Geschäftsmann Galilei

Am 21 . August 1609 stellt der damalige Mathematikprofessor der Universität von Padua, Galileo Galilei, seine neue Erfindung vor: das Fernrohr. 54 Genau genommen ist es nicht seine Erfindung, sondern seine Version einer neuen Erfindung. Erst drei Wochen zuvor hat er eines dieser Geräte für eintausend Zechinen erworben, was in etwa drei Jahresgehältern Galileis entspricht. Zu diesem Zeitpunkt ist die revolutionäre Neuheit in aller Munde, und Galilei versucht herauszufinden, was es mit dem Vergrößerungsrohr auf sich hat.

Tatsächlich knackt er schnell das Geheimnis des Fernrohrs und fertigt ein eigenes Modell an. Um das Kunststück zu vollbringen, sind lediglich zwei Linsen nötig: eine konkave und eine konvexe. Doch warum steckt er so viel Zeit und Geld in solch eine Gerätschaft? Die Antwort: Galilei hat schon damals ein gutes Gespür für neue Ideen und deren finanzielles Potenzial. Und er weiß genau, wer seine zukünftigen Kunden sein sollen.

Am Tag der Präsentation betritt der raffinierte Erfinder und Unternehmer die Spitze des venezianischen Glockenturms. In seiner Hand das rote Fernrohr, in seiner Begleitung die einflussreichsten Männer Venedigs. Neben verschiedenen Patriziern mit tiefen Taschen ist auch Antonio Priuli mit von der Partie, der damalige Doge, das politische Oberhaupt der Stadt. Als er zum ersten Mal durch die münzgroße Öffnung schaut, traut er seinen Augen nicht: Die Tore der zehn Kilometer entfernten Kirche von Murano sind so klar und deutlich zu erkennen, dass man sogar sehen kann, wer ein und aus geht! Selbst die Kuppeln der Basilika Santa Giustina zeichnen sich ab, obwohl diese im 35 Kilometer entfernten Padua steht! Galilei, ganz der clevere Geschäftsmann, schenkt dem Dogen das Fernrohr und betont, wie unglaublich gut sich das Gerät als Kriegswerkzeug eigne. Lange bevor der Feind eintreffe, könne man seine Schiffe am Horizont erspähen, die Ausrüstung und Besatzung ausspionieren und sich einen Angriffs- und Fluchtplan zurechtlegen. Galileis erste Intention bei der Erfindung seines »Spionrohrs« ist also nicht die noble, selbstlose Erkundung des Nachthimmels, sondern das große Geschäft mit dem Krieg.

Die ursprünglich sechsfache Vergrößerung des Fernrohrs reicht Galilei nicht aus. Er kündigt die Entwicklung weiterer Versionen mit 20 -facher, sogar 30 -facher Vergrößerung an. Und dann passiert es. Er hantiert mit seiner neuen Erfindung und richtet sie, irgendwann im Herbst oder Winter des Jahres 1609 , in den Nachthimmel über Italien. Da sieht er zum ersten Mal die Krater, Berge und Täler unseres Mondes und erkennt, dass es sich tatsächlich um einen Gesteinsbrocken handelt. Galilei fängt an, die Mondoberfläche im Detail zu zeichnen, was nicht gerade einfach ist, da sein Teleskop ein so enges Blickfeld hat, dass er immer nur einzelne Ausschnitte des Trabanten erkennen kann. Zwar hatte der Engländer Thomas Harriot bereits etwa sechs Monate früher angefangen, den Mond durch ein Fernrohr zu betrachten und eine Karte von dessen Oberfläche anzulegen, 55 aber er veröffentlichte seine Arbeiten dazu nicht. Vielleicht weil sein Teleskop nicht so leistungsstark war wie das des Galilei, vielleicht verstand er aber auch einfach nicht, was genau er da zeichnete. Und so gilt heute Galilei als der Erste, der den Himmel eroberte. Und damit hatte er gerade erst angefangen.

Sein Vergrößerungsapparat zeigt ihm plötzlich überall, wo er hinschaut, Sterne, die kein Mensch jemals zuvor gesehen hat. Neue Sterne zu finden, ist mit einem Teleskop tatsächlich ziemlich einfach, denn man muss das Gerät nur auf einen scheinbar schwarzen Fleck am Nachthimmel richten, und schon fällt Licht von Sternen auf die Linse, die dem bloßen Auge sonst verborgen bleiben würden. Als Galilei versucht, das Sternbild Orion zu zeichnen, scheitert er, denn er ist »überwältigt von der ungeheuren Menge an Sternen« und verschiebt »aus Mangel an Zeit […] dieses Unterfangen auf eine andere Gelegenheit«. 56 Und so unterläuft ihm auch zunächst ein Fehler, als er im Januar 1610 sein Teleskop auf den hell leuchtenden Jupiter richtet. 57 Neben dem Gestirn sieht er nämlich drei leicht schimmernde Punkte, die er zunächst als neue Sterne abtut. Doch als er sie in den kommenden Nächten wieder und wieder anschaut, fällt ihm auf, dass die Punkte ihre Position wechseln. Ein paar Tage später schlussfolgert er dann korrekt, dass es sich hier nicht um Sterne, sondern um Monde handeln muss. Monde, die den Jupiter umkreisen, hinter ihm verschwinden und auf der anderen Seite wieder auftauchen, während er sie beobachtet. Unglaublich!

Die Entdeckung der Monde des Jupiters war ein erstes starkes Indiz für die Richtigkeit des kopernikanischen Weltbilds. Da war plötzlich ein Himmelskörper, um den herum sich eindeutig etwas auf einer Umlaufbahn bewegte. Und dieser Himmelskörper war nicht die Erde.

Abbildung 2.8:
Venusphasen

Galilei war der Erste, der Beweise für das heliozentrische Weltbild sammelte und sich beeilte, diese niederzuschreiben. Im März 1610 erschien, hastig verfasst, Sidereus Nuncius (Der Sternbote), ein Aufsatz, mit dem Galilei das wohl wichtigste wissenschaftliche Rennen des 17 . Jahrhunderts gewann. Denn überall in Europa fertigten Linsenmacher inzwischen Fernrohre für Staatsoberhäupter, Militärpersonal und Wissenschaftler. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm jemand zuvorgekommen wäre.

 

Später im Jahr 1610 betrachtet Galilei unseren Nachbarplaneten Venus durch sein Teleskop. Wieder staunt er nicht schlecht über das, was er da sieht: Bei der Venus lassen sich, genau wie bei unserem Mond, Phasen beobachten.

Diese Entdeckung war von dramatischer Bedeutung. Die Phasen der Venus ließen sich nämlich nur mit dem kopernikanischen Weltbild erklären. Nur wenn die Venus um die Sonne und nicht um die Erde kreist, können ihre wechselnden Gestalten entstehen. Dabei nimmt die Sichel im Verlauf eines Jahres zu, während die Venus von links nach rechts allmählich hinter die Sonne wandert. Sie wird zu 100 Prozent von der Sonne angestrahlt, wenn sie dort angekommen ist, was wir natürlich nicht beobachten können, da uns die Sonne im Weg steht. Dann taucht sie wieder hinter der Sonne auf, in abnehmender Form, während die Sichel langsam von rechts nach links wandert.

 

Je mehr Galilei sucht, desto mehr findet er. 1613 zeichnet er sogar einmal den Planeten Neptun, als der am Jupiter vorbeizieht. Doch er bemerkt nicht, dass es sich um einen neuen Planeten handelt; die Entdeckung des Neptun soll noch über 230 Jahre auf sich warten lassen. 58

Aufgrund der schieren Anzahl seiner bahnbrechenden Beobachtungen entwickelt sich Galilei zu einem Verfechter des kopernikanischen Weltbilds. Alle seine Entdeckungen sprechen eindeutig für das heliozentrische System, in dem Venus, Erde, Jupiter und Co. die Sonne umkreisen. Doch mit dieser Überzeugung macht sich Galilei mächtige Feinde. In einem Brief, den er 1613 an seinen Mathematikerfreund Benedetto Castelli schreibt, betont er, wie sehr er sich wünschen würde, dass wissenschaftliches Gedankengut und religiöse Ansichten einander nicht im Weg stünden. 59 Die astronomischen Beschreibungen in der Bibel solle man nicht zu ernst nehmen, und jede religiöse Autorität, die etwas anderes behaupte, wisse nicht, wovon sie spreche. Der Brief landet in den Händen des Inquisitors Niccolò Lorini. Die Kirche fordert Galilei auf, von seinen Ansichten zurückzutreten, und setzt Kopernikus’ De revolutionibus auf den Index verbotener Bücher. Galilei hält sich bedeckt, weicht aber nie von seiner Überzeugung ab. 1632 dann erscheint sein großes Werk Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische, in dem drei Charaktere über das Für und Wider des heliozentrischen und des geozentrischen Weltbilds diskutieren. Die Idee zu dem Werk hatte Papst Urban VIII . selbst abgesegnet und Galilei gebeten, auch kritisch gegenüber dem Heliozentrismus zu bleiben und ihn ja nicht zu sehr zu befürworten. 60 Eine Arbeitsaufgabe, die Galilei schlichtweg verfehlte. Ob das aus Abneigung gegenüber der Kirche oder unabsichtlich geschah, lässt sich nicht sagen. Tatsache ist aber, dass Simplicio, der lustige Gelehrte, der in Galileis Dialog das geozentrische Weltbild zu verteidigen versucht, als Dummkopf dargestellt wird. 61 Als Papst Urban das Werk zu lesen bekommt, ist er erzürnt. Damit ist Galilei endgültig zu weit gegangen. 1633 wird er der Ketzerei beschuldigt, sein Buch verboten und er selbst in Hausarrest geschickt, wo er die letzten neun Jahre seines Lebens verbringt, bis er 1643 stirbt. Erst 350 Jahre später gesteht Papst Johannes Paul II . ein, dass sich die Kirche geirrt habe: Das Urteil sei ein Fehler gewesen. 62