Newton hätte eigentlich sehr gut nachvollziehen können müssen, dass jemand unfertige Daten nicht veröffentlichen will. Schließlich war er selbst ein absoluter Muffel, wenn es darum ging, seine Entdeckungen mit der Welt zu teilen. Zumindest bis zu seinem ersten großen Erfolg, der Veröffentlichung der Principia, stellte er sich nur ungern der Kritik seiner Kollegen. In besagten Jahren seiner Isolation in Woolsthorpe entwickelte er einige Arbeiten, von denen wie gesagt um ein Haar niemals auch nur eine Menschenseele etwas erfahren hätte.
Da wäre einmal seine Arbeit zur Optik, mittels derer er das galileische Teleskop revolutionierte. In einem berühmten Experiment verdunkelte Newton den Dachboden von Woolsthorpe Manor. Nur durch einen kleinen Schlitz in einer Trennwand ließ er einen Sonnenstrahl einfallen. Diesen fing er mit einem Prisma auf, was dazu führte, dass sich das weiße Sonnenlicht in einen Regenbogen aufspaltete. Die allgemeine Erklärung der damaligen Naturphilosophen lautete, dies geschehe, weil irgendetwas innerhalb des Prismas das weiße Licht »verunreinigte«. 85 Doch Newton überzeugte das nicht. Er baute eine zweite Trennwand mit einem weiteren kleinen Loch auf und leitete Farbstrahl für Farbstrahl aus dem Regenbogen in ein zweites Prisma. Wenn die bisherige Theorie gestimmt hätte, hätte nun ein zweiter Regenbogen entstehen müssen. Doch das geschah nicht. Die Farben spalteten sich nicht weiter auf, sondern blieben Grün, Rot oder Blau. Und nicht nur das: Mithilfe des zweiten Prismas war Newton in der Lage, die verschiedenen bunten Strahlen wieder zu einem einzigen weißen Strahl zusammenzuführen. Er schlussfolgerte, dass die Farben also nicht im Prisma entstehen, sondern dass das weiße Sonnenlicht eine Mischerscheinung aller Farben sei, die wir wahrnehmen können. Wobei die Farben nicht gleichmäßig vertreten seien, sondern unterschiedlich häufig vorkämen.
Mit diesem Wissen revolutionierte Newton mal eben das Teleskop. Verglichen mit dem von Galilei war seins wesentlich kleiner, vergrößerte aber trotzdem um ein Vielfaches, nämlich um das 35 -Fache. Und statt mit einer konkaven und einer konvexen Linse zu arbeiten (siehe Kapitel 2 ), verwendete Newton Spiegel, um das Problem der »chromatischen Aberration« zu minimieren. Chromatische Aberration ist eine Art Farbverzerrung, zu der es bei klassischen Teleskopen kam. Newton verstand, dass die geschliffenen Linsen das Licht der Sterne und Planeten ungleichmäßig in seine Farbbestandteile zerlegten, genau wie sein Prisma. Dadurch erschienen die Farben der Planeten durch das galileische Teleskop verschwommen und ungenau. Durch den Einsatz von Spiegeln konnte er dieses Problem vermeiden.
Doch im Gegensatz zu Galilei, der mit seinen Entdeckungen stets umgehend an die Öffentlichkeit gegangen war, behielt Newton seine Erfindung viele Jahre für sich. Dass sein Teleskop überhaupt jemals das Licht der Welt erblickte, haben wir Isaac Barrow und John Collins zu verdanken. Beide waren Mathematiker, und Barrow unterrichtete an der Universität in Cambridge, als Newton dort seinen Abschluss machte. Er bekam mit, woran der junge Mann in den Jahren seiner Isolation forschte, und erkannte dessen Genie. Gemeinsam mit John Collins gelang es ihm, Newton dazu zu bewegen, ein paar seiner Ergebnisse zu veröffentlichen. Nur widerwillig stimmte dieser damals zu, zunächst unter der Voraussetzung, komplett anonym bleiben zu dürfen. Doch Collins und Barrow überredeten ihn, sein Teleskop bei der Royal Society vorzustellen sowie eine Abhandlung über Licht- und Farbenlehre zu schreiben. 1672 , sieben Jahre nach seinen Entdeckungen im heimischen Woolsthorpe, veröffentlichte Newton also seine New Theory About Light and Colours . Weitere 15 Jahre vergingen, bis er seine Principia herausbrachte, dabei hatte er fast alle notwendigen Gedanken und Berechnungen dazu ebenfalls bereits in den Jahren 1665 /66 angestellt. Eine seiner wichtigsten Arbeiten, die Entwicklung einer völlig neuen Art von Mathematik – der Infinitesimalrechnung, die wir heute in der Schule in Form von Differenzial- und Integralrechnung beigebracht bekommen –, erwähnte Newton 1693 erstmals öffentlich. Die entsprechende Abhandlung darüber schrieb er erst im neuen Jahrhundert, im Jahr 1704 . 40 Jahre hatte er diese Erkenntnisse geheim gehalten. Er ging damit erst an die Öffentlichkeit, als ein gewisser Gottfried Wilhelm Leibniz eine fast identische Methodik vorlegte. Heute gehen Historikerinnen und Historiker davon aus, dass Leibniz und Newton diese Rechenarten komplett unabhängig voneinander entwickelt haben. Die große Debatte darum, wer zuerst mit der Differenzialrechnung um die Ecke kam, ist bekannt als der Prioritätsstreit zwischen Newton und Leibniz.
Newton nannte seine Version die »Fluxionen«, Leibniz seine den »Calculus«. Leibniz’ Version war wesentlich verständlicher und schon gleich mit einer neuen Symbolsprache ausgestattet, damit die neue Rechenart von den Mathematikern seiner Zeit möglichst einfach übernommen werden konnte. Newtons Fluxionen dienten, wenig überraschend, erst einmal nur ihm selbst. Mit ihnen legte er den Grundstein für seine Entdeckungen in den Principia, doch veröffentlichen wollte er das alles ursprünglich nicht.
Wir können uns heute glücklich schätzen, dass es in seinem Umfeld Wissenschaftler wie Edmund Halley, Isaac Barry oder John Collins gab, die ihn immer wieder dazu drängten, seine Arbeiten mit der Öffentlichkeit zu teilen. Wer weiß, wie lange es gedauert hätte, bis jemand anderes darauf gekommen wäre, eine Theorie über allgemeine Schwerkraft aufzustellen. Vielleicht wären wir bis heute noch nicht auf dem Mond gelandet!
Kopernikus, Galilei und Kepler halfen dabei, das Sonnensystem zu sortieren und so zu beschreiben, wie es tatsächlich ist . Newton ging einen Schritt weiter. Mithilfe seiner Naturgesetze konnte man endlich bestimmen, wie es in der Vergangenheit war und wie es in der Zukunft sein wird . Wo wird dieser Planet morgen, in einem Jahr oder in 20 Jahren genau zu sehen sein? Wo war er vor 100 Jahren? Das alles lässt sich mit den Formeln und Regeln aus Newtons Principia berechnen. Newton gab der Welt eine Zeitmaschine, eine magische Kugel, mit der man die Zukunft vorhersehen kann. Und um ein Haar hätten wir nie davon erfahren.