Innerhalb der Hip-Hop-Welt, zu der ich ja schon vor meinem Zivildienst Zugang gehabt hatte, erlebte ich, wie bereits angesprochen, weniger Rassismus als in meinem sonstigen Alltag. Das war vielleicht mit ein Grund, warum ich mich in dieser Szene so wohl fühlte. Es war einfach meine Kultur. Hier konnte ich sein, wer ich sein wollte, und wurde nicht schief angeschaut. Ich konnte meine bayerische Art und meine Sprache einfließen lassen und etwas Neues erschaffen. Das Einzige, was mich störte, waren diese »YoYo-Dudes«, aber das waren ja eh uncoole Trottel. Etwas, worüber ich in diesem Buch auch sprechen möchte, ist die Sache mit dem N-Wort. Da ich weiß, dass dieses Buch das N-Wort im Titel trägt und dieses ausformulierte Wort in manchem Leser sicherlich etwas auslöst, möchte ich hierzu gern etwas sagen und mich dann meiner Einstellung zu diesem Wort nähern.
Zunächst einmal ist das Wort »Neger« ein ziemlich hartes Wort, das immer auch Ausgrenzung bedeutet. Und auch für mich ist die Tatsache, dieses Wort auf einem Buchcover zu sehen und dann auch noch mit meinem Gesicht drauf, alles andere als angenehm. Ich will dir aber erklären, warum ich mich bewusst für diesen Schritt entschieden habe. Zunächst einmal ist dieser Titel ein Zitat eines Satzes, der für mich den ersten Kontakt mit Rassismus darstellte. Dieser Titel ist für mich auch der Versuch, dir ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie es ist, wenn dieses Wort zwischen Menschen steht. In diesem Fall zwischen dir und mir. Zwischen uns. Genauso, wie der Satz immer zwischen mir und anderen Menschen stand und noch bis heute steht. Jede Eigenschaft von mir, jeder Makel, jedes Talent und schlussendlich auch meine kulturelle Identität, die ich mir aus Markt Schwaben, dem Hip-Hop und den Gesprächen mit meinem Vater erarbeitet habe, wird von diesem großen, harten Wort verdeckt. Neger. Ich möchte, dass die Menschen dieses Cover in der Hand halten und zumindest ein Gefühl dafür kriegen, was es bedeutet, wenn der Mensch, den sie vor sich sehen, nicht mehr erkennbar ist, weil dieses Wort seine komplette Identität überschattet. Und jetzt stell dir kurz vor, du bist das an meiner statt auf dem Cover, und du siehst Menschen durch die Buchhandlungen gehen. Gern willst du dich mit denen unterhalten, zum Beispiel willst du erklären, warum du eigentlich auf einem Buchcover zu sehen bist und auf einmal sprechen kannst. Aber egal, mit wem du sprichst oder worüber, ob sie jung oder alt sind, eine Frau oder ein Mann, ein Computerspiel-Nerd oder ein Leistungssportler, ob sie faul oder ehrgeizig sind, extrovertiert oder introvertiert, das alles hat keine Bedeutung. Es ist egal. Die Leute in der Buchhandlung, die zusammenzucken, weil ein Buchcover sie anspricht, sehen zuerst das Wort Neger, das vor ihrem Gesicht prangt und das dafür sorgt, dass alles andere in den Hintergrund rückt. Die Menschen werden dich nicht beachten, sie werden einen Neger sehen. Ganz egal, wer du bist und was in dir steckt. Die Reproduktion von Worten wie Neger im öffentlichen Raum oder eben auf dem Buchcover kann das Wort an sich entschärfen. Das ist möglich, wenn es nicht reflektiert reproduziert wird, sondern eben einfach aus einer Laune heraus. Aber ich weiß, dass es zu dieser Neger-Geschichte einen Hintergrund gibt. Einen Hintergrund der immerhin über 200 Seiten lang ist.
»Das hier ist richtiger Rap, nicht so ein Salt-and-Peppa-Scheiß, was du sonst so hörst.« Mit diesen Worten überreichte mir ein Junge aus meiner Siedlung 1993 das Album »Home Invasion« von ICE-T. Damals war ich zwölf Jahre alt und noch ziemlich grün hinter den Ohren. Ich legte die CD ein und war schockiert, denn das Intro beginnt mit den Zeilen:
Attention!! At this moment you are now listening to an Ice-T LP. If you are offended by words like: Shit!! – Bitch!! – Fuck!! – Dick!! – Ass!! – Whore!! – Cum!! – Dirty Bitch!! – Low Motherfucker!! – Nigga!! Hooker!! – Slut!! – Tramp!! Dirty Low Slut!! – Tramp!! – Bitch!! – Whore!! Nigga!! – Fuck!! – Shit!! – whatever … Take the tape out NOW! This is not a Pop album. And by the way; Suck my motherfucking Dick!!
Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schaltete hastig die Anlage aus. Der Typ musste ein Rassist sein. Hatte mein Kumpel mir ernsthaft die CD eines Rassisten mitgegeben??? Es dauerte etwas, bis ich verstand, dass ICE-T schwarz war und einfach seine Wut in den Track schrie, aber das war nicht meine Art, damit umzugehen. »Nigga« in Tracks, das fand ich schon mit zwölf Jahren schwierig, begleitete aber sehr lange meinen musikalischen Werdegang. Bei Freestyle-Sessions gab es vereinzelt Menschen, die beispielsweise »What are you gonna do Nigga?« zu mir sagten. Ich war da extrem angreifbar und ließ mein Gegenüber auch direkt spüren, dass das mit mir einfach nicht zu machen war. Dass dieses Wort gebraucht wurde, war für mich auch ziemlich ungewöhnlich. Auf einmal befand ich mich in einer Szene, in der ich viele andere Schwarze traf, also wahrscheinlich auch Personen, die rassistische Erfahrungen gemacht hatten, und diese feierten das ganze »Nigger-Ding« ziemlich ab. Sie bezeichneten sich selbst als Niggers, und auch ihre weißen Freunde waren Niggers. Und die weißen Jungs waren natürlich happy, dass sie jetzt auch »Niggers« waren und dieses Wort benutzen durften.
Ich fand dieses Gehabe um das N-Wort ziemlich schrecklich. Dieses Wort war ein Symbol der Verletzung für mich. Und nicht nur, weil ich es gelernt hatte, sondern weil ich es selbst am eigenen Leib erfahren hatte. All die Demut und Erniedrigungen, die damit seit meiner Grundschulzeit einhergingen. Trotzdem nahm auch ich 2004 einen Song mit dem N-Wort auf. Ich war tatsächlich derartig beeinflusst von all dem »Nigga« in all den Rap-Songs, dass ich dachte, ich bin vielleicht zu sensibel und muss dieses Wort benutzen, damit es für mich an Wirkung verliert. Aber weit gefehlt. Sobald mir das Wort mit einem Beat unterlegt über die Lippen kam, spürte ich den Schmerz der Vergangenheit, der sich in meinem Brustkorb aufbäumte, so, als wäre ich wieder ein Kind, das an der Grundschule in Markt Schwaben von Halbstarken mit »Neger, putz meine Schuhe« angegangen wird. Für mich war und ist dieses Wort immer negativ konnotiert. Live spiele ich den Song, in dem das Wort vorkommt, zwar noch, spreche es aber nicht mehr aus. Und jedes Mal, wenn ich diesen Song von mir wiederfinde, denke ich mir: Warum habe ich das gemacht? Warum habe ich das geschrieben? Vielleicht weil es ein Weg war, damit umzugehen. Nur war das bloße Reproduzieren eben nicht meins. Durch den Song »Sucka Nigga« von A Tribe Called Quest verstand ich aber, wie andere schwarze Rapper dieses Wort verwendeten und zur Verortung ihrer kulturellen Identität nutzten. Im Song heißt es:
See, nigga first was used down in the Deep South
Falling out between the dome of the white man’s mouth
It means that we will never grow, you know the word dummy
Other niggas in the community think it’s crumm
Der Rapper Q Tip spricht darüber, dass das Wort aus den Köpfen der weißen Sklavenhalter in den Südstaaten der USA kommt. Und bringt vor allem an, dass es für manche Schwarze in der Community ein Problem darstellt. Sie finden das Wort »crummy«, also mies. Für ihn und die junge schwarze Generation gehört dieses Wort also zur Geschichte. Sie sind es gewohnt, umgeben von Unglück zu leben, und haben sich dazu entschlossen, diese Zustände anzunehmen. Deshalb nutzen sie das Wort, um sich gegenseitig zu zeigen, dass sie es positiv umdeuten. Das konnte ich irgendwie dann doch nachvollziehen, es ist eben auch mehr als ein beleidigendes »Nigga«, sondern dient dazu, einen künstlerischen kulturellen Punkt zu setzen.
Irgendwann bei Hip-Hop-Partys oder Konzerten habe ich dann auch gemerkt, ab wann Rassismus für mich anfängt. Über die Jahre wurde Hip-Hop immer größer, und je mehr ich als DJ oder mit einer meiner Bands auftrat, desto häufiger kam es vor, dass Leute, die mich nicht kannten und mich noch nie gesehen hatten, meine Hautfarbe als Grund nahmen, dass ich der Rapper sein musste. Mit mir wurde gesprochen, als wäre ich irgendein Gangster aus den Staaten. Wäre ich jetzt nicht schwarz, hätte ich mich wahrscheinlich gefreut, wenn Leute denken würden, dass ich Rapper bin. So fühlte ich mich oft überrumpelt. All das, was ich mir über die Jahre quasi straight out of my Kinderzimmer in Markt Schwaben aufgebaut hatte, die Skills, an denen ich mit Bowdee und meinen Jungs gefeilt hatte, all das war nichts wert, weil ich nicht nach meinen Skills bewertet wurde, sondern nach der Tatsache, dass ich schwarz war und deshalb ja Rapper sein musste. Fand ich ziemlich nervig. Weil ich das Gefühl hatte, ich musste jetzt das repräsentieren, was ein schwarzer US-Rapper repräsentierte. Den Kampf gegen die weiße Vorherrschaft und so weiter. Doch dann lernte ich jemanden kennen, an dessen Aufstieg und an seinem Umgang mit seiner Hautfarbe ich vieles lernte und wahrscheinlich immer noch lerne: Samy Deluxe. David PE von Main Concept hatte ihn mit Dynamite Deluxe gesehen und dafür gesorgt, dass sie im Jahr 2000 in München auf der Living Large, einem Musikfestival, auftraten. Ich kann mich noch ziemlich gut erinnern: Ich stehe im Publikum und sehe diesen großen schwarzen Typen, der so aussieht wie ich und einfach eine Wahnsinns-Show spielt. Später erfuhr ich, dass das sein erster großer Auftritt gewesen war. Ich war hin und weg. Damals dachte ich mir: So, wie der Rap macht, so muss man es machen, das ist das Beste, was ich in Deutschland je gesehen habe – und für mich ist es ein Highlight meiner Karriere, dass ich mit solchen Leuten heute unterwegs sein darf. Eine Sache, die mich besonders an ihm faszinierte, war, dass er mit seinen Skills angab und nicht das »Nigger« zu seinem Ding machte. Er stand damals einfach auf der Bühne und hat gesagt: Ich bin der Beste. Der Allerbeste. Was wollt ihr machen?
Für mich war es wichtig, jemanden zu sehen, der diese Einstellung repräsentierte. Ich hatte aufgrund meiner Hautfarbe einige Schwierigkeiten mit meinem Selbstbewusstsein, und ich fand es supergut, wie er das auslebte. Für mich hatte dieses breite, selbstbewusste Auftreten auch keine Spur von Überheblichkeit, vielmehr blickte ich zu ihm auf und dachte mir: Genau so muss man es machen. Genau so. Die anderen Zuschauer, Fans, Musiker, Booker, Manager, die sehen dich sonst nicht. Die sehen nur einen schwarzen Rapper. Aber jemand wie Samy und ich sind mehr als bloß schwarze Rapper. Ich sah Samy und wusste, dass ich nicht seine Attitüde nachahmen kann, weil es nicht meine Attitüde ist, aber er ebnete einen Weg für schwarze Rapper in Deutschland, den ich nachgehen konnte. Und er ebnete ihn nicht damit, dass er sich auf seine Hautfarbe reduzierte und nur darüber rappte, sondern weil er ganz Hip-Hop-Deutschland zeigte, wie gut er schon damals war. Auch mit Skills en Masse aus Stuttgart, Afrob oder Denyo konnte ich mich super identifizieren, mit dieser Rap-Elite, die ohne das N-Wort auskam und es überwunden hat. Natürlich gibt es auch heute schwarze Rapper in Deutschland die das N-Wort droppen und sich herausnehmen, dieses zu benutzen – das sollen sie auch gern tun. Aber ich lasse mich von niemandem Nigger nennen, egal, welche Hautfarbe er hat. Für mich war das Einbinden dieses Worts nie etwas, was ich wollte, weil die Negativität über allem steht und Negativität niemals zum Hauptmotiv meines kreativen künstlerischen Schaffens werden sollte. Bis heute. Ich will mit meinen Skills überzeugen, mit meiner Musikalität, mit meinen Freestyle-Reimen und meiner Eloquenz. Meine bayerische Kultur fließt in meine Kunst ein, meine Hautfarbe nicht.
WARUM ICH ALS KIND IMMER WEIß SEIN WOLLTE
Trotz alledem spielte meine Hautfarbe natürlich immer eine Rolle, und nur weil ich irgendwann Menschen auf Bühnen sah, die eine selbstbewusste Einstellung zu sich und ihrer Hautfarbe gefunden hatten, änderte das nichts daran, dass ich jahrelang mit mir struggelte. Die Anfeindungen gegenüber meiner schwarzen Haut, die ich ja bereits im Kindergarten erlebt hatte, lies ich auch in meine Musik einfließen. Meine eingerappte Zeile
Lass mich noch mal drei sein im Kindergarten mit Dreirädern
mit Sprüchen von Kindern wie »Ich sitze neben keinem Neger!«
erschien 2006 auf der Vier-zu-Eins-Platte Abenteuer Hoch 3. Ich katalysierte über meine Texte zum Teil also auch Erfahrungen, die ich in früher Kindheit machen musste. Insofern war und ist meine Hautfarbe schon immer ein Thema gewesen, bis heute, wo ich regelrecht dafür kämpfen muss, als Bayer anerkannt zu werden. Ich muss immer etwas mehr geben als ein weißer Mann aus Markt Schwaben. Vor allem ältere Mitbürger sehen mich und können mich nicht richtig einordnen. Und das Interessante ist, dass ich das als Kind ja auch nicht konnte. Die Ablehnung, die mir aufgrund meiner Hautfarbe entgegenkam, verstand ich nicht. Und vor allem wollte ich nicht schwarz sein, sondern weiß. Wirklich. Ich hatte als Kind keine Lust darauf, ein schwarzes Kind zu sein. Ich weinte meiner Mutter etwas davon vor, dass ich weiß sein wollte, genau wie all die vertrauten anderen Kinder aus meiner Umgebung.
Es gibt aus meiner Kindergarten-Zeit eine Collage. Wir sollten uns und unsere Familie aus Magazinen herausschneiden. Meine Collage, die in diesem Buch abgebildet ist, besteht aus einem weißen Mann im Anzug (meinem Vater), meiner weißen Mutter, einem Hund (den wir nie hatten) und mir, einem Jungen. Mir. Der Junge ist, genauso wie sein Vater, weiß. Ich weiß heute nicht, ob das Selbstbild als weißer Junge hier überhandnahm, weil ich es mir so sehr wünschte (das würde auch den herbeifantasierten Hund erklären), oder ob in der damaligen Zeit, Mitte der 80er-Jahre schlichtweg keine dunkelhäutigen Menschen auf Magazinen abgebildet waren – so oder so: Ich wollte mich als Kind weiß sehen, weil das Schwarz mich nur einschränkte. Ich hatte durch meine fehlende Vaterfigur nie vorgelebt bekommen, einen stolzen Umgang damit zu pflegen, und mein Umfeld beschäftigte sich natürlich nicht damit. Auch wenn es rückblickend schon etwas seltsam ist, dass es wohl einen Moment gab, in dem eine Erzieherin meine selbst gebastelte Collage begutachtete, in der alle Menschen – inklusive mir – weiß waren und sie es scheinbar einfach abnickte. Es war halt eben meine Haut, meine Sache und damit auch mein Problem.
Durch die Musik sah ich später dann erstmalig Menschen, die ihre schwarze Hautfarbe positiv besetzten und der Welt zeigten, dass sie eine »Black Power« hatte. Das war eine Sache, die sie sich einfach genommen hatten, etwas, das ich ziemlich stark fand und zu denen ich unbedingt dazugehören wollte, weshalb ich mich im Hip-Hop auch schnell so wohlfühlte. Irgendwann als Teenager fiel mir dann die Biografie von Malcom X in die Hände, die mich wirklich stark beeinflusste. Wenn man Malcom X nicht kennt, ist es für viele einfach nur ein militanter muslimischer Schwarzenführer, der so ein bisschen der Gegenentwurf zu Martin Luther King war. Aber das war eben genau die Sache. Martin Luther King sagte: Wenn dich jemand schlägt, halte die andere Backe hin. »I have a dream« und so weiter. Das war mir alles viel zu passiv. Dagegen sagte Malcom X: »If someone puts their hands on you make sure they never put their hands on anybody else again.« Hier merkte ich, dass man sich verteidigen soll, obwohl und gerade weil man in einem System lebt, was einen durch rassistische Tendenzen eventuell von innen heraus brechen könnte. Man muss es tun, und man ist es wert, sich zu verteidigen. Ich bin es wert, dass ich mich verteidige. Und diese schwarze Identität kann eben auch etwas sein, was die Gesellschaft um dich herum vielleicht nicht versteht. Das heißt aber nicht gleichzeitig, dass man sie nicht leben und nicht feiern darf. Als Jugendlicher war ich von dieser Biografie ziemlich ergriffen, vor allem weil die Geschichte von Malcom X auch eine mit vielen Wirrungen war – wie meine eigene eben auch. Er war ein Krimineller, kam ins Gefängnis und lernte hier, dass er als Schwarzer Bürger zweiter Klasse war. Es gibt eine schöne Szene in seinem Buch. Malcom X geht mit seinem Zellennachbarn ein Wörterbuch durch und liest die Definitionen von Schwarz und Weiß vor. Hier spürte er das erste Mal, unter welchen begrifflichen Ungleichheiten er großgeworden war. Bei »Weiß« steht so etwas wie rein, unbefleckt, unschuldig. Bei »Schwarz« bedrohlich, gefährlich, Black Friday und so weiter. Er merkte quasi, wie er in einem System lebte, das ihn kleingemacht hatte, und er wollte sich dagegen auflehnen. Dieser Werdegang von jemandem, der ganz am Boden der Gesellschaft gewesen war, ein Drogensüchtiger, ein Krimineller, der zudem auch noch heller war als die anderen Schwarzen (noch so eine Sache, mit der ich mich gut identifizieren konnte, ich war ja auch nicht komplett schwarz). Jemand, der sich schließlich hochgearbeitet hatte, der andere Menschen motivieren konnte, das fand ich schon ziemlich beeindruckend.
Klar, die Veranstaltungen, auf denen er sprach, die Nation of Islam und so etwas, das waren total kontroverse Vereine, keine Frage. Aber ich las und las und las und dachte mir: Wow! Alle Schwarzen kommen mit Anzügen zusammen, das ist eine so große Macht. Die haben da einen eigenen Sicherheitsdienst, keiner kann diesen Typen etwas antun! Kein Markt Schwabener Zivilpolizist haut denen mit der Maglite auf die Knöchel und untersucht ihre Schultaschen! Und dann steht da dieser Malcom X und erzählt den Schwarzen, dass sie sich wehren sollen. Weil sie es wert sind. Ich saß in meinem Kinderzimmer, legte das Buch beiseite und dachte mir in meinem Kopf, der von krausen schwarzen Haaren umgeben war, die ich nicht mochte: Ja! Der Mann hat recht! Ich bin es wert.
Während ich dieses Buches las, erlebte ich eine ähnliche Transformation wie Malcom X. In der Mitte des Buches war ich genauso ein Hardliner wie er. Ich fühlte mich nur noch schwarz statt weiß und dachte an meine Mutter. War sie jetzt Teil der bösen weißen Leute? Durfte ich sie jetzt weniger lieb haben? War sie einer von … denen? Das war natürlich grober Unfug, aber ich reifte während der Lektüre und ging meinen Weg. Gegen Ende des Buches entfernt sich Malcom X schließlich von der Nation of Islam und schließt sich einer Pilgerreise nach Mekka an. Auf einmal sitzt er mit weißen Moslems zusammen und spricht mit ihnen auf Augenhöhe. Zwischen den Zeilen glaubte ich zu verstehen, warum er so ein Hardliner war. Es war der Rassismus, der verhinderte, dass man sich zusammensetzte und miteinander sprach. Sobald man diesen überwand, konnte man friedlich miteinander leben. Das war eine irre Erkenntnis für mich. Aber – wie sollte es auch anders sein – in dem Moment, in dem Malcom X sich bei Martin Luther King entschuldigt und wo er weiß, wie er schwarze Menschen für seine Ideen begeistern kann, wird er erschossen. Boom!
Das war, nachdem ich mit Malcom X durch dieses Buch gegangen war, ein weiterer Schlag für mich. Ich hatte das Gefühl, ich konnte als Schwarzer nur verlieren. Ich meine, man macht einen ziemlich krassen Werdegang durch, entwickelt sich zu einer Person, die jetzt tatsächlich als Vorbild fungiert, quasi als Brücke zwischen zwei geteilten Bevölkerungsgruppen – und was passiert dann? Man wird erschossen. Na super. Aber dieses bittere Ende löste noch etwas anderes in mir aus. Nämlich die Vorstellung, dass ich diese Idee weitertragen musste. Ich wollte mir meine selbst erlangte Wertigkeit bewahren und nahm mir vor, dass ich es nicht zulassen würde, jemals wieder weiß sein zu wollen. Ich wollte mich in Zukunft so annehmen, wie ich war, weil ich, genauso wie ich nun mal war, einen wichtigen Teil der Gesellschaft repräsentierte.
Ich kann heute versuchen zu vermitteln, weil ich hier großgeworden und tatsächlich »Best of both Worlds« bin. Und meine Both Worlds sind halt nicht »Afrika« und »Bayern«. Meine Both Worlds sind Opfer von Rassismus und bayerischer Junge. Auch ich kann Menschen zusammenbringen und erkennen, woher Rassismen kommen und versuchen, das aufzuklären. Zum Beispiel so, dass wir uns im Klaren darüber sein müssen, woher rassistische Tendenzen kommen, und dass man eben nicht den strengen Zeigefinger hebt, um irgendjemanden zu belehren, sondern eine beschwichtigende Hand reichen und sagen kann: Komm, gehen wir das mal gemeinsam durch. Ich hoffe dieses Buch kann eine solche Handreichung sein.
DAS KÖNNT IHR MIR NICHT WEGNEHMEN – MEINE WERTE, MEINE KULTUR, MEIN BAYERN
Die eine meiner Both Worlds ist klar: Bayern. Im Folgenden möchte ich ein wenig über mein bayerisches Selbstverständnis erzählen und erklären, warum »Kultur« und auch bayerische Kultur keine festen Begriffe sind, sondern sich in Bezug auf die bayerischen Wurzeln wandeln können: Im Mojo Club in Hamburg traf ich Mitte dieses Jahres den Frontmann von LaBrassBanda, Stefan Dettl. Die Band macht bayerische Mundartmusik, was ich schon ziemlich feiere. Er hatte meinen Cypher-Auftritt bei Samy Deluxe gesehen, und mein bayerischer Einschlag war ihm sofort aufgefallen. Also begrüßte er mich backstage auch direkt mit »Servus« und »Des fand i so guat, die bayerische Art«. Wir verstanden uns prächtig, weil wir beide diesen Bayernbezug in unserem musikalischen Style auslebten und so bereits eine Verbindung zueinander aufbauen konnten. Und hier verstand ich: Das hier ist Bayern. Wir sind das aktuelle Bayern, das popkulturelle Bayern. Wir formen es mit. Eben solche Leute wie Stefan Dettl und die LaBrassBanda-Band oder mein Freund Kaled, der Mundart-Pop macht. Auch die Jungs von Tribes of Jizu, mit denen ich toure und die mich manchmal bei meinen Freestyle-Cyphern im Radio unterstützen, gehören dazu, Maniac und natürlich Liquid der »Bavarian Barbarian!«, der den Mundart-Rap zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Das sind eben Leute, die aus der Kulturregion Bayern kommen und ihre Herkunft in ihre Musik hineinfließen lassen, und selbst wenn sie es nicht tun, so ist und bleibt Bayern ihre musikalische Heimat, auch wenn ihre Eltern vielleicht woher auch immer kommen. Sie betrachten ihr Umfeld, ihre Region, ihre Kultur, lassen sie in ihre Kunst einfließen, und so entsteht etwas Neues, Wunderbares, Schönes. Das sind die Menschen, die hier Akzente setzen, und nicht der AfD-Wähler auf dem Dorf, der für »sein Bayern« weniger macht als jeder dieser Musiker. Leute vom konservativen Spektrum und vom rechten Rand nehmen sich gern Traditionen, zum Beispiel unsere Trachten-Kultur und das Oktoberfest, und beanspruchen sie für sich. Deshalb haben mich bei dem AfD-Infotreffen auch diese 1860er-Maßkrüge gestört. Weil ich auch ein 1860er bin, nur eben nicht in den Augen von diesen AfD-Typen. Denn die wirkliche Kultur gestalten wir, die Menschen aus der Kulturregion Bayern, die sich hierfür stark machen, und da ist es egal, welche Hautfarbe jemand hat.
Ich glaube, einer der schönsten Momente, die ich diesbezüglich erlebt habe, war das Treffen mit Renate Maier, das ich im Rahmen eines TV-Auftritts erleben durfte. Renate Maier, das muss man vielleicht für jeden Nicht-Bayern erklären, ist so etwas wie die Repräsentantin von Bayern. Ein echtes Original. Renate Maier ist die beste bayerische Gstanzlerin, die wir hier haben. Gstanzl, auch das muss man warscheinlich jedem Nicht-Bayern erklären, ist eine bayerischösterreichische Liedform, die meistens als epigrammer Spottgesang vorgetragen wird. Im Dreivierteltakt werden wichtige Personen im Zuschauerraum ausgsunnga also ausgesungen. Es ist quasi so was wie Battle Rap. Nur ist das »Gedisstwerden«, das Ausgesungenwerden, eher eine Ehre als etwas Negatives. Und natürlich alles auf Bayerisch. Renate Maier ist in dieser Kunstform ein Killer. Ich kannte sie bereits von Fernsehauftritten im Bayerischen Rundfunk, und sie schafft es, sich sehr charmant, aber auch extrem humorig über die Zuschauer lustig zu machen. Eines Tages fragte mich ein Social-Media-Redakteur vom BR nach einer Freestyle-Session, ob ich nicht einmal Lust hätte, etwas mit ihr für den BR zu machen. Ich hatte total Bock drauf, weil für mich das Gstanzln so etwas wie das bayerische Freestylen ist.
Wir organisierten ein Treffen in Passau. Als ich Renate traf, merkte ich sofort: Der Vibe stimmte. Wir verstanden uns von Anfang an super. Renate eröffnete das Gespräch direkt mit »Ja, und du machst so Rap, oder?« Ich stieg ein: » Ja genau, also vor allem so improvisierte Rap-Sachen.« – »Ah, des find i ja ganz guat, i bin ja ganz vui mit Rappers unterwegs, ich mach ja immer Gstanzl-Battle. Die Österreicher hams vui. Vui Rap. Aber die Rapper kemman beim Gstanzl net weit. Da fangens immer guat o, ja, aber nach der fünften Rundn, dann homs bloß no eanen Motherfucker. Und des huift natürlich nichts.«
Sie hatte gleich verstanden, worum es ging, und ich sie auch (schließlich spreche ich ja bayerisch), und ich erklärte ihr, dass Battlen nicht so meins war, sondern ich wirklich mehr wert auf dieses Improvisations-Ding legte, weshalb mich das Gstanzln ja auch interessierte.
Nach diesen wenigen Sätzen waren wir vollkommen im Nerd-Ding. In dem Moment spielte alles um uns herum keine Rolle mehr. Es war mit ihr, wie wenn ich mich mit einem Hip-Hop-Fan über eine Band unterhalte, die wir beide gut finden – oder über eine bestimmte Rap-Technik. Wir saßen also im Hinterzimmer in dieser Wirtschaft in Passau, und während die Welt sich weiterdrehte, redeten und redeten und redeten wir.
Ich hatte, kurz bevor wir nach Passau gefahren waren, etwas Angst gehabt, vorgeführt zu werden. Im Sinne von »und damit es heute ein bisschen exotischer und besonders wird, haben wir noch einen Schwarzen mit dabei«, aber so wurde es überhaupt nicht. Auch der Trachtenverein hatte sich angekündigt und nahm in den ersten Reihen Platz. Als ich die Jungs und Mädels in ihren bayerischen Trachten sah, hatte ich ein eher mulmiges Gefühl. Trachtenvereine, das waren für mich immer diese seltsamen Kulturbewahrer, die ich meist negativ sah, denn ich hatte das Gefühl, sie würden mich ausschließen. Die Band spielte, und nachdem Renate eröffnete hatte, holte sie mich auf die Bühne und stellte mich als »David« vor – was ich erst einmal total nett fand, weil sie nicht Rekless sagte, sondern eben »David«. »Der macht an Freestyle-Rap … machst amoi!«
Und dann stand ich neben ihr auf der Bühne und freestylte auf Bayerisch. Das anschließende Gstanzl-Battle gegen sie verlor ich ziemlich eindeutig. Nach der Show kam Renate aber zu mir und sagte, dass ich »fürs erste Mal« nicht schlecht gewesen sei. Und wenn das die Gstanzl-Königin sagt, soll das schon was heißen. Der Abend war wirklich hervorragend, die Zuschauer saßen in Tracht, tranken ihr Bier und genossen unsere Show. Als ich nach getaner Arbeit von der Bühne stieg und mit Renate noch ein Helles trank und das Wirtshaus sich nach und nach leerte, spürte ich eine tiefe Ruhe und Seligkeit in mir. Ich hatte das Gefühl, an diesem Abend ein wenig mit meiner Kindheit aufgeräumt zu haben, ich spürte: Ja, vielleicht bin ich etwas anders und es war für die Zuschauer kurz verwirrend, als ich, ein schwarzer Typ, auf die Bühne kam und auf Bayerisch gstanzelte, aber es spielte keine Rolle, weil sofort klar war, dass ich einer von ihnen bin. Ein waschechter Bayer eben. Hier war ich nicht der schwarze Junge, der gstanzelte, sondern der David aus Markt Schwaben. Mir gegenüber saß Renate Maier und prostete mir zu. Ich beobachtete die jungen Leute in Tracht, die die Wirtschaft verließen und dachte mir: Mann. So einfach kann es dann eben auch gehen.
GASTBEITRAG VON SAMY DELUXE, RAPPER UND PRODUZENT – SUPERHELD 2.1
»Superhelden kommen in allen Farben und Formen! Wartet ab, unsere Zeit hat gerade erst begonnen« (unplugged 2019).
Ein Triumph, wenn sich die Realität verändert und Texte umgeschrieben werden müssen. Das ist leider nicht der Fall, aber der Mangel an dunkelhäutigen Superhelden hat zumindest abgenommen, und es gibt einen Black Panther in 2019.
2009 schrieb ich Superheld für meinen damals neunjährigen Sohn. Er hatte mir eines Abends, während ich ihm Harry-Potter-Bücher vorlas, gesagt, er wär gern weiß, allein aus dem Grund, dass alle Superhelden und coolen Figuren in Geschichten immer weiß sind. Der Song sollte ihm Mut machen und ein gutes Gefühl geben, aber was ich in den folgenden zehn Jahren an Feedback zu dem Text bekommen hab, ist unglaublich. Erstens eine riesen Zahl an Menschen mit dunkler Haut, die mir sagten, wie sehr der Song ihnen oder ihren Kindern geholfen hat, aber fast genauso interessant und wichtig ist der Fakt, dass es der einzige Text zu diesem Thema ist, der bei weißen Menschen extrem empathisch aufgenommen wurde. Durch die Perspektive eines unschuldigen Kindes kann jeder auf einmal das Ungleichgewicht verstehen und emotional nachvollziehen. Wenn ich mich als 1,96 Meter großer, dunkelhäutiger Mann sonst zu dem Thema äußere, merke ich oft, wie es Leuten unwohl wird, weil es aus meinem Mund bedrohlich wirkt. Und wenn ich aus der vermeintlichen Opferrolle rede, fühlen sich viele oft direkt in die Täterrolle gedrängt
Es ist für jede Gruppe von Minderheiten wichtig, ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle teilen zu dürfen, im Idealfall, ohne dass eine Mehrheit sie dafür kritisiert, nur weil Ihnen das Thema unangenehm ist. Danke an David für dieses Buch.