Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Erwin Schrödinger die Katze sterben lassen musste. Angeblich soll seine Tochter Ruth Schrödinger einmal gesagt haben: »Ich glaube, mein Vater mochte einfach keine Katzen.« 255 Aber fangen wir ganz vorne an. Die hypothetische Versuchsanordnung von Schrödingers Katze (siehe Abbildung 8 .10 ) ist wie folgt: In einer Box befindet sich eine Katze. Ebenfalls in der Kiste befinden sich eine kleine Menge einer radioaktiven Substanz und ein Detektor. Der Detektor soll feststellen, ob einer der radioaktiven Atomkerne zerfallen ist oder nicht. Da dies auf einem subatomaren Level passiert, herrschen hier die Gesetze der Quantenmechanik, wie wir sie eben kennengelernt haben. Das radioaktive Material wurde so gewählt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Zerfalls innerhalb der festgelegten Zeit bei 50 Prozent liegt. Wenn der Detektor feststellt, dass ein Kern zerfallen ist, zertrümmert ein Hammer ein Gefäß, welches eine giftige Substanz freisetzt, die die Katze tötet. 256
Durch dieses Gedankenexperiment war Schrödinger in der Lage, die schwer greifbare Logik der Quanten von einem unvorstellbar kleinen »mikroskopischen« Level auf eine makroskopische Ebene zu heben. 22 Anstatt darüber zu reden, ob Photonen dabei gesehen werden, wie sie durch irgendwelche Schlitze gehen, reden wir nun darüber, ob eine Katze tot oder lebendig ist. Das kann man schon eher nachvollziehen.
Die Quantenmechanik besagt nun, dass sich die Katze, solange ihr Zustand nicht gemessen wird, in einer Superposition befindet. Sie ist gleichzeitig tot und lebendig. Welchen dieser beiden Zustände sie eingenommen hat, entscheidet sich erst, wenn eine Messung vorgenommen wird. Doch was genau eine Messung ist, wird nur unvollständig definiert. Auch das erweist sich als ein großes Problem der Quantenmechanik. Eine Messung bei Newton ist im Vergleich dazu kinderleicht: Ich sehe einen Kometen an der Erde vorbeifliegen, ich registriere seine Masse, seine Geschwindigkeit und die Kräfte, die auf ihn wirken, und die Messung ist vorbei. In der Quantenmechanik kann eine Messung bedeuten, dass ich, um bei Schrödingers Katze zu bleiben, die Box öffne. In diesem Beispiel bin ich, ein Mensch, der Messapparat. Sobald die Messung durchgeführt wird (hier: sobald ich nachschaue, ob die Katze noch lebt), gilt die Superposition als aufgelöst. Eine Messung könnte aber auch sein, dass das Quantensystem in der Box mit seiner Umgebung interagiert. Eventuell kollidiert ein Atom aus der Luft mit einem radioaktiven Kern und löst dadurch eine Messung aus. Das heißt, die Messung muss eventuell gar nicht durch einen Menschen vorgenommen werden. Oder doch?
Genau hier scheiden sich die Geister. Werner Heisenberg, ein Vertreter der Kopenhagener Interpretation und Mitarbeiter Bohrs, war der Ansicht, dass wir den Physiker, der die Messung durchführt, streng vom Quantensystem losgelöst betrachten müssen. Als würde der Physiker selbst den klassischen Gesetzen nach Newton gehorchen, das Quantensystem jedoch den Gesetzen der Quantenmechanik. Da ein Physiker aber aus Atomen besteht, müsste man ihn streng genommen auch als Quantensystem betrachten. Das heißt, wenn er die Box mit der Katze öffnet, verbindet er sich mit dem Quantensystem und müsste nun ebenfalls in einer Superposition sein. Um das zu verstehen, spinnen wir den Gedanken noch weiter und gehen von Schrödingers Katze zu Niklas’ Labor. Ich habe dort die Versuchsanordnung von Schrödinger aufgebaut, allerdings habe ich statt des tödlichen Gifts ein Schlafgas in das Gefäß gefüllt, denn im Gegensatz zu Erwin Schrödinger mag ich Katzen. Ich bin in meinem Labor und führe das Experiment durch, während ihr draußen vor der Tür steht und auf das Ergebnis wartet. In dem Moment, in dem ich die Box öffne, bin auch ich in einer Superposition: Eine Version von mir findet die Katze wach in ihrer Box vor, eine andere Version entdeckt sie schlafend. In dem Moment, in dem ihr die Tür öffnet und mich nach dem Ergebnis fragt, werdet auch ihr Teil des Quantensystems. Und wie kommen wir jetzt aus der Nummer wieder raus? Befinden wir uns alle ständig in Superpositionen, bis jemand nach uns schaut? Das kommt darauf an, wie man die Quantenmechanik interpretiert. Eine alternative Deutung zur Kopenhagener Methode schauen wir uns gleich noch an.
Mit seinem Experiment wollte Schrödinger deutlich machen, dass jede Anwendung der Logik der Quantenmechanik auf die makroskopische Welt zu einem Paradoxon führt. Eine Katze soll gleichzeitig tot und lebendig sein, und in dem Moment, in dem ich nachgucke, entscheidet der Zufall über das Ergebnis? Die Logik der Quantentheorie war auch bereits Gegenstand des Streits zwischen Albert Einstein und Niels Bohr auf der Solvay-Konferenz gewesen. Vermutlich bezog sich Einstein auf diese »Unlogik«, als er einmal sinngemäß sagte: Gott würfelt nicht. 257 Bohr ging damals als Sieger aus der Diskussion hervor, doch bis heute ist die Welt der Quantenphysik in viele Lager gespalten.