Kapitel 85
Inan
Ich dachte, wenn der Moment käme, würden mich die Zweifel zerreißen. Gelähmt vom Schmerz in meinem Leib. Doch als ich mich in Vaters Spiegel ansehe, ist es eher so, als sei mir alle Last von den Schultern genommen. So lange habe ich darum gekämpft, das Richtige zu tun.
Heute hinterlasse ich meine Spur als König.
Es klopft.
Mutter erscheint in der Tür, ein prächtiger Anblick in einer extra angefertigten goldenen Robe. Auf dem glänzenden Stoff funkeln aufgestickte Kristalle und schimmernde Perlen. Eine gewaltige Gele auf ihrem Kopf fängt das Licht ein. Die Röte auf ihren Wangen verrät mir, dass sie bereits einiges an Rotwein genossen hat.
»Du siehst wunderschön aus, Mutter.«
Sie reckt das Kinn und raschelt mit ihrem Umhang. »Bist du nun endlich zur Besinnung gekommen?«
»Ich verstehe es.« Ich nicke. »Du hast nur getan, was du für richtig hieltest.«
Mutter gibt ihre Selbstbeherrschung auf, ihre Schultern entspannen sich. In ihren bernsteingelben Augen sehe ich die Frau, die ich liebe. Es ist fast schmerzhafter, von ihr umarmt zu werden, als sie zu verachten.
»Ich weiß, dass du mit meinen Methoden nicht einverstanden bist, doch ich hoffe, dass du eines Tages verstehst, dass ich das alles nur für dich getan habe. Bis zur Morgendämmerung werden deine Feinde ausgelöscht sein. Nichts wird deiner Herrschaft über dieses großartige Königreich je wieder im Weg stehen.«
Ich tätschele ihren Rücken und atme ihren Rosenwasserduft ein. Ihre Worte strotzen vor Zuversicht.
Es ist wie immer.
»Ich verstehe dich, Mutter.«
Sie löst sich von mir und trocknet ihre Augen. Dann greift sie nach dem Krug auf Vaters Kommode und schenkt Rotwein in die Kristallkelche, um mir einen davon zu reichen.
»Wir sollten darauf anstoßen.« Sie hebt ihr Glas. »Auf die Absicherung des Throns.«
»Auf die Absicherung des Throns.«
Unsere Kelche klirren aneinander, Mutter kippt die Hälfte hinunter. Dann unterzieht sie meine Kleidung einer genauen Prüfung.
»Dunkelblau steht dir gut, aber heute müssen wir zusammenpassen.« Sie zeigt mit dem Finger auf den Kleiderschrank. »Da müsste die goldene Agbada drin sein. Efia selbst hat sie geschneidert.«
»Ich weiß deine Ratschläge zu schätzen, Mutter, aber heute ist egal, was ich trage.« Ich stelle meinen Weinkelch beiseite und sehe sie an. »Es ist so weit. Heute Abend beende ich die Monarchie.«
Sie stößt ein hohes Lachen aus und legt ihre Hände auf ihr Herz. »Hast du vielleicht zu viel getrunken?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich habe einfach genug.«
Sie hält sich den Mund zu, doch ihre Hand kann ihr raues Gelächter nicht unterdrücken. Dann schüttelt sie seufzend den Kopf.
»Und ich hatte gedacht, du wärst erwachsen geworden.«
»Das bin ich.« Ich trete auf sie zu. »Ich sehe jetzt die Realität. Wir tun so, als sei die Magie die Wurzel allen Übels, dabei beginnt und endet alles Übel in diesem Königreich mit uns. Das ist einfach so.« Ich balle die Faust. »Amari hat es in Ibadan bewiesen. Dieser Thron verdirbt selbst das reinste Herz. Solange er steht, wird es Menschen geben, die dieses Reich für ihn zerreißen.«
»Ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn.« Mutter trinkt ihren Wein aus und stellt den Kelch beiseite. »Du bist immer noch verstört wegen Ojore. Bleib hier und schmoll weiter, kleiner Junge.«
Sie wendet sich zur Tür, doch als sie gehen will, geben ihre Knie nach. Blinzelnd stolpert sie nach vorn und muss sich an der Wand abstützen.
»Was ist das?«, lallt sie.
Ich führe sie zurück zu Vaters Bett.
»Ich hatte Angst, dass du den Geschmack deines eigenen Beruhigungsmittels erkennen würdest«, sage ich und zeige ihr eine ihrer smaragdgrünen Ampullen. Mutter starrt auf ihren leeren Weinkelch. Meiner ist immer noch randvoll.
Ich sehe, dass sie ihren Fehler begreift.
»Du niederträchtige kleine Mad…« Sie kann kaum noch sprechen, ihre Muskeln verkrampfen beim Kampf gegen das Mittel. Der Boden schwankt leicht, doch auf ihren Beschwörungsversuch folgen nur kleine Beben. Sie werden immer schwächer, bis Mutter keine Magie mehr erzeugen kann.
Ich richte meinen Kragen. Mutter kämpft darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Obwohl ihr die Gesichtszüge entgleisen, verzieht sie gehässig die Lippen.
»Ich hoffe, dir hat die Vorstellung gefallen, Mutter«, rufe ich ihr noch zu, dann verschwinde ich. »Es war deine letzte.«