abteil für großes Gepäck und belegte die letzten beiden freien Klappsitze für mich, meinen Seesack und das Gewehr. Gegenüber saß eine Araberin mit Kopftuch und großem Koffer. Der Zug war voller als sonst. Ich streckte die Beine aus, hielt den Gewehrlauf in der Hand, gähnte und schloss die Augen, als der Zug losfuhr.

»Entschuldigung …«, eine zögerliche Stimme drängte sich in mein Bewusstsein, ich schlug die Augen auf. »Entschuldigung, kann ich das vielleicht unter die Klappsitze stellen?« Ein schlaksiger junger Mann mit Brille hielt einen zusammengeklappten E-Scooter, einen Elektro-Tretroller, in der Hand und zeigte auf den freien Raum unter meinen Klappsitzen. Die Türen schlossen sich gerade wieder, der Zug hatte in Hof HaCarmel gehalten. Wir waren noch keine fünf Minuten unterwegs, fast alle Plätze waren besetzt und es war vorbei mit der Bequemlichkeit. Ich stand auf, nahm die Waffe hoch, schob meinen Seesack nach vorne, um Platz zu schaffen. Nachdem der Roller unter den Sitzen verstaut war, saß er neben mir auf dem anderen Klappsitz. Ich versuchte, ihn aus den Augenwinkeln zu mustern. Eine weite, ausgebeulte Hose, Turnschuhe, sehr feine Hände, er hatte einen kleinen Rucksack, wohl eine Computertasche, vor sich auf dem Schoß. Wenigstens roch er nicht nach Schweiß, Zigaretten oder Alkohol.

»Ins Wochenende?« Aha, der Herr wollte Konversation. Die Frage ergab die Gelegenheit, meinen Kopf leicht zu drehen und ihn mir genauer anzusehen. Blöde Frage, was sollte das sonst sein als Wochenendheimfahrt, wenn eine junge Soldatin am Freitagnachmittag mit Gepäck im Zug saß. Blaue Augen erwiderten meinen Blick, seine Brille saß schlecht auf der Nase. Ein heller Typ, die Rötung auf der Stirn kam wohl von zu viel Herumliegen am Strand, eindrucksvoll war sein Lächeln, mit Fältchen neben den Mundwinkeln. Ich sah weg, um cool zu scheinen, und grummelte: »Hm, ja, endlich Wochenende, wurde auch Zeit.« Dann wartete ich, ob er die Konversation fortführen wollte.

Er sagte nichts, vielleicht hatte ich zu abweisend geklungen. Der Typ erschien sympathisch genug, um mehr über ihn zu erfahren. Also musste ich irgendetwas fragen.

»Wie weit fährt denn so ein Ding?« Ich deutete unter den Sitz, wo er seinen Tretroller verstaut hatte. Er schien froh über die Frage. »So an die dreißig Kilometer, bergauf weniger. Vor allem ist man unabhängig von den Bussen, ich hasse Warten. So komme ich in fünf Minuten von der Arbeit zum Bahnhof und bin schneller in Tel Aviv als mit jedem Auto.« Seine Stimme klang angenehm melodisch, ich wollte ihn mehr reden hören, aber eigentlich nicht über Verkehrsprobleme, auch wenn ich damit angefangen hatte. Ich musste dem Gespräch eine andere Wendung geben. »Du arbeitest hier in der Gegend?«

»Bin bei einem Chemie-Start-up, das groß in die Energie-Branche einsteigen will. Wir haben Patente auf neue Treibstoffe auf Wasser-Basis, das wird die Zukunft.«

»Wasser als Treibstoff, wie soll das denn gehen?«

»Genau genommen Wasserstoff, der in Flüssigkeit gebunden ist. Damit wird in Brennstoffzellen Strom erzeugt. Der Clou ist, dass die Flüssigkeit mit dem Wasserstoff drin völlig ungefährlich ist und ganz einfach in Fahrzeuge getankt werden kann, so wie bisher Benzin oder Diesel. Viel besser als Wasserstoff selbst, in Drucktanks oder flüssig in gekühlten Tanks, das ist unpraktisch, umständlich oder gefährlich und braucht Energie zum Komprimieren und Kühlen. Unsere Erfindung, eine einfache Flüssigkeit, die den Wasserstoff speichert und bei Bedarf wieder abgibt, das ist genial.«

»Wasserstoff kann man aber auch in Metallhydrid speichern, ist auch ungefährlich.«

Jetzt sah er mich überrascht an. »Du kennst dich aus?!«

Hatte er wohl nicht erwartet, dass eine kleine Soldatin auch was wusste von Wasserstoff-Technologie.

Seine Vorlesung ging weiter. »Metallhydrid als Wasserstoff-Speicher ist sogar sehr gut, es gibt bloß ein Problem: Solche Speicher sind wahnsinnig schwer. Für Autos oder Flugzeuge ist das nichts. Höchstens für Schiffe vielleicht.« Er dachte nach. »Habt ihr so was bei der Marine?«

Jetzt wurde es gefährlich, ich musste schnell abwiegeln und dumm tun, sonst würde er mich womöglich noch fragen, ob ich bei den U-Booten sei. »Hatte davon gelesen. Über Wasserstoff wird doch viel diskutiert neuerdings, statt fossiler Energie, weniger CO2 und Klima und so.«

Inzwischen war der Zug in Binyamina angekommen, gleich würde es weitergehen, und zwar ohne Halt bis zum Bahnhof Tel Aviv Universität, worauf eine Eisenbahner-Stimme aus den Lautsprechern aufgeregt zum zweiten Mal hinwies.

Er schwärmte weiter vom Wasserstoff, dass man ihn mit Sonnenstrom in der Wüste sehr einfach produzieren und damit die Sonnenenergie speichern könne. Nur für die Anwendung müsse man ihn eben weiterverarbeiten, da gebe es noch viel zu erforschen und zu organisieren, das werde ein Riesen-Geschäft.

Jetzt sollte er langsam die Kurve kriegen. Wir waren hier nicht in der Technischen Universität und nicht im Gründerseminar für Start-ups, sondern im Zug und gleich in Tel Aviv, dann würden sich unsere Wege trennen, er würde fortrollern und ich mit meinem Gewehr noch bis zum nächsten Bahnhof weiterfahren. Seine Telefonnummer könnte er mir vorher schon noch verraten.

»Weißt du schon, was du später machen willst?«

»Nach dem Militär, meinst du?« Jetzt fiel mir ein, wie ich ihn ganz einfach dazu bringen könnte, endlich zur Sache zu kommen. »Irgendwas mit Zukunftschancen, was Technisches, aber was? Ich kenne mich da zu wenig aus.« Wenn er bei diesem Köder nicht anbiss, war ihm nicht zu helfen.

Es funktionierte: »Gib mir doch deine Telefonnummer, wir müssen uns treffen, wenn du willst.«

Ich kramte mein Telefon heraus und sah ihn fragend an. Er diktierte mir eine Nummer, ich schaute ihn an und legte den Kopf schräg: »Und was soll ich da jetzt als Namen dazuschreiben?«

»Uri, Uri Cohen.«

Ich tippte den Namen in das Telefon, er schaute mich an. »Ich bin Leah Friedman.« Ich nannte ihm meine Nummer, und jetzt hatte er etwas zu tippen. Der Zug bremste schon.

»Leah«, er zögerte und fuhr dann fort: »Es hat mich sehr gefreut, deine Bekanntschaft zu machen.« Er konnte richtig feierlich werden, das fand ich süß. Der Zug fuhr jetzt langsam in den Bahnhof Tel Aviv Universität ein, die anderen Reisenden drängelten zu den Türen, mein Seesack stand im Weg, ich schob ihn ein Stück.

Uri stand auf: »Ich melde mich.« Ich schenkte ihm noch ein Lächeln, damit er mich nicht allzu kühl in Erinnerung behielt.

Er winkte mir zu und schien drauf und dran, einfach so auszusteigen. »Vergiss dein Elektrodings nicht«, rief ich ihm hinterher. Er erschrak, kam zurück, zerrte das zusammengeklappte Ding umständlich unter den Sitzen hervor und verließ als letzter den Wagen. Ich setzte mich auf den Klappsitz, sah ins Wageninnere und zwang mich zu warten, drehte mich erst zum Fenster um, als sich zischend die Türen schlossen. Er stand tatsächlich noch draußen und sah durch die ziemlich blinde Scheibe herein. Er winkte, ich hob lässig die Hand, der Zug fuhr langsam an.

»Nächster Halt: Tel Aviv Savidor Center, alle aussteigen, der Zug endet hier. Vielen Dank, dass Sie die israelische Eisenbahn genutzt haben«, dröhnte es durch den Wagen. Der Schabbat-Vorabend nahte, oder wieder einmal Bauarbeiten, jedenfalls war hier heute Endstation.

Er rief am nächsten Morgen, am Schabbat-Morgen, nicht an. War er religiös und telefonierte nicht am Schabbat? Er sah eigentlich nicht so aus. Oder hielt er mich für religiös? Egal, ich würde in jedem Fall noch warten, ob er sich meldete.

Abends erschien dann sein Name im Display, ich ging dran, sagte aber nur kurz: »Hallo Uri, schön, dass du anrufst, kann ich dich morgen zurückrufen? Es geht gerade nicht.« Das hatte ich mir zurechtgelegt, denn ich musste erst zur Betreuungsstelle, ich war bereits als »besonderer Geheimnisträger« eingestuft, und da konnte ich nicht einfach was anfangen mit irgendjemandem, den ich im Zug getroffen hatte.

Er versicherte sofort, dass er sich über meinen Rückruf sehr freuen würde, und entschuldigte sich, dass er in einem unpassenden Moment angerufen hatte.

Gleich am nächsten Morgen ging ich bei der Betreuungsstelle vorbei, Tsipora hatte Tagesdienst, mit ihr hatte ich schon zu tun gehabt.

Die Betreuungsstelle war dafür da, den Kontakt zu den Angehörigen zu halten, wenn die U-Boot-Crew wochenlang unterwegs war. Wenn irgendetwas zu Hause aus dem Ruder lief, konnten sich die Angehörigen an die Betreuungsstelle wenden, und es kam einer oder eine vorbei und kümmerte sich um alles.

»Ich habe jemanden getroffen, und ich möchte ihn näher kennenlernen. Könnt ihr ihn überprüfen?« So war es vorgeschrieben, aber ich wollte auch etwas über ihn herausbekommen. Wozu gab es denn die Betreuungsstelle und den Marine-Geheimdienst?

»Gut, dass du sofort gekommen bist. Also: Du kennst ihn noch nicht näher, aber du möchtest ihn kennenlernen, habe ich das richtig verstanden?«

»Na ja, er hat mich am Freitag im Zug angequatscht, und wir haben uns ganz gut unterhalten, wir haben Nummern getauscht. Er hat gestern angerufen, aber ich habe gesagt, es ginge gerade nicht, ich würde ihn heute Abend zurückrufen.«

»Hat er dich angesprochen oder du ihn?«

»Na, vielleicht ging es auch ein bisschen von mir aus.«

Tsipora lächelte. »Ok.« Sie schob mir ein Formular zu. »Schreib hier auf, was du über ihn weißt, ich kläre ihn ab. Komm um siebzehn Uhr wieder vorbei, dann kann ich dir hoffentlich schon etwas sagen.«

Ich notierte die Telefonnummer, den Namen Uri Cohen und meine Vermutung über Uris Arbeitsstelle, denn es war mit Google gar nicht schwer gewesen, eine Firma herauszufinden, die mit Wasserstoff zu tun hatte und in der Nähe vom Bahnhof Haifa Hof HaCarmel war: »Energetiq« hieß die kleine Gesellschaft, sie hatte zwei Kilometer vom Bahnhof ihr Büro oder ihr Labor, oder was das genau war.

Pünktlich um siebzehn Uhr war ich wieder bei Tsipora in der Betreuungsstelle. »Einen Uri Cohen gibt es, die Telefonnummer ist richtig. Er arbeitet für die Firma Energetiq in Tirat Carmel, an der ihm ein Anteil gehört. Es ist ein vor zwei Jahren gegründetes Unternehmen, das neue Treibstoffe entwickeln will und dafür Patente hat; es gibt Beziehungen mit Firmen und Instituten in den USA und Singapur. Uri Cohen wohnt in Tel Aviv in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Universität, in einem Gebäude mit Studentenwohnungen, hier ist die Adresse. Er hat einen dreijährigen Militärdienst bei der Luftwaffe absolviert, danach ein Chemie-Studium begonnen, aber abgebrochen, um bei Energetiq einzusteigen.« Sie zögerte etwas und sagte dann lächelnd: »Verheiratet ist er nicht, falls dich das interessiert.« Hatte ich noch gar nicht dran gedacht.

»Danke. Dann wäre das schon mal klar.« Ich überlegte. »Ich werde ihm vorerst natürlich nicht auf die Nase binden, was ich genau beim Militär mache.«

»Wenn du auf längere Einsätze gehst, musst du es ihm sagen, wenn du ihm wirklich näherkommen willst. Das musst du langfristig vorbereiten. Aber jetzt warten wir erst einmal ab, du hältst uns einfach auf dem Laufenden. Ich bin immer für dich da.«

Ich trat aus der Betreuungsstelle, atmete tief durch, ging um die Ecke, wo es ruhiger war, holte mein Telefon hervor, suchte seinen Anruf im Menü und drückte auf Rückruf: »Hallo Uri, hier ist Leah.«