XENOPHOBIE – DIE ANGST VOR DEM FREMDEN
Gehen wir weg von der Film- und Fernsehwelt, also weg von dem, was abgebildet wird, hin zu dem, was wir eigentlich tatsächlich sehen. Mich zum Beispiel. Ich bin relativ viel unter Leuten, zum einen, weil ich Menschen mag und mich gern mit ihnen unterhalte, und weil ich eine Bulldogge, Biggie, habe, mit der ich oft in München oder im Münchener Umland spazieren gehe. Über die Jahre hinweg, sei es, wenn ich mit meinem Hund Gassi gehe oder mich durch München bewege, ist mir immer wieder eine Sache aufgefallen: Dass meine Hautfarbe polarisiert und in den Menschen Ängste auslöst. Kein Witz. Gehe ich mit Biggie Gassi, wechseln andere Leute die Straßenseite. Frauen und/oder Männer zucken nervös zusammen, wenn ich mich in der Straßenbahn neben sie stelle. Beim Bäcker spüre ich die Unruhe derer, die hinter mir anstehen. Sie sind es, eben auch aufgrund der vollkommenen Unterrepräsentierung von Schwarzen in unserer medialen Gesellschaft, schlichtweg nicht gewohnt, jemanden wie mich zu sehen. Der anders aussieht. Das macht ihnen Angst. Und ich glaube, das ist bis zu einem gewissen Maße ja auch normal. Ich will jetzt hier nichts beschönigen. Ich hätte wahrscheinlich selbst Angst vor mir, wenn ich nicht schwarz, sondern weiß und ständig diesen Bildern ausgesetzt wäre, die über Schwarze gezeichnet werden. Dieses Phänomen, die Angst vor dem Fremden, ist unter dem Begriff Xenophobie bekannt.
Xenophobie ist wissenschaftlich belegt und erklärbar. Im Folgenden möchte ich zum einen darstellen, woher die Angst vor dem Fremden überhaupt kommt, also ganz ursprünglich, dann, wie sie sich begründet und wie man ihr entgegentreten kann. Denn ganz ehrlich, Biggie ist wirklich ein sehr braver Hund, der sich wahnsinnig gern streicheln lässt, und ich bin eigentlich auch ein ziemlich netter Kerl, der einem guten Gespräch über Hundecontent selten abgeneigt ist. Warum sollten wir also Angst voreinander haben?
Xenophobie, die Furcht vor dem – auch nicht personalen – Fremden und die daraus resultierende Ablehnung. Der Begriff wird in der Verhaltensbiologie im Sinne einer Fremdenscheu vor Personen oder Personengruppen beschrieben, die keinen Fremdenhass einschließt, sondern der eine tiefe Emotionalität zugrunde liegt. Die Urangst vor dem Fremden ist eine menschlich existenzielle und ganz natürliche Eigenschaft und hat, wenn man es so sagen will, eine evolutionäre Daseinsberechtigung. In grauer Vorzeit lebten die Menschen in ziemlich geschlossenen kleinen Verbänden, sogenannten Urgesellschaften von etwa 100 bis 150 Menschen. Fremde traten hier fast ausschließlich als Feinde in Erscheinung. Das grundlose Misstrauen gegenüber allem Fremdartigen wurde zu einer Verhaltensstrategie, denn nicht immer gingen die Menschen ganz entspannt mit ihren Hunden spazieren, Mord und Totschlag waren mit an der Tagesordnung. Aus diesen frühzeitlichen Erfahrungen lässt uns eine fremde Umgebung mit fremden Menschen zunächst zweifeln. Unser Misstrauen kommt zur Geltung. Die Straßenseite wird gewechselt, wenn die Umgebung fremd ist oder uns ein Fremder entgegenkommt. Befinden wir uns in Anwesenheit von uns bekannten Personen, tritt die Xenophobie allerdings in den Hintergrund, und die Neugier wird angeregt. Diese Einordnung führt einerseits dazu, dass vertraute Personen, also beispielsweise Verwandte, Freunde usw. bevorzugt werden, andererseits können in diesem Zug Fremde auch schnell diskriminiert werden. Dieses grundsätzliche unbegründete Ablehnen von allem Fremden kann anschließend sehr schnell in Fremdenhass umschlagen.
Ich glaube, wir müssen uns vor allem im Klaren darüber sein, dass Angst vor dem Fremden etwas vollkommen Normales ist und einst eine hilfreiche Waffe und ein Schutzschild war. Die Neigung, fremde Gruppen abzuwerten, wurde kulturübergreifend gefunden, sodass hierfür biologisch begründete Mechanismen angenommen werden können.
Xenophobie, ein Begriff, den man in der Regel auch mit Fremdenfeindlichkeit übersetzen kann, bezieht sich auf Menschen, die in irgendeiner Art und Weise »fremd« aussehen, sich »anders« verhalten oder an etwas anderes glauben. Eine andere Hautfarbe, andere Gesichtszüge, bestimmte kulturelle Eigenschaften oder eine andere Religionszugehörigkeit sind solche Fremdheiten, wenn sie sich von unseren eigenen, bekannten Begegnungen unterscheiden. Diese tief greifende Überzeugung kriegen wir so schnell nicht mehr aus unseren Köpfen und aus unserer Genetik heraus. Kulturelle Riten stiften immer einen Gemeinschaftssinn und schließen gleichzeitig aus.
Der Soziologe David A. Wilder begründete 1986 unsere Xenophobie bereits durch die Tatsache, dass wir nahezu ständig kategorisieren und Menschen in »einen von uns« und »einen von den anderen« sortieren. Es fühlt sich gut an, einer homogenen Gruppe anzugehören, die sich von einer anderen unterscheidet. Das kann man sich, nach Wilder, genauso wenig abgewöhnen, wie wir davon lassen könnten, angesichts eines Waldes Nadel- und Laubbäume zu unterscheiden; nur dass wir im Falle sozialer Gruppen dann auch immer gleich noch der eigenen den Vorzug geben. Wir müssen also lernen, damit umzugehen und unsere angeborene Xenophobie zu kontrollieren, denn sie äußert sich sonst im Extremfall in Form eines tätlichen Angriffs oder systematischer Vertreibung derer, die uns fremd sind. Und das, jenes wissen wir aus der Geschichte, gab es bereits zur Genüge.
Fremdsein ist keine Eigenschaft, die jemand an sich trägt oder die an einem haftet. In den Augen der AfD-Leute beim Stammtisch war ich vielleicht ein Fremder, aber natürlich bin ich das nicht. Ich habe es ja an früherer Stelle gesagt: Ich bin deren kultureller feuchter Traum. Allein meine Hautfarbe und die Tatsache, dass mein Vater aus dem Kongo stammt, löst diese Urmechanismen aus, das Gefühl, einen Fremden vor sich zu haben. Aber das ist nun einmal deren verquere Weltsicht, und sie sind selbst dran schuld. Und natürlich ist der weiße AfD-Hans in vielen anderen Ländern auch ein Fremder.
Leider schützt in Deutschland eine deutsche Staatsbürgerschaft nicht vor Fremdenfeindlichkeit, genauso wenig wie in irgendeinem anderen Land. Das wäre ja auch viel zu schön. Problematisch ist außerdem der übermäßige Gebrauch der Begrifflichkeit von Fremden- und Ausländerfeindlichkeit. Es ist wie mit dem stereotypen Bild der Blähbauch-Kinder in den Medien. Irgendwann übernehmen wir dieses Bild in unserem Kopf. Bezeichnen wir Menschen, die hier geboren und überhaupt keine »Fremden« sind, ständig als Ausländer und benennen einen Übergriff auf sie als Fremdenfeindlichkeit, wird durch die ständige Wiederholung das »Fremde« zu etwas, was dem Opfer angeheftet wird. Das gibt auf der anderen Seite dem Täter die Macht, darüber zu entscheiden, wer jetzt fremd ist und wer nicht.
Unser Ziel muss es also sein, die Xenophobie zu überwinden. Wir müssen uns bewusst werden, dass es evolutionäre Gründe für unsere Angst gibt. Und eigentlich geht es in der Auseinandersetzung mit dem Fremden vielmehr um den Erhalt des Selbst und um die Verteidigung der eigenen Macht. Wie können wir diese Xenophobie also überwinden? Ich glaube, mit dem Bewusstwerden der Tatsache, dass eine erste Abwehrhaltung, zum Beispiel mir und meinem Hund gegenüber, einigermaßen normal ist, ist schon viel gewonnen. Ähnlich wie beim Alltagsrassismus. Wenn wir uns bewusst werden, dass es ein Problem gibt, ist hier schon einiges angestoßen. Von hier aus können wir arbeiten. Aber jetzt zurück zum Szenario: Ich gehe mit meinem sehr braven Hund Biggie abends spazieren. Ich bin dunkelhäutig und groß – okay. Jemand sieht mich und die Bulldogge, wie wir da so entlanggehen. Die Urinstinkte des Gegenübers greifen. Vielleicht hat er oder sie ja auch bereits traumatische Erfahrungen mit Hunden gemacht. Lässt mein Gegenüber jetzt seiner Xenophobie freien Lauf, wechselt er die Straßenseite oder rennt im schlimmsten Fall einfach weg. Nun könnte aber, weil wir es immerhin weg von einem Urvolk zu einer einigermaßen homogen funktionierenden Gesellschaft gebracht haben, sein Verstand einsetzen. Derjenige, der diese diffuse Angst verspürt, könnte also mich und Biggie sowie sich selbst in einen schlüssigen Kontext setzen und erkennen: So schlimm ist das alles gar nicht. Ebenso könnte auch jeder andere, der eine unbegründete Angst vor Flüchtlingen, Ausländern oder vor was auch immer verspürt, seinen Kopf benutzen und seine Gefühle runterkochen lassen, bevor er reagiert.