»Warum dieses Diner?«, fragte Dante über seinen gigantischen Hamburger hinweg.
Ich zuckte die Schultern. »Es war nicht weit entfernt von der Anlage und ich muss in ein paar Minuten zurück sein.«
Während Dante herzhaft abbiss, nahm ich einen Schluck von dem annehmbaren, wenn auch lauwarmen Kaffee und betrachtete meine Pancakes. Sie stellten meiner Meinung nach den einzigen Grund dar, die Verwendung von Ahornsirup nicht unter Strafe zu stellen. Großzügig goss ich den goldbraunen Klebstoff über das Kunstwerk auf meinem Teller.
Dante spülte mit Kaffee nach und knurrte: »Noch mal frage ich nicht.«
Seufzend gab ich nach. »Garreth ist heute alleine.«
Er nickte und verbiss sich wieder in sein Frühstück.
»Aber ich wollte dich auch etwas fragen.«
Sofort gefror er in der Bewegung und richtete seinen Blick auf mich.
Abwehrend hob ich die Hände. »Keine Sorge, es ist nichts Persönliches. Obwohl – eigentlich schon.«
Er setzte eine Hab-ich-es-doch-gewusst-Miene auf und ließ den Hamburger auf den Teller fallen.
»Es geht nicht um deine Schwester, versprochen.«
Bei dem Wort »Schwester« zuckte sein linkes Auge und er hörte ein paar Sekunden lang auf, zu atmen. Ich fürchtete schon, dass ich es versaut hatte, da biss er wieder von seinem Hamburger ab und nickte.
Dante die folgende Frage zu stellen, fühlte sich an, als würde ich ein Minenfeld betreten. Ich musste tief durchatmen, um den Mut dafür aufzubringen. »Warum arbeitest du für den Doktor?«
Jeder andere hätte sich wahrscheinlich verschluckt. Dante hielt kurz inne, legte sein Essen weg und griff zur Tasse. Für einen Moment sah es aus, als würde er mir die Antwort schuldig bleiben. Er trug ein Jackett, aber ich konnte sehen, wie sich die feinen Härchen an den Armen knapp über dem Handgelenk aufstellten. Noch nie hatte ich gesehen, dass Dante von irgendetwas Gänsehaut bekam. Ich hatte einen Nerv getroffen.
»Bin ihm was schuldig«, grummelte er schließlich.
Gewöhnlich beantwortete er mir nie mehr als eine Frage an einem Tag, aber mir lief die Zeit davon. Hier ging es um Carter, da wollte und konnte ich keine Rücksicht auf Dantes Befindlichkeiten nehmen.
Ich konzentrierte mich auf die Dienstmarke auf meiner Brust. Das Diner verschwamm und wich dem Inneren eines Verhörraumes im CPD. Hier gab ich den Ton an. Hier war ich es gewohnt, dass mein Interviewpartner nicht reden wollte. »Was bist du ihm schuldig?«
Ich wappnete mich für eine Antwort in der Art von: »Das geht dich einen feuchten Dreck an, Bulle.«
»Hat jemandem das Leben gerettet. Und wenn du dein Frühstück noch mit deinen eigenen Zähnen essen willst, dann hältst du jetzt die Klappe.«
Es wäre klug gewesen, jetzt Ruhe zu geben. Allerdings gab es zwei Kandidaten, auf die ich tippen konnte. Also kalkulierte ich meine Chancen, mit heiler Haut davonzukommen, und baute auf die Erfahrung, dass ich bessere Reflexe hatte als Dante. Ich entschied mich gegen Francis und wählte den anderen. »Victor, nicht wahr? Er hat Victor gerettet.«
Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als wollte er über den Tisch hechten. Im selben Moment muss ihm klar geworden sein, dass seine Reaktion bereits Antwort genug war. Stattdessen hielt er krampfhaft die Tasse mit beiden Händen fest.
»Was ist passiert?«, fragte ich, so sanft ich konnte.
Dante sah aus dem Fenster. Sand von einer Baustelle türmte sich dort auf, ein Truck hupte, ein zerbeulter Ford wich einer Luxuskarosse mit diplomatischem Kennzeichen aus. Ich war mir allerdings sicher, dass Dante ganz andere Bilder sah.
»Für Baxter und mich war der Krieg gerade vorbei, die hatten genug von uns.«
Ich wollte fragen, wer Baxter war, und warum wer von ihnen genug gehabt hatte, riss mich aber zusammen.
»Ist nicht leicht, sich in diesem Loch von Stadt was aufzubauen, da ist Frust angesagt. Wir verlassen also diese Bar, beide hackedicht, und stolpern über so’n Kerl, der da liegt, ein Haufen Leichen mit Schwertern drumrum. Ich denke, der hat es hinter sich, aber dann zuckt er. Baxter schnappt ihn und schleppt ihn zum Buick. Ich fahre, Baxter flickt auf dem Rücksitz an ihm rum, damit er nicht abkratzt. Waren wir ja inzwischen gewohnt, so was.«
Dante sprach langsam, deshalb traute ich mich nun doch, eine Frage zu stellen. »Warum habt ihr ihn überhaupt mitgenommen?«
Er wischte sich die Hände an der Serviette ab. »Du lässt keinen Überlebenden krepieren.«
Aus Dantes Sicht ergab das sicher Sinn, besonders nach einer durchzechten Nacht, da erscheinen viele Dinge in seltsamem Licht.
Ich kannte diese Geschichte und wusste, dass es sich bei den Leichen um erfahrene Kämpfer gehandelt hatte. Victor war kein Romantiker. Er hätte sich die Szene nicht auf die Fußsohle stechen lassen, wenn ihm nur ein paar Penner in irgendeiner Gasse aufgelauert hätten, um ihm die Brieftasche zu klauen.
»Im Krankenhaus stellen die einen Haufen Fragen. Dann will der Doc plötzlich mit uns reden. Meint, es sei wichtig, dass jemand auf den Typen aufpasst. Hat uns ein Vermögen für den Job geboten. Jedenfalls fühlte sich das damals so an.«
Dantes gläserner Blick klärte sich. Ohne ein weiteres Wort erhob er sich, kramte ein paar Scheine aus der Hosentasche und warf sie auf den Tisch. Ich schnappte mir einen Pancake für unterwegs und folgte ihm in Richtung Ausgang.
Ich wartete ab, bis Dante mit seinem Schlachtschiff ins Parkhaus einfuhr. Als der Motor des Wagens erstarb, wurde es Zeit für eine letzte Frage. »Warum nennt sich Baxter jetzt Francis?«
Dante stöhnte auf. Aber es war die Art von Stöhnen, die anzeigte, dass er nachgeben würde, um Ruhe vor mir zu haben. »Francis ist sein Vorname.«
»Verstehe. Und seitdem beschützt ihr ihn?«
Dante knurrte, als hätte ich etwas Dummes gesagt. »Wie kommst du darauf, dass wir ihn beschützen?«