Licht macht Welle

Die Natur des Lichts war schon zu Isaac Newtons Zeiten ein umstrittenes Thema. Newton selbst vertrat die Auffassung, Licht bestehe aus einzelnen Teilchen, sogenannten »Korpuskeln«. Sein größter Widersacher in der Angelegenheit, der Niederländer Christiaan Huygens, meinte hingegen, das Verhalten von Licht erinnere an Wellen. 249 Beide Theorien konnten gewisse optische Phänomene erklären, aber man gab damals Newtons Ansicht den Vorzug, da er der etabliertere Physiker war.

Im Jahr 1801 machte sich der englische Forscher Thomas Young daran, die beiden Theorien mit einem fürchterlich einfachen Experiment zu überprüfen: dem Doppelspaltexperiment (siehe Abbildung 8 .1 ). Es könne »mit großer Leichtigkeit wiederholt werden, wo immer die Sonne scheint«, betonte Young bei einer Präsentation im Jahr 1803 . 250 Young ließ etwas Sonnenlicht durch ein Loch in einer Wand fallen und leitete es durch zwei Spalte in einer Trennwand. Hinter der Trennwand installierte er eine Leinwand, auf die das Licht unterschiedliche Muster werfen würde, je nachdem, ob es aus Teilchen bestand oder aus Wellen.

Abbildung 8.1:
Zwei mögliche Ergebnisse des Doppelspaltexperiments: wenn Licht aus Teilchen besteht (links), wenn Licht aus Wellen besteht (rechts)

Wenn Licht, wie Newton behauptete, aus Korpuskeln bestand, mussten die einzelnen Teilchen durch die zwei Spalte gehen und an zwei Stellen auf der Leinwand auftreffen. Nur dort wäre es dann hell. Wenn Licht aber eher eine Welle war, dann würden sich die beiden Wellen, die aus den Spalten heraustraten, überlagern und ein spezielles Muster auf die Leinwand werfen: das sogenannte Interferenzmuster (s. Abb. 8.1 oben). Es entsteht dadurch, dass sich zwei Wellen gegenseitig verstärken oder auslöschen, wenn sie aufeinandertreffen: An einigen Stellen verstärkt sich das Licht, dort wird es auf der Leinwand hell, an anderen Stellen löschen sich die Wellen gegenseitig aus, dort bleibt es dunkel.

Und siehe da: Das Licht, das auf Youngs Leinwand traf, wies eindeutig Welleneigenschaften auf. Der Streit zwischen Newton und Huygens war endlich beigelegt. Huygens hatte gewonnen. Vorerst!

Abbildung 8.2:
Interferenzmuster bei Wellennatur des Lichts

Als Einstein mithilfe von Plancks Quanten 100 Jahre nach Youngs Doppelspaltexperiment den Fotoeffekt erklärte, widersprach er also der Erkenntnis, dass Licht aus Wellen besteht. Genau das hatte Planck so alarmiert, denn nun hing über den Köpfen der größten Physiker ein noch größeres Fragezeichen: Bestand Licht etwa doch aus Teilchen?

Nachdem Einstein ernsthafte Zweifel an der Beschaffenheit von Licht gesät hatte, wurde Youngs Doppelspaltexperiment im 20 . Jahrhundert auf verschiedene Arten und Weisen immer wieder von Neuem wiederholt. Mit Ergebnissen, die die Wissenschaftler und Physikerinnen an der wahren Natur unserer Realität zweifeln ließen. Da Young das Experiment mit Sonnenlicht durchgeführt hatte, wollte man nun untersuchen, ob sich der Welle-Teilchen-Dualismus – so lautet der fancy Wissenschaftstitel für diese Problemstellung – nicht auch anders erforschen ließe. Zunächst versuchte man es mit nur einem Spalt statt mit zweien und schickte Photonen, also Lichtquanten, einzeln durch die Trennwand. Man ging davon aus, dass sie sich, da sie ja wirklich »jeder für sich« durch den Spalt geschickt wurden, wie Teilchen verhalten würden. Das Ergebnis des Experiments? Die Photonen trafen exakt dort auf der Detektorleinwand auf, wo man sie erwartet hatte, nämlich genau hinter dem Spalt (siehe Abbildung 8 .3 ).

Abbildung 8.3:
Photonen verhalten sich beim Einzelspaltexperiment wie Teilchen.

Also keine große Überraschung. Doch wenn wir jetzt den zweiten Spalt öffnen, beginnt das große Mysterium. Plötzlich zeigt sich auf der Leinwand ein Interferenzmuster, was – wie in Youngs Doppelspaltexperiment – dafür spricht, dass die Photonen doch aus Wellen und nicht aus Teilchen bestehen (siehe Abbildung 8 .4 ).

Und das, obwohl sie einzeln abgefeuert wurden! Das Frustrierende: Es ließ sich unmöglich vorhersagen, wo die Photonen landen würden. Jedes schien seinen Weg durch den Schlitz komplett eigenständig und zufällig zu wählen. Zwar traf es punktuell, also wie ein Teilchen, auf die Detektorleinwand, aber wo genau es das tun würde, wusste man vorher nicht.

Stellt euch vor, wir würden keine Photonen, sondern Tennisbälle aus der Pistole abschießen. Sie könnten eigentlich nur an zwei Orten auf der Leinwand auftreffen: jeweils direkt hinter den Schlitzen in der Trennwand. Doch die Photonen landeten auch an Punkten, wo kein Teilchen jemals hinkommen könnte! Ganz oben, ganz unten und am häufigsten sogar mittig zwischen den beiden Schlitzen!

Abbildung 8.4:
Photonen verhalten sich beim Doppelspaltexperiment wie Wellen.

Versuchen wir einmal, dieses Ergebnis Schritt für Schritt nachzuvollziehen: Ein Photon verlässt die Photonenpistole. Kurz darauf piept es, und die Forschenden können auf der Detektorleinwand nachschauen, wo es gelandet ist. Nun schickt man ein zweites Photon hinterher, wieder piept es, wieder wird der Ort des Auftreffens auf der Leinwand registriert. Ein drittes und ein viertes Photon werden abgeschossen, dann Hunderte oder Tausende. Das Komische ist: Jedes Photon bahnt sich eigenständig einen Weg durch die beiden Spalte und trifft an einem scheinbar willkürlichen Ort auf der Leinwand auf. Doch wenn wir am Ende schauen, wie die Photonen sich verteilt haben, sehen wir ein Interferenzmuster. Das heißt, irgendwie scheinen sie zusammenzuarbeiten, auch wenn wir sie unabhängig voneinander abfeuern und registrieren. Es ist ein bisschen so, als würde jedes einzelne Photon als Welle durch beide Spalte gleichzeitig treten und sich dann, in dem Moment, wenn es auf die Detektorleinwand trifft, dazu entscheiden, jetzt doch ein Teilchen zu sein und nur an einem Ort aufzukommen. Das klingt absolut verrückt, aber nur so ließe sich erklären, warum alle Photonen, auch wenn sie einzeln und mit viel Abstand voneinander durch die Trennwand geschickt werden, am Ende sozusagen im Kollektiv ein Wellenmuster bilden.

Doch wir sind noch nicht am Ende der Merkwürdigkeiten. Im nächsten Schritt installierte man einen weiteren Detektor, so etwas wie eine subatomare Überwachungskamera, die hinter der Doppelspalttrennwand die austretenden Photonen beobachtete, um herauszufinden, durch welchen Spalt sie wanderten. Diese Änderung hatte folgenschwere Konsequenzen für das Experiment. Denn plötzlich verhielten sich die Photonen wieder wie Teilchen und landeten, wie ursprünglich erwartet worden war, an zwei fixen Orten auf der Leinwand!

Abbildung 8.5:
Doppelspaltexperiment mit Detektor

Es war zum Mäusemelken! Die gleiche Versuchsanordnung, dieselben Photonen, alles wie vorher, nur mit dem »winzigen« Unterschied, dass wir sie nun ausspionieren, wenn sie durch den Schlitz in der Trennwand kommen. Es liegt wohl auf der Hand, dass die Wissenschaft ratlos war, womit sie es hier zu tun hatte.

Abbildung 8.6:
Das Doppelspaltexperiment mit deaktiviertem Detektor

Aus purer Verzweiflung führte man noch eine letzte Variante des Experiments durch. Was passiert, wenn der Kameradetektor an Ort und Stelle bleibt, wir ihn aber heimlich ausschalten, sodass die Photonen es nicht mitbekommen? So denken sie vielleicht, wir würden sie beim Austreten aus dem Spalt beobachten, aber wir tun es gar nicht! Das Ergebnis? Richtig, ein Interferenzmuster.

Nicht nur verhielten sich die Photonen also abwechselnd wie Wellen oder wie Teilchen, nein, sie »wussten« anscheinend auch, wann sie beobachtet wurden und wann nicht. Wenn wir ihren Austritt aus der Trennwand messen, verhalten sie sich wie Teilchen, wenn wir sie ungestört auf die Detektorleinwand treffen lassen, sind sie Wellen. Ein Phänomen, das die Wissenschaft bis heute nicht eindeutig erklären kann. Wie der britische Physiker Jim Al-Khalili in einem Vortrag am Royal Institute 2013 sagte: »Wenn Sie dieses Ergebnis mit gesundem Menschenverstand und Logik erklären können, lassen Sie es mich bitte wissen, denn dafür gibt es einen Nobelpreis.« 251

Das größte Problem war die fehlende Vorhersagbarkeit. Das steckt auch dahinter, wenn ich sage, die Quantenmechanik unterscheide sich in einem Punkt fundamental von der klassischen Mechanik nach Newton. Wenn wir einen Stein auf die Detektorleinwand im Doppelspaltexperiment werfen, können wir – sofern wir seine Masse und seine Geschwindigkeit kennen sowie die Kräfte, die im Moment des Abwurfs auf ihn wirken – genau berechnen, wie seine Flugbahn sein und wo er auf die Leinwand treffen wird. Wir kennen seine Position zu jedem Zeitpunkt während seines Flugs. Wenn wir ein Photon abschießen, haben wir absolut keine Ahnung, wo es landen wird. Und wir können auch nicht sagen, wo genau es sich zwischen Abschuss und Auftreffen jeweils befindet. Wir können lediglich eine Wahrscheinlichkeit aussprechen, wo wir das Photon finden könnten, wenn wir gucken würden . In dem Moment, wo wir nachschauen, bekommt es einen fixen Punkt im Raum, aber bis dahin befindet es sich in einer Superposition: Es ist überall, wo es sein kann. Ein einzelnes Photon tritt durch beide Schlitze gleichzeitig und interagiert mit sich selbst, als wäre es eine Welle.