Während ich dieses Kapitel schreibe, liegt vor mir mein Smartphone, auf das ich gerade die »Universe Splitter«-App downgeloadet habe. Es ist eine simple App, mit deren Hilfe ich mit nur einem Druck auf den Bildschirm mal eben das ganze Universum spalten kann. Von zu Hause. Ohne aufzustehen. Das Prinzip dahinter sieht so aus: Wenn ich den Button mit der Aufschrift »Split Universe« berühre, verbindet sich die App mit einem Genfer Labor, wo ein Strahlteiler dann ein Photon auf einen halbdurchlässigen Spiegel schießt. Nach den Gesetzen der Quantenmechanik wird das Photon in 50 Prozent der Fälle durch den Spiegel hindurchgehen und in den anderen 50 Prozent von ihm zurückgeworfen. Das Ergebnis wird von einem Quantenapparat gemessen und anschließend an meine App gesendet. 258 In dem Moment, in dem das passiert, wird das Universum entzweigerissen. Das ist nämlich eine weitere mögliche Deutung der Gesetze der Quantenmechanik: die Viele-Welten-Interpretation nach Hugh Everett. 259 Everett war, wie Einstein und Schrödinger, frustriert von der vorherrschenden Ansicht, dass im Moment der Messung die Wellenfunktion »kollabiert« und es dann nur noch ein mögliches Ergebnis gibt. Seine Theorie besagt, dass es jede mögliche Version des Ergebnisses tatsächlich gibt. Im Moment der Messung trennt sich aber die eine Welt von der anderen Welt ab und erschafft so ein Paralleluniversum. In dem einen Universum lebt die Katze, in dem anderen ist sie tot. Das klingt erst mal nach Science-Fiction und Spinnerei, ist aber wirklich eine der wichtigsten Interpretationsrichtungen der Quantenmechanik. Wir selbst würden diese Trennung selbstverständlich nicht bemerken, sondern weiterleben, als wäre nichts passiert. Die Universe-Splitter-App ist somit der quantenmechanische Münzwurf, falls man sich mal unschlüssig ist und eine Entscheidungshilfe braucht. Gehe ich heute noch zum Sport, oder lege ich mich lieber auf die Couch? Das Großartige: Mit der Viele-Welten-Theorie ist beides möglich! In dem Moment, in dem das Photon auf den Spiegel trifft und sich das Universum aufspaltet, gibt es auch zwei Versionen von mir in zwei verschiedenen Welten. Die eine geht zum Sport, die andere liegt auf der Couch.
Ich probiere das Ganze jetzt mal aus, um mir die Entscheidung abzunehmen, ob ich mir in meiner nächsten Schreibpause einen Tee oder einen Kaffee machen soll. Moment, ich drücke kurz auf den Knopf …
Und: Tada! Ich habe das Universum gespalten, und ihr alle seid nun mit mir in einer Welt gelandet, in der ich mir einen Tee koche. Gleichzeitig gibt es ein Paralleluniversum, in dem dieses Buch gedruckt wurde und ich mir einen Kaffee gemacht habe.
So lässt sich anschaulich erleben, welche Interpretationsspielräume es in der Quantenmechanik gibt. Die Kopenhagener Deutung von Bohr und Co. besagt, dass es nur ein Universum gibt. Bis wir messen, ist der Zustand des Quantensystems gänzlich ungewiss, quasi dem Zufall überlassen. Wir können lediglich Wahrscheinlichkeiten bestimmen, in welchem Zustand das System sein wird, wenn wir nachschauen. In der Sekunde, in der wir nachschauen, ist alles andere egal, und wir haben nur noch die eine Wirklichkeit – im Fall des Universe Splitters das Ergebnis, ob das Teilchen durch den Spiegel hindurchgegangen ist oder reflektiert wurde. Die Viele-Welten-Theorie greift die Multiversums-Theorie auf, eine uralte philosophische Idee, 260 die sich mittlerweile großer Beliebtheit erfreut, nicht zuletzt in Science-Fiction-Produktionen wie der Zeichentrickserie Rick and Morty oder Blockbustern wie Marvel’s The Avengers. Die Quantenmechanik lässt diese Idee (theoretische) Wirklichkeit werden.
Noch heute, im 21 . Jahrhundert, streiten sich die verschiedenen Lager darüber, wer nun recht hat. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass wir trotzdem Quantenmechanik anwenden, Tag für Tag. Jeder Computer, jedes Handy funktioniert auf diese Art. Laser sind ebenfalls quantenmechanische Apparate, die Licht in einem sehr engen Strahl abgeben, 261 und auch CDs, DVDs oder BluRays würden ohne Quantenmechanik nicht funktionieren. Doch nur weil wir etwas benutzen, heißt das noch lange nicht, dass wir verstehen, wie das System dahinter funktioniert. Ich weiß, wie ich mein Auto starten muss und wie ich damit ans Ziel komme, aber ich habe wenig Peilung davon, was im Motorraum wirklich vor sich geht. So ähnlich nutzen auch Quantenmechaniker und Physikerinnen die Gesetze der Quantenphysik, wenn sie elektronische Geräte wie Computer oder andere Systeme auf subatomarem Level optimieren wollen. Wir können sicher sein, dass uns auf diesem Feld viele weitere spannende Entdeckungen bevorstehen und dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.