Wenn reiche Männer Astronaut spielen

Wir leben in einem neuen Zeitalter der Raumfahrt. Alles begann im September 2008 , als der gebürtige Südafrikaner Elon Musk, mittlerweile US -amerikanischer Unternehmer und der reichste Mensch der Welt, 380 ein Spaceshuttle in die Erdumlaufbahn schickte. Kurz vorher hatte die von ihm gegründete Firma Space Exploration Technologies Corporation, kurz SpaceX, noch vor dem finanziellen Ruin gestanden. 381 Doch nun erhielt sie einen Vertrag mit der NASA über 1 ,6 Milliarden US -Dollar, 382 damit sie die Raumstation ISS mit Personal und Vorräten versorgte. Damit war SpaceX vor der Insolvenz gerettet und das neue Zeitalter eingeläutet.

Musks Firma konnte Konkurrenten wie Boeing oder Lockheed Martin ausstechen, weil sie nicht nur weitaus günstigere Raketen baute, nein, sie setzte auch alles daran, die ersten wiederverwertbaren Exemplare zu entwickeln. 2015 schafften sie es tatsächlich, eine ihrer Falcon-9 -Raketen unversehrt auf die Erde zurückzubringen. 383 Mit Musks Erfolgen in diesem Bereich begann ein regelrechter Wettlauf der Milliardäre bei der Eroberung des Weltalls.

Auch der britische Unternehmer Richard Branson hat Weltraumgeschichte geschrieben. Als erster Milliardär flog er im Juli 2021 mit dem Raumschiff VSS Unity seiner Firma Virgin Galactic in etwa 86 Kilometern Höhe um die Erde. 384 Es handelte sich dabei um einen suborbitalen Flug, was bedeutet, dass das Raumschiff nicht schnell genug war, um in eine stabile Umlaufbahn zu gelangen. Um die Erde zum Beispiel in etwa 200 Kilometern Höhe auf einem stabilen Orbit zu umkreisen, ist eine Geschwindigkeit von 28000 km/h notwendig (wir erinnern uns aus Kapitel 3 daran). 385 Bransons Fluggerät erreichte aber gerade mal 3700 km/h. 386 Das Ganze war nicht zuletzt ein PR -Gag für seine Firma, die genau solche Flüge für Weltraumtouristen anbieten möchte. Ein Ticket soll schlappe 450000 US -Dollar kosten. 387

Abbildung 10.3:
Wo beginnt der Weltraum?

Mit seiner Weltraumpremiere kam Richard Branson seinem Konkurrenten, dem Amazon-Gründer Jeffrey Bezos, um neun Tage zuvor. Bezos brach am 20 . Juli 2021 mit dem New Shepard -Raumschiff seiner eigenen Weltraumtourismus-Firma Blue Origin ebenfalls zu einem suborbitalen Flug auf, 388 um sich und seinen Passagieren in der Schwerelosigkeit – 107 Kilometer über der Erde – Süßigkeiten in den Mund zu werfen. 389 Ein kleiner Schritt für ihn, eine große Peinlichkeit für die Menschheit.

Oft heißt es in Artikeln, Bezos und Branson seien »an die Grenze des Weltalls« geflogen. 390 Eine international einheitliche Definition, wo der Weltraum anfängt, gibt es aber gar nicht. Am ehesten wird die sogenannte Kármán-Linie als imaginäre Markierung des Übergangs von Erdatmosphäre zu Weltall verstanden. Sie liegt etwa 100 Kilometer über dem Meeresspiegel. 391

Waren Bezos und Branson also nun im Weltall oder nicht? Schwierig zu sagen. Bezos schaffte es zumindest über die Kármán-Linie, was das kosmische Äquivalent dazu ist, den kleinen Zeh ins Wasser zu halten. Bezos kam höher, Branson war früher.

Was wir definitiv festhalten können: Es gibt einen neuen Wettlauf ins All, diesmal nicht angetrieben vom Krieg zwischen zwei Supermächten, sondern von der Profitgier der reichsten Menschen auf unserem Planeten. Denn vor allem die Flüge von Bezos und Branson waren primär eins: Werbung für ihre Tourismusfirmen. Deshalb schickte Bezos im Oktober 2021 auch noch William Shatner ins All, den Captain Kirk aus der legendären Science-Fiction-Serie Star Trek, die bei uns in den 60 er-Jahren zunächst unter dem Titel Raumschiff Enterprise bekannt wurde. 392

Auch Elon Musk scheut vor solchen Publicity-Aktionen nicht zurück: 2012 brachte SpaceX 300 Urnen mit der Asche von Verstorbenen, unter ihnen James Doohan, dem Darsteller des Scotty – ebenfalls Crew-Mitglied im Raumschiff Enterprise – , ins Weltall. 393 Und 2018 ließ Musk mit dem ersten Flug der Falcon Heavy -Trägerrakete seinen Tesla Roadster, einen elektronisch betriebenen Sportwagen, auf einen eigenen Orbit um die Sonne schießen. 394 Auf dem Fahrersitz sitzt eine Schaufensterpuppe mit dem Spitznamen Starman . Sie trägt einen Raumanzug und hörte David Bowies Space Oddity in Dauerschleife, solange es die Batterie des Teslas noch tat. 395 Die aktuelle Position des Wagens auf seiner Umlaufbahn um die Sonne kann über die Website whereisroadster.com jederzeit abgerufen werden. Forschende befürchteten eine Zeit lang, dass das Auto irgendwann auf dem Mars einschlagen und so den Roten Planeten bakteriell kontaminieren könnte, da es vor dem Abflug nicht ausreichend sterilisiert worden war. 396 Eine neue Studie ergab aber, dass es am ehesten wieder auf der Erde landen wird, und zwar innerhalb der nächsten zehn Millionen Jahre. 397 Wobei davon auszugehen ist, dass der Roadster beim Eintritt in die Erdatmosphäre fast vollständig verglühen wird – also kein Grund zur Panik.

So richtig ehrgeizige Pläne hat Elon Musk aber für den Mars: SpaceX will dort eine autarke Weltraummetropole bauen, in der irgendwann mal eine Million Menschen leben sollen. 398

Auch wenn ich es durchaus kritisch sehe, dass wir Teile unserer Zukunft in die Hände der Reichsten unter den Superreichen legen, so ist mir doch ein Wettlauf zwischen Milliardären immer noch lieber als ein Wettlauf zwischen zwei Nationen auf Kriegsfuß. Dennoch sollten wir uns die Frage stellen, ob wir überhaupt auf dem Mars leben wollen. Wie realistisch ist das Vorhaben, die Menschheit zu einer interplanetaren Spezies zu machen? Und sollten wir nicht lieber erst mal unseren eigenen Lebensraum auf der Erde schützen, bevor wir versuchen, einen neuen auf dem Mars zu errichten?