Kapitel 2

Sonne, Mond und Lügen

Wenn die Sonne untergeht und sich der Himmel verfärbt, von Orangerot über Violett bis hin zu Nachtschwarz, können wir einen Blick ins Universum erhaschen. Tausende funkelnde Lichter tanzen übers Firmament, ein Mond zieht in sich stetig verändernder Form über den Himmel, und wenn man weiß, wohin man schauen muss, entdeckt man sogar Planeten, Kometen und, mit viel Glück, Supernovae – Sternenexplosionen. Die Wissenschaft, die versucht, den (Nacht-)Himmel zu verstehen, nennen wir heute Astronomie. Sie gilt als die älteste Wissenschaftsdisziplin überhaupt. Die Regelmäßigkeit der Himmelsbewegungen zu entziffern, war für frühe Zivilisationen ein wichtiger Schlüssel, um das Überleben ihrer Gemeinschaft zu sichern. Wann werden die Tage wieder länger? Bis wann können wir welche Pflanzen anbauen, und wann sollten wir fasten? Und natürlich waren Menschen auch schon immer daran interessiert, herauszufinden, was genau Sterne und Planeten eigentlich sind. Für die Griechen verkörperten die Gestirne in der Antike Götter, über die man jedoch nicht so einfach fachsimpeln durfte. So wurden Himmelskörper zu unantastbaren, heiligen Erscheinungen und Kometen als Unheilbringer gefürchtet. Andererseits wurden Sternbilder aber auch zur Navigation auf hoher See genutzt.

Während unsere Vorfahren bei klarer Nacht noch einen atemberaubenden Blick in den Himmel hatten, egal, wo sie waren, kann heute kaum jemand, der in Deutschland lebt, den Sternenhimmel noch in seiner vollen Pracht bestaunen. 99 Prozent der Bevölkerung Europas leben an Orten, in denen man die Milchstraße mit bloßem Auge nicht mehr erkennen kann. 25 Viele können demnach auch nicht die Venus von Saturn oder Jupiter unterscheiden. Der Grund dafür? Lichtverschmutzung. Klingt erst mal komisch, ist aber ein echtes Problem. Große Städte sind nachts so hell erleuchtet, dass sich über ihnen eine riesige Lichtkuppel bildet, die auch auf den Himmel oder die Wolken abstrahlt. Abgesehen davon, dass man dadurch den Sternenhimmel nicht mehr so gut sehen kann, verursacht Lichtverschmutzung Schlaflosigkeit beim Menschen, sie stört die Orientierung nachtaktiver Vögel, die Futter- und Partnersuche von Insekten, den Wachstumszyklus von Pflanzen und, und, und. 26 Um das zu ändern, gibt es mittlerweile einige Lichtschutzgebiete wie die Sternenparks im Nationalpark Eifel und im brandenburgischen Westhavelland oder den Naturpark Terra.vita nördlich des Teutoburger Waldes. 27

Wir Menschen glauben zwar gerne mal, wir seien die einzigen Lebewesen, die sich so intensiv mit den leuchtenden Punkten am Himmel beschäftigen, doch die Wahrheit sieht anders aus. Auch im Tierreich gibt es ausgewiesene Astronomie-Experten. So synchronisiert der Palolowurm sein Fortpflanzungsverhalten mithilfe der Mondphasen. 28 Jedes Jahr trifft sich der ganze Schwarm zur selben Zeit, und zwar im letzten Mondviertel nach Frühlingsanfang. Seehunde können sogar einzelne Sterne unterscheiden und zur Navigation nutzen. In einem Experiment dänischer und deutscher Forschender wurde über einem Becken mit zwei Robben ein kleines Planetarium aufgebaut. Schnell lernten die Tiere, unter unzähligen funkelnden Sternen immer wieder denselben zu erkennen und ihm zu folgen. 29

So ist es kein Wunder, dass auch menschliche Kulturen schon extrem früh anfingen, Sonne, Mond und Sterne auf ihre Regelmäßigkeiten hin zu untersuchen. Die Mayas nutzten ihr Wissen über die Bewegung der Himmelskörper, um im Haab -Kalender ein Jahr in 365 Tage zu unterteilen, und das bereits mindestens 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Noch weiter zurück datieren die Venus-Tafeln des babylonischen Königs Ammisaduqa, der vor etwa 4000 Jahren das Auf- und Untergehen unseres Nachbarplaneten über 21 Jahre hinweg genauestens dokumentieren ließ. 30 Und auch Deutschland scheint eine gute Heimat für frühgeschichtliche Astronominnen und Astronomen gewesen zu sein: Bei Goseck an der Saale entdeckte man 1991 eine Kreisgrabenanlage, die vor etwa 7000 Jahren errichtet wurde und als das älteste Sonnenobservatorium der Welt gilt. 31 In der 71 Meter großen Anlage wurden Palisaden im Kreis aufgestellt, mit Lücken an den Stellen, wo die Sonne zur Zeit von Winter- und Sommersonnenwende jeweils bei Auf- und Untergang steht. So markierte man die kürzesten und längsten Tage des Jahres, und das vor vielen Tausenden von Jahren. Die wohl älteste astronomische Entdeckung führt uns sogar unfassbare 30000 Jahre zurück in die Vergangenheit: 1910 wurde in der französischen Ausgrabungsstätte Abri Blanchard ein Adlerknochen gefunden, auf dem Steinzeitmenschen eine Mondphase dokumentiert hatten. 32 Doch die vielleicht spannendste und filmreifste Story in der Geschichte astronomischer Fundstücke ereignete sich Ende der 1990 er-Jahre in Sachsen-Anhalt.