Wie das Leben auf der Erde seinen Ursprung genommen hat, ist ein Rätsel, an dem sich die Wissenschaft nach wie vor die Zähne ausbeißt. Vermutlich wurde es durch die Kollision mit einem mondgroßen Körper etwa 60 Millionen Jahre nach der Geburt der Erde in Gang gesetzt. 292 Klar ist, dass das Leben auf unserem Planeten schon seit Millionen von Jahren mit klimatischen Veränderungen zu kämpfen hat. Fünf Massenaussterben – auch bekannt als die Big Five – gab es in den letzten 500 Millionen Jahren, wobei die jeweiligen Ursachen teils besser, teils schlechter erforscht sind.
Das erste dieser Ereignisse begann vermutlich vor etwa 450 Millionen Jahren, als der Großkontinent Gondwana, zu dem das heutige Südamerika, Afrika, die Antarktis, Indien und Australien gehörten, langsam Richtung Südpol driftete. Die Kontinente sind nämlich keineswegs festgewachsen, sondern gleiten auf tektonischen Platten umher. Während ihr dieses Buch lest, entfernt sich Nordamerika mit einer Geschwindigkeit von etwa 0 ,0003 Zentimetern pro Stunde von Europa und Asien. 293 Und der afrikanische Kontinent wird gaaanz allmählich auseinandergerissen, da sich die Erdplatten, auf denen sich der Kontinent befindet, beständig voneinander entfernen. 294 Alle, die schon einmal mit neugierigem Blick einen Globus oder eine Weltkarte studiert haben, werden bemerkt haben, dass Südamerika sich wie ein perfekt passendes Puzzlestück an die Westküste Afrikas einschmiegen lässt. Und das ist kein Zufall.
Der deutsche Meteorologe Alfred Wegener brachte im Jahr 1912 als Erster das Konzept eines Urkontinents ins Spiel und nannte ihn Pangaea, was so viel bedeutet wie »alle Länder«. 295 Er hatte nicht nur bemerkt, dass die äußere Form einiger Kontinente perfekt zueinanderpasste, nein, an der Ostküste Südamerikas und an der Westküste Afrikas fanden sich auch die gleichen Fels- und Landformationen sowie Fossilien der gleichen Pflanzen und Tiere, die unmöglich den Atlantik hätten überqueren können. Dass sich auf der Erde Landmassen zu einem solchen Superkontinent zusammenschließen, scheint übrigens ein regelmäßiges Ereignis zu sein. Aktuell geht man davon aus, dass die Kontinente innerhalb der nächsten 250 Millionen Jahre wieder zu einer neuen Version von Pangaea verschmelzen werden. 296 Das finde ich super: Dann kann man zum Work & Travel in Australien einfach mit dem Rad fahren. Ist auch viel nachhaltiger …
Zurück zum Thema. Vor 450 Millionen Jahren driftete also Gondwana langsam in Richtung Südpol, was eine kurzfristige Eiszeit und damit auch das erste große Massenaussterben auslöste. Zuvor war die Temperatur extrem angestiegen, doch der folgende Temperaturabfall sorgte dafür, dass etwa 60 Prozent aller Lebewesen – hauptsächlich Meeresorganismen – starben. 297
Etwa 80 Millionen Jahre später, also vor circa 370 Millionen Jahren, sank die globale Temperatur wieder, möglicherweise ausgelöst durch mehrere Meteoriteneinschläge, was das zweite große Aussterben verursachte.
Vor etwa 250 Millionen Jahren, als Lebewesen noch über den Urkontinent Pangaea wandern konnten, ereignete sich das größte aller Massenaussterben. Über die Ursachen wird noch diskutiert, doch vermutlich beförderte eine Reihe überaus heftiger Vulkanausbrüche in Sibirien riesige Mengen CO 2 in die Atmosphäre, sodass ein Klimawandel ausgelöst wurde, der bis zu 95 Prozent aller Spezies auslöschte. Die globale Temperatur stieg an, die Meere wurden sauer, und das Leben verschwand fast komplett vom Angesicht der Erde. Eine kleine Vorschau auf das, was uns erwarten könnte, sollten wir es nicht schaffen, unsere Treibhausgasemissionen rechtzeitig einzuschränken.
Das vierte Aussterbeevent vor ca. 200 Millionen Jahren ist weniger gut erforscht, aber auch hier vermutet man Vulkanismus als Ursache.
Das fünfte und letzte uns bekannte Massenaussterben wiederum haben wir so gut wie kein anderes erforscht. Es war das Zeitalter der Dinosaurier, das durch den Einschlag eines Asteroiden ein dramatisches Ende fand. 23 Das Besondere an diesem »Event«: Während die vorherigen Massenaussterben schleichend, teilweise über einen Zeitraum von Millionen von Jahren vonstattengingen, verursachte der Asteroideneinschlag vor der Küste Mexikos vor 66 Millionen Jahren eine nie da gewesene, urplötzliche Auslöschung.
Aber woher weiß man eigentlich, dass die Dinosaurier durch einen Asteroideneinschlag getötet wurden, und wie konnte die Kollision eines einzelnen Himmelskörpers mit einem Umfang von gerade mal 10 bis 15 Kilometern mit unserer Erde große Teile des Lebens hier auslöschen?
Wie man die Ursache für das Aussterben der Dinosaurier entdeckt hat, ist wieder einmal eine unglaublich spannende Geschichte. Ende der 70 er-Jahre erforschte ein US -amerikanischer Geologe namens Walter Alvarez die Entstehungsgeschichte des Apennin, eines Gebirgszugs in Italien. Dabei stieß er, im Grunde aus Versehen, auf Zeugnisse des wohl katastrophalsten Tages in der Geschichte des Lebens auf unserer Erde. Als er in der Bottaccione-Schlucht eine dünne Tonschicht untersuchte, stellte Alvarez fest, dass im Stein unterhalb dieser Schicht eine unglaubliche Vielfalt einzelliger Lebewesen – genannt Foraminiferen – vorkam. In der nächsten Schicht, der Tonschicht, die er vorrangig untersuchte, gab es überhaupt keine Exemplare dieser Einzeller. Im Kalkstein direkt darüber waren sie jedoch wieder vorhanden, wenn auch nur extrem kleine Exemplare und nicht so viele wie zuvor. Wir erinnern uns aus Kapitel 5 , dass Geologinnen und Geologen in der Lage sind, in den Sedimentschichten von Bergen, Schluchten oder Klippen zu schmökern wie in einem Geschichtsbuch. Und so machte Walter Alvarez, unterstützt von der italienischen Geologin und Foraminiferen-Expertin Isabella Premoli Silva, besagte Entdeckung. Dass es erst viele Einzeller gab, dann plötzlich keine mehr, und dann tauchten sie in der nächsten Sedimentschicht in extrem dezimierter Form wieder auf, das wunderte Walter Alvarez sehr. Schließlich war er überzeugter Darwinist und ging davon aus, dass sich Arten langsam und beständig über viele Millionen Jahre verändern. Da war das scheinbar urplötzliche Aussterben dieser Einzeller doch äußerst bemerkenswert.
Alvarez fiel noch eine weitere Merkwürdigkeit auf: Die Auslöschung dieser Tierchen hatte sich offenbar exakt zu der Zeit ereignet, als auch die Dinosaurier vom Antlitz der Erde verschwunden waren. Letzteres war zwar nicht der Grund, warum er in Italien forschte, aber er entschied sich spontan, der Sache nachzugehen. »In der Wissenschaft ist es manchmal gut, mehr Glück als Verstand zu haben«, sagte er später über diese Entscheidung. 298 Walter Alvarez nahm also reichlich Proben aus der foraminiferenlosen Tonschicht mit nach Hause und tat, was ich auch manchmal tue, wenn ich absolut nicht mehr weiterweiß: Er fragte seinen Vater um Rat. Nun muss man dazusagen, dass es sich bei seinem Papa praktischerweise um den Nobelpreisträger Luis Alvarez handelte, einen echten Tausendsassa der Physik: Er entwickelte den ersten Protonenbeschleuniger, erfand die Wasserstoff-Blasenkammer (ein entscheidender Beitrag zur Erforschung der Elementarteilchen) und war Mitentdecker des Isotops Tritium. Neben seinen großen Errungenschaften, für die er einen renommierten Wissenschaftspreis nach dem anderen einheimste, veranstaltete er auch, na ja, sagen wir, etwas »eigensinnige« Experimente. Zum Beispiel suchte er in den Pyramiden von Gizeh mit kosmischer Strahlung nach versteckten Schatzkammern 299 oder stellte die Ermordung John F. Kennedys nach, da er fasziniert war von den Verschwörungstheorien, die sich um den genauen Ablauf des Attentats entwickelten. 300 Diese Projekte waren es auch, die Luis Alvarez den Spitznamen Wild Idea Man eintrugen.
Als sein Sohn Walter ihn mit den Gesteinsproben aus dem Apennin und dem offenbar plötzlichen Aussterben von Einzellern konfrontierte, hatte Vater Luis auch sogleich eine seiner berühmten wilden Ideen: Er wollte die Tonschicht auf ihren Iridiumgehalt untersuchen lassen. Warum das eine wilde Idee war? Weil Iridium auf der Erde sehr selten ist, im Weltall in Meteoren aber in extrem hohen Konzentrationen vorkommt. Iridium findet seinen Weg auf unseren Planeten, indem es in Form von kosmischen Staubkörnern auf uns herabregnet. Der Iridiumgehalt in der italienischen Tonschicht sollte also, so hoffte Luis Alvarez, einen Hinweis auf deren Alter geben können.
Vater und Sohn kontaktierten Frank Asaro, einen Wissenschaftler vom Berkeley-Labor in Kalifornien, und beauftragten ihn mit der Überprüfung von einem Dutzend Proben aus verschiedenen Bereichen der Tonschicht. Asaro ließ sich darauf ein, meinte aber, er glaube nicht, dass das irgendwas bringen würde. Neun Monate lang schob er die Untersuchungen auf, sie hatten für ihn einfach keine Priorität. Als er endlich dazu kam, traute er seinen Augen nicht: Der Iridiumwert in allen Bereichen der Tonschicht war enorm hoch. Sogleich kontaktierte Asaro die Herren Alvarez, denn er ging davon aus, dass irgendetwas mit den Proben nicht stimmte. Walter Alvarez zog also los und suchte auf der ganzen Welt nach weiteren Überresten dieser Tonschicht. Er fand sie in Dänemark, an der Steilküste Stevns Klint, und auf der Südinsel Neuseelands. Wieder wurden die Proben auf Iridium getestet, wieder waren die Werte unfassbar hoch. 301 Der Mann mit den wilden Ideen hatte Blut geleckt. Er ahnte, dass sein Sohn und er einer sensationellen Entdeckung auf der Spur waren, doch noch konnten sie sich die hohen Iridiumwerte nicht erklären.
Ein Jahr lang schlossen sie sich ein, rechneten Modelle durch, verfolgten Hypothesen, verwarfen sie und begannen wieder von vorne. Dann endlich fanden sie die Lösung, die zu ihren Untersuchungsergebnissen passte: Vor 66 Millionen Jahren, an einem Tag, der vielleicht ganz ähnlich war wie der Tag heute, schlug ein 10 bis 15 Kilometer großer Asteroid auf der Erde ein. Er bewegte sich mit 30 km/s, das sind 108000 km/h, was der 150 -fachen Geschwindigkeit eines Düsenjets entspricht. 302 Beim Aufprall explodierte der Asteroid mit der Energie von zehn Milliarden Atombomben auf einmal! 303 Wie stark die Explosion genau war, dazu gibt es zahllose unterschiedliche Modelle und Schätzungen, doch alle rechnen mit einer Explosion von apokalyptischem Ausmaß. Der Asteroid wurde pulverisiert, und das Iridium, das er in sich trug, verteilte sich mit jeder Menge Schutt und Staub in der Atmosphäre. Dadurch wurde die Sonne für Monate, vielleicht sogar für Jahre verdunkelt, und die Temperaturen auf der Erde sanken drastisch. Die Dinosaurier, die nicht direkt durch den Einschlag oder die 100 Meter hohen Tsunamiwellen ausgelöscht wurden, die – vom Ort des Aufpralls ausgehend – alles zermalmten, was sich ihnen in den Weg stellte, verhungerten wenige Woche später. Denn ohne Sonnenlicht siechten alle Pflanzen dahin, und mit ihnen die Pflanzenfresser, auf die die fleischfressenden Dinosaurier angewiesen waren. Alle Landlebewesen, die mehr als 25 Kilogramm wogen, starben aus. 304 Das ultimative Bodyshaming. Nur die Flugsaurier überlebten, weshalb Vögel heute die einzigen existierenden Dinosaurier-Nachfahren sind. 305
Etwa ein Jahrzehnt nach der Entdeckung von Luis und Walter Alvarez wurde der Ort des Asteroideneinschlags gefunden: Der Chicxulub-Krater liegt vor der Küste der mexikanischen Halbinsel Yucatán unter Wasser und misst unglaubliche 200 Kilometer im Durchmesser. Bei einer Forschungsmission der University of Texas im Jahr 2016 fand man dort Überreste von Asteroidenstaub und einen chemischen Fußabdruck, der eindeutig zu der Tonschicht passte, die Walter Alvarez in Italien gefunden hatte. 306 Case closed .