Mit einem Gefühl, als hätte ich in Eiswürfeln gebadet, stolperte ich aus der Dusche.
Carter saß mit hängendem Kopf auf der Bettkante. Dante stand an der Badezimmertür und warf einen Blick auf die Uhr. Als er mich sah, machte er kehrt und stapfte zum Tisch am Fenster, wo noch immer unsere Essensreste verstreut lagen. Er setzte sich nicht, sondern hob nur mit dem Zeigefinger die Jalousie an und spähte hinaus in die Nacht. Das Licht der flackernden Neonreklame bahnte sich einen Weg durch den Spalt in unser Zimmer.
Ich wusste, dass ich eine Zunge hatte und sprechen konnte, aber in diesem Moment wollte mir das einfach nicht gelingen. »W…?«
»Jetzt macht schon und zieht euch was an«, grollte er.
Carter erhob sich so elegant wie ein Sack Mehl und suchte seine Klamotten zusammen.
Dieses eine Mal bist du mir schuldig, echote es in meinem Kopf. »Du hast gewusst, dass Dante da draußen war?«
Eine Socke hielt er in der Hand, die zweite ließ er liegen und richtete sich auf. »Jetzt stell dich nicht so an. Du weißt, was die mit dir machen, wenn sie dich hier draußen aufgabeln.«
»Gar nichts werden sie mit mir machen«, giftete ich zurück. An Dante gewandt fragte ich: »Woher wusstet ihr, wo ihr uns finden würdet?«
Er ließ die Jalousie los und blickte auf sein Handy. »Blöde Frage.« Als er mir das Smartphone entgegenhielt, sah ich eine Karte, auf der der Name Sleep Inn deutlich zu lesen stand. Darunter blinkten zwei rote Punkte. Ich wollte darauf hinweisen, dass wir die GPS-Chips losgeworden waren, aber bevor ich dazu kam, hielt mein Gedächtnis mich auf. Es knallte mir eine und zeigte mir den Doc, wie er vor dem Bildschirm saß und sage: Das ist sozusagen meine Visitenkarte. Mein Gedächtnis schimpfte mich einen Vollidioten und ich gab ihm Recht.
Dante packte das Handy wieder weg. »Mach schon. Die Jungs haben euch einen Tag Spaß gegönnt, aber jetzt verlieren sie langsam die Geduld. Wenn du mit mir fahren willst, müssen wir los. Wenn nicht, fährst du mit denen.«
Alleine schon die Tatsache, dass er glaubte, ich würde Carter verraten und ihn wieder zurückbringen, machte mich stinksauer. »Einen Dreck werde ich! Komm, Carter, wir hauen ab.«
Er zog sich bedächtig die Jacke über. Seine Hand näherte sich dem Türknauf. »Du hast es versucht, Captain. Lass gut sein.« Noch während der Knauf sich drehte, flog ich auf ihn zu. Plötzlich wurde mir die Luft aus den Lungen gepresst. Ein Bein legte sich um das meine und trachtete danach, mich zu Fall zu bringen. Carter öffnete die Tür und trat in die Nacht.
Es war das erste Mal, dass Dante mich wirklich wütend machte. »Lass mich los«, zischte ich.
Er brummte einfach nur »Komm wieder runter.«
Ich dachte gar nicht daran. Einen Lidschlag später hielt ich Dantes Arm. Mit einer Drehung meines Körpers brachte ich ihn hinter mich und ließ ihn über meine Schulter abrollen. Stöhnend krachte zu Boden. Ich wollte endlich raus und hechtete zum Ausgang.
Aber so leicht gab er nicht auf. Seine Hand zog sich um meinen Knöchel zusammen wie eine Stahlklammer. Er nutzte den Halt, um sich mit Schwung wieder in die Senkrechte zu katapultieren.
Ich hätte die Chance nutzen und ihm ins Gesicht treten können, aber das hier war Dante und er war mein Freund, also verstand es sich von selbst, dass ich es bleiben ließ. Dafür durfte ich mich von ihm in den Schwitzkasten nehmen lassen. Bevor er noch richtig zupacken konnte, wand ich mich mit einer nach unten gerichteten Drehung heraus und wirbelte hinter ihn.
Er hatte ein Kreuz wie ein Brauereipferd und einen Schädel so hart wie Beton, aber auch dieser Goliath hatte seine Schwachstellen.
Beim letzten Mal hatte ich ihn mithilfe eines Waschbeckens und einer Kloschüssel außer Gefecht gesetzt.
Heute wollte ich etwas subtiler zu Werke zu gehen. Als er sich umdrehte, fing er sich den Tritt seines Lebens ein, mitten in die Weichteile. Ich fand diesen Matrix-Stil zwar lächerlich, aber in diesem Fall half er mir enorm weiter. Dante klappte zusammen wie ein Taschenmesser. Ich hätte es dabei bewenden lassen können, hätte damit aber riskiert, dass er mir folgte und ins Kreuzfeuer geriet. Zu seinem eigenen Besten verpasste ich ihm den härtesten Schwinger, den ich draufhatte. Dante stöhnte und schloss die Augen.
Ich ließ ihn zurück, riss die Tür auf und spurtete hinter meinem Flüchtling her. Er hatte den Vorteil, dass er nicht nackt und barfuß durch den Regen hetzen musste. Ich hätte vielleicht auf Dante hören und mich rechtzeitig anziehen sollen. Stattdessen stolperte ich über den nass glänzenden Parkplatz und hoffte, irgendwo ein Zeichen von Carter zu entdecken.
In Richtung des Highways wurde ich endlich fündig. Ich rannte, als ginge es um mein Leben und schrie nach ihm. Als ich aufholte, zog er die Jacke enger um sich und blieb stehen. Ich fragte mich, wo er überhaupt hin wollte, bis ich auf der anderen Straßenseite einen nachtschwarzen SUV entdeckte. Bluescreen . Ein Insasse des Wagens öffnete bereits die Tür.
Ich stürmte auf Carter zu und riss ihn mit mir, zurück auf den Parkplatz und hinter einen Truck in Deckung. Keuchend linste ich um die Ecke. Von allen, die an diesem Ausflug hätten teilnehmen können, musste es ausgerechnet Quenten sein, der aus dem Wagen stieg. Bestimmt freute der sich wie ein kleines Kind darüber, dass er mich einsammeln durfte.
Carter stand neben mir wie eine willenlose Puppe. »Captain, was soll das denn noch? Die haben uns doch schon.«
»Monroe. Und nein! Verbock es nicht! Los, da rüber!«
Mit diesen Worten zeigte ich auf einen Zaun, der den privaten Bereich des Motels vom Parkplatz trennte. Dort gab es Müllcontainer und Türen. Genug, um Quenten und seine Spielgefährten so lange zu beschäftigen, bis ich sie einen nach dem anderen ausgeschaltet hätte. Sie besaßen die bessere Ausrüstung – ich hatte gar keine nötig. Als ich mich wieder zu Carter umwandte, stellte ich fest, dass er mit erhobenen Händen auf die Straße spazierte. Plötzlich fühlten sich die Regentropfen viel kälter und härter an.
Quenten lehnte am Wagen und hakte seine Waffe vom Gürtel. Ich sprintete zu Carter und riss ihn zu Boden. Um uns herum tackerten Kugeln kleine Krater in den Asphalt. Mit Carter in den Armen rollte ich mich herum, zog ihn hoch und drückte seinen Kopf runter, damit er nicht so ein verdammt gutes Ziel abgab.
Wieder hackten die Kugeln einen Asphaltnebel aus dem Boden. Kleine Steinchen spritzten auf und trafen mich im Gesicht. Carter jaulte und knickte ein. Sein Bein wurde schlaff und trug ihn nicht mehr. Ich schleifte ihn weiter und hörte in der Ferne Quentens keckerndes Lachen. So ging das nicht weiter. Hinter einem Pfeiler setzte ich Carter ab und dachte nach.
Niemand bei Bluescreen würde dort arbeiten, wenn er so ein jämmerlicher Schütze wäre. Für diese Jungs verstand es sich von selbst, dass sie ein Ziel auf 1000 Meter Entfernung ausschalten konnten. Wenn Quenten nicht traf, dann nur, weil er nicht treffen wollte. Ein Schuss in Carters Bein war seine Vorstellung von einer freundlichen Aufforderung, stehen zu bleiben.
Ich atmete tief durch und trat aus der Deckung. Hätte ich die Hände gehoben, hätte der Sadist mir garantiert ebenfalls ins Bein geschossen. Weil ich es nicht tat, machte er sich weiterhin Hoffnungen auf eine interessante Jagd.
Darauf hatte ich wenig Lust, also marschierte ich in gerader Linie auf ihn zu. Mitten auf der Straße blieb ich stehen.
Er hatte nicht einen Schuss auf mich abgefeuert. »Na, schon müde?«, fragte er. Die Waffe hielt er gesenkt. Wenn es nicht wie aus Eimern geschüttet hätte, würde jetzt eine Zigarette zwischen seinen Lippen klemmen, nur, damit er daran glauben konnte, cool auszusehen.
Ich ging nicht darauf ein und setzte meinen Weg fort.
Das Tröten eines verendenden Wals erfüllte plötzlich die Luft und rüttelte jede Einzelne meiner Körperzellen durch. Scheinwerfer blinkten warnend auf. In ihrem Licht erkannte ich Carter, der hinter mir auf die Straße humpelte. Er war dem heranrasenden Truck näher als ich. Ich hechtete auf Carter zu und rammte ihn buchstäblich von der Straße. Als er auf den Boden aufschlug, hörte ich das hässliche Geräusch brechender Knochen.
Ich kniete neben Carter am Straßenrand und fühlte ihm den Puls. Er war schwach, aber immerhin gab es einen. Ich leistete mir den Luxus, tief durchzuatmen, damit meine Hände nicht zu sehr zitterten.
Aus einer Bauchwunde sickerte Blut. Demnach hatte ihn das Dreckschwein doch nicht nur am Bein erwischt. Sein linkes Bein lag in einem unnatürlichen Winkel gekrümmt neben dem rechten. Der gesplitterte Knochen seines Schienbeins ragte durch zerfetzte Überreste seiner Hose.
Ich betete, dass keine Arterie betroffen war, zog Carter die Jacke aus und improvisierte eine Kompresse.
»Hats den Kleinen schwer erwischt?« Die Stimme gehörte Quenten.
Dennoch atmete ich auf. »Reden Sie nicht lange und holen Sie Hilfe!«
Sein Schatten fiel über uns und verdunkelte das Licht der flimmernden Neonreklame. »Nanu? Glaubt da etwa jemand, er hätte mir etwas zu sagen?«
Eigentlich lag es in seinem eigenen Interesse, Carter lebend abzuliefern, wenn er nicht riskieren wollte, von Commander Levine zerfleischt zu werden. Dass er sein Leben aufs Spiel setzte, machte mir deutlich, wie sehr ich die Ignoranz dieser uniformierten Triebtäter unterschätzte.
Das war mir schon einmal passiert, als Hauser mich auf das Dach gelockt hatte. Es hätte mich beinahe das Leben gekostet.
Wie von selbst glitt Dantes Klinge aus ihrer Halterung in meine Hand. Ich blieb in der Hocke und spannte die Muskeln an. Carter zuliebe gab ich dem Blauen noch eine letzte Chance. »Holen Sie Hilfe, oder er stirbt uns weg.«
Ich konnte Quenten nicht sehen, wohl aber die Spiegelung von ihm auf dem nassen Boden. Er hätte jemanden anrufen, nach einem Funkgerät greifen oder zu seinem Auto gehen können. Stattdessen hob er die Waffe.
Ich wirbelte in einer Aufwärtsspirale um meine eigene Achse und zog das Messer mit.
Der Blaue schrie auf. Er taumelte und presste sich die Hände aufs Gesicht. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Die Waffe polterte zu Boden.
In Windeseile sammelte ich sie auf. Das Messer wanderte zurück in seine Halterung. »Wie sieht es aus, Quenten? Brauchen Sie Hilfe? Nur zu, rufen Sie jemanden, ich habe nichts dagegen.«
Quenten hob abwehrend eine blutverschmierte Hand. »Schon gut. Wir haben alles für die Notfallversorgung im Wagen. Der Hubschrauber wird gleich da sein. Zufrieden?«
Ich schenkte ihm ein knappes Nicken, blieb aber auf der Hut. Mein Entschluss, den Blauen im Auge zu behalten, löste sich allerdings in Wohlgefallen auf, als Carter leise aufstöhnte. Sofort war ich über ihm. »Schon gut, Kleiner, das wird wieder.«
Ein stahlkappenstiefelbewehrter Fuß trat gegen meine Hand. Die Waffe flog durch die Luft und fiel scheppernd zu Boden. Meinem ersten Impuls folgend warf ich mich schützend über Carter. Erst dann zog ich das Messer und hob den Kopf, um nachzusehen, wo die Waffe gelandet war.
Quenten hob sie gerade in aller Seelenruhe auf. Zärtlich strich er mit der Hand darüber. Eine klaffende Wunde zog sich quer über seine rechte Gesichtshälfte und füllte die Augenhöhle mit Blut. Trotzdem grinste er mich an und zielte auf Carters noch halbwegs intaktes Knie. Ohne ein weiteres Wort drückte er ab.
Der Knall erschütterte mich bis ins Mark.
Carter bäumte sich auf, stöhnte und sackte zusammen.
Zähnefletschend richtete Quenten die Waffe auf seinen Kopf. »Wenn du mich fragst, ist der so gut wie hinüber. Aber du hängst ja so an ihm. Also, wenn du nicht sehen willst, wie sein Schädel explodiert, dann komm schön hier her, schieb mir das Messer rüber und knie dich hin.«
Der Cop in mir wollte sich auf ihn stürzen. Meine Urinstinkte stellten sich auf seine Seite und feuerten ihn an. Sie wollten sehen, wie ich dem Kerl den Schädel einschlug. Ich dachte daran, wie bedingungslos Carter stets zu mir gehalten hatte, und hielt meine dummen Instinkte in Zaum. Ohne Widerworte tat ich, was der Blaue verlangte.
»So ist es brav«, lobte er. »Und jetzt schön die Hände hinter den Kopf.«
Ich kannte sowohl den Text als auch das Prozedere. Wie erwartet drehte er mir kurz darauf rücksichtslos die Arme auf den Rücken und ließ seine Handschellen um die Gelenke schnappen.
Die Handschellen der Blauen waren gewöhnlich unflexibel, so dass der Gefangene sich ohne Hilfe nicht aus ihnen befreien konnte. Quenten setzte auf das altmodische Modell, das mit einfachen Kettengliedern verbunden war.
Hundert Mal hatte ich solche Dinger zum Spaß geknackt, meistens kurz bevor Tiger und ich im Bett übereinander hergefallen waren.
Die Schellen setzten mich also nicht außer Gefecht, dennoch unternahm ich nichts gegen sie. Irgendetwas, vielleicht nur eine winzige Kleinigkeit, störte mich an diesem Szenario.
Mein Gehirn rasterte Erinnerungen, die wie ein im Zeitraffer abgespulter Kinofilm an mir vorbei huschten. Hier und da sprang eine Erinnerung heraus und schwebte wie ein Geist über der Szenerie, die mir immer unwirklicher erschien.
Vor mir erschien Victors Miene, als er mich auf dem Dach der Anlage blutüberströmt vorgefunden hatte. Ich sah Hausers zerstückelte Leiche an meinem geistigen Auge vorbeiziehen und erinnerte mich, wie wütend Victor im Pub gewesen war, weil ich es einfach nicht schaffte, auf mich achtzugeben. Er hatte sich ganz bewusst die Lichter ausgeschossen. Damals dachte ich, er wollte einfach nicht über den Doc reden. Jetzt wurde mir klar, dass es dabei um mich gegangen war. Er wusste, dass ich zu Levine gehen würde. Und er wusste, dass er es nicht fertiggebracht hätte, ruhig dabei zuzusehen.
Die Geräusche um mich herum wurden leiser und verstummten schließlich ganz. Quenten hob einen Fuß. Ganz langsam. Er schien förmlich in der Luft zu schweben und darin zu gefrieren. Selbst die Regentropfen fielen in Zeitlupe und zersplitterten auf dem Boden zu kristallenen Kunstwerken. Über ihnen formte sich ein Bild.
Das letzte Puzzleteil, von dem ich mich immer geweigert hatte, es mir anzusehen, löste sich sanft aus dem Strom verdrängten Wissens und fügte sich ein, als wäre es schon immer an diesem Platz gewesen: Ich erkannte mich, wie ich in die Tiefe sprang.
All die widersprüchlichen Informationen, die mir stets das Leben schwer gemacht hatten, sammelten sich und verschmolzen zu einem Ganzen. Wenn ich in diesem Moment überhaupt etwas empfand, dann Verwunderung darüber, wie einfach doch alles war, wie offensichtlich. Lächerlich, dass ich es nicht längst erkannt hatte. Egal, wo ich mich befand oder was für Unsinn ich anstellte, Victor würde nie sehr weit weg sein. Nicht, wenn er die Wahl hatte.
Leises Plätschern drang zu mir durch und störte mich in meinen Betrachtungen. Es wurde immer lauter. Tropfen zerplatzen auf dem Asphalt und spritzen mir ihre Überreste ins Gesicht. Dicht vor mir sah ich eine Hand mit Dantes Messer, von dessen Spitze rot gefärbtes Wasser zu Boden tropfte. Ich blickte nach oben in Quentens blutiges Gesicht.
Erneut unternahm ich einen letzten Versuch, ihn zu retten. »Ich flehe Sie an, Quenten, tun Sie das nicht. Er wird Sie töten.«
Seine Antwort bestand aus einem unheilvollen Kichern.
Ich brauchte nicht mehr als einen abgerissenen Fingernagel, um mich aus den Handschellen zu befreien. Trotzdem war ich zu langsam. Quenten holte aus. Ich ließ mich zurückfallen, um der Klinge zu entgehen.
In seinem Gesicht spiegelte sich der Zorn darüber, dass ich immer noch nicht kleinbeigab. Ich wollte ihm erneut eine Warnung zurufen, schaffte es aber nicht. Irgendetwas hinderte mich am Sprechen. Darüber konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen.
Quenten war vielleicht nicht so versessen auf Messer wie der verstorbene Hauser, aber umgehen konnte er damit trotzdem. Als er schwungvoll ausholte und damit Carter gefährlich nahekam, griff ich zu. Der Schwung, mit dem er den Streich geführt hatte, machte es mir unmöglich, ihn vollständig abzufangen.
Die Klinge wanderte einmal quer durch mein Gesicht, bevor ich sie am Griff zu fassen bekam. Es dauerte quälend lange, bis der Schmerz einsetzte. Ich erwartete ihn, während ich hoffte, dass ich Quenten rechtzeitig genug entwaffnet hatte, um ihn zu retten.
Plötzlich gab es einen Ruck und er war weg.
»Tu das nicht!«, krächzte ich und wünschte, etwas sehen zu können. Mein linkes Auge setzte völlig aus und das rechte wollte sich nicht öffnen. Dafür funktionierte mein Gehör sehr gut. Schreie, die von unendlicher Qual zeugten, durchzogen das Prasseln des Regens. Mit meinem Gleichgewichtssinn schien etwas nicht zu stimmen. Ich kämpfte mich taumelnd auf die Füße und zwang mein rechtes Auge dazu, mir zu zeigen, was ich sehen musste.
Das Bild blieb verschwommen und nahezu unkenntlich, aber immerhin flimmerten vage Schatten durch die Lichtreflexe und ich wusste, wohin ich mich wenden musste. Mir kam es hauptsächlich darauf an, der glänzenden Klinge des Katanas aus dem Wege zu gehen, das seinem Opfer immer schrecklichere Laute entlockte.
Ich taumelte um das Opfer und seinen Henker herum und schaffte es schließlich, beide Arme um den schattenhaften Kämpfer zu legen.
Augenblicklich hielt die Gestalt inne, als hätte sie jemand abgeschaltet. Ihr Kopf legte sich gegen meine Schulter. Ich drückte ihn fest an mich. Sein Atem beruhigte sich und er wehrte sich nicht dagegen, dass ich mich an seinem Arm entlang tastete und ihm das Schwert abnahm.
Seine Hand klammerte sich um mein Handgelenk. Es fühlte sich an, als ob er zitterte. Hinter mir hörte ich schnelle Schritte von schweren Stiefeln und das Klappern von absurd überladenen Kampfanzügen. Ich wollte mich umdrehen und ihnen zurufen, dass sie sich um Carter kümmern sollten, aber mein Körper fühlte sich seltsam schwer an. Ich bemerkte, dass es gar nicht Victor war, der zitterte, sondern ich. Außerdem schien er mittlerweile mich festzuhalten, anstatt umgekehrt. Danach wurde entweder die Welt größer, oder ich sackte langsam zu Boden. Das Letzte, was ich spürte, war Victors Hand, die mich einfach nicht loslassen wollte.