SCRATCHEN IM KINDERZIMMER – MUSIKALISCHE ANFÄNGE
Diese Polizei-Sache war in meiner Jugend wirklich ein ziemlich großes Thema für mich. Aber zum Glück fand ich, als dieser ganze Kontrollmist so richtig losging, etwas, was mich ablenkte und worin ich meine ganze Wut und mein Abgefucke über die Welt loswerden konnte: den Hip-Hop.
Ich fing schon früh an, mich für Musik zu interessieren, und war natürlich musikalisch vielgleisig unterwegs. Ich fuhr Skateboard und hörte Punk, aber eben auch Rapmusik. Meine Mutter kannte viele DJs aus München und brachte mir ab und zu ein paar Platten mit. Sie war einfach immer schon ziemlich cool. Ich hatte mit 13 mal einen Raptext auf Englisch geschrieben und bei dem großen Bruder eines Schulfreundes, der eine Tontechnikerschule besuchte, in Vilshofen aufgenommen. Das Ergebnis klang so, wie man sich das vorstellt, wenn man für eine Aufnahme nach Vilshofen fährt: eher mittelprächtig. Ich rappte auf Englisch und verstand das meiste nicht einmal selbst. Bei World of Music in München kaufte ich mir nach meinen ganz »netten« Versuchen zu rappen die Paris-Platte »Sleeping with the Enemy«. Ich legte die Nadel auf das Vinyl in meinem Kinderzimmer und war hin und weg. Ich starrte das drehende Vinyl an und fühlte, wie sich der Sound im Raum ausbreitete. Mich riss die Schärfe mit. Schnelle Beats, superpolitische Texte und sogar noch heftiger gegen das Establishment gerichtet, als die Texte von Public Enemy. Wow. Ich war verliebt und nickte zum Beat. Ich glaube, ich hörte an diesem Abend die Platte bis nachts um drei immer wieder und kam auf diese Scratches nicht klar. Scratches, um das vielleicht kurz zu erklären, sind Töne, die ein DJ einer Schallplatte entlocken kann, wenn er sie vor und rückwärts bewegt. Ich hatte davor schon viele gehört, aber bei diesen schnellen Beats so exakt und tight zu scratchen, sodass es sich dem Rap und dem Beat perfekt anpasste, das war einfach unglaublich. Als ich schlafen ging, war ich tierisch aufgeregt. Ich erzählte meinem Kumpel Sebastian, genannt Bowdee, am nächsten Tag von der Platte und den Scratches, und er war genauso begeistert wie ich. Paris brachte mich zum Rappen. Wir nerdeten den ganzen Tag in der Schule ziemlich ab, und als ich wieder nach Hause kam, warf ich meinen Schulranzen in die Ecke meines Kinderzimmers und hatte eine Idee. Ich wusste, dass wir im Keller noch einen alten Technics-Plattenspieler hatten, und meine Mutter besaß eine hochwertige Fischer-Anlage. Ich schleppte den alten Plattenspieler nach oben und bediente mich an alten Paulchen-Panther- und Pumuckl-Platten, die in einer Kiste in meinem Zimmer lagerten. Das waren meine ersten Scratching-Versuche. Remixe von Paulchen Panther und Pumuckl. Ich besaß kein Mischpult, sondern nur zwei Plattenspieler, und der Scratching-Effekt war relativ ereignislos. Ich fragte mich, wie DJ Magic Mike so schnell scratchen konnte, und leider konnte ich auch niemanden aus meiner Umgebung fragen. Zu der Zeit kannte ich keine DJs, und damals gab es kein Google. Einige Tage später war ich mal wieder bei Bowdee, und wir sahen den Film »Juice« von 1992, in dem auch Tupac mitspielt. Einer der Darsteller beatboxt, der andere ist DJ, und der große Traum des DJs ist es, bei einem DJ-Battle mitzumachen, worauf er sich vorbereitet. Also arbeitet er an seinem Tape, und die Scratches im Film klingen original wie die Scratches von DJ Magic Mike. Sein Geheimnis: ein Mischpult. Ich sprang also von der Couch auf, zeigte auf den Fernseher und rief zu Bowdee: »Alter! Ich brauch dieses Mischpult! Das ist es! Dann kann ich besser scratchen!«
In den nächsten Tagen fuhr ich wieder nach München zum Conrad, einen Elektroladen, den es heute da immer noch gibt. Dort sah ich ihn, einen Zweikanalmischer für relativ wenig Geld. 100 Mark kostete der Gemini-Scratchmaster, und dieses Teil zu besitzen war der größte Traum, den ich mit 13 Jahren hatte. Ich saß in meinem Zimmer, zertrümmerte mein Sparschwein und arbeitete im Sommer mit Bowdee auf dem Bauhof. Wenn mir meine Mutter etwas Geld für ein Pausenbrot (oder eben Würstl) mitgab, stand ich mit knurrendem Magen auf dem Pausenhof und fütterte mich mit der Hoffnung, bald den Geminini-Scratchmaster zu besitzen.
Als ich das Ding endlich mein Eigen nannte, war ich zunächst enttäuscht, weil die Scratches immer noch nicht schnell genug waren. Jemand riet mir, den Crossfader zu ölen, also nahm ich Walnussöl aus der Küche und bekleckerte mein halbes Kinderzimmer damit. Aber immerhin liefen die Scratches jetzt flüssiger und schneller. Ich baute mir aus einem Plastikteil noch ein Fader-Deckelchen, um die Übergänge noch schneller hinzukriegen. Dann trat ich aus meinem Zimmer heraus und betrachtete mein kleines Scratching-Studio. Ich hatte es geschafft. Von diesem Tag an war jeder Tag – zumindest von außen betrachtet – relativ gleich. Ich kam nach Hause, setzte meine Kopfhörer auf und scratchte. Meine Paulchen-Panther- und Pumuckl-Scratches nahm ich auf meinem Discman auf und schlug mir so die Nächte um die Ohren. Ich glaube, meine Mutter fand das nicht so prickelnd, aber immerhin war ich zu Hause und vergnügte mich mit »BUM BUM BUM« wie sie das nannte, und lungerte (noch!) nicht auf der Straße herum. Irgendwann kaufte ich mir Slip Mats, mit denen die Platten besser rutschten und die Scratches noch schneller klangen.
Meinen ersten Auftritt ergatterte ich, als ich 16 war. Bei uns am Ostbahnhof, der damals Kunstpark Ost hieß, gab es günstige Quartiere für junge Kreative. Steve und Vince waren zwei ältere Jungs aus München, die dort einen Laden aufgemacht hatten, in dem ein paar Dosen zum Sprühen herumstanden und eben ein paar Plattenkisten. Außerdem waren die Jungs Teil der ABC-Crew in München und nahmen, genau wie Bowdee und ich, dieses Hip-Hop-Ding sehr ernst. Für viele andere aus meinem Umfeld war das eher so eine Spaß-Geschichte, aber wir haben das wirklich ernsthaft abgefeiert. Ich spürte schon bei meinem ersten Scratchen mit Paulchen-Panther-Vinylplatten, das hier eine große Liebe zu reifen begann. Das klingt vielleicht pathetisch, aber bis dahin hatte ich nicht so wirklich viel gehabt, was mich ausmachte. Ich war ein kleiner Sonderling und konnte mich mit Rap identifizieren. Das ging auch über dieses Scratchen hinaus. Ich hörte die Songs und spürte: Das ist meine Geschichte. Das sind meine Themen. Beispielsweise bei Public Enemy. Das war einfach krass, dieses Black-Power-Ding: »Fight the Power.« Und da dachte ich mir: Ja, Mann! Genau das! Durch Rap begriff ich: Schwarz zu sein ist ein Struggle, das ist ein Kämpfen um Anerkennung. In der Zeit, in der ich großgeworden bin, gab es dieses Movement von KRS-One, Paris und eben Public Enemy. KRS-One beispielsweise ist die Abkürzung für »Knowledge Reigns Supreme Over Nearly Everyone«. Im übertragenem Sinne: Über Wissen kannst du fast alles erreichen und kannst dich nicht im negativen Sinne über andere stellen. Das Wissen ist wichtiger als jeder Mensch. Das war sehr hilfreich und hat mir wieder einmal gezeigt, dass Lernen auch etwas Positives sein kann. Ich betrat jedenfalls den Laden der Jungs und sah mich nach neuen Platten um. Die beiden kannten mich, und ich kannte sie, die Szene von Leuten, die damals scratchten, breakten, rappten oder sprayten, also irgendetwas taten, was mit Hip-Hop zu tun hatte, war relativ überschaubar. Außerdem behandelten uns die beiden nicht wie irgendwelche Dorfkinder, sondern nahmen uns und unsere Skills ernst. Ich stand also in diesem Laden herum und wühlte mich nichtsahnend durch die Kiste, als Steve auf mich zukam und mir die Hand gab. »Yo, David, wir haben da demnächst so eine Ausstellung mit unserer Crew in München.« Ich spürte meinen Herzschlag ansteigen, umständlich fuhr ich mir durch die Dreads, um meine Nervosität irgendwo abzulegen. Wenn ich mich recht entsinne, war ich an diesem Tag etwas bekifft, versuchte aber, ganz nüchtern rüberzukommen. Bloß nicht desinteressiert wirken, aber auch keine Luftsprünge machen. »Ach echt … cool, cool …«, sagte ich und sah ihn an. »Ja, schon. Willst du vielleicht auflegen, so warm-up-mäßig?«, fragte Steve. Meine Augen glühten. Ich konnte mein Glück kaum fassen und sagte etwas zu schnell und zu begeistert »Klar, Mann!! Voll gern.« – »Cool. Dann sehen wir uns dann da ne?«
Steve verschwand, und ich wühlte noch einige Minuten durch die Plattenkisten, ohne sie weiter zu beachten. Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Vor dem Auftritt steigerten Bowdee und ich uns noch mehr rein. Es war wirklich eine ziemlich nerdige Zeit. Ich hatte einen Plattenspieler, mit dem man einigermaßen gut scratchen konnte, und er hatte einen ziemlich miesen Riemenantrieb-Plattenspieler. Aber, und das war schon etwas Besonderes, er konnte damit die Beats aneinander anpassen und Übergänge machen. Bowdee mischte also immer Tapes mit Übergängen, und meine Tapes waren voller Scratches. Wir trafen uns morgens immer etwas früher am Bahnhof, weil er ja aus Kirchheim kam, und wir verbrachten den kompletten Schulweg damit, gegenseitig unsere Tapes anzuhören und uns dafür abzufeiern. Das muss von außen schon ziemlich lustig ausgesehen haben. Ein schwarzer Junge mit Dreads und Hip-Hop-Klamotten und ein weißer recht anständiger aussehender Junge, die sich abwechselnd ihre Discmen hin- und herreichen und wie die Wahnsinnigen mit dem Kopf wackeln.
Der Auftritt war ein absolutes Highlight. Ich war 16 Jahre alt und stand mitten in München vor bestimmt 40 Zuschauern und scratchte. Vor mir standen zwei Plattenspieler, und ich hatte noch nie einen Übergang gemacht, das war ja Bowdees Ding. Allerdings waren meine Scratches so gut oder ich nahm in meinem jugendlichen Eifer an, dass sie so gut waren, dass das keinem Zuschauer so richtig auffiel. Zumindest ging ich davon aus und war stolz wie nie zuvor, als ich von meinem DJ-Pult sah, wie die Leute sich bewegten und ihre Köpfe nickten – dass ich nicht mal auf dem Flyer für die Veranstaltung stand, war halb so wild und mir zu dem Zeitpunkt, in dem ich spürte, dass meine Scratches etwas in den Menschen auslösten, nicht mehr so wichtig.
Ich kaufte mir einen zweiten Plattenspieler und war viel mit Bowdee unterwegs. Wir fuhren durch halb Bayern auf Hip-Hop-Jams, einfach nur, um umsonst aufzulegen. Wir wurden ein regelrechtes Tag-Team.
Irgendwann waren wir in Kirchheim bei einer Jugendzentrumsparty. Dort lernten wir Boris kennen, von dem wir schon einiges gehört hatten. Zu der Zeit kursierte ein Mixtape von ihm, in dem er eine komplette Stunde lang Songs vom Wu-Tang Clan durchmixte. Das war eine unvorstellbare Dimension für uns und damals schon legendär. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, wie er das angestellt hatte. Irgendwann begann die Jamsession, wo jeder, der Lust hatte, sein Equipment auspackte und zeigen konnte, was er draufhatte. Bowdee holte seine besten Übergänge raus, und ich versuchte, mit meinen Scratches zu brillieren. Als Boris dann dran war, merkten wir, wie weit er uns voraus war. Er hatte Platten von Gerhard Polt mit Stickern abgeklebt, damit die Nadel beim Abspielen zurückfuhr und die einzelnen Teile sich wiederholten. Er hatte also einen künstlichen Plattenkratzer an der Stelle erzeugt, wo er es wollte, und auf der linken Platte einen Sample im Loop laufen lassen – und auf der rechten Platte einen Beat reingecuttet. Bowdee und ich sahen uns an und verstanden die Welt nicht mehr. Im Hintergrund tanzten auch ein paar süße Mädels, aber das war uns alles egal. Wir starrten Boris an und waren echt überfordert. Etwas später standen wir dann mit ihm draußen, als er aus dem Nichts zu uns sagte: »Hey, Jungs, ihr seid echt gut. Wir sollten eine DJ-Crew machen.«
WIR WERDEN JETZT STARS – BMG-MAJOR-DEAL VOR DEM ABITUR
Retroperspektivisch gesehen war das der Startpunkt. Ich machte weiter mit dem Rappen, aber dieses DJ-Crew-Ding war wirklich etwas, was ich ernst nahm und wofür ich natürlich auch die Schule vernachlässigte. Glücklicherweise zog Bowdee von Kirchheim nach Neufinsing, was näher an Markt Schwaben ist – optimal für einen Teenager, der einfach nichts anderes machen wollten als Musik. Wir trafen uns bei ihm im Keller, kifften und ließen uns in der Musik und in unserer DJ-Crew fallen. Boris war ein bisschen älter als wir und erfüllte so die Vater-Funktion in unserer Crew. Er spielte zwar kein Instrument, hatte aber ein unfassbares Verständnis für Musik. Dadurch, dass wir wirklich nächtelang in diesem Keller in Neufinsing abhingen und unsere Außenwelt komplett vergaßen, wurden wir wirklich richtig gut. Auf einmal ging alles ziemlich schnell. Da es damals ja weder YouTube noch SoundCloud oder Spotify gab, wir also wirklich keine Möglichkeiten hatten, unsere Musik digital zu veröffentlichen, fuhren wir wie die Wahnsinnigen auf Jams und hatten auf einmal mehr mit den Münchener Leuten zu tun. Dort gab es einen DJ, den ich ziemlich hart abfeierte: DJ Explizit von der Rap-Crew Main Concept aus München.
Nebenan im Eckhaus wohnte Daniel, der die FOS am Ostbahnhof besuchte. Irgendwann, als Daniel mitkriegte, dass wir dieses Rap-Ding wirklich ernsthaft betreiben wollten, erzählte er mir, dass es bei ihm »auch so einen Rapper« in der Klasse gebe. »Irgendwie Explizit oder so.« Ich konnte es nicht glauben. »Ne, Mann, DJ Explizit ist niemals bei dir in der Klasse!« War er aber. Daniel gab mir das Mixtape »Plan 58« von Main Concept mit, und ich feierte es ziemlich ab.
Auf einer Jam traf ich Explizit dann auch persönlich, der von seiner Crew, einem gewissen Raptile und einem David Pe, erzählte und der fragte, ob ich nicht für Raptile auflegen könnte, der würde eh gerade einen DJ suchen. Das war im Jahr 2000, also kurz vor dem Abi, und es war der Wahnsinn. Ich fuhr dann zu einer Studiosession und wollte Raptile eigentlich nur kennenlernen, aber als wir aufeinandertrafen, nahmen wir direkt unsere erste Maxi-CD auf mit Scratches und allem Drum und Dran. Von da an waren wir zu dritt. Markus aka Glammerlicious, der Beat-Produzent von Main Concept, Addis aka Raptile und ich, der sich den Namen Roger Rekless gab. Mit unserer Maxi sprach Addis bei BMG vor, und wir bekamen quasi über Nacht einen Majordeal bei BMG, während ich noch in der Schule war.
Das krempelte mein Leben kurzzeitig um. Es fing an mit einfachen Sachen. Ich brauchte jetzt ein Handy, um erreichbar zu sein. Das klingt jetzt erst mal nicht nach einer unlösbaren und lebensverändernden Maßnahme, aber im Jahr 2000 war ein Handy schon eine riesige Sache. Ich trug also in der Schule eine kleine Telefonzelle mit mir rum, ich glaube, es war ein Nokia 3210, eines dieser grauen Handys, auf denen immerhin Snake lief. Die anderen Oberstufenschüler verarschten mich natürlich und stellten mich als Mr. Oberwichtig dar. Ich machte ihnen aber klar, dass ich dieses Handy wirklich brauchte, ich musste für meine Band einfach erreichbar sein. Was natürlich ganz schön nach Mr. Oberwichtig klang. Fühlte sich aber trotzdem ziemlich cool an, auf dem Pausenhof sagen zu können. »Ich brauche das Handy, falls BMG irgendwas von uns will.«
Im selben Jahr startete dann auch unsere erste Tour, kurz vor dem Abi. Ich wusste nicht genau, wie ich das jetzt lösen sollte, Raptile meinte zu mir sinngemäß: »Vergiss mal die Schule, du bist jetzt Musiker, wir werden Rap-Stars!« Aber ich hatte da keine Lust drauf. Ich hatte mich jetzt acht Jahre durch die Schule gequält, die ganzen Demütigungen und nervigen kleinen Sticheleien ertragen, das wollte ich nicht alles so kurz vor dem Ende hinschmeißen nur für einen Traum, von dem ich nicht mal genau wusste, wie dieser eigentlich ausgehen würde. Ich wählte den direktesten Weg und klopfte einfach kurz vor der Tour an die Tür unseres damaligen Direktors. Der kam mir natürlich erst einmal mit diesen klassischen Lehrer-Argumenten, alles andere wäre ja aber auch irgendwie seltsam gewesen. Er sagte, dass das natürlich auf gar keinen Fall gehe, und warf mir alle Argumente entgegen, warum man während einer wichtigen Prüfungsphase auf keinen Fall fehlen sollte. Ich saß ihm gegenüber und tat mich schwer damit, nicht die Augen zu verdrehen. Der Mann hatte ja recht, aber vor ihm saß ein 19-jähriger Typ, der jahrelang mit sich und Markt Schwaben gestruggelt und jetzt einfach mal eine Tour am Start hatte. Als DJ! Genau im richtigen Moment, als ich schon dachte, der Direktor würde mir tatsächlich, obwohl ich so offen und ehrlich direkt zu ihm gekommen war, die Tour absprechen, wendete sich das Blatt und er gestand: »Aber natürlich möchte ich den kreativen Ergüssen meiner Schüler nicht im Weg stehen.«
Ich lächelte ihn breit an und war kurz davor, ihm ein High-Five zu geben. Ich glaube, noch nie in der Geschichte dieser Schule ist ein Schüler glücklicher aus dem Büro des Direktors gekommen als an diesem Tag. Ich durfte mit auf Tour.
Das einzige Manko an der Sache war, dass ich zu jeder Klausur da sein musste. Es gab also ein paar Termine, wo ich kurz heimfahren und dann wieder los musste. Das waren die wildesten drei Wochen, die ich damals erlebt habe. Wir spielten in der Columbia Halle in Berlin bei einer riesigen Veranstaltung, und nach der Show musste ich den Nachtzug nach München und weiter den Regionalexpress nach Markt Schwaben nehmen, um pünktlich um acht Uhr morgens zu meiner Abi-Geschichtsklausur zu erscheinen. Vollkommen irre. Und dann stehst du da, nachdem du vor 5000 Leuten aufgetreten bist, mit deinem Manager am Berliner Hauptbahnhof, der dir noch ein bisschen Gras für die Fahrt in die Hand drückt. Ich hatte mein eigenes Abteil, kiffte nachts aus dem Fenster raus und feierte mein verrücktes Leben. Mein Kumpel Floppy holte mich morgens um sieben Uhr mit seinem Auto vom Markt Schwabener Bahnhof ab. Meine roten Augen sprachen Bände, und die Klausur lief auch nicht wirklich gut. Danach fuhr ich kurz nach Hause, duschte und dann ging es schon weiter zum nächsten Gig. Das war einfach der Wahnsinn. Meine nächste Klausur war Physik, und da wir gerade mit Blumentopf auf Tour waren, lernte ich mit Bernhard »Wunder« Wunderlich im Tourbus. Der hatte ein Summacum-laude-Abi, und während die anderen nachts loszogen, Cocktails tranken und feierten, saß ich mit ihm hinten und löste irgendwelche Vektor-Gleichungen. Living the Rockstar-Life!
Kurz nach unserer großen Tour und unserem Album hatten wir einige Auftritte in Amerika und Kanada. Hier trafen wir Mathematic, einen Rapper, den ich extrem feierte. Wir nahmen einen Track mit ihm auf, und ich bin heute noch von dieser ganzen Aktion unfassbar begeistert, weil das genau mein Verständnis von Hip-Hop war. Zusammenhängen und einfach machen! Mathematic nahm seinen geschriebenen Text mit in die Boof und brauchte einen einzigen Take für die Aufnahme. One-Take-Wonder-Shit! Ein paar Audiokorrekturen, und fertig war das Ding. Wir waren alle unfassbar geflasht, mit welcher Leichtigkeit diesem Rapper alles von der Hand ging. Nach ihm ging Raptile in die Boof, und es dauerte Stunden. Er war es eben auch gewohnt, die Audiospur zigmal zu doppeln und stand nach Mathematics Vorlage ziemlich unter Druck. Hier spürte ich zum ersten Mal, dass das alles nicht unbedingt nur Spaß und Liebe war. Die Stimmung im Studio war angespannt, wir saßen alle auf dieser braunen Ledercouch herum, und die lockere Atmosphäre kippte, als klar wurde, dass Addis etwas länger brauchte. Manchmal, in einsamen Momenten, habe ich Flashbacks an diesen Tag. Dann sehe ich Raptile da allein stehen, die Luft im Studio scheint zu knistern, und ich realisiere nach meinem Höhenflug, zu dem der Major-Deal vor dem Abi mich verleitet hat, dass diese Musikwelt nicht nur eine kreative Spielwiese ist, sondern ab einem gewissen Punkt eben auch andere Dinge einen Einfluss nehmen.
Eine Sache, die ich bis heute ziemlich gut kann und hier noch kurz einschieben will, ist das Freestylen. Das Freestylen hatte ich mit Freunden einfach aus Spaß in der Schulzeit angefangen, es wurde aber im Lauf der Jahre immer mehr Teil meiner musikalischen und künstlerischen Persönlichkeit. Als ich mit 13 oder 14 Jahren damit loslegte, war das wirklich mehr ein Herumblödeln, und wir waren auch echt nicht sonderlich gut. Die meisten Freestyle-Sessions starteten – wie so viel in meiner Karriere – in meinem Kinderzimmer. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ein Schulfreund, Marcel, bei einer damaligen, wenn man es so nennen kann, »Session«, die Überline droppte:
Und ich flieg an dir vorbei//
TSCHÜÜÜÜ/ Wie ein Pfeil.
Wie sick war der denn? Er hatte einfach mal das Geräusch eines Pfeils imitiert und mit in seinem Reim aufgenommen. Für damalige Verhältnisse war das wirklich schon gut. Dachten wir zumindest.
Nach einigen Jahren Übung wurde ich aber wirklich ziemlich gut im Freestylen, es machte einfach Spaß zu improvisieren und quasi wie aus dem Nichts Reime zu finden. Später erkannte mein Manager mein Freestyle-Talent und auch meine Rapskills und sagte zu mir, wenn ich mal etwas Rapmäßiges allein starten wolle, würde er mich sofort signen. Ich entschied mich aber, auch aufgrund der vergangenen Erfahrungen in Kanada, dass ich dieses Hip-Hop-Ding als DJ ziemlich cool fand, weil das meine Kunst und irgendwo auch mein Handwerk war. Aber das, was ich schrieb, war immer meins, das war Spaß, und das sollte es bleiben. Ich hatte keine Lust, das auf den Prüfstand zu stellen, dafür waren mir meine Texte zu intim, und ich wollte dafür nicht von einem Plattenboss bewertet werden.
Der Major-Deal war natürlich super und auf »Da Basilisk’s Eye« bin ich heute noch sehr stolz, aber irgendwie hatte ich auch Lust, Dinge zu veröffentlichen, die irgendwie mehr mein Zeug waren, losgelöst von dem Gedanken, dass es sich unbedingt verkaufen musste. Also gründete ich parallel mit DJ Chrome, DJ Stream, Bowdee, HR Minute und Tom Peschel ein Independent Label. Wir wollten auf diesem Label nur Vinyl machen, einfach, um uns selbst künstlerisch komplette Freiheit zu lassen. Hinzu kam, dass mir die Demos für unser zweites BMG-Album nicht gefielen. Also wirklich überhaupt nicht. Wir waren uns uneinig über die musikalische Richtung, die wir einschlagen wollten. Ich konnte das zweite Album nicht mehr machen, wenn es sich so anhören sollte. Also verließ ich BMG, als ich 21 Jahre alt war, es im Prinzip also gerade erst losging. Ich hatte diesen Schritt mit meiner Mutter besprochen, und sie hatte mir dazu geraten, zu tun, was ich für richtig hielt.
Bis heute arbeite ich ausschließlich an Projekten, die mir gefallen. Ich liebe es, mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten und mich musikalisch komplett zu entfalten. In der Musik gibt es für mich keine Grenzen, ich liebe harte Gitarren und dröhnende Beats, aber auch den Freestyle und den Bass. In meiner Radiosendung kann ich mein Musikwissen einbauen und Künstler featuren, die ich selbst neu entdeckt habe. Heute bin ich froh, nicht einfach eine straighte Musikerkarriere durchgezogen zu haben, um irgendwann dann als verbrannter Popkünstler zu enden. Der Bruch mit BMG war wichtig für mich, denn ich spürte, dass ich am besten dann funktioniere, wenn ich von einer Sache überzeugt bin. Außerdem kann ich nicht nur einfach Musiker sein und Album nach Album raushauen. Ich bin an so vielen verschiedenem Zeug interessiert, dass ich mich gar nicht so lange vertraglich an einer Sache binden will. Wenn ich heute Lust habe, mit befreundeten Musikern an einer Jazz-Platte mitzuarbeiten, dann mache ich das einfach. Wenn ich mir nebenbei noch überlege, einen Hypnose-Kurs zu belegen, einfach weil mich das wahnsinnig interessiert, dann mache ich das. Ich will neugierig bleiben. Und Dinge tun. Und irgendwann wurde diese Einstellung zu meinem Motto.
Rekless tut Dinge.
Bis heute.
GASTBEITRAG VON CHEFKET, RAPPER UND SÄNGER: DU PUSSY!
Es gibt so viele Geschichten. Welche soll ich euch erzählen? Bestimmt habt ihr schon mal eine ähnliche gehört. Und ich will nichts erzählen, was ihr schon kennt. Ich will ja, dass ihr eure Augen und – wenn es geht – vielleicht auch eure Herzen öffnet. Als Rekless mich gefragt hat, wusste ich, dass es schwer wird, sich für eine Geschichte zu entscheiden. Deshalb schreibe ich jetzt darüber, wie schwer es ist, über Rassismus zu schreiben, ohne diese Opferrolle einzunehmen – obwohl ich auch kein Täter bin. Es ist anstrengend, jahrzehntelang davon zu erzählen, dass es für mich keine Gleichberechtigung gibt. Die Einzigen, die mich immer verstanden haben, waren Frauen. Weil sie auch nie genug sind. Sie werden auch diskriminiert und können sich leichter hineinversetzen als der weiße Mann mit all seinen Privilegien, die er nicht erkennt. Und wenn er sie erkennt, dann redet er voller Selbstmitleid mit anderen, weil er ja nichts ändern kann: »Jammer nicht rum, du Pussy! So ist die Welt nun mal.«
Warum will der Mann keine Pussy sein, obwohl er jeden Tag an sie denkt bzw. aus einer kommt und sich so verhält, als ob er dahin zurückwill? Wann ist ein Mann ein Mann? Oh, habt ihr den Themenwechsel bemerkt?
Wie schön es wäre, nicht immer über Rassismus schreiben zu müssen, damit diejenigen, die sowieso nicht zuhören, endlich interessiert zuhören. Und ich würde von denen, die selbst davon betroffen sind, nicht mehr erwarten müssen, sich mit mir zu solidarisieren, damit wir als Minderheit gemeinsam aufzeigen, was die Mehrheit missversteht. Rassismus. Dieses Scheißwort. Ich hasse es. Es müsste Hassismus heißen. Da weiß man wenigstens, worum es geht. Hass. Meine Eltern haben mir nur das Gegenteil von Hass mit auf den Weg gegeben. Vielleicht kann ich deshalb nicht damit umgehen.
Ich bin ein hoffnungsvoller Optimist. Irgendwann wird diese Gesellschaft gut gemischt sein. Wie die Karten eines Zauberers kurz vor seinem Trick. Die alten grauen Köpfe werden weg sein, und es wird keine einzelnen Nationalitäten mehr geben. Alle haben deutsche, türkische, kurdische, russische, arabische oder französische Wurzeln, und es geht nur noch darum, was du kannst.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Und was passiert eigentlich, wenn ich als Rapper über Rassismus spreche?
Dann wird das sofort als politische Musik bezeichnet. Ich habe nichts gegen diese Bezeichnung, aber ich erzähle nur Geschichten aus dem Leben. Das ist kein berechnetes Konstrukt, das ich mir ausdenke. Es ist real. Es zerfrisst mich, wenn ich es nicht aufschreibe. So habe ich ein wenig Kontrolle über meine Ohnmacht. Ich frage mich, wie es die Leute machen, die nicht schreiben. Vielleicht umgeben sie sich deshalb nur mit Gleichgesinnten und gehen nie aus ihrer Komfortzone. So kann man nicht so leicht verletzt werden. Da draußen herrscht Krieg, und nicht jeder hat sich eine Kampfausrüstung zugelegt wie ich. Manchmal sehe ich, wie jemand nackt und unbewaffnet in die Schlacht rennt. Er weiß, auch er wird es nicht schaffen. Aber er will unbedingt etwas unternehmen, während der weiße Alman aus der Mehrheitsgesellschaft denkt: »Jammer nicht rum, du Pussy! So ist die Welt nun mal!«
Musik hat meinen Status erhöht. Ich habe mich aus dem Underground nach oben gekämpft und bin nun dort, wo ich immer sein wollte. Nicht als Superstar, nein! Endlich auf Augenhöhe. Sodass niemand mehr auf mich herabblicken kann. Das reicht mir.
Aber auch in der Musikwelt gibt es mehr Rassismus, als ich dachte. Ich hatte mich mit einem Management-Team verabredet. Sie hatten meine Musik gehört und wollten mich unbedingt treffen. Bei Cappuccino und Schokocroissant sprach ich mit ihnen darüber, dass ich in meinen nächsten Videos nur POCs haben will. Sie dachten direkt, ich wolle damit die weiße deutsche Gesellschaft angreifen, und schlugen mir vor, in der jetzigen Zeit lieber kein Öl ins Feuer zu kippen.
Sie begriffen nicht, dass es eine Art Empowerment sein sollte für alle Minderheiten. Ich erklärte es noch mal und dachte, es wäre angekommen.
Am nächsten Tag riefen sie mich an und meinten, sie hätten nun doch keine Kapazitäten mehr. Obwohl sie ja mit mir arbeiten wollten. Ich habe nichts gesagt und aufgelegt.
Also, Leute. Das ist kein Angriff auf alle Deutschen. Sonst würde ich mich ja selbst angreifen. Es ist ein Einblick. Wie man sich fühlt, wenn man für diese Gesellschaft nie genug ist. Und wir sind jetzt in dem Alter, um darauf aufmerksam zu machen.
»Also jammer nicht rum, du Pussy! So ist die neue Welt nun mal!«