Leg dich nicht mit Isaac an

Endlich war es geschafft, Newtons Werk war veröffentlicht, und es machte ihn mit einem Schlag zum berühmtesten Wissenschaftler aller Zeiten. Als man ihn später fragte, wie er es überhaupt geschafft habe, die Theorie der universellen Gravitation aufzustellen, antwortete er: »Indem ich lange darüber nachgedacht habe.« 82 In der Tat, das hatte er. Die Theorie zur Schwerkraft war ihm nicht schlagartig in dem Moment eingefallen, als ein Apfel auf seinen Kopf fiel (auch wenn viele TV -Dokumentationen es so aussehen lassen); vielmehr hatte er jahrelang rund um die Uhr über die Bewegungen der Himmelskörper gegrübelt und entsprechende Berechnungen angestellt.

Fortan standen ihm alle Türen offen. Der antisoziale, von sich selbst überzeugte Egomane wurde 1703 zum Präsidenten der Royal Society ernannt, und 1705 schlug ihn Queen Anne zum Ritter. Sir Isaac Newton kannte wie gesagt kein Pardon, wenn es darum ging, seine Arbeiten voranzutreiben, und er nutzte seinen neuen Einfluss, um jeden, der ihm und seiner Forschung im Weg stand, das Leben zur Hölle zu machen. Besonders heftig fiel der bereits erwähnte Konflikt mit dem königlichen Astronomen John Flamsteed aus. Newton entwickelte gerade eine ausführliche Theorie zur Bewegung des Mondes und benötigte dafür jede Menge Beobachtungsdaten – über die er nicht verfügte. Flamsteed arbeitete damals an einem komplexen Navigationsproblem für die Überquerung der Weltmeere und hatte die letzten Jahrzehnte seines Lebens damit verbracht, einen umfassenden Sternenkatalog anzulegen. Sehr nützlich für Newton! Der auch sogleich verlangte, Flamsteed möge seine Daten umgehend veröffentlichen. Doch der weigerte sich, da sie noch nicht vollständig seien. Der 3000 Himmelskörper umfassende Sternenkatalog war sein Lebenswerk – wenn man so will: seine persönlichen Principia – , und er war noch nicht so weit, ihn mit der Welt zu teilen. Er brauchte noch Zeit!

Doch das war Newton egal. Je mehr Flamsteed sich wehrte, desto schwerere Geschütze fuhr er auf. Als Präsident der Royal Society konnte er Einfluss auf die Finanzierung von Flamsteeds Arbeiten nehmen. Ungeduldig wie ein Kleinkind setzte er sämtliche Hebel in Bewegung: Erst sicherte er Flamsteed Unterstützung in Form eines Assistenten zu. Dadurch hoffte er, schneller an die benötigten Monddaten heranzukommen. Doch als er erfuhr, dass Flamsteed den neuen Assistenten nicht ausschließlich mit den Arbeiten zum Mond beschäftigte, entzog er ihm kurzerhand die finanzielle Unterstützung. Dann erhöhte er den Druck und warf ihn aus der Royal Society hinaus mit dem Argument, Flamsteed habe seine Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt. Und um all das noch zu toppen, besorgte sich Newton einen königlichen Bescheid und stellte sich selbst als Leiter der Sternwarte von Greenwich ein, wodurch er offiziell Flamsteeds Vorgesetzter wurde. Schließlich stahl er die unvollständigen Daten, ließ sie von befreundeten Astronomen ergänzen und veröffentlichte sie ohne Flamsteeds Erlaubnis. Der königliche Astronom war am Boden zerstört. 35 Jahre Arbeit, mit Füßen getreten, von einem anderen modifiziert und herausgebracht. Er konnte es nicht fassen. 83

Trotz der umfassenden Daten, die er von Flamsteed gestohlen hatte, war Newtons Mondtheorie übrigens nie ganz korrekt. Die Bewegungen unseres Trabanten vorherzusagen, ist aber auch wesentlich komplizierter als die der anderen Planeten unseres Sonnensystems, da seine Umlaufbahn sowohl von der Erde als auch von der Sonne stark beeinflusst wird. 84

Nach dem Tod von Königin Anne im Jahre 1714 ging Newtons Einfluss am englischen Hof zurück, und Flamsteed konnte endlich vor Gericht ziehen. Er bekam Recht und ließ Newtons Version seines Sternenkatalogs vom Markt nehmen und sämtliche Exemplare verbrennen. Sein eigenes Lebenswerk, die Historia Coelestis Britannica, wurde fünf Jahre nach seinem Tod doch noch veröffentlicht und half Seefahrenden über 100 Jahre bei der Navigation über die Weltmeere. Ein kleiner Trost.