Heligan Gardens, Frühjahr 1921
Es hatte aufgehört zu regnen, doch die Wiesen waren noch feucht. Die Sonne lugte zwischen den Wolken hervor, an den Büschen und Bäumen hingen glitzernde Regentropfen. John Claude Tremayne, genannt Jack, letzter Squire von Heligan, ging langsam durch den Garten. Seine feinen Schuhe waren bereits komplett durchnässt, aber das störte ihn nicht.
Er blieb stehen und ließ die Eindrücke dieses Ortes in sich ein. Das leise Brummen einiger Hummeln, die nach Pollen suchten, das Rauschen der Bäume, der entfernte Schrei eines wilden Fasans, das Rascheln, als eine Maus durch das Unterholz huschte. Die Düfte des Frühlings, die feuchte Fülle unter den Bäumen und in den Wiesen, das emsige Suchen kleiner Tiere nach Nahrung.
In der Ferne war leise die Brandung zu hören.
»Ich wünschte, ich könnte bleiben«, sagte er zu niemand Bestimmtem. Vielleicht zu dem rot blühenden Rhododendron. Vielleicht zu dem Turmfalken, der am Himmel seine Kreise zog. »Aber es sind zu viele Erinnerungen hier. Ich kann nicht länger mit all diesen Geistern leben.«
Langsam ging er durch den Garten, verabschiedete sich von jedem Baum, von jedem Strauch, an dem er vorbeikam. Von den Blumen im Blumengarten und den Ananas im Melonenhof, vom plätschernden Becken im Italienischen Garten und von den Orangenbäumchen in den Gewächshäusern.
Das Automobil, das sie von hier fortbringen würde, wartete schon. In wenigen Minuten würden sie aufbrechen.
Ein Wispern in den Bäumen, ein Flüstern im Wind. Ein Ast streckte sich ihm entgegen, und für einen Moment schien es Jack, als wolle er ihn trösten.
»Lebt wohl«, sagte er leise.
Heligan würde überdauern, auch wenn er noch nicht wusste, auf welche Weise.
*
Die Tremaynes verließen Heligan. Bald darauf hüllten die reichlichen Regenfälle Cornwalls den Garten in ein Tuch aus Moos und Flechten und betteten ihn sanft zur Ruhe.
Im Laufe der Jahre versank Heligan unter einer Decke aus Dornengestrüpp und sich auftürmenden Stapeln von Fallholz.
Die Ranken der Brombeeren wuchsen schnell. Jedes Jahr krochen sie weiter, drangen ein in die Gewächshäuser, drückten die gläsernen Türen und Dächer ein. Sie überwucherten den Garten mit der Sonnenuhr in seiner Mitte, Unkräuter bemächtigten sich des Platzes, wuchsen immer höher. Allmählich deckten sie auch den Eimer zu, den jemand hinter dem Melonenhaus auf der untersten Treppenstufe abgestellt hatte, halb gefüllt mit Kohlen, bereit für den nächsten Tag, um damit den Ofen zu heizen.
Der Kirschlorbeer wuchs. Über die wechselnden Jahreszeiten strebte er immer weiter in die Höhe, bis er auf die Äste einiger hoher Rhododendronstämme traf. Dort oben verbanden sich tastend die ersten zarten Triebe beider Pflanzen, schmiegten sich umeinander, umklammerten sich, verwoben sich ineinander zu einer grünen Umarmung.
Kleine Farne begannen, auf den Ästen und Astverzweigungen der Bäume zu sprießen, hellgrüne Flechten vermehrten sich auf der Rinde.
Die beiden Kiwibäume, einst von der anderen Seite der Welt hergebracht, wuchsen im Italienischen Garten weiter und weiter, vereinten sich zu einem gemeinsamen Gebilde. Ungebremst und frei von jeder menschlichen Kontrolle, streckten sie ihre langen Zweige aus und drangen nach und nach durch die Dachschindeln des Sommerhauses.
Die Zeit verging, die Jahreszeiten wechselten sich ab, gingen ineinander über. Im Dschungel breiteten sich die Wurzeln der Bäume in der Erde aus, bis sie den Rand der kleinen Teiche erreichten.
Über die Jahre hinweg füllten sich die Teiche mit abgefallenen Blättern, mehr und immer mehr. Die Blätter zerfielen und wurden zu Schlamm. Weiden- und Ahornsämlinge wurden herbeigeweht und fassten Fuß in der Schicht aus zerfallenen, vermoderten Blättern, wuchsen heran zu einer kleinen Gruppe von Bäumen.
Der wilde Bambus streckte sich jeden Tag weiter in die Höhe. Die Zweige der vielen Rhododendren wucherten ungezügelt und so dicht, dass sie an manchen Stellen den Himmel blockierten; unter den ineinander verwobenen, verwundenen Ästen entstanden dunkle Tunnel.
Einer der riesigen Baumfarne sank langsam zur Seite, gefällt von seinem eigenen Gewicht, und lag dann dort wie ein gefallener Krieger.
Im schlafenden Garten herrschte Stille.
Siebzig Jahre lang schlief der Garten. Schlief und wartete auf den Moment, bis ihn jemand behutsam wieder wachrütteln würde.
Dann, nach Jahrzehnten der Vernachlässigung, erschien ein winziger Riss in der Dunkelheit, ein Lichtstrahl, der sich schnell verbreiterte. Und der Garten streifte endlich die Decke des Verfalls ab und blinzelte in den Sonnenschein.