Kapitel 9
Zélie
Um Oyas willen …
Das gasförmige Majazit attackiert von allen Seiten gleichzeitig. Die giftige Wolke brennt in meinen Augen. Der Qualm bringt meine Haut zum Knistern wie ein Brandeisen.
Das Gift versengt die Haut an meiner Wade. Eine andere Wolke berührt die Narben auf meinem Rücken. Als ich das Majazit einatme, kann ich fast spüren, wie Sarans Messer sich in mein Fleisch bohrt.
»Lasst die Verräterin nicht entkommen!« Nehandas Rufe gellen durch den Kuppelsaal. Verschwommen nehme ich wahr, wie sie nach vorne marschiert und den goldenen Helm von ihren Locken zieht. Ich traue meinen Augen kaum, als ihr eine weiße Strähne auf die Wange fällt. Das kann nicht sein …
Die Königin von Orïsha ist eine Tîtánin.
Die Atmosphäre verändert sich, als Nehanda ihre neu erwachte Magie heraufbeschwört. Das grüne Licht ihrer Ashê umgibt ihre Hände. Es muss weh tun, doch das hält die Königin nicht auf. Die Magie glüht so hell in ihrer Brust, dass man die schwarzen Konturen ihrer Rippen sieht.
Grünes Licht umknistert den Körper der Königin wie ein Blitz. Sie setzt eine mir fremde Kraft frei. Die Königin streckt die Hände aus, und die Legion von Tîtánen erstarrt. Zitternd sehe ich, wie Nehanda die Ashê aus den Adern ihrer Soldaten saugt.
Wie ist das möglich?
Ich versuche, mir einen Reim darauf zu machen, was ich sehe. Grüne Fähnchen von Ashê steigen rauchgleich aus der Haut der Tîtánen und streben zu Nehandas Handflächen. Ein Kraftakt, der die Soldaten in die Knie zwingt. Sie saugt das Leben aus den bebenden Körpern. Ein Gardist zuckt noch kurz im Sand, dann ist er tot.
»Du wirst für deine Taten büßen!« Obwohl ihre Soldaten solche Schmerzen erleiden, geht Nehanda weiter. Sie hebt die Hände, ihre Augen glühen smaragdgrün. Mit einem lauten Schrei stößt sie die Fäuste in den Boden.
Die Erde reißt auf.
»Zurück!«
Nehandas Fäuste treiben Spalten in den Boden. Schreie gellen durch den Kuppelsaal, die Menschen fallen auf die Knie, können sich nicht mehr halten.
Nehandas Schachzug erschwert den Maji die Flucht, doch plötzlich reißt sie die Augen auf. Sie verliert die Kontrolle. Das Erdbeben wird immer stärker.
Ich höre ein krachendes Bersten.
Nein.
Mit verkrampftem Magen hebe ich den Blick. Risse ziehen sich durch die Außenmauer der Kuppel, wie ein Spinnennetz.
Hoch!
, schreie ich mir selbst zu, als das Sonnenlicht durch die breiter werdenden Risse fällt. Doch vor Verzweiflung sind meine Beine wie gelähmt. Ich kann nicht fassen, dass es so weit gekommen ist.
Nach allem, was wir getan haben. Nach allem, was wir verloren haben.
Es hat nichts genützt.
Babas Tod wird uns nicht den Sieg sichern. Niemals werde ich diese Schuldgefühle loswerden …
»Zélie, komm!«
Von der Seite stürzt Roën herbei und reißt mich mit sich um. Wir rollen über den Boden, ein Stück der Außenmauer fällt auf seine Hand. Er flucht.
»Roën!« Ich krabbele auf Händen und Füßen weiter, ersticke fast an der Majazitwolke. Als ich den Söldner erreiche, drückt er mir ein blutverschmiertes Metallstück auf die Nase. Saubere Luft dringt durch die goldene Maske in meine Lunge. Pfeifend atme ich ein.
»Halt dich fest!« Roën drückt mich an sich, und gemeinsam kriechen wir unter eine heruntergefallene Deckenplatte. Die Kuppel bricht ein, hagelt förmlich auf uns herab. Bei jedem Trümmerteil, das auf die Platte fällt, zucke ich zusammen.
Jemand ruft meinen Namen, ich schiebe den Kopf unter der Platte hervor: Tzain und Amari kommen auf Nailahs Rücken auf mich zugaloppiert. Als Amari uns entdeckt, streckt sie die Hände aus.
»Fasst zu!«, schreit sie.
Roën und ich greifen links und rechts nach Amaris Armen. Sie beißt die Zähne aufeinander und stemmt sich gegen Tzain, bis wir auf Nailahs Rücken geklettert sind.
Laut brüllend weicht die Löwenesse den herabfallenden Platten aus.
Während wir uns vom Strand entfernen, stürzt der Kuppelbau hinter uns zusammen.