Epilog

W o ist Karl-Erivan Haub? Ist er verschollen im ewigen Eis oder doch in Russland abgetaucht? Nach der jahrelangen Recherche, den vielen Gesprächen, die wir geführt haben, dank der Fotos, die mein Anwalt und ich einsehen konnten, sowie der signifikanten Erhöhung der Bilanzsumme im Unternehmen des Tengelmann-Sicherheitschefs halte ich einen Bergunfall für ausgeschlossen und ein Verschleiern der wahren Hintergründe für sehr wahrscheinlich.

Trotz aller Anstrengungen ist es uns jedoch nicht gelungen, Karl-Erivan Haub physisch zu finden und ihn mit unseren Rechercheergebnissen zu konfrontieren. Lebt er heute, fast zwei Jahre nach den Treffern im biometrischen Überwachungssystem, überhaupt noch? Oder sind die Bilder am Ende doch nur extrem aufwendig gemachte Fälschungen, die aber zur Ausbezahlung der erfolgsabhängigen Vergütung ausgereicht haben?

Karl-Erivan Haubs Kontakte zu kriminellen Akteuren der russischen Wirtschaft sind so vielsagend, dass man sie bei der Suche nach einem möglichen Motiv für ein Untertauchen nicht außer Acht lassen kann. Alles deutet darauf hin, dass der Tengelmann-Chef seine über Jahrzehnte hinweg aufgebauten Verbindungen zu nachrichtendienstlichen Strukturen in Russland dazu genutzt hat, sein Verschwinden herbeizuführen. War er, wie der Tengelmann-Sicherheitschef und sein Berater glauben, ein Einflussagent der Russen? Ist er so auf das Radar der amerikanischen Geheimdienste geraten? Haubs Verbindungen in die höchsten Kreise der deutschen und amerikanischen Politik und Wirtschaft könnten ihn zu einem begehrten Ziel für russische Einflussnahme gemacht haben.

Solange ich jedoch nicht physisch vor Karl-Erivan Haub stehe, ihn mit eigenen Augen sehen kann, wird bei mir immer eine Restunsicherheit bestehen bleiben. Doch – und das ist der springende Punkt – selbst wenn der vermisste Milliardär morgen in den Zermatter Alpen in einer Gletscherspalte gefunden werden sollte: All die von uns recherchierten und mehrfach überprüften Verbindungen nach Russland bleiben bestehen. Sie sind nicht von der Hand zu weisen. Sie sind da. Sollte man den Verschollenen nach der Veröffentlichung dieses Buchs plötzlich im ewigen Eis finden, so würde ich mir vermutlich als Erstes die Frage stellen, seit wann er dort überhaupt liegt. Einen Unfall am 7. April 2018 halte ich für ausgeschlossen.

Nach dem Verschwinden des Firmenlenkers begann mit uns Journalisten ein Katz-und-Maus-Spiel im Erbschaftsstreit um Macht und Milliarden bei Tengelmann. Während ich die letzten Zeilen dieses Buchs tippe, muss ich an die Worte von Christian Haubs engem Vertrauten denken: Wer will, findet Wege, wer nicht will findet Gründe. 797 Es ging Christian Haub aus meiner Sicht nie darum, als »mutiger Aufklärer« das mysteriöse Verschwinden seines Bruders zu enträtseln, sonst hätte man gegenüber dem Amtsgericht Köln wohl kaum die Existenz der Fotos aus dem biometrischen Überwachungssystem in Moskau verschwiegen. Doch was treibt ihn an? Leitet ihn letztendlich nur die Gier nach noch mehr Macht, nach noch mehr Geld? Oder steckt etwas anderes dahinter? Wahrheit und Moral kamen in dieser Geschichte stets an zweiter Stelle: Eitelkeit und die Gier nach Geld und Einfluss hatten bei den handelnden Akteuren stets Priorität.

Christian Haub hat dem Kölner Familienstamm seine Anteile an Tengelmann abgekauft und kann innerhalb der nächsten Jahre außerdem die Firmenanteile seines zweiten Bruders Georg mithilfe eines Ankaufsrechts übernehmen. 798 Damit ist Christian Haub nun unangefochtene Nummer eins bei Tengelmann und kann endgültig aus dem Schatten seines ältesten Bruders heraustreten.

Mir ist bewusst, dass all das, was sich der jetzige Firmenlenker in den Jahren nach Karl-Erivan Haubs Verschwinden aufgebaut hat, mit der Veröffentlichung dieses Buchs in Gefahr geraten könnte.

Christian Haub hat nach allem was wir wissen eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, die in großen Teilen einer Tatsachenüberprüfung nicht standhält. 799 Ob dies eine Straftat ist, soll die Staatsanwaltschaft entscheiden, wenn sie sich endlich dazu durchringt, sich mit der Causa Haub ernsthaft zu beschäftigen.

Ich für meinen Teil bin bereit, mit der Staatsanwaltschaft, den Behörden und Gerichten mein ganzes Wissen und all unsere Rechercheergebnisse zu teilen und zur Aufklärung dieses Falls beizutragen.