Donnerstag, 7.10 Uhr, D-Trakt, Herrengasse, Wien

»Guten Morgen, Sabine. Wir brauchen einen EDV-Spezialisten, den besten, den wir kriegen können.«

»Guten Morgen, Michael. Eine nächtliche Erleuchtung?«

»Nein, nur ein Anflug aristotelischer Logik.«

»Das Was-würde-ich-an-ihrer-Stelle-tun-Spiel?«

»So ungefähr. Die Frage lautet: Wollte ich Menschen finden, deren Organe zu den jeweiligen Empfängern passen, was müsste ich tun? Die medizinischen Parameter bekommen wir von Dr. Pauli, jetzt brauchen wir noch einen EDV-Spezialisten. Wenn möglich, den besten Hacker der Welt, der uns die technische Seite der Datenbeschaffung erklärt.«

Ihre Unterhaltung wurde von einem wiederholten Klingeln unterbrochen.

»Sieh an, die ›Frau Chef‹ vom Zentralfriedhof ist da, überpünktlich. Ich mache es kurz. Oder willst du mit ihr reden?«

»Danke, nein. Die ›Frau Chef‹ gehört dir. Aber ich mache ihr die Türe auf.«

Herein kam aber nicht die ›Frau Chef‹, sondern Frau Wolf, gefolgt von zwei Mitarbeitern einer Sicherheitsfirma, die einen fast mannshohen Tresor auf einem Hubwagen hinter sich herzogen.

»Morgn, Herr Hauptmann. Wohin damit? Ka Sorge, der wiegt über 300 Kilo, dafür hab ich Stiegn steign müssn. Dem Lift war i zu schwer. So an Klotz braucht ma nicht einmal einmauern und elektronisch überwacht is er auch.«

»Am besten in das Arbeitszimmer rechts, neben den Schrank, danke. Liebe Frau Wolf, wie wäre es mit einem Kaffee?«

»Immer, gern! Schwarz, ohne alles.«

Nach einem ersten vorsichtigen und einem zweiten genussvollen Schluck fing Frau Wolf an, sich den D-Trakt näher anzusehen.

»Is ja ganz nett, aber im Sommer ein Brutofen. Die Klimakastln nutzen nix. Da gehören ordentliche Außenrollos hin, zusätzlich zur Klima. Und die Türschlösser müssn ma auch tauschn.« Und damit war sie schon bei den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma.

»Wenn’s mit dem Tresor fertig seid’s, dann kommen da unten ordentliche Schlösser hin. Und a Alarmanlage mit ana Verbindung zum Verfassungsschutz und a Gegensprechanlage mit Kamera, aber ana, wo der Besucher net sieht, dass man ihn sieht und die Büda automatisch gespeichert werdn. Und sorgn’s dafür, dass die Türen so sicher san wie die Schlösser.«

Michael Lenhart war in diesem Schauspiel nur Zuschauer, wenn auch ein zufriedener.

»Frau Wolf, sollte ich je auf die Idee kommen, die Cheopspyramiden abzutragen, darf ich Sie anrufen?«

»Danke für die Blumen, Sie san ja do einer von die Guten. Aber des Spiel is jetzt anders. Das alles bin net nur ich. Der Brigadier is nervös, Gott und die Welt ruft wegn der Gschicht am Zentralfriedhof an, und die Ministerin will ebenfalls immer am Laufenden sein. Herr Hauptmann, glaub’s mir’s, des is a Wespnnest.«

War das nur die Sorge der mächtigen Ärzteschaft, oder steckte mehr dahinter? Bevor Michael Lenhart antworten konnte, stand eine nervöse Frau, Mitte fünfzig, in der Türe.

»Verzeihen Sie, ich suche die Abteilung für Sonderfälle? Die Türe unten war offen, aber ich konnte kein Hinweisschild finden?«

»Sag ich ja, Herr Hauptmann, die Schlösser müss ma austauschn. Die Rollos übernehm i. Die sind von mir, wenn Sie’s so wollen. Aber passn’s auf sich auf und auf die Preiss. Is nur a Gefühl.«

Sabine Preiss nahm die Leiterin des Zentralfriedhofs in Empfang.

»Sie sind richtig. Ich bin Leutnant Preiss, kommen Sie.«

Noch bevor sie sich gesetzt hatten, fingen die Entschuldigungen an.

»Es tut mir furchtbar leid, dass Sie warten mussten. Das war nicht meine Absicht, aber ich war bei Terminen außer Haus, als diese furchtbare Geschichte passierte.«

Trocken erwiderte Sabine Preiss: »Nur für das Protokoll, Frau Nadja Jelinek, geboren am 10. Februar 1962, wohnhaft 1140 Wien, Rosentalgasse 6. Sie waren also gestern am Vormittag dienstlich bei Terminen außer Haus? Wo genau waren Sie wann bei wem?«

Der strenge Tonfall ihrer Fragen wirkte.

»Ja, das ist richtig, also der Name und die Daten. Aber ich war nicht dienstlich außer Haus. Also nicht direkt dienstlich, obwohl ich immer wieder öffentliche Termine wahrnehme, und da muss man ja auf sein Aussehen achten. Schließlich repräsentiert man den Zentralfriedhof, also die Stadt.«

»Sie waren beim Friseur?«

Nervös und gleichzeitig erleichtert über das Ende der Verstellung antwortete Frau Jelinek: »Ja, beim Friseur und bei der Maniküre. In meiner Position muss man schließlich auf sich schauen.«

Mit gerunzelter Stirn antwortete Sabine Preiss: »Also haben Sie einen halben Tag Urlaub genommen? Wir überprüfen so etwas routinemäßig.«

»Aber nein, ich meine …«

Sabine Preiss klappte ihren Laptop zu und sah die »Frau Chef« direkt an.

»Damit keine Missverständnisse aufkommen: Auf Ihrem Zentralfriedhof wird wegen Mordes ermittelt, und Sie lassen sich, in Ihrer Dienstzeit, Haare und Nägel richten. Frau Jelinek, das wird kein schöner Bericht.«

Die wandelnde Föhnfrisur mit den frisch lackierten Nägeln hatte sich in ein Häufchen Elend verwandelt.

»Leutnant Preiss, ich bitte Sie, das konnte ich doch nicht wissen!«

»Dass man in der Dienstzeit nicht zum Friseur geht? Vielleicht sollten wir Ihre Buchhaltung nach einschlägigen Belegen überprüfen?«

»Ich bitte Sie! Ich habe immer alles aus eigener Tasche bezahlt, ehrlich!«

»In der Dienstzeit, verstehe. Soll das eine Art Trost sein?«

Die Leiterin des Zentralfriedhofs war den Tränen nahe. Zeit, ihr ein wenig entgegenzukommen.

»Frau Jelinek, ich gehe davon aus, dass Sie Ihre Urlaubszeiten korrigieren. In diesem Fall wird davon auch nichts im Bericht stehen. Bleibt noch die Frage der weiteren Vorgehensweise.«

Die »Frau Chef« witterte Oberwasser: »Da werde ich rigoros durchgreifen und noch heute eine Evaluierung der gesamten Abläufe veranlassen. Bei mir fallen keine Särge auf den Boden, niemals!«

»Doch, Frau Jelinek. Das nennt man Schwerkraft. Sie werden die Mitarbeiter der Bestattung nicht schikanieren, ganz im Gegenteil. Ja, es ist ein Missgeschick passiert. Bedauerlich, sicher, aber die Männer haben ansonsten vorbildlich reagiert. Sie haben den kaputten Sarg samt Leichen nicht einfach verscharrt, sondern umgehend die Polizei verständigt und sich in jeder Hinsicht als hilfsbereit erwiesen. So wird es im Bericht der Abteilung für Sonderfälle stehen. Ich nehme an, Sie verstehen, was ich meine?«

Geistesgegenwärtig erwiderte Frau Jelinek: »Selbstverständlich. Ich hatte ursprünglich an eine interne Überprüfung gedacht, aber angesichts der von Ihnen vorgebrachten Fakten ist diese hinfällig. Ganz im Gegenteil! Ich werde gegenüber der Magistratsdirektion festhalten, wie überaus umsichtig und verantwortungsbewusst meine Mitarbeiter gehandelt haben.«

Lächelnd sah Sabine Preiss ihr Gegenüber an. Eines musste man ihr lassen, die Frau wusste sich blitzschnell anzupassen.

»Frau Jelinek, die Floskel ›meine Mitarbeiter‹ können Sie streichen. Sie werden bei der Wahrheit bleiben und schreiben, dass Sie sich den Vormittag freigenommen hatten und die Mitarbeiter aus eigenem Antrieb die Polizei verständigt haben. Mehr nicht. Keine langen Abhandlungen, sondern nur zwei Zeilen. Das ist der erste Punkt. Der zweite betrifft die von Ihnen erwähnte Repräsentation. Ich nenne es Geltungssucht. In diesem Fall gibt es Ihrerseits keine. Auch keine SMS an Freunde wie ›Bei uns ist eine Leiche zu viel aufgetaucht‹ und keinen Facebook-Eintrag: ›War heute bei der Abteilung für Sonderfälle.‹ Nichts! Zu niemanden.«

Mit engelsgleicher Stimme ergänzte Sabine Preiss lächelnd: »Falls Sie trotzdem plaudern, und sei es auch nur eine klitzekleine Andeutung, behindern Sie eine Mordermittlung, und ich setze Ihren Hintern persönlich auf Grundeis. Liebe Frau Jelinek, haben wir uns verstanden?«

Fast panisch stieß die Friedhofsdirektorin hervor: »Sicher, selbstverständlich!«

»Sehr schön, Frau Jelinek. Im Namen der Abteilung für Sonderfälle danke ich Ihnen für Ihre Kooperation, auf Wiedersehen.«

Als Sabine Preiss die »Frau Chef« zur Tür begleitete, kam ihr Brigadier Fritsch entgegen.

»Guten Morgen, wie ich sehe, ist der Tresor schon geliefert, gut. Ich muss mit Ihnen und dem Lenhart sprechen, ist er da?«

»Ja, ich bin da, guten Morgen, Herr Brigadier.«

»Sehr gut. Gehen wir in Ihr Büro. Wir müssen ungestört reden.«

»Sabine, wir nehmen deines. Bei mir wird gerade der Tresor aufgestellt.«

Nachdem sie Platz genommen hatten und auch der Herr Brigadier mit Kaffee versorgt war, kamen sie zur Sache.

»Lenhart, das Leck ist gefunden. Ein Mitarbeiter der Gerichtsmedizin hat in seiner WhatsApp-Gruppe geplaudert. Von dort aus ging es dann weiter, verdammte Technik. Ab jetzt darf nichts mehr nach außen dringen, auch nicht in andere Abteilungen. Die Angehörigen übernehmen die Kollegen in der Steiermark. Wir wissen inzwischen, um wen es sich bei der Leiche handelt. Außerdem wird die Wiener Polizei in einer Verlautbarung nur von einem Leichenfund und laufenden Ermittlungen sprechen. Die Ministerin gibt kurzfristig eine Pressekonferenz zur sicherheitspolitischen Lage und nimmt dazu einen Einsatzleiter der COBRA sowie einen auf Radikalisierung spezialisierten Psychologen mit. Damit haben wir hoffentlich genügend Ablenkung für die Presse. Lenhart, Preiss, Sie beide müssen still und verdammt schnell arbeiten.«

»Herr Brigadier, das ist uns bewusst. Aber ohne Unterstützung wird es nicht gehen. Wir brauchen den besten EDV-Spezialisten, den Sie haben.«

»Verstehe, aber ich will im Ministerium keinen Staub aufwirbeln. Generalmajor Kollnig vom Kommando Führungsunterstützung & Cyber Defence ist mir noch einen Gefallen schuldig. Da soll sich das Bundesheer nützlich machen. Angeblich haben die die besten Hacker, und an so jemanden haben Sie gedacht, nehme ich an?«

»Ja, so in der Art. Bis wann lässt sich das organisieren?«

»Ich rede gleich mit dem Kollnig. Von der Stiftskaserne in die Herrengasse ist es nicht weit. Am Nachmittag sollten Sie Ihre Unterstützung haben. Brauchen Sie sonst noch etwas?«

»Danke, im Moment nicht. Ihre Frau Wolf hat uns bestens versorgt.«

»Gut, wenn es Probleme gibt, rufen Sie mich an. Ich komme nach Dienstschluss nochmals vorbei.«

Als der Brigadier und die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma gegangen waren, sahen sich die beiden fragend an.

»Hast du so etwas jemals erlebt? Binnen Stunden wird der D-Trakt zur Festung ausgebaut und die menschgewordene Dienstvorschrift übergeht das eigene Ministerium und besorgt uns Unterstützung vom Bundesheer. Womit haben wir es hier in Wahrheit zu tun, Sabine?«

»Wir werden es herausfinden. In einer halben Stunde sind wir bei Dr. Pauli. Dann haben wir wenigstens eine erste Idee vom medizinischen Teil. Ansonsten halte ich mich an den Wahlspruch aus meiner Bundesheerzeit, numquam perimus

»Wir geben niemals auf, ich wusste gar nicht, dass du beim Jagdkommando warst.«

»Du hast mich nie gefragt und offensichtlich meine Personalakte nicht gelesen. Lass uns gehen. Ich erzähle es dir unterwegs.«

Im Auto erfuhr Michael Lenhart mehr von seiner Kollegin.

»Als ich aus Trotz und gegen den Willen meiner Eltern zum Bundesheer ging, wurden beim Jagdkommando die ersten Frauen zugelassen. Da wollte ich wissen, ob ich die Aufnahmeprüfung schaffe, und habe verbissen trainiert. Nach der Prüfung kam die Kommandogrundausbildung, danach der Grundkurs. Inzwischen war mein Vater stolz auf mich und ich hatte genug. Nach vier Jahren bin ich ausgeschieden.«

»Nun die fast obligatorische Frage: Wie ist es dir als Frau dort ergangen?«

»Eigentlich gut. Am Anfang testen sie dich, versuchen, dich ein wenig zu provozieren. Aber im Endeffekt zählt nur die Leistung sowie das Teamplay. Die Leistung habe ich erbracht, und die Kameraden haben gesehen, dass sie sich auf mich verlassen können. Ab da war es kein Thema mehr. Ich war eine von ihnen, Korpsgeist.«

»Und das Motto hast du behalten?«

»Ja. Es gibt auch noch das numquam retro, niemals zurück, aber das finde ich kontraproduktiv. Manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um zwei nach vorne zu kommen. Entscheidend ist in meinen Augen, nicht aufzugeben. Und du, warst du beim Heer?«

»Ja, aber ich habe nur den Grundwehrdienst absolviert.«

»Themenwechsel, unser Termin mit dem Dr. Pauli: Hast du dich ein wenig schlaugemacht?«

»Gestern am Abend in der Badewanne. Aber nur auf Google-Niveau und du?«

»Ebenfalls Google, in der Hängematte.«

»Du hast zu Hause eine Hängematte?«

»Ja, im Wohnzimmer, meist schlafe ich auch darin.«

»Erstaunlich, aber warum nicht.«

Dr. Pauli, der Leiter der Transplantation, ein sportlicher Herr Anfang sechzig mit Bürstenhaarschnitt, erwartete sie bereits.

»Meine Kollegin hat mir Ihren Fall geschildert, schlimme Sache. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Herr Dr. Pauli, wir benötigen eine Art Schnellkurs im medizinischen Einmaleins der Transplantationsmedizin. Im Bewusstsein, dass es diesen nicht gibt, bitten wir Sie, es trotzdem zu versuchen. Meine Kollegin, Leutnant Preiss, wird unser Gespräch als Gedächtnisstütze aufnehmen, wenn Sie einverstanden sind?«

»Kein Problem, das bin ich von meinen Studenten gewohnt. Ich schlage vor, Sie fragen und ich antworte.«

»Sehr gut, danke. Erste Frage: Was muss ich von einem Spender, oder in diesem Fall Opfer, wissen, damit es als Organspender infrage kommt?«

»Nun, möglichst viel. Zuallererst die Blutgruppe sowie andere Blutwerte. Dann müssen je nach Organ verschiedene Erkrankungen ausgeschlossen werden, beispielsweise Hepatitis oder Krebs. Dazu kommen noch Körpergröße und Gewicht. Sie können schlecht das Herz eines Erwachsenen einem Kind einsetzen. Wir haben dazu eine Tabelle, die können Sie gerne haben.«

»Danke. Wir wissen, dass für die Entnahme eine verhältnismäßig bescheidene Ausrüstung ausreicht, nicht aber fürs Einsetzen. Stellen Sie sich vor, Sie wären in der Situation der Täter, was bräuchten Sie dafür, mindestens?«

»Einen Operationssaal, ein möglichst erfahrenes Ärzteteam verschiedener Fachrichtungen, Chirurgie, Anästhesie, interne Medizin sowie eine Intensivstation für die Nachbetreuung. Mit anderen Worten, ein entsprechend ausgestattetes Krankenhaus. Wenn ich Sie richtig verstehe, sprechen Sie nicht nur von einer Lebertransplantation, sondern von Transplantationen im Allgemeinen?«

»Ja, leider. Wir gehen davon aus, dass es sich um keinen Einzelfall handelt.«

»Schrecklich! Bis jetzt wurde hinter vorgehaltener Hand unter Kollegen immer nur von einem Schwarzmarkt für Nieren gesprochen. Allenfalls noch von zweifelhaften Entnahmen in China. Das Szenario, das Sie hier ansprechen, ist von einer ganz anderen Dimension.«

»Unsere Vermutung ist, dass es irgendwo eine Art Bestellhotline für vermögende und skrupellose Empfänger gibt. Dieser Anbieter sucht gezielt die passenden Organe für seine Kunden. Dass wir überhaupt hier sitzen und versuchen, eine erste Spur der Täter aufzunehmen, haben wir nur einem Zufall zu verdanken. Hätten die Bestatter nicht den Sarg fallen gelassen, wären wir vollkommen ahnungslos.«

»Dann schlage ich vor, wir lassen den medizinischoperativen Teil vorerst beiseite und widmen uns dem medizinisch-logistischen. Der ist ähnlich komplex und beinhaltet, je nach Organ, ganz unterschiedliche Herausforderungen.«

»Sie meinen die Zeit zwischen der Entnahme und der Transplantation?«

»Unter anderem. Um Ihnen ein ungefähres Bild zu vermitteln: Vorausgesetzt, die Entnahme sowie der Transport sind fachgerecht durchgeführt worden, kann man eine Leber auch nach zwölf oder mehr Stunden transplantieren, bei einem Herz beträgt das Zeitfenster maximal vier Stunden.«

»Mit anderen Worten: Die Leber des Opfers könnte auf einem anderen Kontinent transplantiert worden sein, wäre es um das Herz gegangen, müssten wir in Europa suchen.«

»Ausgehend von Ihrem Opfer am Zentralfriedhof, ja.«

»Michael, das hilft uns im Moment nicht weiter. Lass uns einen Schritt zurückgehen. Wie groß ist der Bereich der Transplantationsmedizin? Von wie vielen Operationen sprechen wir hier?«

»Da gibt es nur Schätzungen, aber es sind Zigtausende. Im vergangenen Jahr wurden alleine über dreitausendfünfhundert Herzen verpflanzt, offiziell. Bei Nieren können Sie von einem Mehrfachen ausgehen. Die Transplantationschirurgie ist zwar ein junges Fach, wird aber weltweit durchgeführt. Allerdings gibt es leider viel mehr potenzielle Empfänger als Spender. Die Wartelisten, etwa bei Eurotransplant, sind lang, und viele Patienten sterben, bevor sie an die Reihe kommen.«

»Ich habe mich gestern am Abend ein wenig informiert und ein paar Berichte von wartenden Empfängern sowie Angehörigen gelesen. Die psychische Belastung der Patienten scheint mitunter sehr groß zu sein.«

»Ja, niemand möchte in der Haut eines wartenden Empfängers stecken. Der Leidensdruck und die Ungewissheit, ob man noch rechtzeitig ein Organ bekommt, ist enorm. Es ist oft genug ein Wettlauf mit dem Tod.«

»Sie haben vorhin den Schwarzmarkt für Nieren angesprochen. Wie funktioniert der?«

»Mittels Geld. Bei uns ist der Verkauf von Organen streng verboten. Es gibt aus vielerlei guten Gründen eine Barriere zwischen den Empfängern und den Angehörigen der Spender. Am Nierenschwarzmarkt ist es genau umgekehrt. Hier suchen die Empfänger über Mittelsmänner einen passenden Spender. Die Entnahme des Organs sowie die Transplantation erfolgen dann meist synchron. Beide treffen sich in einem Krankenhaus und die Niere kommt direkt vom Spender zum Empfänger.«

»Und der Preis? Was kostet eine Niere?«

»Ich kann Ihnen hier nur wiedergeben, was auf Kongressen abends an der Bar erzählt wird. Ein Komplettpaket, also Untersuchungen, Spenderniere, Krankenhausaufenthalt und Vermittlerentgelt liegt angeblich bei rund 100 000 Euro.«

»Für lateinamerikanische oder afrikanische Verhältnisse ist das viel Geld. Angenommen, man würde einen europäischen Anbieter für das von Ihnen erwähnte Komplettpaket suchen, wie hoch wäre Ihrer Meinung nach der Preis?«

»Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich habe auch noch nie von so einem Angebot gehört. Bei uns in Europa sind die Kontrollen sehr streng, im Grunde lückenlos. Außerdem muss man hier klar unterscheiden: Bei einer Nierenspende stirbt der Spender nicht. Wird ihm aber Leber, Lunge oder Herz entnommen, ist es Mord. Spätestens wenn Sie ein Rezept für Ihre Immunsuppressiva und andere Medikamente benötigen oder wegen einer Grippe zum Arzt gehen, würden Sie als Empfänger auffliegen.«

»Lassen Sie uns zur eingangs gestellten Frage nach den medizinischen Daten zurückkommen. Wie könnte sich der Täter diese Daten für die Opfersuche besorgen?«

»Da kann ich Ihnen nicht helfen. Nur so viel: Die Blutgruppe alleine ist zwar ein Anfang, reicht aber bei Weitem nicht. Die Ergebnisse umfassender Vorsorgeuntersuchungen wären schon aussagekräftiger, aber noch immer zu unspezifisch. Wenn Sie sich die vorhin erwähnte Tabelle mit all den verschiedenen Faktoren ansehen, werden Sie es verstehen. Ohne vorhergehende Untersuchung des Spenders, oder in diesem Fall des Opfers, kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Es sei denn, der Täter kalkuliert den raschen Tod seiner Kunden mit ein.«

»Ein Datendiebstahl bei der Krankenversicherung würde also nicht ausreichen?«

»Nein, sollten dort die für eine Transplantation benötigten Daten hinterlegt sein, braucht dieser Mensch wahrscheinlich selbst ein Organ und scheidet als Spender oder vielmehr Mordopfer aus.«

»Herr Dr. Pauli, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Sie haben uns sehr geholfen.«

»Gerne, wenn Sie noch Fragen haben, Anruf genügt, das meine ich ernst. Wir kämpfen hier um jedes Leben, sehen tagtäglich diese Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung in den Gesichtern der wartenden Patienten, und diese Verbrecher betrachten ihre Mitmenschen als lebende Rohstofflager. Ziehen Sie diese Bastarde aus dem Verkehr!«

»Das werden wir, Dr. Pauli. Verlassen Sie sich darauf.«

Auf der Rückfahrt in den D-Trakt herrschte zunächst Schweigen. Jeder war in seine eigenen Gedanken versunken.

»Zwei Denkfehler. Dr. Pauli macht zwei Denkfehler.«

»Was meinst du, Michael?«

»Fehler eins, er unterschätzt die kriminelle Energie. Ein lässlicher Fehler, das ist nicht sein Fachgebiet. Fehler zwei: Er geht bei den Daten gedanklich von seiner Position, seinen Methoden aus.«

»Du bist also überzeugt, dass die Täter einen Weg gefunden haben, wie sie aus illegal beschafften Gesundheitsdaten transplantationsrelevante machen?«

»Ja, es ist eine Frage der Logik. Wie immer im Leben ist Aristoteles eine große Hilfe.«

»Geht’s ein wenig genauer?«

»Ohne vorhergehende Auswahl der Opfer funktioniert der Organraub nicht. Die Variante, dass der Täter seine Opfer mittels ungeeigneter Organe betrügt und ins Jenseits befördert, zieht nicht. Der logische Schluss: Nachdem es diese Art von Organraub gibt, muss es auch diese Form der Datenauswertung geben.«

»Darum deine Frage nach dem besten Hacker?«

»Ja, wie gesagt, Logik.«

»Einverstanden. Ich habe Hunger, du?«

»Ich auch, Kantine, Gasthaus oder selbst kochen?«

»Gasthaus, traditionell. Im Moment steht mir der Sinn nach etwas Bodenständigem.«

»Kern’s Beisl, klassische Wiener Hausmannskost?«

»Einverstanden, aber ich kenne das Lokal nicht.«

»Fahr am besten in die Herrengasse, wir gehen die paar Schritte zu Fuß.«

An einer roten Ampel sah Sabine Preiss zu Lenhart und sagte ernst: »Michael, danke.«

»Wofür?«

»Du bist deutlich ranghöher, behandelst mich aber als Partnerin. Das ist angenehm, aber ungewöhnlich.«

»Für mich nicht. Ränge werden von Dritten verliehen, nach Kriterien, die meist nicht rational begründbar sind. Für mich sind sie nebensächlich. Entscheidend ist das Individuum, der einzelne Mensch. Ein Idiot bleibt ein Idiot, egal wie viel Lametta seine Uniform schmückt. Gleiches gilt für die Chromosomenverteilung. Wenn es hart auf hart geht, spielt all das keine Rolle.«

Lachend erwiderte Sabine Preiss: »Hast du das auch von deinem Aristoteles, Herr Philosoph?«

»Nein, der alte Herr kannte weder eine Sabine Preiss noch die Chromosomen, aber sein Denken hat mich geprägt. Wie auch immer, unser Mittagessen fällt ins Wasser.«

»Warum?«

»Ein weißer VW-Passat und ein schwarzer Skoda-Octavia-Kombi beide in der Sparefroh-Ausstattung und sauber geputzt, direkt vor unserer Einfahrt. Das Bundesheer ist da.«

»Dann begrüßen wir die Herren und zeigen ihnen den Weg zum D-Trakt.«

Der Gefallen, den das Bundesheer Brigadier Fritsch schuldete, war offensichtlich groß. Ein Oberst Hoyos war mit sechs Mann, alle in Zivil, und zwei Kofferräumen voll Ausrüstung gekommen.

»Hauptmann Lenhart, Leutnant Preiss, es freut mich, dass wir helfen dürfen. Wir sind allerdings nur der Voraustrupp. Unsere Kollegen kommen in zwei bis drei Stunden, je nachdem, wie schnell wir fertig werden.«

»Und was ist Ihre Aufgabe, Herr Oberst?«

»Michael, das ist der Putztrupp.«

»Wenn sich zwei Militärs unterhalten, wird es für einen Zivilisten unverständlich.«

»Wir kümmern uns um die fernmeldetechnische Analyse und Absicherung, so lautet der antiquierte Begriff. Wir suchen nach Richtmikrofonen, Lasern, Wanzen und all den anderen Plagegeistern. Wenn wir Ihre Büros gesäubert haben, kommen unsere offensiven Kameraden.«

»Sie gehen also davon aus, dass der bis vor einigen Tagen leer stehende D-Trakt verwanzt ist?«

»Das Beste hoffen, auf das Schlimmste vorbereitet sein. Wir sind hier einen Steinwurf entfernt von der Hofburg und dem Bundeskanzleramt, da ist alles möglich.«

»Verstehe, na, dann wünsche ich Ihnen Waidmannsheil. Ich nehme nicht an, dass Sie uns für Ihre Wanzenjagd brauchen?«

»Nein, gehen Sie ruhig essen. Eines noch: Sie beide zu unterstützen ist uns eine Freude.«

»Oberst Hoyos, die Freude ist ganz meiner- oder unsererseits. Noch mehr Freude würde es mir machen, wenn ich den Grund dafür erfahren dürfte.«

»Sie, Herr Hauptmann, haben mit der Satisfaktion im Fabios Integrität, Mut und strategisches Denken bewiesen, heute eine leider überaus seltene Kombination. Zu Leutnant Preiss, die Sabine ist eine von uns, ihre Zielscheibe hängt noch immer in Wiener Neustadt. In diesem Sinne, Mahlzeit.«

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Im Gehen meinte Michael Lenhart: »Satisfaktion, Hoyos, klingt nach altem Adel. Aber zur Zielscheibe würde ich gerne Näheres wissen und warum er dich mit dem Vornamen anspricht?«

»Gehst du manchmal noch auf den Schießstand?«

»Für gewöhnlich jeden Mittwoch, ausgenommen gestern. Warum fragst du?«

»Weil die meisten Kollegen keine Ahnung haben und mich für eine Art Calamity Jane halten.«

»Ich höre.«

»Mit dem Duzen und dem ›in Wiener Neustadt‹ hat er deutlich zu verstehen gegeben, dass er ebenfalls beim Jagdkommando war. Die Zielscheibe stammt von einem Wettkampf, 1800 Meter, Kaliber 50 BMG. Dass die immer noch dort hängt, wusste ich nicht.«

»Du warst Scharfschütze?«

»Jeder dort ist Scharfschütze, Fallschirmspringer, Sanitäter, Überlebenskünstler und mehr. Aber der Spezialisierungsgrad ist nahezu unendlich. Wie auch immer, ich trat wegen einer verlorenen Wette zu einem Wettkampf an und habe gewonnen.«

»Frage eins, Wette. Frage zwei, Wettkampf.«

»Also gut. Ich habe gewettet, dass ich zehn Klimmzüge schaffe, aber bei acht war Schluss. Im Wettkampf musste ich meine Gruppe auf die Maximaldistanz vertreten. In Allentsteig kamen dann noch Kameraden vom Jägerbataillon 25 und der Jägerschule dazu. Mein Buddy war auf die kurzen und mittleren Distanzen von 100, 400 und 800 Meter immer vorne dabei, aber die Jägerschule hatte einen Schützen, der das Schießen anscheinend mit der Muttermilch aufgesogen hatte. Die Entscheidung fiel auf der Maximaldistanz, 1800 Meter. Der Junge hatte es ein wenig zu eilig. Ich folgte dem Grundsatz ›langsam ist präzise und präzise ist schnell‹ und erzielte fünf Treffer, wir hatten gewonnen.«

»Fünf von fünf auf 1800 Meter, das ist unglaublich!«

»Ich hatte gute äußere Bedingungen, es hat alles gepasst, Temperatur, Sicht, kein Wind.«

»Die Bedingungen waren für alle gleich. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Das war herausragend!«

»Einverstanden, ich war gut.«

»Nicht gut, herausragend! 1800 Meter, das ist meines Wissens nach mehr als die angegebene effektive Reichweite.«

»Auch auf 1800 Meter ist die Wirkung bei diesem Kaliber verheerend, und Industrienormen waren für uns nie Maßstab, eher Herausforderung.«

»Zum Feind möchte ich dich nicht haben, als Partnerin bist du mir lieber. Aber jetzt lass uns bestellen, ich habe Hunger und bin neugierig, ob oder was der Putztrupp findet.«

Als sie in den D-Trakt zurückkamen, waren die Techniker des Bundesheers noch bei der Arbeit, und Oberst Hoyos wirkte zufrieden.

»Gut gegessen?«

»Ja, danke.«

»Seid ihr fündig geworden?«

»Nur teilweise, Sabine. Wir haben eine eigenartige Interferenz gemessen und gehen dieser gerade nach. Aber das dürfte nicht euch betreffen, sondern das Bundeskanzleramt, wenn überhaupt. Auf jeden Fall haben wir einige Störeinrichtungen angebracht und diese ebenfalls auf die Liste des Bundeskanzleramtes gesetzt, wie übrigens unser Besuch offiziell auch der hohen Politik gilt.«

»Herr Oberst, halten Sie diese extremen Vorkehrungen nicht für ungewöhnlich, bei einer Strafkompanie, wie wir es sind?«

»Selbstverständlich, Herr Hauptmann, sie sind sehr ungewöhnlich. Jemand mit sehr viel Einfluss scheint ebenso viel Angst zu haben. Wer oder was die Ursache dafür sein könnte, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich bin sicher, Sie werden es herausfinden.«

»Es wird uns wohl nichts übrig bleiben.«

Zwei junge Techniker, mit Laptops unterm Arm und Kopfhörern am Hals, kamen zufrieden lächelnd zurück.

»Herr Oberst, die Jagd war erfolgreich. Zwei Laser unterschiedlicher Bauart, einmal Hofburg, einmal Bundeskanzleramt.«

Neugierig sahen Michael Lenhart und Sabine Preiss zu, wie ein anderer Bundesheertechniker die beiden Laser untersuchte. Angesichts der fragenden Gesichter erläuterte er deren Funktionsweise.

»Damit wird ein unsichtbarer Laserstrahl auf eine Fensterscheibe gerichtet. Fenster werden durch Geräusche in minimale Schwingungen versetzt, und der Laser misst diese Schwingungen. Sie können es sich wie eine Nadel auf einer Schallplatte vorstellen. Der Sendeteil schickt dann das Signal an einen Empfänger, und der kann so mithören, was hinter dem Fenster gesprochen wird.«

»Schon eine Idee, woher die beiden stammen?«

»Noch nicht, Herr Oberst. Aber es sind auf jeden Fall keine Bastelarbeiten.«

»Meine Herren, Gratulation! Packen Sie sie ein.«

Und an die anderen gerichtet: »Wie weit sind wir mit der Wanzenjagd und den Ködern?«

»Fast fertig, Herr Oberst. Wir justieren nur noch die Störsender.«

»Gut, meine Herren, dann beginnen Sie schon mal mit dem Abmarsch. Hauptmann Lenhart, Sabine, wenn es Probleme geben sollte: Sie rufen, wir kommen. Auch Ihnen Waidmannsheil!«

Eine halbe Stunde nach dem Abmarsch des Putztrupps traf ein junger Mann, Mitte zwanzig, ein.

»Hauptmann Lenhart, Leutnant Preiss, ich komme mit besten Grüßen von Generalmajor Kollnig. Ich bin Oberleutnant Fussenegger.«

»Willkommen im D-Trakt. Sie sind also unsere elektronische Speerspitze?«

»Ja, ich werde es zumindest versuchen. Die Kollegen vom Putztrupp haben mich über den Status der Abschirmung informiert. Allerdings habe ich noch keinen klaren Auftrag. Generalmajor Kollnig meinte nur, ich solle mich Ihnen zur Verfügung stellen, unter strengster Geheimhaltung und in Zivil. Am offiziellen Dienstauftrag ist allerdings das Außenministerium angeführt. Je nachdem wie der Auftrag aussieht, bekomme ich Verstärkung.«

»Sehr schön, setzen Sie sich. Wir sagen Ihnen, worum es geht.«

Nachdem sie Oberleutnant Fussenegger die Situation geschildert hatten, herrschte zunehmend Ratlosigkeit. Sie hatten zwar die von Dr. Pauli zur Verfügung gestellte Liste, doch die nützte ihnen vorerst nichts.

»Herr Hauptmann, ohne zusätzliche Informationen kommen wir nicht weiter, ganz abgesehen davon, dass ich ein medizinischer Laie und kein Transplantationschirurg bin. Ihre Überlegung, dass es eine vorhergehende Möglichkeit zur Auswahl der Opfer geben muss, ist logisch, aber für mich nicht ausreichend. Da brauchen wir mehr. Gesundheitsdaten schwirren nicht einfach durch das Netz.«

»Das habe ich mir gedacht. Also gehen wir systematisch vor, nach dem Ausschlussverfahren.«

»Einverstanden, wenn Sie mir sagen, was Sie damit meinen.«

»Nicht ich sage es Ihnen, sondern Sie uns. Wenn wir damit fertig sind und uns einer möglichen Lösung nähern, werden wir wieder auf die Unterstützung von Dr. Pauli zurückgreifen. Aber nun zur technischen Seite: Was geht Ihrer Meinung nach nicht?«

»Ein wahlloses Absaugen medizinischer Daten. Um so etwas zu machen, müssen zig Tera- oder eher Petabyte an Daten gesammelt und analysiert werden. Das geht nur, wenn man vollen Zugang zu diesen Daten hat.«

»Wo finden wir solche Daten?«

»In Österreich bei den Sozialversicherungen, den privaten Krankenversicherungen, Krankenhäusern, eventuell Arztpraxen. Aber das ist nur eine generelle Aussage. Man müsste, wie gesagt, vollen Zugang zu den Daten haben, um sie nach bestimmten Kriterien, die wir noch nicht kennen, zu durchforsten. Aber das klingt einfacher, als es ist. Angenommen, man hätte einen solchen Zugang, dann würden die Suchprogramme, die wir noch nicht haben, den dortigen Administratoren früher oder später auffallen. Die Datensicherung in diesen Bereichen ist meist besser, als man glaubt.«

Sabine Preiss hatte den Eindruck, dass sie so nicht weiterkamen, und ergriff die Initiative.

»Michael, lass mich einmal versuchen, diesen gedanklichen Faden weiterzuspinnen. Aber eine Frage vorweg: Herr Oberleutnant, wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Job gekommen?«

»Durch das Hacken. Das Bundesheer schreibt regelmäßig Wettbewerbe aus und ich habe einen gewonnen. Dann habe ich während meiner Zeit als Grundwehrdiener der damaligen Cyberabwehr gesagt, dass ihre Programme leicht zu knacken sind. Sie haben es mir nicht geglaubt, also habe ich es ihnen gezeigt, den Computer des Generalstabschefs gehackt und der Eurofighter-Alarmrotte den Befehl erteilt, im Rahmen einer unangekündigten Überprüfung der sekundären Kommunikationskanäle mit Überschall nach Wien zu fliegen und über der Stadt zu kreisen. Allerdings habe ich dem Kommando Luftstreitkräfte auch einen Widerruf dieses Befehls zukommen lassen, aber die Vögel waren schon in der Luft. Der damalige Kommandant der Cyberabwehr wurde abgelöst, ich blieb.«

»Ich glaube, an die Geschichte mit den Eurofightern kann ich mich erinnern. Michael, bevor du fragst: Beim Bundesheer gibt es für alles einen Notfallplan. Wenn die normale Befehlskette versagt, greift man auf die sekundären Kanäle zurück. Auf jeden Fall Gratulation, Herr Oberleutnant, tolle Geschichte!

Jetzt überlegen Sie: Wenn Sie so etwas wie diese Verbrecher machen wollten, wie würden Sie das anstellen, was wäre Ihrer Meinung nach der beste Weg, um an die Daten zu kommen?«

»Am besten ist immer ein freiwilliger Zugang von innen.«

»Mit innen meinen Sie einen Maulwurf? Dann müsste es wahrscheinlich mehrere, um nicht zu sagen viele Maulwürfe an den entscheidenden Stellen geben. Aber was meinen Sie mit freiwillig?«

»Wenn ich vom Dateninhaber diesen Zugang bekomme, etwa im Rahmen von Wartungsaufträgen oder, das wäre überhaupt das Beste, wenn er mir die Daten zur Verwaltung gibt. Wenn ich die Daten auf meinen Servern lagere. In diesem Fall könnte ich am ehesten unbemerkt machen, was ich will.«

»Aber wer würde derart sensible Daten freiwillig herausrücken?«

»So gut wie jeder. Die Menge wächst exponentiell und deren Verwaltung ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Die meisten größeren Firmen, aber auch viele öffentliche Stellen lagern ihre Daten an Spezialisten aus. Selbst Hightech-Riesen wie Apple, der Datenkrake Google oder Netflix bedienen sich dafür externer Partner.«

»Ich nehme an, solche Anbieter gibt es nicht nur in den USA, sondern auch bei uns in Österreich?«

»Sicher, aber die meisten sind in Osteuropa. Die dortigen Programmierer sind wirklich gut und die Preise aufgrund der geringeren Steuern und Energiekosten deutlich günstiger. Teilweise sind es auch österreichische Firmen, die ihre Serverfarmen nach Ungarn, Rumänien oder in die Slowakei ausgelagert haben.«

Sabine Preiss verschränkte die Arme und fasste frustriert zusammen: »Wir müssten also wissen, wo beispielsweise die österreichischen Versicherungen ihre Daten lagern beziehungsweise verwalten lassen, dann bei diesen Firmen unbemerkt die Firewalls knacken, um dort mit Programmen, die wir noch nicht haben, weil wir nicht wissen, wonach wir in Wahrheit suchen, die Auswahlprogramme der Organmafia finden. Wenn wir das geschafft haben, legen wir uns auf die Lauer und warten, bis sich die Täter ein neues Opfer aussuchen. Habe ich das korrekt zusammengefasst?«

»Ja, so ungefähr. Ganz abgesehen davon, dass so ein Angriff natürlich illegal ist.«

»Michael, was meinst du?«

»Das klingt nicht gerade nach einem Spaziergang. Aber es hat auch seine guten Seiten. Es zeigt die Schwäche unseres Gegners, zumindest eine davon.«

Oberleutnant Fussenegger reagierte irritiert, während Sabine Preiss lächelnd die Hände in die Hosentaschen stemmte. Sie hatte schnell gelernt, die Eigenheiten ihres Kollegen zu akzeptieren.

»Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann, aber was soll daran gut sein?«

»Dass die Täter das ebenfalls wissen. Sie haben dieses System schließlich entwickelt und bis jetzt sehr gut damit verdient, zumindest gehe ich davon aus. Aber es ist nicht das Geld, nicht der Profit, den ich meine. Es ist das Gefühl, unangreifbar zu sein. Aristoteles nannte es Aufgeblasenheit, wir würden heute Stolz dazu sagen. Ja, Stolz ist eine Schwäche. Damit können wir arbeiten.«

»Mag ja sein, aber wie können wir diesen Stolz für uns nutzen?«

»Wir können ihn in unsere Gleichung mit einbeziehen, aber zuerst müssen wir kleinere Brötchen backen.«

»Michael, komm auf den Punkt.«

»Wir brauchen eine Spielwiese. Wir müssen üben, und dafür brauchen wir den Brigadier Fritsch, mindestens.«

»Klartext, Michael!«

»Ich bin sicher, mindestens eine von den öffentlichen Krankenkassen verwaltet ihre Daten noch selbst, und davon brauchen wir eine Kopie zum Experimentieren, zum Üben. Schließlich müssen wir erst herausfinden, wie so ein Organsuchprogramm funktioniert. Parallel dazu werden wir eruieren, wer wo seine Daten lagert oder warten lässt. Wenn wir das wissen, können sich Ihre Kollegen schon einmal umsehen, ob und wie sie die Firewall knacken können. So ungefähr stelle ich mir die Vorgehensweise vor.«

»Herr Hauptmann, haben Sie eine Ahnung, wie komplex das alles ist? Von den Firewalls bis hin zu den Algorithmen und den Programmen?«

Während Oberleutnant Fussenegger zunehmend frustriert wirkte, lächelte Michael Lenhart, als wäre er die Ruhe in Person.

»Herr Oberleutnant, wie heißen Sie mit Vornamen?«

»Rainer, warum?«

»Weil das kein Spaziergang wird und ich mich nicht mit Titeln aufhalten will. Ab jetzt heißt es Sabine sowie Michael, und um auf deine Frage zurückzukommen, ich habe keine Ahnung, wie komplex das ist, aber die Eurofighter über Wien Runden drehen zu lassen zeigt mir, dass du der Richtige dafür bist.«

Sabine Preiss zwinkerte ihrem Partner zu, während Oberleutnant Fussenegger nicht wusste, ob er sich über das Kompliment freuen sollte oder nicht. Schließlich fragte sie: »Fritsch oder die Ministerin?«

»Beide, mindestens, aber streng nach Vorschrift, reden wir zuerst mit dem Fritsch.«

Das Telefonat war kurz, denn einige Minuten später läutete es bereits an der Tür. Mit einem überraschenden Ergebnis.

»Frau Ministerin, mit Ihnen haben wir nicht gerechnet, aber wir freuen uns. Herr Brigadier, willkommen im D-Trakt. Darf ich vorstellen, meine Partnerin, Leutnant Preiss, sowie Herr Oberleutnant Fussenegger vom Kommando Führungsunterstützung & Cyber Defence.«

Ministerin Mannlicher grüßte mit einem Nicken in die Runde und sah dann kopfschüttelnd zu den großen Fensterflächen.

»Hier muss es im Sommer ja unerträglich heiß werden. Fritsch, ich nehme an, Sie haben sich bereits um eine Lösung gekümmert.«

»Es werden Außenrollos montiert, zusätzlich zu den Klimageräten. Aber das ist nicht unser vordringlichstes Problem.«

»Stimmt, Lenhart, wie weit sind Sie?«

»Wir stehen noch am Start und versuchen, all die Wunder der letzten Stunden zu verstehen.«

Brigadier Fritsch, sichtlich müde, antwortete barsch: »Lenhart, die Ministerin ist nicht hier, um mit Ihnen Rätsel zu lösen. Also liefern Sie uns einen ordentlichen Bericht.«

»Der Bericht war mit den ersten fünf Wörtern abgeschlossen, und zu den Wundern erwarte ich mir eine Antwort von Ihnen.«

»Lassen Sie es gut sein, Fritsch«, antwortete die Ministerin. »Ich weiß, was Sie meinen, Lenhart. Die allgemeine Panik und die Tatsache, dass ich zusammen mit Herrn Fritsch bei Ihnen sitze. Nicht gerade der übliche Dienstweg.«

»Dazu noch ein Tresor, um den uns wahrscheinlich die Nationalbank beneidet, eine Direktleitung zum Verfassungsschutz, neue Hightech-Türschlösser, ein Putztrupp vom Bundesheer, der offiziell das Bundeskanzleramt säubert, und ein Kollege vom Kommando Führungsunterstützung & Cyber Defence, der auf dem Papier zum Außenministerium abkommandiert wurde. Ja, Frau Ministerin, ich glaube, das ist nicht der übliche Dienstweg. Insofern wären wir dankbar, wenn Sie uns etwas zu den Hintergründen sagen könnten.«

»Ich kann Ihnen leider nur Gerüchte wiedergeben, und diese beruhen auf eher vagen Geheimdienstinformationen. Allerdings scheint der Leichenfund am Zentralfriedhof diese Gerüchte zu bestätigen.«

»Sie meinen eine international tätige Organmafia? Für uns ist das eine Tatsache, kein Gerücht. Aber bitte sprechen Sie weiter, Frau Ministerin.«

»Vor circa zwei Jahren hat es in Deutschland eine routinemäßige Untersuchung von Vermisstenmeldungen gegeben, und ein findiger Kollege von Ihnen hat eine Gruppe von über fünfzig Personen ausfindig gemacht, die eines gemeinsam hatten: Sie waren alle gesund, lebten in soliden Verhältnissen und hatten keinen Grund, sich heimlich das Leben zu nehmen oder zu verschwinden. Nach weiteren Recherchen bei EUROPOL wurden die Ermittlungen aus uns unbekannten Gründen abgebrochen.«

»Sie gehen also davon aus, dass diese Organmafia über beste Kontakte zu den Spitzen der Politik verfügt und selbst Ermittlungen in Mordfällen stoppen kann?«

»Es scheint zumindest so. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass möglicherweise auch Politiker davon profitieren. Eine ehemalige Ministerin und EU-Abgeordnete ging letztes Jahr für ein paar Monate in den Krankenstand, offizielle Diagnose: Burn-out. Als sie zurückkam, war sie nicht nur deutlich schlanker, auch ihre Medikation hatte sich verändert. Die Lebermedikamente waren verschwunden. Stattdessen nimmt sie seit ihrem Krankenstand regelmäßig Immunsuppressiva sowie einige andere Medikamente, die auf eine Transplantation hinweisen. Auf der Liste von Eurotransplant hat die Frau aber nie gestanden. Es kann sich also um keine reguläre Transplantation handeln.«

»Wenn ich Sie richtig verstehe, Frau Ministerin, lässt man diese Mörder gewähren, weil man eventuell selbst einmal schnell ein neues Organ brauchten könnte. Vom Druck, den reiche Kunden aufbauen können, zumal wenn sie selbst auf eine Transplantation angewiesen sind, ganz zu schweigen. Nun haben sich allerdings zwei entscheidende Komponenten geändert: Erstens wurde bei uns zumindest ein Mensch für einen Organraub ermordet und zweitens: Ich bin nicht bereit, klein beizugeben.«

»Numquam retro, das gilt auch für mich«, meldete sich Sabine Preiss zu Wort.

»Das habe ich auch nicht erwartet. Sie haben meine persönliche Rückendeckung und auch die von Brigadier Fritsch. Aber die Sache muss still und heimlich ablaufen. Sobald auch nur das Geringste nach außen dringt, wird es brenzlig. Für diese Verbrecher ist Morden das Fundament ihrer Geschäftsstrategie. Die werden im Zweifelsfall vor nichts zurückschrecken, aber ich nehme an, das ist Ihnen ohnehin bewusst.«

»Danke für den Hinweis, wir kennen das Risiko. Kommen wir zum inhaltlichen Teil. Wir brauchen Zugang zu den Daten von zumindest einer Krankenkasse. Wir müssen herausfinden, wie unsere Gegner zu ihren Opfern kommen. Sabine, jetzt bist du dran.«

»Frau Ministerin, die Mörder haben offensichtlich ein Auswahlverfahren entwickelt, welches auf den Gesundheitsdaten der Opfer beruht beziehungsweise spielen diese Gesundheitsdaten dabei eine zentrale Rolle. Damit wir dieses System verstehen, müssen wir uns selbst in die Position der Mörder begeben und unser eigenes Verfahren entwickeln. Dazu brauchen wir diese Datensätze.«

»Wenn ich mich einmischen darf«, meldete sich Rainer Fussenegger zu Wort. »Beim Zugang zu den Daten werden Sie auf Widerstand stoßen und es würde auch zu viel Staub aufwirbeln. Anders sieht es bei einer Übung gegen Cyberangriffe aus. Hier ist die externe Sicherung von Daten Teil der Notfallroutine. In diesem Fall würden die Daten über gesicherte Leitungen auf Servern im Neulengbacher Bunker landen. Dort könnten wir dann in Ruhe damit arbeiten. Die Anlage gehört zu meiner Abteilung und alles würde für Dritte wie eine Routineübung aussehen.«

Dem Lächeln nach zu urteilen, schien der Ministerin dieser Vorschlag zu gefallen.

»Fritsch, was meinen Sie?«

»Wenn wir es an der Ministerialbürokratie vorbeischummeln, könnte es gehen. Ideal wäre die Wiener Gebietskrankenkasse. Die verfügen über die größte Datenmenge und halten sich in Sachen EDV-Sicherheit für die Crème de la Crème. Aber die Entscheidungen fallen dort im Gremium, wie bei allen anderen Kassen auch. Das bleibt nicht geheim.«

»Der Krieg ist ein Weg der Täuschung, Herr Brigadier.«

»Hören Sie auf mit Ihrem Aristoteles, Lenhart.«

»Bei allem Respekt, das war Sunzi, und Hauptmann Lenhart meint mit diesem Spruch die Übung. Wenn wir die Gebietskrankenkassa zu einer solchen Übung motivieren, können sie ruhig im Gremium oder wo auch immer darüber diskutieren.«

»Und wie wollen Sie denen über Nacht eine Übung einreden? Die merken doch, dass da etwas nicht stimmt und fangen an, Fragen zu stellen.«

»Nicht, wenn sie angegriffen werden. Rainer, ich denke, die Eurofighter haben sich einen Rundflug verdient.«

»Lenhart, Ihre Metaphern gehen mir auf die Nerven! Reden Sie Klartext!«

»Herr Brigadier, dieser Mann hat in einer angekündigten Aktion die damalige Cyberabwehr überlistet und unsere Flieger starten lassen. Angriffe sind sein Spezialgebiet und in diesem Fall kommt auch niemand zu Schaden. Es würde sich nur um eine Art Motivations-programm handeln.«

»Fritsch, das entscheide ich«, mischte sich die Ministerin ein. »Können Sie mir garantieren, dass dieser Angriff keinerlei Schaden anrichtet und absolut unentdeckt bleiben wird, Herr Fussenegger?«

»Sicher, Frau Ministerin. Wir testen routinemäßig immer wieder verschiedene Einrichtungen, etwa Energieversorger oder Verkehrsleitsysteme. Bis jetzt hat uns noch niemand entdeckt, und das wird auch so bleiben.«

»Fritsch, geben Sie mir den Kollnig.«

Nach einem kurzen Gespräch reichte die Ministerin das Mobiltelefon zurück.

»Fritsch, wir machen es so. Wir starten einen, wie haben Sie es genannt, Lenhart, einen Motivationsangriff auf die Krankenkassa, aber bitte nur zum Schein.«

Plötzlich aschfahl, entgegnete Brigadier Fritsch: »Frau Ministerin, ist Ihnen klar, dass wir damit den Rahmen des gesetzlich noch irgendwie Gedeckten sprengen?«

»Nein, Fritsch, tun wir nicht. Wir führen zusammen mit dem Kommando Führungsunterstützung & Cyber Defence eine Übung im Rahmen der Notfallroutinen durch. Dabei werden die Sicherungsvorkehrungen wichtiger Infrastruktureinrichtungen sowie die Auslagerung von Daten getestet. Nicht mehr und nicht weniger. Oder haben Sie einen besseren Vorschlag? Nein, dachte ich mir. Herr Fussenegger, Sie können loslegen.«

»Verstanden, dann mache ich mich auf den Weg. Den Test mache ich lieber vom Aquarium aus. Verzeihung, so nennen wir den Bunker in der Stiftskaserne.«

»Gut, es ist inzwischen 20.10 Uhr, ich glaube, damit können wir für heute Schluss machen, mit Ausnahme von Ihnen, Fussenegger, Guten Abend.«

Nach der allgemeinen Verabschiedung standen Lenhart und Preiss im Innenhof der Herrengasse.

»Bier oder Wein, Sabine?«

»Bier, modern und fröhlich.«

»Brewing Company?«

»Beim Bier vertraue ich einem Single im besten Alter.«

»Sonst nicht?«

»Sagen wir, der Anfang stimmt mich hoffnungsfroh.«

»Na dann, lass uns gehen.«

Als sie an einer Kreuzung warten mussten, fragte Sabine Preiss ihren Kollegen direkt: »Wieso bist du eigentlich Single? Ein Mann wie du?«

Seine Antwort war ausweichend.

»Fragt ein sportlicher Engel auf zwei Beinen mit einem Master in Mathematik und einer Gedenkzielscheibe beim Jagdkommando.«

Mit einem Schulterzucken antwortete Sabine Preiss ebenso kurz: »Try and Error, Error.«

»Tja, das nennt man wohl die Geworfenheit ins Leben.«

»Vielleicht sollten wir eine Spur ausführlicher antworten.«

Lächelnd erwiderte Michael Lenhart: »Das ist ausnahmsweise nicht von Aristoteles, sondern von Heidegger, einem deutschen Philosophen. Er meint damit, wir können uns nicht aussuchen, wo, wann und von wem wir geboren werden. Das Leben an sich kennt keine Gerechtigkeit, wir können es nur leben. Mit anderen Worten: Mach das Beste daraus.«

»Netter Exkurs, aber er beantwortet nicht meine eigentliche Frage.«

»Ich war Anfang des Jahrtausends verliebt, glaubte, meine fehlende Hälfte gefunden zu haben, träumte von Kindern, einem Haus … das volle Programm. Bis sie mir erklärte, ihre Lebensplanung sähe anders aus, und für die Karriere nach London ging. Seitdem lebe ich allein, zumindest grundsätzlich.«

»Bei mir war es das Alternativprogramm zum Heer, ein charmanter Weltverbesserer. Wegen ihm habe ich mich für Anthropologie eingeschrieben und wähnte mich im siebenten Himmel. Bis ich ihn mit seiner Studienassistentin im Bett erwischte.«

»Was hast du gemacht?«

»Nasenbeinbruch. Zuerst wollte ich ihm das Knie ruinieren. Ein lateraler Kick, willkommen Krücken. Aber das Knie sieht man nicht und sein Gesicht war ihm heilig. Also die Nase.«

»Lange her, und dann?«

»Reden wir beim Bier weiter, wir sind da.«