Kapitel 79
Amari
Leugnen ist alles, was mir bleibt.
Alles, was ich noch kann.
Nur so kann ich von einer verkohlten Leiche zur nächsten gehen und die Botschaft am Berg ertragen.
Es dauert nicht lange, bis ich den Ort finde, wo Inan und Mutter ihren Angriff geplant haben. Und den Tunnel, den sie unter der Ahéré gegraben haben, um aus dem Dorf zu fliehen. Sie lockten unsere stärksten Krieger her, so dass jene, die unseren Schutz am nötigsten hatten, wehrlos zurückblieben.
Hinter mir scharen sich die Maji um Dakarai und sehen sich die verschwommenen Bilder zwischen seinen Händen an. Fast hundert unserer Maji und Divînés sitzen in Ketten gelegt im Verlies des Palasts.
Schlag zu, Amari!
Vaters Worte verhöhnen mich, als ich die Leichen auf dem Boden betrachte. Ihr Leben sollte ein Opfer für Orïsha sein. Jetzt ist ihr Tod völlig sinnlos gewesen.
Ob wir uns ergeben oder nicht: Inan hat unsere Leute. Wir sind fertig.
Wegen mir haben wir den Krieg verloren.
»Zél?«
Tzain stürzt in die Dorfmitte, von oben bis unten mit Schmutz überzogen. Er hastet auf seine Schwester zu, die einzige Bewegung inmitten all der Toten. Seine Erleichterung zerreißt mir das Herz. Wenn Zélie nicht so mutig gewesen wäre, hätte ich noch mehr Menschen getötet.
Sie eingeschlossen.
»Ich dachte, ich hätte dich verloren.« Das sind die einzigen Worte, die Tzain herausbringt, dann schlingt er die Arme um seine Schwester. Bebend weint er an ihrer Schulter und drückt sie so fest, dass es ihr weh tun muss. Zélie schließt die Augen und erwidert die Umarmung. Als sie die Lider wieder öffnet, bohrt sich ihr Blick in meinen.
Mir bleibt fast das Herz stehen, als Zélie Tzain von sich schiebt und auf mich zu humpelt. Meine Finger werden kalt.
»Ich dachte, du wärst tot.« Ich mache einen Schritt zurück. »Als Nâo allein zurückkam, bin ich davon ausgegangen, dass Roën und du nicht mehr seid …«
Sie spreizt die Finger, und dunkle Todesschatten schießen heraus. Sie wickeln sich um meinen Körper und meinen Hals. Schmerz durchfährt mich. Ich falle.
Kaum liege ich auf dem Boden, will sich Zélie auf mich werfen. Doch bevor sie mich angreifen kann, rollen ihre Augen nach hinten. Sie bricht zusammen, ihre Schatten lösen sich auf.
»Zélie!« Tzain läuft zu ihr.
Ihr Körper zuckt und windet sich. Ihre Augenlider flattern, die Tätowierungen auf ihrer Haut flackern.
»Schafft sie in die Ahéré!« Ein Dorftîtán tritt vor. Ich krabbele rückwärts, während Kâmarū Zélies krampfenden Körper hochhebt und in eine Hütte trägt.
»Nehmt sie gefangen!«, schreit Na’imah den anderen zu.
Tzain wird langsamer, er sieht mir in die Augen. Kenyon zieht mich auf die Füße. Als der Flammentänzer mir die Arme mit einem Metallband fesselt, will ich instinktiv nach Hilfe rufen, doch ich weiß, dass ich das Recht dazu verloren habe.
Tzains Blick wandert von mir zu seinem Dorf. Zu den Leichen, die ich auf dem Gewissen habe.
»Es tut mir leid«, flüstere ich. Er zuckt zusammen. In seinen Augen sehe ich, was ich verloren habe. Die Wärme, die ich nie wieder fühlen werde.
Als er sich abwendet und geht, bohrt sich mir der letzte Stich ins Herz.