Der Mensch auf dem Weg zur interplanetaren Spezies

Die größte wissenschaftliche Herausforderung unserer Zeit (nach der Bekämpfung der Klimakrise) scheint es zu sein, andere Planeten zu erreichen und zu besiedeln. Davon träumten Astronomen sogar schon vor Hunderten von Jahren! 1609 schrieb Johannes Kepler (siehe Kapitel 2 ) die Erzählung Somnium oder Der Traum vom Mond und gilt damit als einer der ersten Science-Fiction-Autoren. Die Geschichte ist in Latein abgefasst und handelt von einer möglichen Besiedlung des Mondes. 355 Zugleich ist es eine Art Märchen, bevölkert von auf die Erde schauenden Mondbewohnern und einem Dämon als Geschichtenerzähler. So etwas war bei noch laufender Hexenverfolgung nicht ungefährlich, weshalb das Buch erst 1634 , vier Jahre nach Keplers Tod, von seinem Sohn Ludwig veröffentlicht wurde. 356

Inzwischen sind wir da einige Schritte weiter. Auf dem Mond waren wir bereits, und dass die ersten Menschen auf dem Mars herumspazieren, werden wir schon bald erleben. Wann? Das wollen wir uns in diesem Kapitel genauer anschauen, aber eins steht fest: Der erste Mensch, der den Mars betreten wird, lebt jetzt schon. Vielleicht liest sie oder er gerade sogar dieses Buch. Wenn dem so ist: Viel Glück! Und nimm dir reichlich zu trinken mit!

Aber erst mal ein paar Fakten zum Roten Planeten: Er misst 6791 Kilometer im Durchmesser, hat zwei (winzige) Monde – Deimos und Phobos – und ist im Schnitt 228 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, das sind rund 70 Millionen Kilometer mehr als die Erde. 357 Irgendwie fühle ich mich dort schon fast wie zu Hause. Geht es euch auch so? Tatsächlich ist der Mars derjenige Planet in unserem Sonnensystem, der die größten Ähnlichkeiten mit der Erde aufweist. Es gibt Täler, Sandwüsten und Vulkane. Der Olympus Mons ist mit 27000 Metern sogar der höchste Vulkan des Sonnensystems. 358 Es gibt Wind und Wolken, ein Tag ist 24 Stunden und 39 Minuten lang, und das Jahr hat 678 Erdentage. Da muss man zwar richtig lange auf seinen Geburtstag warten, aber dafür dauert der Sommer 180 Tage. Klingt doch gut, oder?

Neuere Beobachtungen des Mars-Rovers der NASA bestätigen die Existenz von gefrorenem Eis an den Polen. Früher einmal gab es auf dem Mars sogar flüssiges Wasser. 359 Und die Neigung der marsianischen Rotationsachse ist fast identisch mit der unseren! 25 ,19 Grad ist er zur Sonne »gekippt«, die Erde 23 ,44 Grad. Auch auf dem Mars gibt es deshalb Jahreszeiten. 360 Und wir müssten nicht mehr Diät halten: Auf dem Roten Planeten würden wir nur etwas mehr als ein Drittel unseres Gewichts auf die Waage bringen, genauer: 38 Prozent. Gut, es ist ein wenig kalt, im Durchschnitt 60 Grad unter null, 361 aber solche Werte erreichen wir in der Antarktis auch gerne mal. 362 Im Sommer klettern die Temperaturen in manchen Regionen auf dem Mars immerhin schon etwas über den Gefrierpunkt.

Würden wir auf dem Mars eine extrem gut isolierte Flasche Wasser öffnen, würde Folgendes passieren: Im Winter würde das Wasser in der Sekunde gefrieren, in der wir den Deckel abschrauben. Im Sommer würde es augenblicklich verdampfen. 363 Verdampfen? Bei null Grad? Das liegt an der dünnen Atmosphäre des Planeten, die zu über 95 Prozent aus CO 2 besteht, nur zu knapp drei Prozent aus Stickstoff und sogar nur zu 0 ,13 Prozent aus Sauerstoff. 364 Der atmosphärische Druck auf dem Mars beträgt durchschnittlich 0 ,00636 bar, also weniger als ein Hundertstel des Normaldrucks von 1 ,013 bar auf der Erde. Die Wassermoleküle können deshalb nicht dicht genug zusammengehalten werden, um flüssig zu sein. Ab null Grad würden sie direkt vom gefrorenen in den gasförmigen Aggregatzustand übergehen. Dennoch, der Mars hat eine Atmosphäre, die zumindest ein wenig gegen die Weltraumstrahlung schützt. Aber dazu später mehr.

In klaren Nächten können wir den Mars als hellen, roten bis orangefarbenen »Stern« am Nachthimmel erspähen, weil sein Boden viel Eisenoxid enthält. Das Eisen auf seiner Oberfläche kann tatsächlich oxidieren, also rosten, und verleiht dem Planeten so seine blutrote Erscheinung. 365 Deshalb gaben die Griechen ihm auch den Namen Ares, nach ihrem Kriegsgott, und die Römer, deren Kultur von der griechischen »inspiriert« wurde, taten es ihnen gleich und nannten den Roten Planeten Mars . 366 Dass wir uns dort bereits so gut auszukennen glauben, liegt an den Bildern und Videoaufnahmen, die uns die vielen Mars-Rover über die Jahre geliefert haben. Aber sicherlich hat auch Hollywood seinen Teil dazu beigetragen: Der Marsianer (2015 ), Red Planet (2000 ), Total Recall (1990 ) … Science-Fiction-Nerds wissen natürlich: Die meisten dieser Streifen gehen zurück auf Stoffe, die Autoren wie H.G. Wells, Stanislaw Lem oder Phillip K. Dick schon viel früher entwickelten. Und dabei warfen sie erstaunlich weitsichtige Fragen auf: Lässt sich der Mars zum Beispiel, obwohl er fast frei von Sauerstoff und jeglicher Behaglichkeit ist, terraformen, also für Menschen bewohnbar machen? Könnten wir dort Sauerstoff und damit eine atembare Atmosphäre ähnlich der der Erde künstlich erschaffen? Arnold Schwarzenegger brauchte in Total Recall dafür noch ein von Aliens errichtetes und zurückgelassenes Umwandlungskraftwerk. In Red Planet erkennt Val Kilmer auf seiner schiefgelaufenen Marsmission, dass die von der Menschheit zuvor per Sonde dort ausgesetzten Algen von Insekten gefressen werden, deren Verdauung respektive deren Pupse offenbar genug Sauerstoff für die ganze Atmosphäre produzieren. Gar nicht so weit weg von dem, woran Wissenschaftlerinnen und Astrobiologen gerade arbeiten. Dem Marsianer Mark Watney alias Matt Damon gelingt es in seinem Überlebenskampf auf dem Roten Planeten gar, aus einer Mischung von Marserde und den Exkrementen der verblichenen Crew Kartoffeln zu züchten.

Abbildung 10.1:
Menschliches Leben auf dem Mars, wie der Weltraummaler Klaus Bürgle es sich 1976 vorstellte

Aber geht das wirklich? Können wir irgendwann auf dem Mars Biogemüse anbauen? Können wir atmen und einen Abendspaziergang mit unseren Kindern und dem West Highland Terrier unternehmen? Entspannt den Erd- oder Monduntergang genießen? Können wir den Mars wirklich bereisen, besiedeln – und beherrschen? Können wir mit Monster-Space-Trucks genügend Legosteine zum Bau von Siedlungen und Städten da hinaufkarren? Und falls ja: Wann? Wie lange wird die Reise dauern? Und zu welchem Preis fliegt Easyjet uns dahin?