Kapitel 89
Amari
Wie Diamanten funkelnde Glassplitter regnen zu Boden. Jahis Winde tragen unsere Kämpfer über das Chaos in den Palast. Innerhalb der Wände meines ehemaligen Heims zu landen, ist so, als würde man in einem Traum erwachen. Menschenmassen fliehen aus dem Thronsaal.
»Attacke!«
Zélies Kommando entfacht einen Sturm. Brüllend stürzen die Maji los und entfesseln ihren gemeinsamen Zorn. Imani streckt mit ihrem rostroten Gas einen ganzen Zug nieder. Nâo verwandelt Weinfässer in Geschosse. Kenyons Flammen zerfressen das Deckengemälde und verbrennen die Banner mit Inans Wahrzeichen.
Die im Thronsaal tobende Magie zerstört den goldenen Käfig. Als Kâmarū nach vorne stürmt und den goldenen Thron umreißt, spüre ich Erleichterung.
»Sie sind unten im Verlies!«, ruft Zélie über die Schulter nach hinten und prescht in den Korridor. Adelige und Wachen fliehen vor ihr. Die Ältesten folgen ihr zu den Treppen.
Ich will ihr ebenfalls zur Hilfe eilen, da merke ich plötzlich, dass der Boden bebt. Hinter mir stolpert Mutter auf unsicheren Füßen die Treppe hinunter. Sie tritt auf ihren Umhang, so dass er von ihren Schultern gerissen wird und sich auf die Marmorstufen legt.
»Nein!«
, ruft sie.
Ihr Schrei ist wie ein Gefängnis, das sich um mich schließt. Als ich Mutter ansehe, erkenne ich mich selbst. Den Weg, auf den sie mich geführt hat. Ich denke an all das Blut, mit dem sie meine Hände beschmutzt hat. An den Blick von Tzain, den er mir nie wieder schenken wird.
Haltsuchend klammert sie sich an die Wand, ihre Gliedmaßen zittern unter dem zerrissenen Gewand. Der Schrecken steht ihr ins Gesicht geschrieben, doch sobald ihr Blick auf mich fällt, verzieht sich ihre Miene vor Hass.
»Du …« Zähnefletschend versucht sie, auf die Beine zu kommen. Ich hebe die Hand und hole aus. Sie reißt einen Marmorbrocken aus dem Boden und schleudert ihn in meine Richtung.
Er trifft mich im Bauch. Die Wucht des Aufpralls wirft mich gegen die Wand und verschlägt mir den Atem.
Kaum liege ich auf dem Boden, humpelt Mutter zu mir und stößt ihre bebende, grün leuchtende Faust in die Höhe. Eine Erdsäule schießt aus dem Marmorboden gegen meinen Oberkörper. Keuchend breche ich zusammen, packe mir an die Brust.
Der Stoß ist so heftig, dass ich über den Marmorboden rutsche. Mir dreht sich der Kopf, ich sehe nur noch verschwommen. Mutter kommt näher. Ich hebe die Hand.
»Stopp!«
, schreie ich.
Ein blauer Wirbel schießt aus meiner Handfläche. Die Zeit scheint stillzustehen.
Mutter hebt verteidigend den Arm, doch sie kann sich nicht rechtzeitig schützen. Als meine Magie sie trifft, entfährt ihr ein ersticktes Grunzen. Ihre bernsteinfarbenen Augen treten hervor. Ich hieve mich hoch, spucke hustend Blut.
Stoß zu, Amari!
Ich stolpere zu ihr, spüre vor Zorn keinen Schmerz mehr.
Vaters Stimme hallt mir durch den Kopf. Sie leitet mich bei meinen Bewegungen.
Kämpfe, Amari!
Brennend sammelt sich die Magie wieder in meiner Hand, da höre ich eine andere Stimme.
Nein.
Das schlichte Wort lässt mich innehalten. Meine Magie verharrt ebenfalls.
»Worauf wartest du?«, verhöhnt mich Mutter. Puder und Farbe laufen ihr übers Gesicht. Ich lasse die Hand sinken und trete blinzelnd zurück.
»Es ist vorbei …« Die Erkenntnis trifft mich unvorbereitet. Ich dachte, Vater zu töten sei die Antwort. Doch das hat mich zu einem Ungeheuer gemacht. »Du hast verloren, Mutter. Die Maji übernehmen die Macht. Die Monarchie ist am Ende.«
»Du elende Verräterin!« Mit am Hals hervortretenden Adern wehrt sich Mutter gegen meinen Griff. Sie lallt nur noch. »Du bist ein Nichts! Du bist nicht stark genug, um den Thron zu zerstören …«
»Da irrst du dich!« Meine Stimme hallt durch den leeren Saal. Die Porträts der alten Könige und Königinnen starren auf mich nieder. Ich schaue zu ihnen hinauf und spüre die Kraft in meinem Blut. »Wenn mir die letzten Monde irgendetwas gezeigt haben, dann, dass ich großartige Dinge schaffen kann! Ich weiß, dass ich besser bin. Ich habe mich dafür entschieden!«
Ich lasse los, Mutter fällt zu Boden. Sie schnappt nach Luft.
»Du warst noch nie großartig«, faucht sie. »Und du wirst es auch nie sein!«
Während sie vor sich hin schimpft, humpele ich zur Treppe, die hinunter ins Verlies führt.
Mit jedem Schritt läuft es sich leichter.