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FRANZ

Die Mail, die Maria mir versprochen hat, ist am nächsten Morgen bereits in meinem Posteingang. Der Inhalt besteht nur aus einem Namen, einer Telefonnummer und der Adresse einer Zellstofffabrik in Stenungsund. Der Name sorgt für ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Hilmer Blomberg . Der größte Widerling aller Zeiten, der sich für den Eigentümer der ganzen Bohuslänküste hält. Das letzte Mal sind wir aneinandergeraten, als er am Fähranleger auf dem Festland ein Sägewerk errichten wollte, was ich allerdings sofort verhindert habe. Die Frage aber bleibt, wie weit Hilmer bereit ist zu gehen, um sich meine Heide zu nehmen.

Ich rufe meinen IT -Freund Hampus an und wecke ihn. Kurz darauf steht er in meinem Büro und hat diesen fanatischen Blick, den er immer bekommt, wenn er eine große Sache wittert. Ich biete ihm einen Platz an und gebe ihm einen Ausdruck mit einem Foto von Hilmer, seiner Adresse und weiteren Informationen.

»Das ist Hilmer Blomberg«, sage ich. »Ich möchte, dass du richtig tief gräbst und etwas findest. Du sollst seinen Schwachpunkt finden, den er um jeden Preis geheim halten will.«

Hampus mustert das Foto, dann runzelt er die Stirn.

»Der Typ ist ja voll widerlich. Darf ich fragen, was er getan hat?«

»Er ist ein gieriges Schwein, der den Boden hinter unserem Anwesen aufkaufen will. Meine Heide!«, antworte ich ihm. »Außerdem ist er der geistige Anführer einer freireligiösen Sekte, und solche Typen wollen wir hier auf der Insel nicht haben.«

»Auf keinen Fall, Chef«, sagt Hampus und schneidet eine Grimasse. »Wenn es schmutzige Wäsche gibt, werde ich sie finden.«

»Sehr gut. Und ich habe nichts dagegen, wenn du dich nicht unbedingt an alle legalen Vorgaben hältst.«

Er grinst.

Keine Sekunde habe ich es bisher bereut, Hampus in mein Team aufgenommen zu haben. Zusammen mit Filip und Elyssa bildet er den Kern meines Unternehmens, Filip kommt vom Militär und hat die Funktion, mich anzutreiben. Offiziell bekleidet er den Posten meines »persönlichen Assistenten«. Elyssa ist meine Sekretärin und rechte Hand, während Hampus’ offizielle Bezeichnung IT -Beauftragter ist. In Wirklichkeit fungiert er auch als Hacker und ist ausgesprochen effektiv. Die drei sind ein eingespieltes Team und kümmern sich, neben anderen Aufgaben, auch um zwei Listen, die ich erstellt habe. Das eine ist die Interesse-Liste , auf der alle Personen stehen, deren Vorhaben und Aktivitäten mein Interesse geweckt haben. Elyssa behält sie im Auge und liest und archiviert alles, was in der Presse und in den sozialen Medien stattfindet. Wegen Elyssas mädchenhaftem und unschuldigem Aussehen werden ihre Freundschaftsanfragen nie abgelehnt. Auf dieser Liste stehen meine ehemaligen Gegner, aber auch solche Menschen, zu denen ich eine enge Verbindung habe. Sofia und Julia zum Beispiel. Mir wäre es sehr recht, wenn sie das nicht erfahren, aber es gefällt mir zu wissen, was sie so machen. Julia ist leider nicht besonders aktiv in den sozialen Medien. Sofia dagegen nutzt ihre Accounts regelmäßig. Nur in den letzten Wochen ist es merklich still geworden. Hoffentlich ist das nur vorübergehend.

Wenn jemand auf meiner Interesse-Liste zu einer Bedrohung wird, wandert er auf die Maßnahmen-Liste . Erst dann macht sich Hampus auf die Suche, um die schmutzigsten Geheimnisse ans Licht zu holen. Daraufhin folgen Maßnahmen, die Filip durchführt, manchmal mit Hilfe von Privatdetektiven. Das System funktioniert hervorragend und gibt mir das gute und sichere Gefühl, auf alles vorbereitet zu sein. Genau genommen ist das eine eher harmlose Methode, im Vergleich zu den Mitteln, die ich früher angewendet habe, um meine Gegner zum Schweigen zu bringen. Die soziale Kontrolle findet täglich in unserer Gesellschaft statt. Meine Vorgehensweise ist lediglich methodischer. Ich öffne das Dokument und setze Hilmer Blomberg mit einem Lächeln auf die Maßnahmen-Liste.

Dann gehe ich mich umziehen und drehe meine Joggingrunde über die Insel, gefolgt von einer Einheit Krafttraining und einer ausgiebigen Dusche. Kaum sitze ich wieder in meinem Büro, schreibe ich Maria eine Nachricht. Abendessen im Bistro Nordin, Stenungsund, morgen um 19 Uhr? Ihre Antwort kommt Sekunden später: Abgemacht. Mit oder ohne Unterwäsche? Als würde mich so etwas heißmachen. Ich schüttele verächtlich den Kopf. Aber meinetwegen. Überrasch mich , antworte ich ihr.

Da kommt Hampus keuchend angerannt und legt mir einen Zettel auf den Tisch.

»Das hier ist dein Benutzername und dein Passwort für eine geschlossene Gruppe, in der Hilmer Blomberg Mitglied ist«, sagt er. »Und dies hier«, er reicht mir einen Ordner, »sind interessante Informationen, die ich ausgedruckt habe. Das will ich nicht mailen, lieber alles offline lassen. Und gut aufheben, dieser Typ ist lebensgefährlich.«

Ich mache mich sofort daran, den Inhalt des Ordners durchzublättern. Es sind Auszüge aus Krankenakten, ein paar Polizeiprotokolle und psychologische Gutachten über Hilmer. Wie Hampus an diese Unterlagen gekommen ist, möchte ich gar nicht wissen.

Summa summarum hat Hilmer ein ernstzunehmendes Aggressionsproblem. Er ist zweimal wegen Körperverletzung angezeigt worden, und in einem der Gutachten seines Psychotherapeuten steht, dass er nach eigener Aussage manchmal so wütend wird, dass er am liebsten mit der Faust die Fensterscheibe einschlagen und so oft mit der Stirn gegen die Wand rennen würde, bis er ohnmächtig wird. Himmelherrgott! Und ich dachte immer, ich hätte Probleme mit meiner Impulskontrolle. Dieser Hilmer ist ein gewalttätiger und gewaltbereiter Mann.

»Ich möchte, dass du im Netz eine anonyme Hatergruppe gegen ihn gründest, Hampus«, sage ich. »Und dann werft ihr ihm Umweltzerstörung, Körperverletzung und Pädophilie vor.«

»Pädophilie? Ist er an irgendetwas beteiligt gewesen? Ich hab nichts gefunden«, fragt Hampus überrascht.

»Keine Ahnung, aber das ist schließlich nicht unwahrscheinlich. Du siehst doch, was für ein Typ von Mensch der ist. Du kannst ja schreiben, dass du Gerüchte gehört hast. Lade als Erstes die Leute ein, die in Henån wohnen. So wie er. Das wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Und melde dich, wenn du interessante Hinweise bekommst.«

Hampus nickt begeistert und stürmt aus meinem Büro.

Ich logge mich in die geschlossene Gruppe ein, es ist ein Forum der Ursprungsevangelisten. Die kenne ich nur zu gut. Idioten, die der Ansicht sind, dass ihnen die Schöpfungsgeschichte in der Bibel einen Freifahrtschein gibt, sich wie Schweine aufzuführen. Hilmer hat eine eigene Seite in dem Forum. Die schmückt ein Familienfoto mit den Namen seiner sieben Kinder: Noa, Set, Adam, Ever, Abraham, Ismael und Silla. Das ist so albern, dass ich laut lachen muss. Die Namen stammen alle aus dem Ersten Buch Mose. Am meisten tun mir Ever und Ismael leid. Die armen Teufel.

Als ich aber Hilmers jüngsten Post lese, bleibt mir das Lachen im Hals stecken. Er hat ein Foto von der Heide auf Dimö hochgeladen und einen Text dazu geschrieben. Ich habe gerade mein Gebot für dieses Stückchen Erde abgegeben. Es soll eine Art Zufluchtsort werden, an dem unsere Hochzeiten, Taufen und Andachten stattfinden sollen. Der Boden ist heilig und grenzt direkt an das Versteck des Sektenmannes an. Ein Bonus! Vielleicht gelingt es uns, diesen Abschaum für immer von der Insel Dimö zu vertreiben.

Er hat eine Skizze von einem unglaublich hässlichen Gebäude hinzugefügt, das die Schönheit der Heide für alle Zeit zerstören würde. Aber das Allerschlimmste: Auf den Bauzeichnungen ist ein Pool zu sehen! Das zeigt doch am besten, wie krank dieser Mann ist. Während ich vor Wut schäume, entwickelt sich schon ein Plan in mir.

Ich tippe seinen Namen in die Suchmaske ein, und sofort taucht ein Link zu einer Videoplattform auf, wo man seine Vorlesungen ansehen kann. Tausende haben diesen Link bereits angeklickt. Trotz seines widerlichen Äußeren ist er zugegebenermaßen ein besonders guter Redner. Seine kraftvolle Stimme lässt einen sofort an Moses’ Bergpredigt denken. Er hält konstant Augenkontakt mit den Zuhörern und drückt sich gewählt aus. Man ist schnell dabei, kleinere religiöse Gemeinschaften als Idioten abzutun, die nur in ihrem eigenen winzigen Kosmos Macht besitzen. Aber Hilmer hat nicht wenige Anhänger. Ich lese die Kommentare, die hauptsächlich von frustrierten und verbitterten Einzelgängern und Widerlingen verfasst wurden. Einige davon kenne ich sogar, denn sie haben mich früher mal unterstützt. Mir waren religiöse Bewegungen, die meine Anhänger abwerben, schon immer ein Dorn im Auge. In mir brodelt es, das ist der Vorbote eines bevorstehenden Vulkanausbruchs.

Ich springe auf, der Stuhl stürzt mit lautem Poltern zu Boden. Ich ermahne mich selbst, mich zu beruhigen. Mich zu konzentrieren. Nichts zu überstürzen. Aber es gibt keine logischen und vernünftigen Handlungen, mit denen man diese untragbare Situation aus dem Weg schaffen könnte.

Der Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass ich die Morgenfähre noch erreichen kann, wenn ich mich beeile. Ich schnappe mir mein Handy und schicke Maria mein Gebot. Eine astronomische, vollkommen unangemessene Summe, die ich niemals auf einen Schlag bezahlen könnte. Von Bieter #2 , schreibe ich dazu. Dann rufe ich die Firmennummer von Hilmer Blomberg an, die Maria mir gegeben hat. Die Frau am Empfang hat eine sehr junge Stimme. Ich verstelle meine und erzähle ihr, dass ich eine Lieferung für Hilmer Blomberg hätte, die er persönlich quittieren muss. Wie lang er denn im Haus sein wird? Die Empfangsdame teilt mir mit, dass er gegen vier Uhr die Firma verlassen wird. Ich ziehe meinen Mantel an und stecke mir ein Paar Lederhandschuhe in die Tasche. Die sind für mein Vorhaben unerlässlich.

Die Überfahrt ans Festland verbringe ich im Wagen. Mein Kopf dröhnt, es rauscht in meinen Ohren. Und mein kleiner Finger zittert unheilverkündend. Das tut er nur, wenn ich außer mir bin. Ich weiß, ich bin jetzt so von Hass erfüllt, dass ich nicht klar denken kann. Das ist zwar unangenehm, aber es hat auch etwas Befreiendes. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich mich so gefühlt habe. Unaufhaltbar. Kompromisslos. Keine Spur mehr von Milde und Nachgiebigkeit.

Auf der Fahrt nach Stenungsund bin ich von meiner unerbittlichen inneren Stimme derart abgelenkt, dass ich fast mit einem LKW zusammengeprallt wäre. Um mich wieder zu beruhigen, halte ich an und esse eine Kleinigkeit zum Mittagessen. Im Kopf gehe ich meinen Plan durch. Mein Timing ist ungeheuer wichtig. Nachdem ich mein Vorhaben durchgeführt habe, muss ich sofort zurück und die Nachmittagsfähre bekommen. Ich darf nicht zu lange auf dem Festland bleiben. Nach dem Essen bezahle ich und gebe ein besonders großzügiges Trinkgeld. Es ist immer gut, eine Zeugin zu haben, die bestätigen kann, dass ich bester Laune war. Mein nächster Halt ist mein Schneider, bei dem ich ein paar Anzüge für den Frühling bestelle. Es ist auch wichtig, dass ich einen richtigen Termin in der Stadt hatte.

Hilmer Blombergs Büro liegt am Stadtrand von Stenungsund. Er ist Chef einer Zellstofffabrik, einer der schmutzigsten und umweltschädlichsten Anlagen, die es gibt. Allerdings ist das nur eins seiner Unternehmen, ihm gehören noch weitere überall in Schweden, alle sind gleichermaßen Dreckschleudern. Bevor ich aus dem Wagen steige, ziehe ich meine Handschuhe an. Der Eingang des Hauptgebäudes ist videoüberwacht, ich kann nur hoffen, dass sein Büro das nicht ist.

Der jungen, hübschen Empfangsdame schenke ich mein umwerfendes Lächeln.

»Was kann ich für Sie tun?«, fragt sie mich verwirrt.

»Ist Hilmer heute im Haus?«

»Ja. Aber haben Sie einen Termin?«

»Den brauche ich nicht. Wir sind alte Freunde. Wo war sein Büro noch mal? Es ist eine ganze Weile her, dass ich ihn besucht habe.«

Ehe sie antworten kann, lehne ich mich über den Tresen und sauge genüsslich Luft durch die Nase ein.

»Hmmm, das ist ja ein himmlischer Duft. Chanel, oder?«

»Woher wissen Sie das?«, fragt sie überrascht.

»Ich habe es oft mit erstklassigen Frauen zu tun«, sage ich und zwinkere ihr zu.

»Oh, vielen Dank fürs Kompliment«, flüstert sie. »Es ist die erste Tür auf der linken Seite, im ersten Stock. Aber ich muss Sie ankündigen.«

»Machen Sie sich keine Mühe«, sage ich. »Das geht ganz schnell. Ich wollte ihm nur ein paar wichtige Informationen zukommen lassen. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Ich bin öfter in Stenungsund.«

Bevor sie etwas sagen kann, laufe ich schon die Treppe in den ersten Stock hoch. Auf der ersten Tür auf der linken Seite hängt ein Messingschild: Hilmer Blomberg, Vorstandsvorsitzender.

Ich stoße die Tür mit voller Wucht auf, sodass sie gegen die Wand knallt.

Hilmer Blomberg sitzt an seinem Schreibtisch und hebt überrascht den Blick. Er ist fettleibig und stark behaart, man muss unfreiwillig an ein Wildschwein denken.

»Der Sektenmann ist da«, sage ich.

Er ist sprachlos.

Ich suche mit den Augen die Wände nach Überwachungskameras ab, finde aber keine.

Hilmer erholt sich nur langsam von seinem Schock und begreift dann, dass sein schlimmster Albtraum vor ihm steht.

»Verlassen Sie augenblicklich mein Büro«, sagt er mit tiefer, knurrender Stimme.

»Das werde ich, aber erst, wenn ich getan habe, weshalb ich gekommen bin«, verspreche ich. »Sie werden auf Dimö kein einziges Haus bauen oder auch nur Ihre miese Visage auf meiner Insel spazieren führen.«

Mit wenigen Schritten bin ich an seinem Schreibtisch, der aus einer Glasplatte besteht, was mir sehr entgegenkommt. Er will aufstehen, aber ich bin schneller, packe seinen Hinterkopf mit beiden Händen und schlage sein Gesicht mit voller Wucht auf die Platte.

Das knirschende Geräusch, als sein Nasenbein bricht, ist Musik in meinen Ohren.