Kapitel 7
Zélie
Ich brauche nicht in Amaris Gesicht zu schauen, um zu wissen, warum sie bernsteinfarbene Augen hat. Königin Nehanda besitzt die Schönheit ihrer Tochter, doch während Amari weiche Konturen hat, sind die Züge ihrer Mutter kantig und streng. Wie ihre Tochter trägt Nehanda eine golden schimmernde Rüstung. Die polierten Platten wölben sich über ihrer Brust, gezackte Schulterpolster und Stulpenhandschuhe verstärken den kriegerischen Eindruck.
»Was sollen wir tun?«, flüstert Tzain und umklammert seine Axt fester. Entgegen der Auskunft von Roëns Spähern lebt Königin Nehanda noch. Die Monarchin kommt über den Sand herangeschwebt, ein violetter Umhang weht hinter ihr in der Meeresbrise. Ihre Zielstrebigkeit ist mir tödlich vertraut.
Die Narben auf meinem Rücken beginnen zu jucken.
»Du hast überlebt!« Amari lächelt, doch Nehanda würdigt ihre Tochter keines Blickes. Sie sieht sich um und scheint genau zu wissen, dass der gesamte Kuppelsaal jeden Atemzug von ihr verfolgt.
Ihr ist bewusst, dass ein einziges Wort von ihr reicht, um die jubelnde Menge in ihr Gegenteil zu verkehren.
»Kühne Versprechen«, sagt sie schließlich. »Gerissene Lügen. Aber das sind nicht die Worte einer aufopferungsvollen Anführerin, sondern einer machthungrigen Tyrannin.«
Der Vorwurf trifft Amari wie eine Ohrfeige. Sie taumelt regelrecht nach hinten. Die Menge wird unruhig, Zweifel sickern hervor wie Wasser durch einen gebrochenen Damm.
»Mutter, was soll das?« Amari tritt vor. »Ich dachte, du wärst tot …«
»Das hättest du wohl gerne!«, unterbricht die Königin sie. »Du hast Maji und Söldner auf meinen Kopf angesetzt!«
»Das habe ich nicht …«
»Du hast diesen Leuten erzählt, ihr König sei gefallen, aber dabei hast du vergessen zu erwähnen, dass der Königsmord durch deine Hand geschah! Du spricht von deinem verstorbenen Bruder, ohne zuzugeben, dass du es zusammen mit den Maji warst, die den rechtmäßigen Thronerben getötet haben!«
Entsetzen wird laut, schockierte Rufe schallen durch den Saal. Wo vorher Hoffnung und Zuversicht herrschte, drückt nun eine Wolke des Argwohns und der Entrüstung die Menschen nieder.
»Das stimmt nicht!«, ruft Amari.
»Leugnest du, deinen eigenen Vater getötet zu haben?«
»Nein, ich …« Amari läuft rot an und holt tief Luft.
»Ja, der König ist durch meine Hand gestorben, aber Inan habe ich nicht umgebr-«
Sie hat keine Gelegenheit, den Satz zu beenden. Welchen Einfluss auch immer Amari auf die Menschen gehabt haben mag, nun verflüchtigt er sich.
»Verräterin!«, ruft jemand.
»Lügnerin!«, jemand anders. Die Wut wird größer und bricht sich wie eine Welle, die Amari mit sich reißen will. Mit zitternden Händen beobachte ich, wie sich der Zorn ausbreitet und auf die im Kuppelsaal verteilten Maji übergreift.
Amari hebt die Hände, ein schwacher Versuch, die tobende Masse zu besänftigen. Sie wirkt wie ein hilfloser Welpe vor der Höhle einer Schneeleopardesse.
»Vor euch steht eine Verräterin!« Nehanda kommt weiter nach vorn. »Eine Rebellin, die sich mit Lügnern und Dieben verbündet hat. Ein dreistes Kind, das uns alle mit der Magie in Gefahr gebracht hat, nur um selbst Königin werden zu können!«
»Bitte, Mutter!«, fleht Amari. »Lass mich das erklären!« Doch ihre Stimme klingt hölzern, während die ihrer Mutter hart wie Stahl ist.
Amaris Einwände verhallen, als die Wachen der Königin in den Kuppelsaal marschieren, erkennbar an ihrer goldenen Rüstung und den rasiermesserscharfen Schwertern. In ihren blitzenden goldenen Wappen sehe ich die Leiche meiner Mama.
Ich fühle die Hitze der Flammen, die Babas Sarg verschlangen.
»Ich werde nicht zulassen, dass du und deine aufständischen Maji dieses Königreich zugrunde richten!«, ruft Nehanda. »Ich verhafte dich wegen deiner Verbrechen gegen die Krone! Jeder, der dich unterstützt, wird festgesetzt!«
Die Wachleute der Königin stampfen in den Saal, bewaffnet mit Glaskugeln, in denen sich eine nachtschwarze Flüssigkeit befindet. Panik bricht aus.
»Was haben die da?«, rufe ich Tzain zu.
»Keine Ahnung, aber wir müssen Amari hier rausbringen!«
Er stürzt zur Bühne, doch nicht schnell genug.
Nehanda drückt sich eine goldene Maske vors Gesicht, während ihre Soldaten die Glaskugeln im Sand zertreten.