Was können wir jetzt noch tun?

Wenn wir aktiv werden und etwas gegen die Klimakrise unternehmen wollen, müssen wir schleunigst in Erfahrung bringen, mit welchen Maßnahmen wir uns und unseren Planeten vor dem Schlimmsten bewahren können. Zwar hat die Menschheit bereits Schäden angerichtet, die irreversibel sind. Die globale Temperatur ist seit Beginn der industriellen Revolution um 1 ,2 Grad Celsius gestiegen, 330 die in Deutschland sogar um 2 ,3 Grad. 331 Schon jetzt erleben wir Dürreperioden, tropische Stürme, verheerende Überschwemmungen, und das ist wie gesagt erst der Anfang. Auch wenn der Temperaturanstieg in Zahlen nach wenig klingt, müssen wir uns immer vor Augen halten, dass kleine Veränderungen enorm viel bewirken. Während der letzten Eiszeit lag die globale Temperatur beispielsweise nur 7 Grad unter der aktuellen. 332 Und die Schäden, die unsere Emissionen heute anrichten, werden wir ja erst in einigen Jahren spüren, die Konsequenzen hinken also hinterher. 333

Deshalb sollten wir zwei Dinge sofort anpacken: Als Erstes müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen so schnell wie möglich so weit wie möglich verringern. Zweitens: Wir müssen unsere Art zu leben und unsere Infrastruktur an das anpassen, was bevorsteht. Denn um die Klimakrise zu verhindern, ist es zu spät, sie ist bereits in vollem Gange.

Noch haben wir die Chance, das gesetzte Ziel von maximal 1 ,5 Grad globaler Erwärmung einzuhalten. Sollten wir das aber nicht schaffen, müssen wir trotzdem weitermachen mit dem Klimaschutz. Es ist nicht so, dass an dem Tag, an dem der Temperaturanstieg von 1 ,5 Grad erreicht ist, plötzlich die Erde explodiert. Wir müssen danach weiter auf ihr leben. Dabei gilt es, den Temperaturanstieg so weit wie möglich zu begrenzen. Wenn wir 1 ,5 Grad nicht schaffen, sollten wir alles daransetzen, nicht bei 1 ,6 , 1 ,7 oder womöglich zwei Grad zu landen. Jeder noch so marginal erscheinende Anstieg bedeutet mehr Tote und mehr Menschen, deren Existenzgrundlage zerstört wird und die deshalb flüchten müssen.

Um diese Folgen zu minimieren, sollten wir möglichst bis 2030 unsere Treibhausgasemissionen gegenüber 2010 halbieren 334 und bis spätestens 2050 bei Netto-Null-Emissionen ankommen. Doch was bedeutet Netto-Null? Aktuell gelangen rund 51 Milliarden Tonnen Treibhausgase jedes Jahr durch Menschenhand in die Atmosphäre – davon sind allein 36 Milliarden Tonnen CO 2 ! 335 Wenn irgendwo davon gesprochen wird, dass Nation X nächstes Jahr Y Tonnen weniger CO 2 produzieren will, kann man die genannte Summe ja mal mit 51 Milliarden vergleichen, um zu sehen, wie relevant das Einsparziel verglichen mit den globalen Emissionen wirklich ist. Denn wir müssen auf null kommen. Von 51000000000 Tonnen auf null. Das ist mal ’ne Ansage. Da es aber so gut wie unmöglich sein wird, alle Prozesse, bei denen Kohlenstoff, Methan und Co. ausgestoßen werden, zu 100 Prozent herunterzufahren, spricht man von Netto-Null statt von einer »echten« Null. Das bedeutet: Wenn wir 90 Prozent unserer Emissionen komplett verhindern wollen, müssen wir die letzten zehn Prozent durch Verfahren wie zum Beispiel Direct Air Capture (DAC ) wieder aus der Luft ziehen. Beim DAC -Verfahren wird CO 2 direkt aus der Atmosphäre extrahiert und in geologischen Formationen gespeichert. Rein theoretisch könnte man das extrahierte CO 2 sogar verwenden, um synthetische Kraftstoffe herzustellen, die sich dann wieder als nachhaltiger Sprit für Autos und Flugzeuge nutzen ließen. Das ist aber noch ferne Zukunftsmusik. Aktuell gibt es weltweit etwa 20 DAC -Werke, die der Atmosphäre jährlich 10000 Tonnen CO 2 entziehen. 336 Es ist also noch ein weiter Weg, bis dieses Verfahren so effizient funktioniert, dass wir einen nennenswerten Anteil der 51 Milliarden Tonnen Treibhausgasemissionen wieder »einfangen« können. Laut International Energy Agency wird erwartet, dass es bis 2050 möglich sein wird, knapp eine Milliarde Tonnen CO 2 jährlich auf diese Art aus der Atmosphäre zu ziehen. 337

Das DAC -Verfahren ist trotz des langen Vorlaufs weitaus besser geeignet, uns zur Netto-Null zu bringen, als die CO 2 -Kompensation, was ähnlich klingt, aber ganz anders funktioniert. Viele Airlines werben beispielsweise mittlerweile damit, dass sie ihre CO 2 -Emissionen kompensieren. Auf diese Art versuchen sie, sich einen grüneren Anstrich zu verpassen, als ihnen eigentlich zusteht. Denn Kompensation heißt nur, dass man irgendwo auf der Welt CO 2- Emissionen verhindert, um dann selbst welche zu verursachen. Wenn ich als Privatperson beispielsweise mit einer Boeing 747 von Berlin nach New York fliege, verursache ich allein satte 3 ,7 Tonnen CO 2 . Dienstleister wie zum Beispiel die deutsche Non-Profit-Organisation atmosfair bieten an, gegen eine Spende diese Emissionen zu kompensieren. Um eine Tonne CO 2 auszugleichen, zahlt man bei atmosfair 23  Euro. 338

Und wie kompensiert atmosfair nun die Emissionen? Die Spenden gehen an unterschiedliche Klimaprojekte auf der ganzen Welt. Eines davon finanziert beispielsweise in Ruanda Kochöfen, die weitaus weniger Holz benötigen als die herkömmlichen Öfen der Dorfbewohnerinnen und -bewohner. 339 Wenn weniger Holz verbrannt wird, werden weniger CO 2 -Emissionen verursacht. Ich spare an einem Ort CO 2 ein, um durch meinen Flug, meine Autofahrt oder meine Geschäftspraktiken dann genauso viel CO 2 freizusetzen. Die Katze beißt sich also in den Schwanz. Dennoch ist Kompensation immer noch besser, als gar nichts zu tun! Ich empfehle allen, die in ein Flugzeug steigen, sich vorher zu informieren, ob und wie die Airline, mit der sie reisen, Emissionen kompensiert, und auch selbst mal den Kompensationsrechner von atmosfair 340 oder dem Umweltbundesamt 341 anzuwerfen.

Kompensation ist auch weitaus günstiger, als CO 2 per Direct Air Capture aus der Atmosphäre zu ziehen. Mal zum Vergleich: Um eine Tonne CO 2 per DAC beseitigen zu lassen, bezahlt man beim Schweizer Anbieter climeworks 84  Euro, mehr als das Dreifache von dem, was bei atmosfair die Kompensation kostet. 342

Einzelpersonen können also durchaus etwas tun, um schädliche Emissionen zu reduzieren. Und das muss gar nicht immer viel Geld kosten. Weniger Fleisch essen, öfter Fahrrad fahren, auf den Stromverbrauch achten, das sind alles Methoden, die nicht nur Emissionen, sondern auch Geld sparen. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Um die 51 Milliarden Tonnen Treibhausgase jährlich nennenswert zu senken, müssen sich vor allem ganze Industriezweige verändern. Das Bremer Stahlwerk zum Beispiel produziert so viel CO 2 wie alle 560000 Bremerinnen und Bremer zusammen! 343 Um das zu ändern und bis 2050 klimaneutral zu werden, plant das Werk nun eine Umstellung auf grünen Stahl. 344 Bei der Produktion von einer Tonne herkömmlichem Stahl entstehen rund zwei Tonnen CO 2 . 345 Grüner Stahl hingegen wird mit Wasserstoff hergestellt und verursacht keine Treibhausgasemissionen (sofern der Wasserstoff ebenfalls »grün« hergestellt wurde). 346

Doch damit große Unternehmen solche Entscheidungen treffen, braucht es nicht nur Innovationen aus der Forschung, sondern auch Vorgaben von der Politik. Und damit die Politik mehr solche Gesetze entwirft, braucht es viel Druck aus der Bevölkerung. Das heißt, noch wichtiger, als die eigenen Emissionen zu reduzieren, ist es, politisch aktiv zu werden, Petitionen zu unterschreiben, auf Klimademos zu gehen und Parteien zu wählen, die sich eine klimafreundliche Politik auf die Fahnen geschrieben haben. Leider hat in Deutschland keine einzige der etablierten Parteien genug Klimaschutz im Programm, um das 1 ,5 -Grad-Ziel einhalten zu können. 347 Nicht zu wählen, ist natürlich trotzdem keine Option! Wir sollten stattdessen den Druck auf unsere Politiker und Politikerinnen erhöhen und vorerst das »kleinste Übel« wählen.

Bisher haben sich 129 Länder verpflichtet, ihre Emissionen auf Netto-Null zu senken, darunter auch China (bis 2060 ), die USA (bis 2050 ) und Deutschland (bis 2045 ). 348 Aber Ziele allein reichen nicht. Auf climateactiontracker.org kann man überprüfen, welches Land aktuell genug tut, um die globale Erwärmung auf 1 ,5 Grad zu begrenzen. 349 Während ich dieses Kapitel schreibe (im Mai 2022 ) trifft das auf kein einziges Land zu. Aber noch ist es nicht zu spät! Laut Weltklimarat haben wir bis 2030 Zeit, um dieses Ziel zu erreichen. 350

Egal, wo wir leben, egal, wo wir wählen, wir müssen die Politik weiter unter Druck setzen und dazu bringen, härtere Maßnahmen für den Klimaschutz zu ergreifen, als sie es bislang tut. Denn wir dürfen nicht vergessen: Es geht hier nicht darum, irgendwie abstrakt »die Welt« zu retten, sondern ganz konkret darum, den Lebensraum von uns Menschen und von unzähligen Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Unserem Planeten ist es herzlich egal, ob die Dinosaurier von einem Asteroiden oder die Tiger von Wilderern ausgerottet werden. Dem Planeten ist es auch egal, ob Korallenriffe absterben, weil die Ozeane zu heiß und zu sauer werden, oder ob ganze Landstriche verdorren, weil kein Regen mehr fällt. Wer wirklich am Ende des Tages unter den Folgen der menschengemachten Klimakrise leiden wird, sind wir selbst! Und wir sind die letzte Generation, die noch etwas bewegen kann, bevor es zu spät ist.