Klimamythen und wie man sie debunkt

2019 entschied ich mich, mal einen großen Schritt aus meiner Komfortzone zu machen und einen Monat als Aushilfe auf einer Kälberfarm in Neuseeland zu arbeiten. Da ich mich größtenteils vegetarisch ernähre und in meinem Beruf als Wissenschaftsjournalist und Content Creator für Social Media kaum harte körperliche Arbeit gewohnt bin, versprach es, eine interessante Erfahrung zu werden. Und das wurde es auch.

Maria, die Besitzerin der Farm, fragte mich gleich am ersten Tag, warum ich Vegetarier sei, worauf ich wahrheitsgemäß antwortete, dass ich mich wegen der Klimakrise entschieden hätte, Fleisch von meinem Ernährungsplan zu streichen. Von diesem Moment an hatte sie mich auf dem Kieker und piesackte mich, wo es nur ging. Ihrer Ansicht nach gibt es nämlich gar keine Klimakrise. Sie hielt das alles für großen Humbug und pöbelte jeden Abend die Nachrichten an, wenn dort mal wieder die Rede davon war, wie viel klimaschädliches Methan Kühe ausstoßen. Methan ist nämlich ein Treibhausgas, das die Atmosphäre etwa 25 -mal stärker erwärmt als Kohlenstoffdioxid. 317 Eine Kuh rülpst pro Jahr etwa 100 Kilogramm Methan aus, 318 und weltweit halten wir Menschen aktuell etwa eine Milliarde Kühe. 319

Zwar versuchte ich, Diskussionen mit meiner offenkundig unbelehrbaren Arbeitgeberin nach Möglichkeit aus dem Weg zu gehen, dennoch wollte ich die Falschaussagen, mit denen sie mich wieder und wieder konfrontierte, nicht unwidersprochen lassen. Da sie mir jedoch mit so vielen aus dem Kontext gerissenen Informationen und Fake News begegnete, wusste ich manchmal nicht mehr, wie ich ihre Aussagen entkräften sollte. Deshalb widme ich dieses Unterkapitel allen, die sich schon einmal in einer vergleichbaren Debattensituation befunden haben, egal, ob beim Weihnachtsessen mit dem Fleisch liebenden Onkel oder beim Kälberfüttern auf Neuseeland. Quasi als kleines Handbuch, mit dem ihr weitverbreiteten Klimamythen den Wind aus den Segeln nehmen könnt.

Mythos 1 : Das Klima verändert sich sowieso, der Mensch hat damit nichts zu tun.

Dass sich das Klima ständig verändert, ist zunächst einmal richtig. Es gab Eiszeiten und wärmere Perioden, immer im Wechsel, und zwar ausgelöst durch die Neigung der Erdachse, die unregelmäßige Umlaufbahn der Erde um die Sonne, vulkanische Aktivitäten, Asteroideneinschläge etc. Der Anstieg der globalen Temperatur ging aber meistens mit einer erhöhten Konzentration von Treibhausgasen wie CO 2 oder Methan in der Atmosphäre einher, und wir Menschen verursachen aktuell mehr CO 2 als je ein Klimawandeltreiber zuvor! Unser Handeln ist der entscheidende Faktor in der aktuellen Klimakrise. 320

Mythos 2 : Die Wissenschaft ist sich uneinig.

Eine Metastudie – also eine Studie, die die Ergebnisse vieler anderer Studien zusammenfasst – sichtete 2021 knapp 90000 verschiedene Arbeiten zur Klimaforschung, die seit 2012 veröffentlicht wurden. 99 Prozent davon waren sich in einer Frage einig: Die Klimakrise ist menschengemacht. 321 2017 hieß es in einem oft geteilten Artikel auf einer dubiosen Website, 30000 Experten und Wissenschaftlerinnen hätten eine Petition an die US -amerikanische Regierung unterzeichnet, in der sie die Feststellung, dass der Klimawandel menschengemacht ist, als Lüge bezeichneten. 322 Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf: Die wenigsten beteiligten »Wissenschaftler« waren tatsächlich Experten auf diesem Gebiet. Um sich der Petition anzuschließen, genügte ein Bachelorabschluss in irgendeiner naturwissenschaftlichen Disziplin, sprich: Auch Tierärzte waren unter den Unterzeichnern. Außerdem stammte die Petition nicht von 2017 , sondern aus den Jahren 1998 /99 , und seitdem hat sich beim wissenschaftlichen Konsens zum Thema Klimakrise bekanntlich eine Menge getan. Wahrscheinlich weiß das mittlerweile sogar euer lokaler Tierarzt.

Mythos 3 : Die Sonne strahlt immer stärker, sie ist der Grund für die steigenden Temperaturen.

Das Gegenteil ist der Fall. In den letzten 35 Jahren hat die Sonnenenergie, die auf der Erde ankommt, abgenommen. In der Regel schwankt die Sonnenaktivität in elfjährigen Zyklen um etwa 0 ,1 Prozent. Die stärkste Fluktuation wurde in den 1960 er-Jahren verzeichnet, während die globale Temperatur allerdings erst seit den 1980 ern signifikant ansteigt. Zwischen 2000 und 2008 ist die Sonnenenergie, die wir auf der Erde messen können, gesunken, die globale Temperatur ist in dieser Zeit jedoch stetig weiter nach oben gewandert. 323 Der Energieoutput der Sonne und die Temperatur auf der Erde hängen also nicht zusammen.

Mythos 4 : Natürliche Prozesse verursachen weitaus mehr CO2 als der Mensch.

Das stimmt. Die Natur befördert jährlich rund 750 Gigatonnen CO 2 in die Atmosphäre. Die vom Menschen produzierten 36 Gigatonnen 324 wirken im Vergleich dazu lächerlich wenig. Doch entscheidend ist der Kohlenstoffkreislauf: Bevor wir angefangen haben, CO 2 in die Atmosphäre zu pumpen, befand sich das System im Gleichgewicht. Das von der Natur produzierte Kohlenstoffdioxid wurde von Meeren und Wäldern wieder aufgenommen. Doch wir haben das System aus dem Gleichgewicht gebracht: Das zusätzliche CO 2 , das wir durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen freisetzen, kann vom Ökosystem nicht mehr absorbiert werden. Hinzu kommt, dass wir im Rekordtempo Wälder abholzen, mit die wichtigsten CO 2- Speicher, die wir haben. Pro Minute zerstören wir etwa 42 Fußballfelder Regenwald. 325 Auf der einen Seite pumpen wir also mehr Treibhausgase in die Luft, als die Natur ausgleichen kann, und auf der anderen Seite zerstören wir die natürlichen Systeme, die dabei helfen könnten, das CO 2 wieder aus der Atmosphäre zu holen. Unser Handeln hat dazu geführt, dass die Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Atmosphäre in den letzten 250 Jahren bereits um 50 Prozent gestiegen ist. 326

Abbildung 9.4:
Schwankung der Sonnenaktivität (türkis) versus Anstieg der globalen Temperatur (schwarz)

Mythos 5 : Manchmal gibt es bei uns im Winter noch eisige Kälte. Die Klimaerwärmung muss also eine Lüge sein.

Dass es bei uns im Winter zuweilen noch heftige Kälteeinbrüche gibt, hängt teilweise sogar direkt mit der Klimakrise zusammen, wie zuletzt im Februar 2021 . Damals sorgte ein Tief dafür, dass sich der Polarwirbel, ein kalter Windstrom über dem Nordpol, verschob, vermutlich ausgelöst durch den massiven Eisverlust in der Arktis. 327 Der Polarwirbel dreht sich normalerweise in der Stratosphäre auf 30 Kilometern Höhe gegen den Uhrzeigersinn. Wenn er dabei gestört wird, was nicht ungewöhnlich ist, wird es bei uns eiskalt. Im Jahr 2021 hielt die Kälte ungewöhnlich lange an, was auch Klimaforscher und Wetterexpertinnen wunderte. Dass die Arktis im Winter nicht mehr vollständig einfriert, kann auch Auswirkungen auf die Temperaturen in den Luftschichten darüber haben, was wiederum das Verhalten des Polarwirbels beeinflusst. Letzten Endes sind aber Ereignisse wie ein paar kalte Wochen im europäischen Winter lokale Phänomene. Der globale Trend ist es, den man sich beim Klima anschauen muss, und der geht eindeutig weiter nach oben: Das letzte Jahrzehnt war global das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. 328 Auch in Deutschland konnten wir zwischen 2000 und 2021 vierzehn der neunzehn wärmsten Jahre seit 1881 verzeichnen. 329