Kapitel 57
Inan
Es ist nie genug!
Diese schlichte Wahrheit durchfährt mich wie ein Schwert. Bohrt sich wie ein Speer in mein Herz. Als ich auf das Blutbad vor dem Lager der Iyika schaue, zittert meine Hand mit der Bronzemünze darin. Eigentlich sollte dies der Ort sein, wo ein Frieden ausgehandelt wird. Stattdessen gibt es viel zu viele Tote, um sie zu zählen.
»Ich dachte, wir hätten sie.« Ojores Kiefer bebt, er muss den Blick abwenden. Mutter nimmt ihn in die Arme, um ihn vor dem Anblick des Gemetzels zu schützen. In dem, was vom Dschungel noch übrig ist, stapeln sich Leichen. Die wogenden Hügel ringsum sind nur noch Erdwälle. Die riesigen Bäume sind mitsamt ihren Wurzeln aus dem Boden gerissen. Jokôyes Körper wurde noch nicht gefunden.
Ich habe meine Tîtánen trainiert , erinnere ich mich an die Worte meiner Generalin. Wenn wir das nächste Mal auf Iyika treffen, sind wir vorbereitet. Dann werden wir diese Verräter an Ort und Stelle vernichten.
Ich lasse den Kopf hängen und lege die Faust aufs Herz, um Jokôyes Geist meinen Respekt zu erweisen. Sie hat sich für dieses Königreich geopfert. Hat alles gegeben, um den Thron zu schützen.
Sie hätte unsere Geheimwaffe sein sollen. Eine Macht, die selbst Zélie nicht schlagen kann. Jokôyes Kraft war der einzige Grund, weshalb ich mich stark genug fühlte, den Frieden mit Gewalt durchzusetzen, doch was für ein Friede kann schon von Dauer sein, wenn unser Feind zu so etwas in der Lage ist?
»Ich will nicht unhöflich sein«, sagt Mutter, »aber wir haben keine Zeit zum Trauern. Wir dürfen den Iyika nicht die Möglichkeit geben, sich neu zu formieren. Wenn sie in Lagos Vergeltung üben …«
Sie verstummt, aber sie muss den Satz gar nicht zu Ende sprechen. In wenigen Minuten ist aus dem Dschungel ein Ödland geworden. Hätte hier eine Stadt gestanden, wären Tausende von Zivilisten in den Gefechten gestorben.
Ich wollte ein besserer König sein, doch nach allem, was passiert ist, habe ich keine Wahl mehr. Es ist unwichtig, dass ich den Angriff nicht angeordnet habe. Jede Hoffnung auf Frieden liegt mit meinen Toten hier auf dem Schlachtfeld.
Ehre und Pflichterfüllung. Ich umschließe die Bronzemünze. Ehre und Pflichterfüllung. Wenn wir uns wiedersehen, wird es keine Versöhnung geben. Nur die vollkommene Auslöschung.
Am Ende dieses Kriegs kann nur einer der Sieger sein. Ein Herrscher wird auf meinem Thron sitzen. Ich halte mich nicht mehr zurück. Ich muss die Iyika auslöschen, egal, was das für Amari und Zélie bedeutet.
Ich werde diesem Krieg ein Ende bereiten.
»Trommele die restlichen Soldaten zusammen«, sagt Mutter zu Ojore. »Wir greifen sie wieder an, solange sie nicht damit rechnen.«
»Nein.« Ich schüttele den Kopf. »Solange sie vereint sind, sind sie zu mächtig für uns. Egal, wie viele Soldaten wir haben.« Ich schließe die Augen und versuche, mir unsere nächsten Schachzüge wie die Figuren auf einem Sênet-Brett vorzustellen. »Wir müssen sie endgültig schwächen. Sie auseinanderreißen, besiegen und dann zur Kapitulation zwingen.«
»Wie soll das gehen?«, fragt Ojore.
Ich betrachte das Bronzestück und stelle mir Zélies Gesicht vor. Kurz habe ich wirklich geglaubt, wir hätten die Möglichkeit, all dieses Leid hinter uns zu lassen. Jetzt weiß ich, dass dieser Tag niemals kommen wird.
»Indem wir einen Köder auslegen, den Amari und Zélie am meisten hassen«, erwidere ich. »Mich.«