Eine Besiedlung des Mars, egal in welchem Umfang, müsste sich letzten Endes auf fünf Säulen stützen: Energie, Baumaterial, Wasser, Sauerstoff und Nahrung. Vier dieser fünf Säulen, so eine Studie zweier amerikanischer Planetenforscher aus dem Jahr 2019 , sind prinzipiell auf dem Mars bereits zu finden. 407 Energie lässt sich durch Fotovoltaikanlagen über die Sonne generieren; die Mars-Rover der NASA und einige Satelliten über dem Roten Planeten werden schon jetzt nur durch Sonnenlicht angetrieben. 408 Vermutlich wären aber noch einige Atomkraftwerke nötig, wenn wir wirklich eine Mars-Metropole mit einer Million Menschen am Laufen halten wollten, wie es Elon Musk vorschwebt. Baumaterial gibt es ebenfalls vor Ort, in Form der Steine, die wir auf der Oberfläche des Mars finden. Wasser könnte man aus Mineralien im Boden oder von den Eiskappen am Nordpol gewinnen, und aus dem Kohlendioxid in der Atmosphäre oder aus besagten Blaualgen ließe sich Sauerstoff generieren.
Die nach wie vor größte Herausforderung für die Wissenschaft stellt die fünfte Säule dar: Nahrung . Wie könnten wir die Menschen auf dem Mars ernähren, ohne ständig auf Lieferungen von der Erde angewiesen zu sein? Der Plan von SpaceX sieht vor, zunächst eine aus zwölf Personen bestehende Crew hochzuschicken und dann etwa alle 26 Monate, wenn sich Mars und Erde am nächsten sind, 26 jeweils etwa 100 bis 200 Passagiere folgen zu lassen, sodass in 50 bis 100 Jahren eine Million Bewohner erreicht wären. 409 Doch ein echter Plan, wie sich die zukünftige Millionenstadt autark ernähren könnte, existiert bislang nicht.
Laut dem Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft nehmen 64 Prozent aller Deutschen täglich Milchprodukte wie Käse oder Joghurt zu sich. 28 Prozent essen täglich Fleisch, sechs Prozent ernähren sich vegetarisch und nur ein Prozent vegan. 410 Wer von uns Deutschen zum Mars will, muss sich also wahrscheinlich auf eine Ernährungsumstellung gefasst machen, denn Nutztiere dort hochzubringen wäre viel zu ineffizient. Studien, die sich mit einer möglichen Besiedlung des Roten Planeten befassen, gehen davon aus, dass es auf eine vegane Ernährung hinauslaufen wird. 411 Um das in großem Stil auf dem Mars umsetzen zu können, müssten die ersten Forschungsmissionen austesten, ob es möglich ist, die marsianische Erde durch Einsatz von Düngemitteln in fruchtbaren Mutterboden für den Gemüseanbau umzuwandeln. Aber es gibt auch Pläne, wie die zukünftigen Marsbewohner vielleicht doch noch an Fleisch kommen könnten, und zwar in Form von Insekten und Laborfleisch. Insekten, da sie hocheffizient sind im Hinblick auf Transport und Kultivierung: Man benötigt nur wenig Wasser, Platz und Futtermittel, um sie zu züchten. Speziell die Hausgrille, eine Heuschrecke von etwa 16 bis 20 Millimetern Größe, ist offenbar besonders gut geeignet, um zu proteinreicher Nahrung verarbeitet zu werden. 412 Laborfleisch, auch Clean Meat oder In-vitro-Fleisch genannt, kann hingegen in großen Mengen synthetisch hergestellt werden. Dabei werden unter künstlichen Bedingungen Zellkulturen herangezogen, die tierisches Fleisch imitieren können. Zu diesem Zweck wird Tieren zunächst Muskelgewebe entnommen, aus dem Stammzellen extrahiert werden. In einem sogenannten Bioreaktor vermehrt man diese Zellen und lässt sie schließlich zu einer größeren Masse, einem Stück Fleisch, zusammenwachsen. Der springende Punkt beim In-vitro-Fleisch: Es ist kein Ersatzprodukt wie die Veggie-Patties aus Erbsenprotein, die mittlerweile in fast allen Supermärkten zu finden sind. Laborfleisch ist – technisch gesehen – echtes Fleisch. Nur dass für dessen Herstellung hoffentlich dann kein Regenwald mehr abgeholzt und keine Kuh mehr getötet werden muss. Das sollte zumindest das Ziel sein. Aktuell müssen die Kälber, deren Serum als Nährmedium für die Zellkulturen dient, für dessen Gewinnung noch getötet werden. 413 Und ob Laborfleisch letztlich gesund ist, lässt sich noch gar nicht sagen, da es bisher von niemandem über längere Zeit konsumiert wurde.
In der Europäischen Union hat noch keine Firma einen Antrag auf Zulassung eines solchen Lebensmittels gestellt. 414 Eine mögliche Zivilisation auf dem Mars könnte mit In-vitro-Fleisch jedoch eine wichtige Nahrungsquelle selbstständig vor Ort produzieren. Die niederländische Firma Mosa Meat wirbt auf ihrer Website damit, dass sie aus 0 ,5 Gramm »Ausgangsmaterial«, das sie einer Kuh unter Narkose entnehmen, 80000 Burger produzieren können. 415
2021 investierte die EU zwei Millionen Euro in Forschungsprojekte rund um die Herstellung von In-vitro-Fleisch. 416 Dieses sogenannte Clean Meat könnte womöglich nicht nur auf dem Mars, sondern auch auf der Erde eine Menge Probleme lösen. Doch ob das Fleisch wirklich so »clean« und klimafreundlich ist, wie der Name suggeriert, wissen wir noch gar nicht. Einige Studien prognostizieren einen klaren Rückgang der Treibhausgasemissionen durch einen Umstieg auf Laborfleisch, andere gehen sogar von einem Anstieg aus. 417 Das liegt daran, dass es noch kein industrielles Verfahren gibt, mit dem Laborfleisch in großem Stil hergestellt werden kann. Jede Studie zur antizipierten Ökobilanz des Fleischersatzes muss also mit hypothetischen Komponenten arbeiten, was die Berechnung äußerst kompliziert macht. 418 Und natürlich ist In-vitro-Fleisch auch alles andere als vegan, wenn das »Ausgangsmaterial« von einem echten Tier stammt.
Aber zurück zum Mars. Unabhängig davon, wann die autarke Ernährung einer Millionenstadt dort realisierbar wird, scheint Leben auf dem Roten Planeten generell nicht nur möglich zu sein, sondern der erste Schritt dahin ist so absehbar wie nie. SpaceX und Elon Musk verschieben ihre Prognose zwar immer wieder nach hinten (aktuell gehen sie von 2029 aus 419 ), doch die NASA hält an den 2030 er-Jahren als Zeitraum für die erste Landung auf dem Mars fest. 420 Dennoch sollten wir uns nichts vormachen: Wir werden den Mars sicher nicht innerhalb kürzester Zeit in eine Art zweite Erde verwandeln können. Um ihn zu einem wirklich bewohnbaren Ort zu machen, müsste am besten sein einst verlorenes Magnetfeld reaktiviert werden. Erst dann ließe sich seine Atmosphäre so manipulieren und terraformen, dass wir tatsächlich in ihr atmen könnten. Leider ist es jedoch mit keiner heute existierenden Technologie möglich, ein Magnetfeld auf dem Mars aufzubauen. 421
Aber kein Grund zur Verzweiflung! Denn es gibt ja einen Planeten, der wie für uns gemacht ist. Mit Luft zum Atmen, Wasser zum Trinken und einem Boden, der perfekt für unsere Landwirtschaft geeignet ist. Und das Beste: Wir müssen uns nicht in ein Raumschiff setzen und monatelang durchs All fliegen, um ihn zu erreichen. Wir sind bereits da. Die Erde ist das beste Zuhause, das wir haben können. Nicht zu kalt und (noch) nicht zu heiß. Die blaue Kugel, die in perfektem Abstand zu unserer Sonne beständig durchs Universum gleitet, ermöglicht uns und unzähligen weiteren Arten das Leben. Und diesen Planeten, den gilt es zu beschützen.
Versteht mich nicht falsch: Ich liebe die Raumfahrt, und wir sollten meiner Meinung nach unbedingt den Mars weiter erforschen! Würden wir dort Spuren von außerirdischem Leben finden, wäre das der größte Sensationsfund in der Geschichte der Wissenschaft. Bislang ist die Erde schließlich der einzige Ort im Universum, von dem wir wissen, dass er Leben beheimatet. Bei schätzungsweise 100 Milliarden Planeten allein in unserer Galaxie 422 wäre es aber durchaus denkbar, dass wir nicht allein sind.
Wenn nachfolgende Generationen die rote Wüste wirklich in die erste außerirdische menschliche Siedlung verwandeln, wäre das nur der nächste logische Schritt für unsere Spezies, die scheinbar immer nach neuen Herausforderungen sucht. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass es bereits einen perfekten Lebensraum für uns gibt.
Ich persönlich bin optimistisch, dass wir beides schaffen können. Wenn wir auf die Wissenschaft vertrauen, Fakten von Falschinformationen trennen und unser Verhalten korrigieren, wo wir Fehler gemacht haben, können wir die schlimmsten Folgen der Klimakrise noch verhindern und von mir aus auch den Mars besiedeln. Heureka!