ALLTAGSRASSISMUS – ODER EINFACH NUR VORURTEILE?

In dieser Hip-Hop-Welt, zumindest zur damaligen Zeit, gab es erstaunlich wenig Rassismus. Viele meiner Hip-Hop-Kumpels hatten auch einen ausländischen Background, und dass ich schwarz war, war nicht unbedingt ein Thema. Ich habe Hip-Hop sowieso immer als großes Familiending verstanden. Im Hip-Hop ist es eigentlich egal, wer du bist und wo du herkommst, es geht darum, was du kannst. Entweder du kannst gut sprühen, breaken, auflegen, rappen oder eben alles zusammen. Es ging in meinem Verständnis von Hip-Hop immer nur darum, was man konnte, und nie darum, wie man aussah.

Es kam, nachdem ich mit BMG gebrochen hatte, mal vereinzelt zu seltsamen Aktionen, bei denen ich wieder gemerkt habe, dass ich anders aussehe als der weiße Durchschnittsbürger. Beispielsweise freestylte ich während einer Session mal in einem Klub in München. Natürlich auf Deutsch. Und zwar nicht nur fünf Minuten, sondern bestimmt eine halbe Stunde lang. Nach der Show kam eine junge hübsche Frau auf mich zu und sprach mich an.

Ich sehe die Situation heute noch genau vor mir, der Zerwik-Klub in München dampft, alle sind durchgeschwitzt und voller Endorphine, ich stehe mit meinen Kumpels lässig an der Bühne und schaue in das freudestrahlende Gesicht des Mädchens – und was passiert? Sie sagt zu mir: »Hey man, great show, Dude!« und klopft mir in dieser schrecklichen »Gut-gemacht«-Manier auf die Schulter. Ich schaue sie mit offenem Mund an und sage: »Servus, dank dir.« Sie nickt. Wahrscheinlich hatte sie mich in diesem großen, lauten Klub einfach nicht verstanden, denn sie sagte: »That was really good, I liked it. What’s your name?« Ich antworte: »David. Oida, was ist los?! Ich kann Deutsch!«

Das war jetzt nicht wirklich schlimm, ich bin nach dem Abend nicht nach Hause gegangen und habe in mein Kopfkissen geweint, aber das ist eben das Ding. Du stehst auf der Bühne in München, nahe deiner Heimatstadt. Du rappst auf Deutsch, und das Erste, was nach der Show passiert, ist, dass du auf eine Dimension beschränkt wirst, auf deine Hautfarbe, die in den Augen der jungen Frau unbedingt dafür spricht, dass du Ausländer, wahrscheinlich Amerikaner bist. Wie damals in der Schule, wo mir meine »amerikanische Identität« irgendwann ganz recht war. An diesem Abend war ich genervt. Das ist schwer vorstellbar, wenn man selbst nicht schwarz ist, und die junge Frau meinte es auch sicherlich gut mit mir, aber mich ärgerte es wirklich extrem. Ich kann meine Hautfarbe nicht wechseln wie ein Chamäleon, und wenn du es in deinen Kopf nicht reinkriegst, dass da ein schwarzer Typ auf der Bühne steht und auf Bayerisch rappt, ist das vor allem dein Denkfehler und nicht meiner.

Ich hatte bei Auftritten immer das Gefühl, was ich auf der Bühne machte, war vollkommen egal. Ich konnte den krassesten Freestyle raushauen, den ganzen Klub zerlegen und mich einfach mit meinen Skills beweisen. Aber nach solchen Erlebnissen wie an diesem Abend fühlte ich mich immer wie ein laufendes Klischee, im Sinne von: Na ja, das war schon ziemlich gut, ABER er ist ja auch schwarz, er muss das ja können. Genauso wie die Jungs von gegnerischen Basketballvereinen ganz natürlich annahmen, ich müsste besonders gedeckt werden, weil Schwarze ja immer sehr gut Basketball spielen, schließlich ist die gesamte NBA voller schwarzer Basketballspieler. Typen wie Dirk Nowitzki sind einfach eine ziemlich krasse Ausnahme. Andererseits: Würde ich jetzt in die USA fahren oder eben wie später auch mal in den Kongo, das Heimatland meines Vaters, wäre ich immer noch ein schlechter Basketballspieler, aber vor allem weder ein US-Amerikaner noch ein Kongolese. Ich bin und war immer Markt Schwabener, wie es auf meinem Unterarm-Tattoo zu sehen ist, und manchmal rappte ich eben auf Deutsch oder Bayerisch und übernahm also eine Kultur, die aus Amerika kam. Aber ich remixte sie sofort mit meinen eigenen bayerischen und deutschen Wurzeln, trat also überhaupt nicht mit der Intention an, etwas Internationales zu verkörpern. Und ich wurde trotzdem mit etwas verortet, mit dem ich nichts zu tun hatte. Verrückt, wie ich mich an dieser einen Geschichte mit dem Mädchen, das mich auf Englisch ansprach, abhandeln kann, oder? Es ist nur eben so, dass sich diese Erfahrungen im Lauf der Jahre immer und wieder wiederholten.

Außerdem begegnete ich bei solchen Sessions oder auf Partys ständig Typen, die mir mit einer »Yo«-Attitüde entgegenkamen. Hip-Hop-Fans sahen mich an und begrüßten mich mit »Yo, what up man?« und gaben mir einen dieser umständlichen Handschläge, die viel zu lange dauern und von außen ziemlich anstrengend aussehen. Ich wurde auch manchmal nicht gefragt, ob ich hier heute rappen würde, wenn die Leute mich nicht schon kannten. Sie interpretierten meine Hautfarbe als Faktor, der dies begünstigte und ließen dieses »Yo, du rappst oder?« ganz entspannt bei einem Tegernseer fallen. Leider musste ich dann natürlich zustimmen, denn ich war nun einmal Rapper. Und halt schwarz. »Hm cool«, erwiderte mein Gegenüber und trank weiter sein Tegernseer. Das Bild war perfekt, nichts irritierte. Die Session würde gleich losgehen, und es gab sogar einen Schwarzen, der rappte. Der musste ja gut sein, wenn er schon nicht gut Basketball spielte. Bei solchen Begegnungen hätte ich am liebsten einmal gesagt: »Ne, Mann, ich spiele Orgel und singe bei den Regensburger Domspatzen. Und jetzt hör auf, in meiner Gegenwart Bier zu trinken. Ich lebe Straight Edge. Keinen Alkohol, keine Drogen, nur Hardcore-Gitarren-Musik. Das ist meine Szene.« So was hätte ich gern einmal gesagt, einfach, um einmal nicht das Klischee zu erfüllen. Dass ich übrigens bereits früh damit anfing, Metal zu hören, und immer noch der Leadsänger einer Rap-Metal-Combo (GWLT) bin – geschenkt.

Komisch war es auch – und das zieht sich bis heute durch mein komplettes Leben –, wenn ich mit meiner Mutter unterwegs war. In den Augen der Leute war ich immer adoptiert. Von wegen: Was macht denn die ältere Dame mit dem jungen großen Schwarzen? Sie muss ihn sich gekauft haben. Ich sehe so etwas in den Augen der Leute. Noch heute spreche ich meine Mutter immer sehr laut mit »Mama« an, wenn wir zusammen unterwegs sind. Ich muss nach außen das Signal senden: Alles in Ordnung, das ist meine Mutter. Solche Dinge gab es immer wieder, auch viele Jahre später in der Universität in München.

Ich stand einmal im Copyshop herum, als mir eine Studentin einen Haufen Blätter in die Hand drückte und mich bat, diese einmal für sie zu kopieren. Ich starrte sie an. »Wie bitte?«

»Oh, ach so«, murmelte sie und nahm mir die Blätter wieder aus der Hand. Sie ging zum nächsten Kopierer und hatte sich nicht mal wirklich entschuldigt. Es war egal, dass sie mich versehentlich für den Typ gehalten hatte, der für die Studenten irgendwelche Blätter kopierte und hier anscheinend arbeitete. Dabei war ich doch selbst hier Student.

Spannend finde ich an dieser Stelle auch ein Interview, dass der schwarze Top-Manager Richy Ugwu dem Stern gegeben hat. Zur Erinnerung: ein Top-Manager, geboren in Berlin, mit einem nigerianischen Vater und einer deutschen Mutter. Im Interview erzählt er von der subtilen Form der Fremdenfeindlichkeit und von der Reduktion auf bestimmte Attribute, die ihm in der Vergangenheit immer wieder widerfahren seien. Beispielsweise war er Speaker auf einer Manager-Veranstaltung und wurde im Waschraum darauf aufmerksam gemacht, dass das Toilettenpapier fehlen würde. Sein Gegenüber nahm einfach in dieser Umgebung an, dass er als Schwarzer jetzt in diesem Moment hierfür zuständig sei. Danach ging Ugwu auf die Bühne und sprach vor Hunderten Managern über irgendwelche Marketing-Sachen. Weil das eben sein Job war und nicht der, das Toilettenpapier zu wechseln.

Viele Menschen nehmen einfach die erste Assoziation, die sie mit einer Person haben, die anders aussieht, und versuchen, sie in ihrer Umgebung so zu verorten, dass es passt. Dabei wissen Sie oft gar nicht, was sie damit auslösen können. Ich meine, der Mann ist Top-Manager und wird für eine Reinigungskraft gehalten. In diesem Moment ist es egal, wie viel er in den Augen der anderen um ihn herum geleistet hat, er ist gerade einfach nur ein Schwarzer, der ja wahrscheinlich der Toilettenmann ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass derjenige, der ihn nach dem Toilettenpapier gefragt hat, sich im Nachhinein auch nicht bei ihm entschuldigt hat und auch keinen Grund für eine Rechtfertigung sah, denn in seinen Augen ist in neun von zehn Fällen der schwarze Mann in einem öffentlichen Klo nun mal der Toilettenmann. Warum sich also für den einen Ausrutscher entschuldigen?

Noch eine Aussage von Ugwu, die ich im Interview bemerkenswert fand und sofort unterschreibe: Er erklärte, dass es nicht seine Aufgabe sei, jeden einzelnen Rassisten zu bekehren. Ganz genau. Warum sollte er und warum sollte ich einen Fehler von anderen korrigieren? Der Fehler, dass jemand gerade – egal, ob bewusst oder unterbewusst – rassistisch handelt, muss von der Person selbst erkannt und gebannt werden – anders geht es nicht.

Du siehst also, der Rassismus ist nicht einfach aus der Welt. Wir begegnen ihm immer noch. Ich begegne ihm auf Freestyle-Sessions, beim Einkaufen, im Copyshop. Rassismus hat sich nach den großen Hochzeiten des biologischen Rassismus einfach nur verändert und findet jetzt eben in unserem Alltag statt. Alltagsrassismus. Reden wir darüber.

ALLTAGSRASSISMUS – VERSUCH EINER DEFINITION

Alltagsrassismus zu definieren ist nicht so ganz leicht. Im Gegensatz zu den recht klaren, abgrenzbaren Rassismus-Begriffen aus dem ersten Kapitel, gibt es jetzt keine großen historischen Daten, an denen man ihn festhalten kann und ab denen man ganz klar von einer »Zeit des Alltagsrassismus« sprechen kann. Vielmehr ist es so, dass der biologische Rassismus irgendwann nicht mehr angesagt war und nach dem Ende der kolonialen weißen Herrschaft und des NS-Regimes in Deutschland sowie der Einführung eines Grundgesetzes, das die Gleichheit der Menschen an erster Stelle verortete, ein etwas anderer Wind wehte. Rassismus ließ sich nicht mehr durch die kruden biologischen Thesen von Pseudowissenschaftlern, die Menschen nach Rassen einteilten, begründen. Aber, um ganz ehrlich zu sein: Nur weil man die Gleichheit von Menschen verschriftlichte und sich dafür einsetzte, dass es jetzt eben keinen Rassismus mehr geben sollte, ist die Idee, dass andere Menschen aufgrund ihrer phänotypischen Merkmale »anders« sind und somit auch anders behandelt werden sollten, nicht aus der Welt geschafft. Das wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Stattdessen haben sich unsere seit Jahrhunderten angelernten rassistischen Tendenzen einfach verlagert. Eben in unseren Alltag, den, zumindest theoretisch, alle Ethnien gemeinsam miteinander verbringen. In unserer multikulturellen, pluralistischen Gesellschaft, darf natürlich auch ich mit meiner Hautfarbe in München wohnen und darf selbstverständlich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, ohne hierfür diskriminiert zu werden. Weißbier trinken beim AfD-Infoabend? Kein Problem (wenn man starke Nerven hat). Aber selbstverständlich ist Rassismus nicht aus der Welt geschafft, nur weil man sich das ausgedacht hat.

Alltagsrassismus ist das große Ding, das eine echte Herausforderung darstellt und dem wir uns aktiv stellen müssen. Hierbei ist der Begriff des Alltagsrassismus vor allem assoziativ und beschreibt nicht ein einzelnes, klares Phänomen. Was alltagsrassistisch ist und was nicht, ist auch immer ein individuelles Gefühl. Zunächst einmal lässt sich Alltagsrassismus insofern definieren, dass bestimmte (ausschließende) Gruppen andere durch die Abgrenzung abwerten und davon ausgehen, dass »die anderen« nicht den Standard der Normalität erfüllen, den sie, also die dominierende, ausschließende Gruppe, vorgeben. Den Begriff des »Alltags« definieren die Soziologen Peter Berger und Thomas Luckmann in ihrem 1969 in Deutschland erschienenen Werk »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« als den bedeutendsten Bereich, in dem Menschen ihre persönlichen Erfahrungen sammeln.

Dem Alltag kann man in unserem Leben also schon eine sehr hohe Bedeutung beimessen, vor allem, wenn es darum geht, wie wir im Alltag sozialisiert werden. Werden wir im Alltag unterschwellig rassistisch diskriminiert und bekommen zu spüren, dass wir nicht zu den »Normalen« gehören, wirkt diese Diskriminierung sehr nachhaltig. Ich bin mittlerweile Ende 30, und es sind diese alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus, die über die Jahre dazu geführt haben, dass ich mich mit diesem Thema beschäftige – es war einfach immer um mich herum und mein ständiger Wegbegleiter, seit dem Kindergarten. Ich konnte die Geschichten aus den vorherigen Kapiteln, das Anspucken, die Jagd, die Polizeikontrollen, die Frau, die mich und meine Freundin am Markt Schwabener Bahnhof sieht und anmerkt »Was da bloß für Kinder rauskommen« deshalb so detailreich beschreiben, weil es sich so sehr in mein Gehirn gebrannt hat. Aber: Nicht nur Betroffene verinnerlichen diese Form des Rassismus sehr stark, sondern auch Unbeteiligte. Das ist die andere Seite der Medaille. Sicher habe ich immer wieder Alltagsrassismen erfahren, meine Mitmenschen allerdings auch, nur eben von der anderen Warte. Sie haben beobachtet, wie andere Menschen eben Worte fallen lassen, die man sagen »kann«, ohne dass hierbei etwas passiert. Es gibt ja selten einen Aufschrei. Dieses Schulterzucken und das schweigende Hinnehmen führen dazu, dass alltagsrassistische Begegnungen nicht ernst genommen werden, weil sie einfach nicht erkannt werden.

Aber kommen wir zur Theorie: Der Sprachwissenschaftler Siegfried Jäger definierte Rassismus im Alltag 1993 in einem Vortrag der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Entstehung von Fremdenfeindlichkeit über ein konstruiertes »Wir«, das eine externe Person oder eine externe Gruppe ausschließt. In einem ersten Schritt stellt also eine Gruppe ihre Andersartigkeit fest. Diese Abweichung von der Normalität wird in einem zweiten Schritt von der Gruppe machtvoll geäußert und vielleicht gar praktiziert. Schließlich wird die zweite Gruppe oder das andere Individuum aus der ersten Gruppe über diese Zuschreibungen dann konsequenterweise ausgeschlossen. Der Sozialpädagoge Claus Melter versuchte, den Alltagsrassismus anhand von verschiedenen Indikatoren zu definieren. Wenn diese Indikatoren erfüllt sind, wird von Alltagsrassismus gesprochen. Hierzu gehören beleidigende oder abwertende Sprüche, das Übersehen und Ignorieren von als »fremd« definierten Personen, die Diskriminierung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche, eine systematisch schlechtere Förderung im Bereich der Bildung. Es ist wichtig zu erkennen, dass Alltagsrassismus ein ununterbrochener Prozess ist, der sich durch unseren Alltag immer weiter festigt, wenn er ausgelebt wird. Rassismus wird durch die seichte Einbindung in unseren täglichen sozialen Abläufen in seinen Ausformungen nicht mehr befragt oder kritisch beäugt, sondern von einer größeren Gruppe als normal angesehen. Alltagsrassismus fällt eben nicht immer direkt auf und ist daher so brandgefährlich.

In einem alltagsrassistischen Alltag werden Menschen in Gruppen eingeteilt. Die Soziologie kennzeichnet dieses Phänomen der Einteilung als »Othering«. Durch Othering differenziert sich eine Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, von anderen Gruppen. Vordenker waren hier eine Reihe von Philosophen wie Hegel und Simone de Beauvoir. Othering, das man im Deutschen mit »Fremd-Machung« übersetzen kann, beschreibt einen Prozess, in dem man sein soziales Image hervorhebt und Menschen mit anderen Merkmalen als andersartig und fremd kennzeichnet. Es findet also eine betonte Unterscheidung und Distanzierung von »den anderen« statt und kann zu Feindbildern, insbesondere zur Fremdenfeindlichkeit führen. Das bildet die Grundlage für Diskriminierung und eben auch Alltagsrassismus. Dieser kann sich dann deutlich in Form von rassistischen Beleidigungen äußern, aber eben auch ganz subtil (»Entschuldigung, das Klopapier müsste nachgefüllt werden« – »Nice Freestyle, Man, where are you from?« – »Kannst du mir das kopieren?«).

Die portugiesische Psychologin und Autorin Grada Kilomba beschreibt Rassismus in ihrem Buch »Plantation Memories« als Vorurteile plus Macht. Es gibt in jeder Gesellschaft ein sogenanntes »rassistisches Wissen«, das aus Vorurteilen, Stereotypen oder falschen Vorstellungen besteht. Über diese Vorurteile herrscht ein ziemlich klarer gesellschaftlicher Konsens. Vier junge Schwarze in einem Park stellen nun mal eine irgendwie geartete Gefahr dar, auch wenn sie gerade einfach nur ein Business-Meeting abhalten. Diffuse Ängste werden auf diese Gruppe bezogen.

Alltagsrassismus zieht sich im Weiteren quer durch alle Schichten und Gesellschaftsbereiche, ist also nicht nur an Stammtischen anzutreffen, sondern ebenso in der Politik. Über Institutionen wie Kindergarten, Schule, aber auch Medien erfolgt eine gemeinsame Sozialisation, die rassistische Vorurteile vermittelt und diese über Jahre hinweg festigt. Später gehe ich hierauf noch genauer ein, aber denk nur einmal an das Afrika-Bild, das dir in der Schule vermittelt wurde. Ich glaube, es ist keine wirklich gewagte These, wenn ich behaupte, das in deutschen Schulbüchern vermittelte Bild von Afrika stammt zum größten Teil aus einem europäischen Blickwinkel, bei dem vor allem die Geschichte einer europäischen Kolonialisierung im Vordergrund steht. Eine Weltsicht, die andere Kulturen verzerrt, ist die Betrachtungsweise, die uns anerzogen wird. Diese Eindrücke, die uns von unserem Umfeld mitgegeben werden, können sich über die Jahre in unterschiedlichen Formen ausprägen. Einerseits natürlich im sozialen Umgang miteinander, andererseits in institutionellen Praktiken. Im Fall des Alltagsrassismus ist die gesellschaftliche Macht entscheidend. Lass mich jetzt noch etwas ausholen, weil wir gerade dabei sind. Entscheidend ist also, wer gerade die gesellschaftliche Macht innehat.

DIE WEIßE MEHRHEIT ENTSCHEIDET

Eine Mehrheitsgesellschaft entscheidet also darüber, was »normal« ist und was nicht, und hinterfragt diese Normalität auch nicht. Es gibt hierfür ja keinen wirklichen Grund, und eine historisch begründete weiße Normalität wird aufrechterhalten. Warum sitzen nicht so viele Menschen mit afrikanischen Wurzeln im Bundestag? Das ist nicht unbedingt eine populäre Frage. Dass »die Weißen« eine Mehrheit darstellen, begründet sich vor allem historisch und wird eben nicht weiter hinterfragt. Diese weiße Mehrheitsgesellschaft hat also zum größten Teil die Gestaltungsmacht über unser Land und entscheidet im nächsten Zug nahezu allein und ohne den Zuspruch verschiedener diverser Ethnien, wer sich wie zu integrieren oder anzupassen hat. Obwohl also weiße Menschen sich nicht vorstellen können, wie es eben ist, schwarz oder eine Mixed-Raced-Person zu sein, sind sie in der Gestaltungsmehrheit. Zudem geht von dem größten Teil der weißen Menschen in Deutschland eine Repräsentationsmacht aus. Im Endeffekt entscheiden weiße Menschen darüber, was wie dargestellt wird. Eine Ausstellung im Museum, die Besetzung des nächsten Constantin-Films, all dies sind Gestaltungsfragen, die größtenteils und ohne die Frage, ob das denn »normal« sei, von Weißen getätigt wird.

An dieser Stelle ein kleiner Einschub. Im Schreibprozess habe ich einige Bekannte das Buch lesen lassen, und jemand fragte, ob das nicht normal für ein Land sei, in dem nun einmal mehr Weiße leben? Und diese Nachfrage ist so gut, weil sie genau das Problem aufzeigt.

Nehmen wir es eben genau so an: In Deutschland, einem mehrheitlich weißen Land, wird das Gesellschaftliche so gestaltet, wie es eine Mehrheit sich vorstellt. Dass es unter anderem für viele Menschen, die nicht dieser Mehrheit entsprechen, schwierig wird, den eigenen Platz in der Welt zu finden, ist eine Folge daraus. Hierbei geht es um Trans-Menschen, körperlich eingeschränkte Personen, Menschen anderer Ethnien … eigentlich immer um die Menschen, die nicht dem Bild der Mehrheit entsprechen und dem Bild, das diese Mehrheit als Ideal darstellt. Als Beispiel seien hier alleinerziehende Frauen genannt. Heute ist das total normal, vor 30 Jahren war es sonderbar und vor 50 Jahren fast undenkbar, so jemanden in der Mitte der Gesellschaft anzutreffen. So, wir konzentrieren uns aber auf die Hautfarbe. Das Ideal wird hier auch von der Mehrheit bestimmt. Es ist weiß. Ein Ideal, das Menschen mit anderer Hautfarbe niemals erreichen können, obwohl sie im Land dieser Mehrheit geboren sind, dort leben, die Sprache sprechen und Steuern zahlen. Dieses Ideal von Weiß geht aber weit über unsere Landesgrenzen hinaus. Auch über die riesige europäische und amerikanische Filmindustrie wurde der Eindruck erschaffen, dass es global ebenfalls das Ideal von »weißer« Haut gibt.

Ich bin niemand, der völlig grundlos auf »Weißen« herumhackt, und ich habe auch keine Lust, hier so ein »Weißenbashing« zu betreiben. Ich will nur, und das ist unter anderem die Idee dieses Buches, einfach ein paar Sachverhalte aufzeigen, und, das muss man eben auch feststellen: Wir leben nun mal in einem Land, was maßgeblich von Menschen gestaltet wird, die weiß sind. Das zu erkennen, es einfach nur zu erkennen, kann schon ein großer Schritt sein, wenn wir uns aufeinander zubewegen wollen. Deshalb schreibe ich noch kurz einen Absatz über weiße Menschen und ihre Wirkung und stelle dir die sogenannte Kritische Weißseinsforschung vor:

Die Kritische Weißseinsforschung ist ein transdisziplinäres Studienfeld, das kulturelle, historische und soziologische Aspekte von Menschen beschreibt, die sich als weiß identifizieren. Die Forschung stellt fest, dass Weiße sich in Deutschland als die bestimmende Norm wahrnehmen. Punkt. Weiße Menschen sehen sich nun mal als eine dominante Kultur und erlangen in der Berufswelt wie auch im Alltag privilegierte Positionen. Die weiße Dominanz erscheint unauffällig und alltäglich. Es ist jetzt nicht so, dass wir durch die Straßen Münchens rennen und uns ein dominierendes weißes Stadtbild groß auffällt. Das ist ja aber auch einigermaßen nachvollziehbar, schließlich wird nicht das Weiß-Sein wahrgenommen, sondern eben das, was nicht weiß ist. Weil eben alles, was wir kennen, immer schon weiß war. Ich werde wahrgenommen, weil ich nicht weiß bin und eben anders aussehe. Ein Weißer wird nicht besonders wahrgenommen. Einfach weil alle anderen auch weiß sind. Klingt einigermaßen logisch, oder? Und das ist ja auch nicht weiter tragisch, zumindest wenn man sich darüber im Klaren ist, dass Nicht-weiß-Sein von der Norm abweicht.

Eine typische Beobachtung innerhalb der Kritischen Weißseinsforschung ist auch, dass Rassismus – unter Weißen – als Thema irrelevant erscheint, wenn die betroffenen Personen nicht anwesend sind. Im Prinzip beginnt hier ja bereits ein Ausschluss. Rassismus erscheint nur dann als relevant, wenn betroffene Personen, also diejenigen, die eben »anders« aussehen, zum Betrachtungsgegenstand werden. Rassismus ist somit erst einmal immer mein Problem, das Problem eines nicht weißen Menschen. Den Weißen ist ihre Hautfarbe und was damit einhergeht oftmals überhaupt nicht bewusst.

Die Historikerin Fatima El-Tayeb beschreibt in ihrem Buch »Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten Europa« diese Schwierigkeit von weißen Menschen, einen Blick auf sich selbst »als Weiße« zu richten, als »Farbenblindheit« und ist für sie der stärkste Ausdruck der Normalisierung von Weiß-Sein. Rassismus ist letztlich an die Existenz eines anderen – Nicht-Weißen – gebunden und findet losgelöst von dem eigenem Weiß-Sein statt (sehr viel »weiß« in diesem Abschnitt – Achtung Wortwitz –, ich weiß). Aber schau, wenn du weiß bist, einmal kurz an dir hinab: Wann hast du dich das letzte Mal als »weiße« Person wahrgenommen oder das von anderen zu spüren bekommen? Warst du einmal in der Bundesrepublik Deutschland in einer Runde, in der du als weiße Person in der Unterzahl warst und gespürt hast: Okay, ich bin gerade einmal nicht die Norm? Und wenn ja, was hat das mit dir gemacht?

GEFAHREN DES ALLTAGSRASSISMUS UND WIE MAN IHNEN BEGEGNEN KANN

Kommen wir nun zur prominenten Anschlussfrage, die sich dem Kapitel über Alltagsrassismus anschließt: Wohin führt uns dieser? Was passiert mit einer einzelnen Person, die ständig solchen Erfahrungen ausgesetzt wird? Generell lässt sich feststellen, dass Diskriminierung und Mehrfachdiskriminierung zu einer gravierenden Schwächung des eigenen Wohlbefindens und der eigenen Persönlichkeit führen. Diskriminierung prägt Menschen nicht nur vorübergehend, sondern langfristig und tief greifend, wie die Studie »Perceived discrimination and personality development in adulthood« von US-amerikanischen und französischen Wissenschaftlern aus dem Jahr 2016 offenlegt. Durch Diskriminierung verändert sich messbar die Persönlichkeit von Betroffenen, und sie verlieren ihren Mut und den Glauben an sich selbst. Bittere Erkenntnis der Studie: Wer diskriminiert wird, verhält sich am Ende so, wie das Vorurteil es behauptet.

Alltagsrassismus stellt ein gesellschaftliches Problem dar, weil es die gleichberechtigte Teilhabe an einem sozialen Leben einschränkt. Für unseren sozialen Zusammenhalt ist es somit wichtig, dass wir über diese Folgen des Alltagsrassismus offen sprechen. Weite Teile der Gesellschaft tun sich jedoch schwer damit, Alltagsrassismus zu reflektieren, und schieben das Thema Rassismus dem rechten Rand zu. Mit den eigenen Rassismen wollen wir uns in der Regel nicht unbedingt befassen, und das ist irgendwo auch nachvollziehbar. Denn wer will sich schon mit etwas beschäftigen, was so leicht zu übersehen ist und dessen Aufbereitung wirklich keinen Spaß macht? Aber ich glaube, das Bewusstwerden des Problems sowie die anschließende Aufbereitung sind existenziell wichtig, ähnlich wie es nach den Irrungen und Wirrungen des Zweiten Weltkriegs wichtig gewesen wäre, dass Eltern ihren Kindern erzählen, was im Krieg wirklich passiert ist und welche Rolle sie in der NS-Diktatur einnahmen. Es war für meinen Opa ganz sicher leichter, meiner Mutter einerseits zu sagen, er wäre im Krieg nur Lastwagen gefahren, und mir andererseits seine (wie ich sie damals wahrnahm) »Actionfilme« über den Krieg zu erzählen. Für eine gesunde Aufbereitung wäre es besser gewesen, wenn er meiner Mutter reinen Wein eingeschenkt hätte, über die Zeit des Nationalsozialismus und seine Rolle darin. Er und hunderttausend andere, die im Dritten Reich gedient haben, die aber nach dessen Zusammenfall den Mantel des Schweigens über die Geschichte gelegt haben, bis ihre Kinder erwachsen wurden und kritisch nachfragten. Aber ich schweife etwas ab. Es wäre gut gewesen, das Nachkriegstrauma zu bewältigen, anstatt es einfach totzuschweigen.

Ähnlich verhält es sich mit Alltagsrassismus. Ein Rassismus, der in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, kann eben nur aufgelöst werden, wenn eine weiße Mehrheitsgesellschaft ihre Privilegien anerkennt und Machtstrukturen für Andersfarbige öffnet, damit Teilhabe auch jenen gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht wird, die bisher unterrepräsentiert sind. Dafür muss sich die weiße Welt allerdings in einem ersten Schritt erst einmal dieses Privilegs gewahr werden. Dafür brauchen wir in allen Lebensbereichen mehr Diversität, einfach, damit es nichts Besonderes mehr ist, eine andere Hautfarbe zu haben, und hier nicht zwischen »wir« und »den anderen« unterteilt werden kann.

Der Abbau von Alltagsrassismus geht also mit tief greifenden individuellen und sozialen Veränderungen einher und ist kein einfacher Prozess. Rassismuskritik und Antidiskriminierung ist heute aber wichtiger denn je. Es muss im Weitesten darum gehen, Strukturen im öffentlichen Raum zu schaffen, sei es nun im Freundeskreis, Sportverein oder dem Arbeitsplatz, bei dem es keinen Platz für irgendeine Form von Alltagsrassismus geben kann. Vor allem nicht als lapidaren Witz, der sich unter dem »Alles nur Spaß«-Deckmantel bewegt. Denn selbst wenn es für diejenige Person, die einen Witz über Baumwollfelder oder Ähnliches macht, eben nur »ein Witz« ist: Das Gegenüber wird immer getroffen sein, und dieser »Witz« sorgt dafür, dass solche alltagsrassistischen Auswüchse wie ein flotter Spruch, der die Stimmung auflockern soll, zur Normalität werden. Wozu das führt, konnte ich am AfD-Infotisch beobachten. Sprachbarrieren werden eingerissen.

»Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«, wird so die Titelmelodie eines Soundtracks, der sich ständig wiederholt und sich in Dauerschleife durch unsere Gesellschaft zieht. Und auf einmal sitze ich, ein schwarzer Typ, an einem Tisch und darf mir Diskussionen darüber anhören, ob irgendein Hans aus Unterhaching jetzt »Neger« sagen darf – oder eben nicht. Oder ob unsere Demokratie wirklich so ein tolles Konstrukt ist. Diesen Denkmechanismen müssen wir entgegenwirken, einfach weil es hierfür keiner Diskussion bedarf. Vor allem, und das ist auch eine Sache, der wir uns unbedingt bewusst werden müssen, weil Alltagsrassismus den idealen Nährboden für rechte Gesinnungen schafft. Dadurch dass Argumentationsmuster akzeptiert werden, die sich auf Vorurteile berufen, erfolgt ein Bruch bereits in der Mitte der Gesellschaft. AfDlern und Neonazis bietet ein verbreiteter Alltagsrassismus und die fehlende Empathie gegenüber Mitmenschen, die einer anderen Ethnie angehören, den theoretischen Unterbau für ihren Radikalismus. Von hier lässt sich starten, hier können Gleichgesinnte abgeholt werden. Und leider sind wir an einem Punkt angekommen, an denen ausländerfeindliche Positionen schon lange in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Laut der Leipziger Autoritarismus-Studie aus dem Jahr 2018 vertritt fast jeder dritte Bürger eine ausländerfeindliche Position. In Ostdeutschland stimmte fast jeder Zweite (47,1 Prozent) Aussagen wie »Ausländer nutzen den Sozialstaat aus« zu.

Was kann man jetzt also tun, um Alltagsrassismus entgegenzuwirken? Tatsächlich glaube ich in allererster Linie, dass das hier eine Sache ist, die man nicht allein lösen kann. Das muss die Baseline, die über allem stehende Grunderkenntnis sein. Keine teilnehmende Partei, weder die Menschen, die den Alltagsrassismus erfahren, noch die, die ihn aussenden, manchmal eben auch unabsichtlich, können es allein schaffen, das Problem aus der Welt zu tragen. Die Problematik, die entsteht, ist eben, dass man sonst fünf weiße Typen in einer Ecke sitzen hat, die darüber reden, was denn jetzt Rassismus ist und was nicht. Obwohl sie natürlich nicht zur betroffenen Gruppe gehören. Auf der anderen Seite ist es aber auch keine Option, dass lediglich die Betroffenen an einem Tisch sitzen und von ihren Erfahrungen sprechen. Das Entgegenwirken und das Entkräften von rassistischem Gedankengut ist ein langwieriger Prozess. Und er beinhaltet zu Anfang eine hohe Sensibilität. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir – auch aufgrund unserer Schulbildung – in einem System leben, das Alltagsrassismen begünstigt. Ein Beispiel: Als mein Bruder einmal in den USA war, war er dort einige Tage in einem Schwarzenviertel in New York unterwegs. Als er wieder nach Hause kam, erzählte er mir, wie viel Angst er dort gehabt hatte. Was ja eigentlich bescheuert ist, denn schließlich ist er auch schwarz – aber die Einstellung, die er gegenüber Schwarzen in US-amerikanischen Vierteln hatte, hatte er in Deutschland gelernt. Wir, die hier leben, egal, welche Hautfarbe wir haben, sind eben geprägt durch ein bestimmtes eurozentristisches Weltbild. Als Kind hatte ich dieses Weltbild auch verinnerlicht und wollte im Umkehrschluss unbedingt weiß sein. Afrika nahm ich als ein armes, unterentwickeltes Land wahr, von dem ich nicht viel wusste, mit dem ich aber auch nicht viel zu tun haben wollte. Wir stecken bereits so tief im Prozess eines weiter sich selbst reproduzierenden alltagsrassistischen sozialen Konstrukts, dass es keine Tablette oder keinen einzelnen Move gibt, der uns urplötzlich hier herausholen kann. Stattdessen müssen wir situationsbedingt handeln.

Ich erzähle dir hierzu eine Geschichte, damit ich mich nicht in Monologen verliere: Bei meinem Arbeitgeber, dem Bayerischen Rundfunk, gab es kürzlich abends kostenlose Würstl. Irgendeine Mitarbeiterverabschiedung oder so etwas. War auch nicht so wichtig, die Würstl standen im Vordergrund. Denn du weißt es ja bereits, für kostenlose Würstl gehe ich auch freiwillig aufs Gymnasium. Die Würstl wurden jedenfalls auf Tellern herausgeben – nichts Ungewöhnliches bis hierhin. Als ich an der Reihe war, lag ganz oben auf dem Stapel ein Teller mit dem Bild eines Gorillas drauf. Ich schaute denjenigen an, der die Würstl aushändigte, und – kein Witz – er sprach sich mit seinem Kollegen ab. Ganz bewusst wartete ich und beobachtete die Situation. Ich wollte wissen, was passiert. Ob man mir, einem schwarzen Mitarbeiter des BR Würstl auf einen Teller geben durfte, auf dem ein Gorilla abgebildet ist – oder eben nicht. Ich spürte, dass die anderen BR-Mitarbeiter, die die Teller austeilten, hinter vorgehaltener Hand ein seltsames Gespräch führten. »Gib eam an andern!«, hörte ich heraus. Ich blieb in beobachtender Position. Sie übernahmen jetzt nicht die rassistische Vorstellung, dass alle Schwarzen Affen sind, und gaben mir lachend den Gorillateller, aber dieses Bild, dass irgendjemand jetzt rassistisch denken könnte, schwebte über uns im Raum, und die anderen BR-Mitarbeiter, die bedienten, wussten nicht so recht damit umzugehen. Im Endeffekt bekam ich einen anderen Teller, und die Würstl waren auch sehr lecker. Aber in dieser Situation fragte ich mich: Wie hätte ich jetzt dafür sorgen können, die Situation zu entschärfen? Zuerst fand ich keine Lösung, bis ich Würstl kauend merkte: Okay, es spielt wirklich einiges zusammen. Allein können weder ich noch die Jungs hinter dem Würstchentopf diese Situation lösen. Wir starrten uns an und ließen das rassistische Bild über uns kreisen, ohne es herunterzuziehen und kaputt zu machen. Ich hätte von einem der BR-Mitarbeiter mit eingebunden werden können: »Ich hab gedacht, weil dieser Gorilla-Teller der nächste ist, ist das jetzt etwas komisch, wenn ich dir den gebe, oder? Ist das komisch für dich?« Zack, rassistisches Bild heruntergenommen und mir in die Hand gegeben. Und was hätte ich damit gemacht? Mein Ding. Egal, wie seltsam dieser Satz war und wie man diesen Satz bewertet hätte, ich wäre auf einmal drin gewesen in dieser Unterhaltung. Ich wäre ein Teil davon gewesen. Ich hätte die Möglichkeit gehabt zu sagen: »Du, das ist mir ziemlich egal, ich habe einfach nur Hunger.« Oder halt: »Alter, gib mir einen anderen Teller.« Egal, was ich daraus gemacht hätte, ich hätte das rassistische Bild in der Hand gehalten und ziemlich sicher auf den Boden gedonnert. Aber dafür hätte es mir auch erst einmal gereicht werden müssen.

Du siehst: So eine Situation kann nur konkret gelöst werden. Und um zu verhindern, dass es überhaupt zu solchen Situationen kommt, in denen wir spüren: Mist, jetzt sind hier nicht nur zwei Menschen im Raum, sondern dazu noch ein rassistisches Bild, das wir hier irgendwie abhängen müssen. Das ist der erste Schritt, den wir machen müssen. Und um hier hinzukommen, sollten wir mehr miteinander reden und versuchen, gemeinsam Lösungen für seltsame Situationen zu finden. Und vielleicht leben wir irgendwann dann in einer Welt, in der wir so tief im Prozess des Lösens von Alltagsrassismus drin sind, dass dieser Prozess dem stetigen Voranschreiten von alltagsrassistischen Tendenzen entgegenkommt – und Rassismus langsam, aber sicher überholt.

GASTBEITRAG VON MALCOLM OHANWE, JOURNALIST UND MODERATOR

Ich lausche gerade aufmerksam dem Gerichtsprozess – es geht um innerbetriebliche Schikane, ziemlich eskalierte Streitigkeiten unter Arbeitskollegen. Von meiner hinteren Sitzbank aus erkenne ich den bärtigen Angeklagten. Der ältere Mitarbeiter eines großen Münchener Autoherstellers soll seinen Kollegen mit anonymen und demütigenden Zusendungen drangsaliert haben. Es handelt sich wohl um jahrelanges hinterlistiges Stalking und üble Nachrede gegenüber einem Mitarbeiter – die möglichen Motive reichen von bloßer Langeweile bis hin zu anti-türkischem Rassismus. Es ist ein komplexer Fall, ich muss mich bemühen, alles zu verstehen. Ich möchte das Urteil am Ende nachvollziehen können. Ich bin hier als Journalist.

Eine Truppe, bestehend aus insgesamt 13 KollegInnen – mit mir –, sitzen hier in der hintersten Bank des Saales, der Pressebank, um in einer Fortbildung Erfahrungen in der juristischen Berichterstattung zu sammeln. Wir sind alle mucksmäuschenstill und folgen dem Prozess, als plötzlich ein flatteriger, mittelalter weißer Mann mit Hemd und Aktenkoffer in den Saal tritt:

Er beäugt mich direkt – ich sitze am Rand zur Tür. Seine grünbraunen Augen, samt seinem blassen milchfarbenen Kopf, wandern auf und ab und starren mich an. Er hat mich fix gemustert und öffnet seine dünnen Lippen: »Ähmm … Das ist für Reporter. Hier – dür – fen – nur – Re – por– ter – sit – zen! Das ist für die Presse reserviert.«

Ich gucke ihn kurz an, gebe ihm sehr leise zu verstehen – wir sind noch immer mitten im laufenden Prozess, mit Zeugenaussagen und allem Drum und Dran –, dass ich ihn verstanden hätte: »Ja, das weiß ich …«

Ein verdutzter Blick vom mittelalten reisfarbenen Mann: »Ich glaube, Sie verstehen mich nicht. Diese Bank hier, auf der Sie sitzen, die ist für Journalisten. Sie müssen aufstehen und mir den Platz überlassen …«

Ich denke mir: Lol, du kleiner Keck, ich habe dich das erste Mal schon verstanden, lass mich in Ruhe, denn ich will dem Fall zuhören, der mittlerweile ziemlich spannend ist. Stattdessen antworte ich: »Ich habe verstanden, danke.«

Er will sich mittlerweile wo anders hinsetzen, dreht sich um, macht fast den ersten Schritt, doch dann dreht er sich zurück zu mir und sagt : »Sind Sie denn Journalist?«

Ich erwidere mit einem kurzen »Ja«.

Er pausiert, resigniert.

Ich bin erleichtert, kann mich wieder auf den Fall konzentrieren. »Das glaube ich Ihnen nicht«, höre ich. Mittlerweile kriegen meine KollegInnen diese Interaktion mit. Einer von ihnen ist auch ein älterer weißer Herr. Es ist sein kurzer nickender Blick gegenüber seinem phänotypischen Genossen, der mich mit seinen Fragen nervte, der das Gespräch unmittelbar beenden sollte. Jetzt wird mir geglaubt, der flattrige Aktenkofferkerl setzt sich in die Ecke auf den verbliebenen freien Platz.

Später, raus aus dem Saal, will ich mir bei einem meiner Mitjournalisten Luft machen, ich kriege zu hören, dass er mir wohl genausowenig geglaubt hätte.

Wo die Linie zwischen Rassismus und Ageism läuft – genau werde ich es nie erfahren. Ich weiß nur, solche Storys habe ich von meinen anderen gleichaltrigen KollegInnen noch nicht gehört.